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Tifereth 9 page





Zu Lia schwieg ich darüber, um sie nicht zu verstimmen, aber ich begann auch Giulio zu vernachlässigen. Es kam vor, daß ich mitten in der Nacht aufwachte und zum Beispiel an Descartes denken musste: Renatus Cartesius, Herrgott, das ergab ja R. C., und wie energisch hatte er nach den Rosenkreuzern gesucht und dann geleugnet, sie gefunden zu haben! Warum war er so besessen von der Methode? Nun, die Methode diente ihm zur Suche nach der Lösung des Geheimnisses, das mittlerweile alle Initiierten Europas faszinierte... Und wer hatte die Magie der Gotik verherrlicht? René de Chateaubriand, R. C. Und wer hatte, zur Zeit von Bacon, Steps to the Temple geschrieben? Richard Crashaw. Und was war mit Ranieri de' Calzabigi, mit René Clair, mit Raymond Chandler? Und mit Rick in Casablanca?

 

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Diese Wissenschaft, die nicht verlorengegangen ist, zumindest nicht in ihrem materiellen Teil, ist den religiösen Baumeistern von den Mönchen aus Citeaux beigebracht worden... Ihre Erben... kannte man im letzten Jahrhundert unter dem Namen»Compagnons du Tour de France«. An sie wandte sich Eiffel, um seinen Turm zu erbauen.

Louis Charpentier, Les mystères de la cathédrale de Chartres, Paris, Laffont, 1966, p. 55‑56

 

Wir hatten nun bald die ganze Neuzeit durchwühlt, als fleißige Maulwürfe, die sich durch die Erde graben, um den Planeten von unten auszuspähen. Aber es musste da noch etwas anderes geben, ein Unternehmen, das die Baconianer begonnen hatten und dessen Ergebnisse, dessen Etappen offen vor aller Augen lagen, ohne daß es jemand bemerkt hatte... Denn wer den Boden durchwühlt, nähert sich zwar den Tiefenschichten, doch die Kelten und Templer hatten sich nicht darauf beschränkt, Löcher zu graben, sie hatten auch ihre Akupunkturnadeln gerade zum Himmel empor gerichtet, als Antennen, um durch sie von einem Megalithen zum anderen zu kommunizieren und die Einflüsse der Gestirne zu empfangen...

Die Idee war Belbo in einer schlaflosen Nacht gekommen. Er war ans Fenster getreten und hatte in der Ferne, über den Dächern von Mailand, die Lichter des Fernsehturms gesehen, die große Antenne der Stadt. Eine moderate und vorsichtige Version des Turms von Babel. Und da hatte er kapiert.

»Der Eiffelturm!«sagte er am nächsten Morgen.»Wie konnten wir den bloß übersehen! Der metallene Megalith, der Menhir der Menhire der letzten Kelten, die höchste Hohle Nadel aller gotischen Nadeln und Fialen! Und wozu braucht Paris ein so unnützes Monument? Nun, es ist die Himmelssonde, die Antenne zum Empfang der Informationen von allen in die Kruste der Erde gesteckten hermetischen Akupunkturnadeln – von den Statuen der Osterinseln, von Machu Picchu in Peru, von der Freiheitsstatue in New York, die der Initiierte La Fayette gewollt hatte, vom Obelisken in Luxor, vom höchsten Turm in Tomar, vom Koloss von Rhodos, der weiterhin aus den Tiefen des Hafens sendet, wo ihn niemand mehr findet, von den Tempeln im brahmanischen Dschungel, von den Wachtürmen auf der Chinesischen Mauer, vom Gipfel von Ayers Rock in Australien, von den Fialen auf dem Straßburger Münster, an denen sich der Initiierte Goethe ergötzte, von den Gesichtern am Mount Rushmore (wie vieles hatte der Initiierte Hitchcock verstanden!), von der Antenne auf dem Empire State Building (und sagt ihr mir, auf welches Imperium diese Schöpfung amerikanischer Initiierter anspielt, wenn nicht auf das von Kaiser Rudolf in Prag!). Der Eiffelturm fängt Signale aus dem Untergrund auf und konfrontiert sie mit denen, die vom Himmel herabkommen. Und wer gab uns das erste beklemmende Filmbild vom Eiffelturm? René Clair in Paris qui dort, worin ein verrückter Doktor die Metropole mit unsichtbaren Strahlen in Schlaf versetzt, und nur acht Personen entgehen den Einflüssen aus dem Untergrund, indem sie auf die Turmspitze fliehen. René Clair, R. C.«

