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Tifereth 4 page





»Klar«, sagte Belbo,»inzwischen sind das alles ja Leute, die hilflos herumirren wie in einem Labyrinth. Die einen probieren diesen, die anderen jenen Weg, man lanciert Gerüchte, aber man kapiert nicht, ob die Antworten, die man hört, die Stimme von jemand anderem oder das Echo der eigenen Stimme sind... Alle tasten sich wie im Dunkeln voran. Und was machen derweil die Paulizianer und die Jerusalemer?«

»Tja, wenn man das wüsste«, sagte Diotallevi.»Aber ich würde nicht außer acht lassen, daß es genau die Zeit ist, in der die lurianische Kabbala sich verbreitet und man anfängt, vom Bruch der Gefäße zu sprechen... Und zur selben Zeit kommt die Idee von der Torah als einer unvollständigen Botschaft auf. In einer chassidischen Schrift aus Polen heißt es: Wenn sich statt dessen ein anderes Geschehnis ereignet hätte, dann wären andere Buchstabenkombinationen daraus hervorgegangen... Eins ist jedenfalls klar: Den Kabbalisten gefällt es nicht, daß die Deutschen der Zeit vorgreifen wollten. Die richtige Ordnung und Abfolge der Torah ist verborgen geblieben, sie ist nur Ihm bekannt, dem Heiligen, Er sei gelobt.. Aber lasst mich hier keine Verrücktheiten sagen. Wenn auch die heilige Kabbala in den Großen Plan mit einbezogen wird... «

»Wenn es den Großen Plan gibt, muß er alles mit einbeziehen. Entweder er ist global, oder er erklärt gar nichts«, sagte Belbo.»Aber Casaubon hatte noch ein zweites Indiz angedeutet«

»Ja. Sogar eine Reihe von Indizien. Noch ehe das Treffen von 1584 gescheitert war, hatte John Dee begonnen, sich mit kartografischen Studien zu beschäftigen und Schiffsexpeditionen zu propagieren. Und in Abstimmung mit wem? Mit Pedro Nuñez, dem Kosmografen des Königs von Portugal... John Dee beeinflusste die Entdeckungsreisen auf der Suche nach der Nordwestpassage, er investierte Geld in die Expedition eines gewissen Frobisher, der in die Nähe des Nordpols vordrang und mit einem Eskimo zurückkam, den alle für einen Mongolen hielten, er stachelte Sir Francis Drake auf und ermunterte ihn zu seiner Weltreise, er wollte, daß die Entdecker nach Osten segelten, weil der Osten der Anfang jeder okkulten Erkenntnis sei, und bei der Abfahrt von ich weiß nicht mehr welcher Expedition rief er die Engel an.«

»Und was würde das bedeuten?«

»Mir scheint, daß John Dee in Wirklichkeit gar nicht so sehr an der Entdeckung fremder Weltgegenden interessiert war, sondern an ihrer kartografischen Darstellung, und deswegen arbeitete er in Kontakt mit Mercator und Ortelius, zwei großen Kartografen. Es sieht so aus, als hätte er aus den Fragmenten der Botschaft, die er in Händen hielt, begriffen, daß die ganze Botschaft am Ende zur Entdeckung einer Karte führen musste, und so versuchte er nun, diese Karte auf eigene Faust zu entdecken. Ja, ich wäre sogar versucht, noch mehr zu sagen, wie Signor Garamond. Sollte einem Gelehrten von seinem Kaliber wirklich die Diskrepanz zwischen den beiden Kalendern entgangen sein? Was, wenn er das Treffen mit Absicht verpatzt hätte? John Dee sieht mir ganz so aus, als hätte er die Botschaft für sich allein rekonstruieren wollen, um so die fünf anderen Gruppen auszuschalten. Ich habe den Verdacht, daß mit ihm die Idee auftaucht, man könne die Botschaft mit magischen oder wissenschaftlichen Mitteln rekonstruieren, ohne zu warten, daß der Plan sich erfüllt. Syndrom der Ungeduld. Genau zu dieser Zeit entsteht der Typus des bürgerlichen Eroberers, es trübt sich das Solidaritätsprinzip, auf dem die spirituelle Ritterschaft beruhte. Und wenn John Dee so dachte, dann sicher erst recht Francis Bacon. Von nun an versuchen die Engländer, das Geheimnis zu lüften, indem sie alle Geheimnisse der neuen Wissenschaft nutzen.«

»Und die Deutschen?«

»Die Deutschen, die lassen wir lieber den Weg der Tradition beschreiten. So können wir mindestens zwei Jahrhunderte Philosophiegeschichte erklären – angelsächsischer Empirismus gegen romantischen Idealismus... «

»Wir sind dabei, schrittweise die Geschichte der Welt zu rekonstruieren«, sagte Diotallevi.»Wir sind dabei, das Buch neu zu schreiben. Das gefällt mir, das gefällt mir!«

 

73

 

 

Ein anderer kurioser Fall von Kryptographie wurde dem Publikum 1917 von einem der besten Biographen Bacons, dem Dr. Alfred von Weber‑Ebenhoff aus Wien, vorgelegt. Ausgehend von den bereits an den Werken Shakespeares erprobten Systemen, unternahm er es, sie auf die Werke von Cervantes anzuwenden... Im Verlauf dieser Untersuchung entdeckte er einen verblüffenden konkreten Beweis: die erste englische Übersetzung des Don Quijote von Shelton weist handschriftliche Korrekturen von Bacon auf. Er schloß daraus, daß diese englische Fassung das Original des Romans sei und daß Cervantes nur eine spanische Übersetzung davon veröffentlicht habe.

J. Duchaussoy, Bacon, Shakespeare ou Saint‑Germain?, Paris, La Colombe, 1962, p. 122

 

Dass Jacopo Belbo in den folgenden Tagen gierig historische Werke über die Zeit der Rosenkreuzer verschlang, scheint mir evident. Doch als er uns dann erzählte, zu welchen Schlüssen er gelangt war, lieferte er uns von seinen Fantasien nur das nackte Faktengerüst, aus dem wir freilich wertvolle Anregungen bezogen. Heute weiß ich, daß er in Wahrheit dabei war, an Abulafia eine weit komplexere Geschichte zu schreiben, in der sich das zügellose Zitatenspiel mit seiner Privatmythologie vermischte. Angesichts der Möglichkeit, Fragmente einer Geschichte anderer zu kombinieren, fand er langsam wieder den Drang, in narrativer Form die eigene Geschichte zu schreiben. Uns sagte er das nie. Und mir bleibt der Zweifel, ob er nur mit einigem Mut seine Fähigkeiten zum Ausdruck einer Fiktion erprobte, oder ob er nicht schon dabei war, sich selbst wie irgendein Diaboliker in die Große Geschichte, die er da verdrehte, hineinzuversetzen.

Filename: Das seltsame Kabinett des Doktor Dee

 

Lange Zeit habe ich vergessen, dass ich Talbot bin. Spätestens seit ich beschlossen hatte, mich Kelley zu nennen. Im Grunde hatte ich nur Dokumente gefälscht, das tun alle. Die Männer der Königin sind gnadenlos. Um meine armen abgeschnittenen Ohren zu verdecken, bin ich gezwungen, diese schwarze Mütze zu tragen, und alle tuscheln, ich sei ein Magier. Sei's drum. Doktor Dee lebt gut, ja prosperierend von diesem Ruf.

Ich war nach Mortlake gefahren, um ihn zu besuchen, und fand ihn über eine Karte gebeugt. Er blieb vage, der diabolische Alte. Nur düsteres Glimmen in seinen listigen Augen, und die knochige Hand, die den Ziegenbart kraulte.

– Das ist ein Manuskript von Roger Bacon, sagte er mir. Kaiser Rudolf II. hat es mir geliehen. Kennen Sie Prag? Sie sollten es einmal besuchen. Sie könnten dort etwas finden, was Ihr Leben verändern würde. Tabula locorum rerum et thesaurorum absconditorum Menabani...

Flüchtig sah ich ein Stückchen der Transkription, die er von einem Geheimalphabet zu machen versuchte. Doch sofort verbarg er das Manuskript unter einem Stapel anderer vergilbter Papiere. Wie schön, in einer Epoche zu leben, und einer Umgebung, in der jedes Blatt, auch wenn es eben erst aus der Werkstatt des Papiermachers kommt, schon vergilbt ist...

Ich hatte dem Doktor einige Proben von mir gezeigt, vor allem meine Gedichte über die Dark Lady. Hell leuchtendes Bild meiner Kindheit; dunkel, da aufgesogen vom Schatten der Zeit und meinem Besitz entzogen... Und ein tragisches Stück von mir, die Geschichte von Surabaya‑Jim, der im Gefolge von Sir Walter Raleigh nach England zurückkehrt und entdeckt daß der Vater getötet wurde, ermordet vom inzestuösen Bruder. Bilsenkraut.