Die ganze Geschichte der Wissenschaft und der Technik musste neu gelesen werden, sogar der Wettlauf um die Vorherrschaft im Weltraum wurde nun verständlich, mit diesen wie verrückt um die Erde sausenden Satelliten, die nichts anderes tun als den Globus zu fotografieren, um darauf unsichtbare Spannungen zu identifizieren, unterseeische Flüsse, warme Luftströme. Und sie dann miteinander zu besprechen, mit dem Eiffelturm, mit Stonehenge…


 

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It is a remarkable coincidence that the 1623 Folio, known by the name of Shakespeare, contains exactly thirty‑six plays.

(Es ist eine bemerkenswerte Koinzidenz, daß die Folio‑Ausgabe von 1623, die unter dem Namen von Shakespeare bekannt ist, genau sechsunddreißig Stücke enthält.)

 

W. F. C. Wigston, Francis Bacon versus Phantom Captain Shakespeare: The Rosicrucian Mask, London, Kegan Paul, 1891, p. 353

 

Wenn wir einander die Resultate unserer Fantastereien berichteten, schien uns – und sicher zu Recht –, daß wir mit unzulässigen Assoziationen und außergewöhnlichen Kurzschlussverbindungen operierten, denen Glauben zu schenken wir uns geschämt hätten, hätte man sie uns vorgehalten. Was uns ermunterte, war das gemeinsame Einverständnis – stillschweigend, wie es die Etikette der Ironie verlangt –, daß wir die Logik der anderen parodierten. Doch in den langen Zwischenzeiten, wenn jeder von uns Beweisstücke für die nächste Dreiersitzung sammelte, überzeugt, Mosaiksteinchen für die Parodie eines Mosaiks zu sammeln, gewöhnte sich unser Hirn allmählich daran, alles und jedes mit allem und jedem in Verbindung zu bringen, und um das automatisch tun zu können, musste es feste Gewohnheiten annehmen. Ich glaube, ab einem bestimmten Punkt macht es keinen Unterschied mehr, ob man sich daran gewöhnt, so zu tun, als ob man glaubte, oder ob man sich daran gewöhnt, wirklich zu glauben.

Es ist wie bei den Spionen. Sie schleichen sich in die gegnerischen Geheimdienste ein und gewöhnen sich daran, wie der Gegner zu denken; wenn sie überleben, so weil es ihnen gelungen ist, sich dem Gegner total anzupassen; kein Wunder also, daß sie nach einer Weile zur anderen Seite überlaufen, die nun ihre Seite geworden ist. Oder wie bei denen, die allein mit einem Hund leben. Sie reden den ganzen Tag lang mit ihm; zu Anfang bemühen sie sich, seine Logik zu verstehen, dann wollen sie, daß er ihre Logik versteht; zuerst finden sie ihn schüchtern, dann eifersüchtig, dann übelnehmerisch, und schließlich verbringen sie ihre Zeit damit, ihn zu piesacken und ihm Eifersuchtsszenen zu machen. Wenn sie sicher sind, daß er wie sie geworden ist, sind sie wie er geworden, und wenn sie stolz darauf sind, ihn vermenschlicht zu haben, haben sie sich de facto verhundet.

Vielleicht weil ich jeden Tag mit Lia und dem Kind in Berührung kam, war ich dem Spiel noch am wenigsten von uns Dreien verfallen. Ich war überzeugt, es zu beherrschen, ich fühlte mich, als schlüge ich immer noch das Agogõ während des rituellen Tanzes – du stehst auf Seiten derer, die Emotionen hervorrufen, nicht sie erleiden, sagte ich mir. Wie es bei Diotallevi war, wusste ich damals noch nicht, heute weiß ich es: Diotallevi gewöhnte seinen Körper daran, wie ein Diaboliker zu denken. Was Belbo anging, so identifizierte er sich mit dem Spiel auch auf der Bewusstseinsebene. Ich gewöhnte mich, Diotallevi zerstörte sich, Belbo bekehrte sich. Aber alle drei verloren wir langsam jene intellektuelle Klarheit, die uns erlaubt, das Ähnliche vom Identischen zu unterscheiden, die Metapher von der Sache zu trennen – jene geheimnisvolle, glänzende und wunderbare Eigenschaft, dank welcher wir sagen können, daß jemand»bestialisch«geworden ist, ohne dabei zu meinen, ihm seien tatsächlich Pranken und Hauer gewachsen, während ein Kranker das Wort»bestialisch«hört und sofort an ein bellendes oder rauchendes oder Feuer speiendes Untier denkt.


Was mit Diotallevi geschah, hätten wir sehen können, wären wir nicht so erregt gewesen. Ich würde sagen, angefangen hatte das Ganze, als der Sommer zu Ende ging. Diotallevi war magerer als gewöhnlich aus den Ferien zurückgekommen, aber es war nicht die nervöse Schlankheit dessen, der sich ein paar Wochen lang in den Bergen erholt hat. Sein zarter Albino‑Teint hatte einen gelblichen Schimmer bekommen. Wenn wir es bemerkten, dachten wir wohl, er hätte die Ferien über seinen rabbinischen Schriftrollen brütend verbracht. Doch in Wahrheit dachten wir an ganz andere Dinge.

Denn in den folgenden Tagen gelang es uns, Stück für Stück auch die Gruppen außerhalb des Baconschen Flügels unterzubringen.

So betrachten zum Beispiel die gängigen Freimaurerstudien den bayerischen Illuminatenorden, der die Auflösung der Nationen und die Abschaffung des Staates anstrebte, als Inspirator nicht nur des Bakuninschen Anarchismus, sondern auch des Marxismus. Unsinn. Die llluminaten waren Provokateure, von den Baconianern in die Reihen der deutschen Templer eingeschleust, aber Marx und Engels dachten an etwas ganz anderes, als sie 1848 das Kommunistische Manifest mit dem reißerischen Satz begannen:»Ein Gespenst geht um in Europa.«Warum benutzten sie ausgerechnet eine so gotisch‑schauerromantische Metapher? Nun, ganz klar, das Kommunistische Manifest spielt sarkastisch auf die gespenstische Jagd nach dem Großen Plan an, die seit einigen Jahrhunderten heimlich durch die Geschichte des Kontinents tobt. Und es schlägt sowohl den Baconianern wie den Neutemplern eine Alternative vor. Marx war Jude, vielleicht war er anfangs das Sprachrohr der Rabbiner von Gerona oder von Safed gewesen und hatte versucht, das ganze Volk Gottes in die Suche mit einzuschalten. Dann aber riss ihn der eigene Schwung mit, er identifizierte die Schechinah, das ins Reich exilierte Volk Gottes, mit dem Proletariat, er verriet die Erwartungen seiner Inspiratoren und drehte die Tendenzen des jüdischen Messianismus um. Templer aller Länder, vereinigt euch! Die Karte der Welt den Arbeitern! Wunderbar! Wo gäbe es eine bessere historische Rechtfertigung für den Kommunismus?


»Gut«, sagte Belbo,»aber auch bei den Baconianern kommt es zu Zwischenfällen, meint ihr nicht? Einige von ihnen verlieren sich unterwegs in einen szientistischen Traum und landen in einer Sackgasse. Ich meine die Einsteins und die Fermis am Ende der Dynastie, die das Geheimnis im Innern des Mikrokosmos suchen und daher die falsche Entdeckung machen. Statt die tellurische Energie, die eine saubere, natürliche, weisheitsmäßige Energie ist, entdecken sie die Atomenergie, die technologisch, schmutzig, vergiftet ist... «

»Raum‑Zeit, Irrtum des Okzidents«, sagte Diotallevi.