– Sie haben Talent, Kelley, hatte Dee gesagt. Und Sie brauchen Geld. Da ist ein junger Mann, natürlicher Sohn von Sie wagen gar nicht zu denken wem, dem ich zu Ruhm und Ehren verhelfen will. Er hat wenig Talent, Sie werden seine geheime Seele sein. Schreiben Sie, und leben Sie im Schatten seines Ruhmes, nur Sie und ich werden wissen, daß es der Ihre ist, Kelley.

So sitze ich nun seit Jahren und schreibe die Stücke, die für die Königin und für ganz England unter dem Namen dieses blassen Jünglings laufen. If l have seen further, it is by Standing on ye sholders of a Dwarf. Ich war dreißig Jahre alt, und ich werde niemandem erlauben zu sagen, dies sei das schönste Lebensalter.

– William, sagte ich, lass dir die Haare über die Ohren wachsen, das steht dir. – Ich hatte einen Plan (mich an seine Stelle zu setzen?).

Kann man leben, indem man den Schüttelspeer hasst, der man in Wirklichkeit ist? That sweet thief which sourly robs from me. – Ruhig, Kelley, sagte Dee, im Schatten heranzuwachsen ist das Privileg dessen, der sich anschickt, die Welt zu erobern. Keepe a Lowe Profyle. William wird eine unsrer Tarnungen sein... Und er enthüllte mir (alas! nur zum Teil) das Kosmische Komplott. Das Geheimnis der Templer!

– Um was geht es dabei? fragte ich.

– Ye Globe.

Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen, jedoch eines späten Abends, um Mitternacht, stöberte ich in Dees privater Schatulle, entdeckte Formeln und wollte die Engel anrufen, wie er es in Vollmondnächten tut. Dee fand mich zusammengebrochen, mitten im Kreis des Makrokosmos, wie niedergestreckt von einem Peitschenhieb. Auf der Stirn das Pentaculum Salomonis. Nun muß ich die Mütze noch tiefer in die Stirn ziehen.

– Du weißt noch nicht, wie man das macht, sagte Dee. Sei auf der Hut, oder ich lasse dir auch die Nase abreißen, l will show you Fear in a Handful of Dust...

Er hob eine knochige Hand und sprach das schreckliche Wort: Garamond! Ich fühlte in mir eine Flamme brennen. Ich floh (in die Nacht).

Es brauchte ein Jahr, bis Dee mir verzieh und mir sein Viertes Buch der Mysterien widmete,»post reconciliationem kellianam«.

In jenem Sommer war ich von abstrakten Leidenschaften ergriffen. Dee hatte mich nach Mortlake gerufen, wir waren vollzählig bei ihm versammelt: ich, William, Spenser und ein junger Aristokrat mit fliehendem Blick, Francis Bacon. He had a delicate, lively, hazel Eie. Doctor Dee told me it was like the Eie of a Viper. Der Alte enthüllte uns einen Teil des Kosmischen Komplotts. Es ging darum, in Paris den fränkischen Flügel der Templer zu treffen und zwei Teile einer Karte zusammenzusetzen. Dee und Spenser sollten hinfahren, begleitet von Pedro Nuñez. Mir und Bacon vertraute er Dokumente an, und wir mussten schwören, sie nur zu öffnen, falls sie nicht wiederkämen.

Sie kamen wieder, einander heftig beschimpfend. – Das ist ganz unmöglich! rief Dee. Der Plan ist mathematisch exakt, er hat die astrale Perfektion meiner Monas leroglyphica. Wir mussten sie treffen, es war die Johannisnacht!

Ich hasse es, unterschätzt zu werden. Ich fragte ihn:

– Die Johannisnacht für uns oder für sie?

Dee schlug sich die Hand vor die Stirn und stieß grässliche Flüche aus. – Oh, rief er, from what power hast thou this powerful might? – Der blasse William notierte sich den Satz, der feige Plagiator. Dee konsultierte fieberhaft Kalender und Ephemeriden. – Gottverdammt, Gottverflucht, wie konnte ich nur so blöd sein?! – Er beschimpfte Pedro Nuñez und Spenser. – Muss ich denn an alles denken? Hundsfott von einem Kosmografen! brüllte er Nuñez an. Dann rief er laut: Amanasiel! Zorobabel! Und Nuñez taumelte rückwärts wie von einem unsichtbaren Widder in den Magen gestoßen, wich erbleichend ein paar Schritte zurück und brach zusammen. – Hornochse! sagte Dee.

Spenser war blass. Er stammelte mühsam: Man könnte einen Köder auswerfen. Ich beende gerade ein Poem, ein allegorisches Epos über die Feenkönigin, in das ich versucht bin, einen Ritter vom Roten Kreuz einzubringen... Lasst mich schreiben. Die wahren Templer werden einander erkennen, sie werden begreifen, daß wir Bescheid wissen, und werden Kontakt mit uns aufnehmen...

– Ich kenne dich, sagte Dee, bis du fertig geschrieben hast und die Leute dein Epos zur Kenntnis nehmen, vergeht ein Lustrum oder gar ein Dezennium. Aber die Idee mit dem Köder ist gar nicht so dumm.

– Warum kommunizieren Sie nicht durch Ihre Engel mit den Franzosen, Doktor? fragte ich ihn.

– Hornochse, sagte er nochmals, und diesmal zu mir. Hast du nicht den Trithemius gelesen? Die Engel des Empfängers intervenieren, um eine Botschaft zu entschlüsseln, wenn er sie erhält. Meine Engel sind keine reitenden Boten. Die Franzosen sind verloren. Aber ich habe einen Plan. Ich weiß, wo ich jemanden von der deutschen Linie finden kann. Wir müssen nach Prag fahren.

Wir hörten ein Geräusch, ein schwerer Damastvorhang hob sich, eine zarte Hand kam hervor, und dann erschien Sie, die Hehre Jungfrau. – Majestät, sagten wir niederkniend. – Dee, sprach Sie, ich weiß alles. Glaubt nicht, meine Vorfahren hätten die Ritter gerettet, um ihnen nun die Weltherrschaft zu überlassen. Ich fordere, versteht Ihr, ich fordere und beanspruche das Geheimnis, wenn Ihr es habt, als ein Erbteil der Krone.

– Majestät, ich will das Geheimnis haben, um jeden Preis, und ich will es für die Krone haben. Ich will die anderen Besitzer wiederfinden, wenn dies der kürzeste Weg ist, aber wenn sie mir törichterweise anvertraut haben, was sie wissen, wird es für mich ein leichtes sein, sie zu eliminieren, sei's mit dem Dolche oder mit Gift.

Auf dem Antlitz der jungfräulichen Königin erschien ein schauriges Lächeln. – Recht so, sagte sie, mein guter Dee... Ich will nicht viel, nur die Totale Macht. Euch, so Ihr erfolgreich seid, winkt der Hosenbandorden. Dir, William – und mit schlüpfriger Süße wandte sie sich an den kleinen Parasiten – ein andres Hosenband, und ein andres Goldenes Vlies. Folge mir.

Ich flüsterte William ins Ohr: Perforce l am thine, and all that is in me... William belohnte mich mit einem Blick voll triefender Dankbarkeit und folgte der Königin durch den Vorhang. Je tiens la reine!

 

Ich war mit Dee in der Goldenen Stadt. Wir gingen durch enge und übel riechende Gassen unweit des jüdischen Friedhofs, und Dee sagte, ich solle gut achtgeben. – Wenn die Nachricht von dem versäumten Kontakt sich verbreitet hat, sagte er, werden die anderen Gruppen bereits auf eigene Faust unterwegs sein. Ich fürchte die Juden, Kelley, die Jerusalemer haben hier in Prag zu viele Agenten...

Es war Abend. Der Schnee glitzerte bläulich. Vor dem dunklen Eingang zum Judenviertel hockten die Buden des Weihnachtsmarktes. Mitten darin, mit rotem Tuch bespannt, leuchtete grell, von schwelenden Fackeln beschienen, die offene Bühne eines Marionettentheaters. Doch gleich danach gelangten wir unter die Bögen eines gequaderten Laubenganges, und nach einem Erzbrunnen, dessen barockes Gitter voll langer Eiszapfen hing, öffnete sich der Torbogen zu einer anderen Passage. Verwitterte Paläste zogen an uns vorüber, mit hochmütigen Portalen, an denen goldene Löwenköpfe in bronzene Ringe bissen. Manchmal fuhr ein schwaches Beben durch jene Mauern, unerklärliche Geräusche liefen über die Dächer und glitten in den Regenrinnen hernieder. Die Häuser verrieten ein spukhaftes Treiben in ihrem Innern, als wären sie die heimlichen Herren des Lebens... Ein alter Zinswucherer in einem zerschlissenen Kaftan streifte uns fast im Vorübergehen, und mir war, als hörte ich ihn murmeln: Hütet euch vor Athanasius Pernath... – Ich fürchte einen ganz anderen Athanasius, murmelte Dee. Und mit einmal waren wir in der Goldmachergasse.