»Verlust der Mitte. Serum und Penicillin als Karikatur des Lebenselixiers«, warf ich ein.

»Wie dieser andere Templer, Freud«, sagte Belbo.»Statt in den Labyrinthen des physischen Untergrundes zu graben, gräbt er in denen des psychischen Untergrundes, als hätten darüber nicht schon die Alchimisten alles und besser gesagt... «

»Aber du bist es doch«, meinte Diotallevi,»der dauernd die Bücher von Doktor Wagner herausbringen will. Für mich ist die Psychoanalyse nur etwas für Neurotiker.«

»Ja, und der Penis ist nur ein Phallussymbol«, schloss ich.»Lassen wir das, meine Herren, verlieren wir uns nicht in müßige Spielereien. Und verlieren wir keine Zeit. Wir wissen noch immer nicht, wohin wir die Paulizianer und die Jerusalemer tun sollen.«

Doch ehe wir uns dieser neuen Frage zuwenden konnten, stießen wir auf eine andere Gruppe. Eine, die nicht zu den sechsunddreißig Unsichtbaren gehörte, aber sich schon recht früh in das Spiel mit eingemischt und es teilweise aus dem Gleis gebracht hatte, indem sie als Störtrupp agierte. Die Jesuiten.

 

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The Baron Hundt, Chevalier Ramsay... and numerous others who founded the grades in these rites, worked under instructions from the General of the Jesuits... Templarism is Jesuitism.

(Der Baron Hund, Chevalier Ramsay... und zahlreiche andere, welche die Grade in diesen Riten [der Schottischen Freimaurerei] begründeten, arbeiteten unter dem Kommando des Generals der Jesuiten... Templerismus ist Jesuitismus.)

 

Brief an Mme. Blavatsky von Charles Sotheran, 32.‑. A. and P. R., 94.‑. Memphis, K. R ♣, K. Kadosh, M. M. 104, Eng. etc., Initiale of the modern English Brotherhood of the Rosie Cross and other secret societies, 11.1.1877; in Isis Unveiled, II, 1877, p. 390

 

Wir waren ihnen schon öfter begegnet, schon seit den Zeiten der allerersten rosenkreuzerischen Manifeste. Bereits 1620 war in Deutschland eine anonyme Schrift mit dem Titel Rosa Jesuitica erschienen, die daran erinnerte, daß die Symbolik der Rose katholisch und marianisch war, bevor sie rosenkreuzerisch wurde, und die behauptete, letzten Endes seien die beiden Orden – Jesuiten und Rosenkreuzer – solidarisch, und die Rosenkreuzer seien nur eine der vielen Umformulierungen der jesuitischen Mystik zum Gebrauch des Volkes im reformierten Deutschland.

Ich erinnerte mich an Salons Worte über den Groll, mit dem Pater Athanasius Kircher die Rosenkreuzer attackiert hatte, und das ausgerechnet, während er über das Innere der Erdkugel sprach.

»Pater Kircher«, sagte ich,»spielt eine zentrale Rolle in dieser Geschichte. Warum hat dieser Mann, der so oft bewiesen hatte, daß er Sinn für Beobachtung und Lust am Experimentieren besaß, seine paar guten Ideen unter Tausenden von Seiten voll abenteuerlichster Hypothesen begraben? Er korrespondierte mit den besten englischen Wissenschaftlern, und dann greift er in jedem seiner Bücher die typischen Themen der Rosenkreuzer auf, scheinbar um sie zu widerlegen, faktisch aber, um sie sich anzueignen und mit ihnen seine Version von Gegenreformation anzubieten. Im Anhang zur Erstausgabe der Fama Fraternitatis beteuerte jener Herr Haselmeyer, der wegen seiner reformatorischen Ideen ›von den Jesuittern ist auf eine Galeeren geschmiedet worden‹, wie es im Titel hieß, daß die wahren und wirklichen Jesuiten niemand anders seien als die Rosenkreuzer. Nun, und Pater Athanasius Kircher schreibt seine dreißig und mehr Bücher, um zu suggerieren, daß die wahren und wirklichen Rosenkreuzer niemand anders seien als die Jesuiten. Mit anderen Worten: die Jesuiten versuchen, den Großen Plan in die Hand zu bekommen. Sogar das Pendel will Pater Kircher studieren, und er tut es, wenn auch auf seine Weise, nämlich indem er eine planetarische Uhr erfindet, die ihm die genaue Uhrzeit in den über die ganze Welt verstreuten Ordenssitzen anzeigen sollte.«