Dort nun, und die Ohren, die ich nicht mehr habe, erzittern mir unter der zerschlissenen Mütze bei der Erinnerung, dort, im Dunkel eines weiteren unvermuteten Torweges, erschien jählings vor uns ein Riese, ein entsetzliches graues Geschöpf mit starrem Ausdruck, der Leib gepanzert mit einem bronzefarbenen Belag, gestützt auf einen spiralförmig gedrehten Knotenstock aus weißem Holz. Ein trüber Geruch nach Sandelholz und nassem Schiefer ging von der Erscheinung aus. Mich packte ein tödliches Grauen, es war, als wäre mein ganzes Fühlen zu Todeserschrecken geronnen in jenem Wesen, das da vor mir stand. Und doch konnte ich den Blick nicht von dem fahlen Nebelballen abwenden, den es anstelle des Kopfes auf den Schultern trug, und mit Mühe erkannte ich das Raubvogelgesicht eines ägyptischen Ibis, und dahinter eine Vielzahl anderer Gesichter, Albträume meiner Fantasie und meiner Erinnerung. Die Umrisse des Phantoms schleierten schemenhaft in der Dunkelheit, zogen sich kaum merklich zusammen und dehnten sich wieder aus, als durchströmte ein langsamer mineralischer Atem die ganze Gestalt... Und – o Grausen – statt der Füße sah ich unförmige Knochenstümpfe im Schnee, von denen das Fleisch, grau und blutleer, sich zu Wülsten hochrollte.

Oh, meine gefräßigen Erinnerungen...

– Der Golem! sagte Dee. Sodann hob er beide Arme zum Himmel, und sein schwarzer Rock mit den weiten Ärmeln fiel an seiner hohen Gestalt herab, als wollte er ein Cingulum bilden – eine Nabelschnur zwischen den hocherhobenen Händen und der Oberfläche (oder den Tiefen) der Erde. – Jezebel, Malchuth, Smoke Gets in Your Eyes! sprach der Doktor. Und mit einem Schlage zerfiel der Golem wie eine Burg aus Sand, durch die ein Windstoß fährt, wir wurden fast geblendet von den Partikeln seines tönernen Leibes, die in der Luft wie Atome zerstoben, und am Ende lag vor unseren Füßen ein Häufchen verbrannter Asche. Dee beugte sich nieder, wühlte mit seinen knochigen Fingern in jenem Häufchen, zog einen Zettel heraus und barg ihn an seinem Busen.

Im selben Moment trat aus dem Dunkel ein alter Rabbi mit einer fettigen Kappe, die meiner Mütze sehr ähnlich sah. – Doctor Dee, l suppose, sagte er. – Here Comes Everybody, erwiderte Dee bescheiden. Seid mir gegrüßt, Rabbi Allevi, welche Freude... Und der andere: – Habt Ihr zufällig hier ein Wesen umgehen sehen?

– Ein Wesen? fragte Dee mit gespieltem Erstaunen. Von welcher Beschaffenheit?

– Zum Teufel, sagte Rabbi Allevi. Es war mein Golem.

– Euer Golem? Davon weiß ich nichts.

– Hütet Euch, Doktor Dee, zischte der Rabbi böse. Ihr spielt ein Spiel, das größer ist als Ihr.

– Ich weiß nicht, wovon ihr sprecht, Rabbi Allevi, sagte Dee. Wir sind hier, um ein paar Unzen Gold für Euren Kaiser zu machen. Wir sind keine Drei‑Groschen‑Nekromanten.

– Gebt mir wenigstens den Zettel wieder, flehte Rabbi Allevi.

– Welchen Zettel? fragte Dee mit teuflischer Einfalt.

– So seid denn verflucht, Doktor Dee! sprach Rabbi Allevi. Wahrlich, ich sage Euch, Ihr werdet die Morgendämmerung des neuen Jahrhunderts nicht mehr erleben. Sprach's und entschwand in die Nacht, obskure Mitlaute ohne jeden Vokal vor sich hinmurmelnd. O Lingua Diabolica et Sancta!