»Aber woher wussten die Jesuiten überhaupt von der Existenz des Großen Plans, wenn doch die Templer sich lieber totschlagen ließen als etwas zu verraten?«fragte Diotallevi. Wir begnügten uns nicht mit der Antwort, daß die Jesuiten immer eins mehr als der Teufel wissen. Wir wollten eine bessere Erklärung.

Und wir fanden sie bald. Guillaume Postel, schon wieder er. Beim Durchblättern der Geschichte der Jesuiten von Crétineau‑Joly (was haben wir über den Namen gelacht!) entdeckten wir, daß Postel, ergriffen von seinen mystischen Leidenschaften, von seinem Durst nach spiritueller Regeneration, im Jahre 1544 zu Ignatius von Loyola nach Rom gekommen war. Ignatius hatte ihn mit Begeisterung aufgenommen, aber Postel konnte nicht auf seine fixen Ideen verzichten, auf seine Kabbalismen, seinen Ökumenismus, auf den Mythos von seiner Johanna als Inkarnation der Sophia oder der Schechinah oder was weiß ich, und das alles konnte den Jesuiten nicht behagen, und am wenigsten behagte ihnen die fixeste seiner fixen Ideen, von der er partout nicht lassen wollte, nämlich daß der König der Welt kein anderer sein könne als der König von Frankreich. Ignatius war ein Heiliger, aber ein Spanier.

So war es nach einer Weile zum Bruch gekommen, und Postel hatte die Jesuiten wieder verlassen oder die Jesuiten hatten ihn vor die Tür gesetzt Aber wenn Postel einmal Jesuit gewesen war, und sei's nur für kurze Zeit, muß er Ignatius – dem er Gehorsam perinde ac cadaver geschworen hatte – auch seine Mission anvertraut haben. Lieber Ignatius, muß er gesagt haben, wisse, daß du, wenn du mich aufnimmst, auch das Geheimnis des Großen Planes der Templer mit aufnimmst, deren französischer Repräsentant zu sein ich unverdienterweise die Ehre habe, und da wir ohnehin alle auf das dritte Jahrhunderttreffen anno Domini 1584 warten, können wir ebenso gut auch ad maiorem Dei gloriam darauf warten.

So also haben die Jesuiten durch Postel, in einem seiner schwachen Momente, vom Geheimnis der Templer erfahren. Ein solches Geheimnis muß ausgenutzt werden. Ignatius geht in die ewige Seligkeit ein, aber seine Nachfolger bleiben wachsam und behalten Postel im Auge. Sie wollen wissen, mit wem er sich in jenem Schicksalsjahr 1584 treffen wird. Doch leider stirbt er drei Jahre vorher, und es hilft auch nichts, daß – wie eine unserer Quellen versichert – ein unbekannter Jesuit an seinem Totenbett steht. Die Jesuiten wissen nicht, wer sein Nachfolger ist.

»Entschuldigung, Casaubon«, wandte Belbo ein,»aber da scheint mir etwas nicht aufzugehen. Wenn die Dinge so liegen, haben die Jesuiten doch nicht wissen können, daß das Treffen von 1584 gescheitert ist.«

»Man darf aber auch nicht vergessen«, gab Diotallevi zu bedenken,»daß diese Jesuiten nach allem, was mir die Gojim erzählen, Männer von Eisen waren, die sich nicht so leicht verschaukeln ließen.«

»Ach, wenn's darum geht«, sagte Belbo,»ein Jesuit verspeist zwei Templer zu Mittag und zwei zu Abend. Auch sie sind aufgelöst worden, und mehr als einmal, sie hatten die Regierungen in ganz Europa gegen sich, und trotzdem sind sie immer noch da.«

Man musste sich in die Lage der Jesuiten versetzen. Was tut ein Jesuit, wenn ihm einer wie Postel entwischt ist? Mir kam eine Idee, die allerdings so diabolisch war, daß nicht einmal unsere Diaboliker, dachte ich, sie geschluckt hätten: Die Rosenkreuzer sind eine Erfindung der Jesuiten!

»Wie wär's mit folgendem«, schlug ich vor.»Als Postel gestorben ist, sehen die Jesuiten, scharfsinnig wie sie sind, das Durcheinander mit den Kalendern voraus und ergreifen die Initiative. Sie setzen die Mystifikation der Rosenkreuzer in die Welt und kalkulieren richtig, was dann passieren wird. Unter den vielen Schwarmgeistern, die anbeißen, wird auch der eine oder andere von den echten Kerngruppen sein, der sich überrumpelt zu erkennen gibt. Man stelle sich vor, wie wütend Bacon in so einem Fall gewesen sein muß: Fludd, du Idiot, konntest du nicht das Maul halten? Aber Viscount my Lord, die klangen doch wie die unseren... Narr, hat man dich nicht gelehrt, den Papisten zu misstrauen? Dich hätten sie verbrennen sollen, nicht jenen Unglücklichen aus Nola!«

»Aber wieso«, fragte Belbo,»sind dann die Rosenkreuzer, als sie sich nach Frankreich verlagerten, von den Jesuiten – oder von jenen katholischen Polemikern, die für sie arbeiteten – als Häretiker und Teufelsschüler attackiert worden?«

»Glauben Sie etwa, die Jesuiten gingen geradlinig vor? Was wären das dann für Jesuiten?«

Wir hatten uns lange über meinen Vorschlag gestritten und uns schließlich darauf geeinigt, die ursprüngliche Hypothese besser zu finden: Die Rosenkreuzer waren der Köder, den die Baconianer und die Deutschen den Franzosen hingeworfen hatten. Aber kaum waren die ersten Manifeste erschienen, hatten die Jesuiten das Spiel durchschaut. Und hatten sich unverzüglich eingemischt, um die Karten durcheinanderzubringen. Ihr Ziel war offensichtlich, das Treffen der englischen und deutschen Gruppe mit der französischen zu verhindern, wozu ihnen jedes Mittel recht war, auch das gemeinste.

Und derweil registrierten sie Nachrichten, sammelten Informationen und speicherten sie... wo? In Abulafia, scherzte Belbo. Aber Diotallevi, der sich inzwischen eigene Informationen verschafft hatte, sagte, das sei durchaus kein Scherz. Zweifellos waren die Jesuiten dabei, den enormen Elektronenrechner zu konstruieren, der imstande sein würde, eine Summe aus all den akkumulierten Daten zu ziehen, eine Konklusion aus dem geduldigen jahrhundertelangen Verrühren aller Fetzen von Wahrheit und Lüge, die sie unentwegt sammelten.

»Die Jesuiten hatten etwas begriffen«, sagte Diotallevi,»was weder die guten alten Templer von Provins noch die Baconianer auch nur geahnt hatten, nämlich daß sich die gesuchte Karte auch auf kombinatorischem Wege rekonstruieren ließ, mit Verfahrensweisen ähnlich denen der modernen Elektronengehirne! Die Jesuiten sind die ersten, die Abulafia erfinden! Pater Kircher liest alle Traktate über die Ars combinatoria, angefangen mit dem von Lullus. Und seht mal, was er dann – hier, schaut euch das an in seiner Ars Magna Sciendi – publiziert.«

 

Epilogismus Combinationis Linearis

 

aus Athanasius Kircher, Ars Magni Sciendi, Amsterdam, Jansson, 1669, p. 170

 

»Sieht aus wie ein Häkelmuster«, sagte Belbo.

»Von wegen. Das sind alle je irgend möglichen Kombinationen von x Elementen. Faktorenrechnung, genau wie im Sefer Jezirah. Die Berechnung der Kombinationen und Permutationen, die Essenz der Temurah!«

Jawohl, so muß es gewesen sein. Es war eine Sache, das vage Projekt von Fludd zu konzipieren, um die Karte ausgehend von einer Polarprojektion zu finden, und es war eine andere, zu wissen, wie viele Versuche dazu notwendig sein würden, und sie alle durchzuprobieren, um die beste Lösung zu finden. Und es war vor allem eine Sache, das abstrakte Modell der möglichen Kombinationen zu entwerfen, und es war eine ganz andere, an eine Maschine zu denken, die fähig sein würde, das Modell zu konkretisieren. Und siehe da, sowohl Kircher wie sein Schüler Schott entwerfen mechanische Drehorgeln, Mechanismen mit Lochstreifen, Computer avant la lettre. Fundiert auf binärer Logik. Kabbala, angewandt auf die moderne Mechanik.

IBM: Iesus Babbage Mundi, Iesum Binarium Magnificamur. AMDG: Ad Maiorem Dei Gloriam? Von wegen: Ars Magna, Digitale Gaudium! IHS: Iesus Hardware & Software!

 

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Inmitten der dichtesten Finsternis hat sich eine Gesellschaft von neuen Wesen gebildet, die sich kennen, ohne sich je gesehen zu haben, sich verstehen, ohne sich je erklärt zu haben, sich dienen, ohne befreundet zu sein... Diese Gesellschaft... übernimmt vom Jesuitenregime den blinden Gehorsam, von der Freimaurerei die Prüfungen und die äußeren Zeremonien, von den Templern die Evokationen der Untergründe und die unglaubliche Kühnheit... Hat der Graf von Saint‑Germain je etwas anderes getan, als Guillaume Postel zu imitieren, der die Manie hatte, sich für älter auszugeben als er war?

Marquis de Luchet, Essai sur la secte des illuminés, Paris 1789, V und XII

 

Die Jesuiten hatten begriffen, was die beste Methode ist, um einen Gegner zu destabilisieren: Geheimsekten gründen, warten, daß die gefährlichen Enthusiasten hineinströmen, und sie dann alle verhaften. Anders gesagt: Wer eine Verschwörung fürchtet, organisiere sie selber, so bekommt er alle potenziellen Verschwörer unter seine Kontrolle.

Ich erinnerte mich an einen Vorbehalt, den Agliè über Ramsay geäußert hatte, also über den ersten, der einen direkten Zusammenhang zwischen Freimaurerei und Templern hergestellt hatte: Er habe Verbindungen zu katholischen Kreisen gehabt. Tatsächlich hatte bereits Voltaire den Chevalier Ramsay als einen Mann der Jesuiten bezeichnet. Mit anderen Worten: Auf die Entstehung der englischen Freimaurerei antworteten die Jesuiten aus Frankreich mit dem»schottischen«Neutemplerismus.

So wird verständlich, warum 1789, als Antwort auf diesen Schachzug, ein als Marquis de Luchet getarnter Anonymus einen Essay über die Sekte der Illuminaten veröffentlicht, in dem er die llluminaten jeder Art attackierte, ob aus Bayern oder von sonst wo, ob anarchistische Pfaffenfresser oder mystische Neutempler, und in denselben Sack (unglaublich, wie sich peu à peu alle Steinchen unseres Mosaiks nahtlos zusammenfügten!) sogar die Paulizianer steckt, zu schweigen von Postel und Saint‑Germain. Wobei er beklagt, daß diese Formen von templerischem Mystizismus die Glaubwürdigkeit der Freimaurerei beeinträchtigen, die für sich genommen eine Gesellschaft von braven und ehrlichen Leuten sei.

Mithin: Die Baconianer hatten die Freimaurerei als ein Gewusel à la Rick's Café Américain in Casablanca erfunden, der jesuitische Neutemplerismus sollte ihre Erfindung zunichte machen, und der Marquis de Luchet war als Killer ausgesandt worden, um alle nicht‑baconischen Gruppen zu liquidieren.

An diesem Punkt aber mussten wir einer anderen Tatsache Rechnung tragen, die sich der arme Agliè nicht erklären konnte: Wieso hatte sich de Maistre, ein Mann der Jesuiten, auf dem Konvent von Wilhelmsbad eingemischt, und das gut sieben Jahre vor dem Auftauchen des Marquis de Luchet, um Zwietracht unter den Neutemplern zu säen?

»Der Neutemplerismus lief gut und nach den Wünschen der Jesuiten in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts«, erklärte Belbo,»und er lief immer schlechter, als das Jahrhundert zu Ende ging. Erstens, weil sich die Revolutionäre seiner bemächtigt hatten, für die alles recht war, von der Göttin Vernunft bis zum Höchsten Wesen, solange nur der König geköpft wurde, siehe Cagliostro, und zweitens, weil sich in Deutschland die Fürsten eingemischt hatten, voran Fridericus von Preußen, deren Ziele sicherlich nicht mit denen der Jesuiten übereinstimmten. Und als der mystische Neutemplerismus, wer immer ihn auch erfunden hatte, dann schließlich die Zauberflöte hervorbrachte, war klar, daß die Mannen Loyolas beschlossen, ihn loszuwerden. Das ist wie in der Finanzwelt: Man kauft eine Firma, stößt sie wieder ab, liquidiert sie, lässt sie bankrott gehen oder gibt ihr eine Kapitalspritze, je nachdem, welchen Generalplan man hat, und dabei kümmert man sich einen Dreck darum, was aus dem Portier wird. Oder wie mit einem Auto: Man fährt es, solange es funktioniert, und dann ab auf den Schrott.«

 

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Im wahren maurerischen Kodex wird man keinen anderen Gott finden... als den von Mani. Er ist der Gott des kabbalistischen Maurers und der alten Rosenkreuzer; er ist der Gott des martinistischen Maurers... Im übrigen sind alle den Templern zugeschriebenen Infamien genau diejenigen, die man einst den Manichäern zuschrieb.

Abbé Barruel, Mémoires pour servir à l’histoire du jacobinisme, Hamburg 1798,2, XIII

 

Die Strategie der Jesuiten wurde uns klar, als wir den Abbé Barruel entdeckten. Dieser schrieb in den Jahren 1797‑98, als Antwort auf die Französische Revolution, seine Mémoires pour servir à l’histoire du jacobinisme, einen regelrechten Abenteuerroman, der bezeichnenderweise mit den Templern beginnt: Nach dem Feuertod von Jacques de Molay verwandeln die Templer sich in eine Geheimgesellschaft mit dem Ziel, Monarchie und Papsttum abzuschaffen und eine Weltrepublik zu errichten. Im achtzehnten Jahrhundert bemächtigen sie sich der Freimaurerei und machen sie zu ihrem Werkzeug. 1763 gründen sie eine literarische Akademie, bestehend aus Leuten wie Voltaire, Turgot, Condorcet, Diderot und d'Alembert, die sich im Hause des Barons d'Holbach treffen und – Komplott, Komplott – 1776 die Jakobiner hervorbringen. Welche ihrerseits Marionetten in der Hand der wahren Oberen sind, nämlich der bayerischen Illuminaten, die Tag und Nacht nur auf Königsmord sinnen.

Von wegen ab auf den Schrott. Nachdem sie die Freimaurerei erst mit Hilfe von Ramsay in zwei Teile gespalten haben, vereinigen die Jesuiten sie nun wieder, um sie frontal zu schlagen.







Date: 2015-12-13; view: 456; Íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ



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