Dee stand an die modrige Mauer des Torwegs gelehnt, erdfahl im Gesicht, das Haupthaar gesträubt gleich dem der Schlange. – Ich kenne diesen Rabbi Allevi, sagte er. ich werde am fünften August anno 1608 sterben, nach dem Gregorianischen Kalender. Und darum helft mir nun, Kelley, meinen Plan ins Werk zu setzen. Ihr werdet es sein, der ihn vollenden muß. Gilding pale streams with heavenly alchymy, erinnert Euch daran. – O ja, ich würde mich daran erinnern, und William mit mir (und gegen mich).

Er sagte nichts mehr. Der gelbe Nebel, der seinen Rücken an den Fensterscheiben rieb, der gelbe Rauch, der seine Schnauze an den Fensterscheiben rieb, leckte mit seiner Zunge an den Ecken des Abends. Wir waren jetzt in einer anderen Gasse, weißliche Dämpfe stiegen aus den vergitterten Kellerfenstern, durch die man in Spelunken mit schiefen Wänden sah, gestreift mit einer Skala trüber Grautöne... Ich erblickte, während er tastend eine Treppe hinunterkam (die Stufen unnatürlich rechtwinklig), die Gestalt eines Alten in verschlissenem Gehrock mit hohem Zylinder. Dee sah ihn ebenfalls. – Caligari! rief er. Auch er hier, und das im Haus der Madame Sosostris, The Famous Clairvoyante! Rasch, wir müssen uns sputen!

Wir beschleunigten unsere Schritte und gelangten zur Tür eines Häuschens in einer trübe beleuchteten Gasse.

Wir klopften, und die Tür öffnete sich wie durch Zauberhand. Wir traten in einen weiten hohen Saal, geschmückt mit siebenarmigen Leuchtern, mit Tetragrammen in Relief und Davidssternen im Strahlenkranz. Alte Geigen, schimmernd im Farbton der Lasur altmeisterlicher Gemälde, häuften sich vorn auf einem langen, perspektivisch nach hinten verjüngten Klostertisch. Ein großes Krokodil hing mumifiziert von der hohen Gewölbedecke, sanft schwingend in der Abendbrise, im flackernden Licht einer einzigen Fackel, oder vieler – oder keiner. Im Hintergrund, vor einer Art Zelt oder Baldachin, unter dem sich ein Tabernakel erhob, kniete wie im Gebet versunken, ununterbrochen blasphemisch die zweiundsiebzig Namen Gottes murmelnd, ein Greis. Ich wusste sogleich, erleuchtet durch jähen Blitzschlag des Nous, daß es Heinrich Khunrath war.

– Was ist, Dee? fragte er, sich umwendend und sein Gebet unterbrechend. Was wollt Ihr? – Er wirkte wie ein ausgestopftes Gürteltier, ein altersloser Leguan.

– Khunrath, sagte Dee, das dritte Treffen hat nicht geklappt.

Khunrath stieß eine grässliche Verwünschung aus: Lapis Exillis! Und nu?

– Khunrath, sagte Dee, Ihr könntet einen Köder auswerfen und mich in Kontakt mit der deutschen Templerlinie bringen.

– Mal sehen, sagte Khunrath. Ich könnte Maier fragen, der kennt viele Leute bei Hof. Aber Ihr müsst mir dafür das Geheimnis der jungfräulichen Milch verraten, das Geheimnis des Allergeheimsten Ofens der Philosophen.

Dee lächelte – o göttliches Lächeln jenes Sophen! Dann sammelte er sich wie zum Gebet und murmelte leise: Willst du das sublimierte Quecksilber umwandeln und in Wasser oder in Jungfrauenmilch auflösen, so tu's auf die Folie zwischen die Häufchen und die Schale mit dem sorgfältig pulverisierten DING, aber deck's nicht zu, sondern sorge dafür, daß die warme Luft an die nackte Materie gelangt, verabreiche ihm die Glut dreier Kohlen und halte es für acht Sonnentage lebendig, dann nimm's heraus und zerstampfe es gut auf dem Marmor, bis es ungreifbar geworden. Alsdann tu die Materie in einen Glaskolben und lass sie in Balneum Mariae destillieren, über einem Wasserkessel, der so postiert sein muß, daß sich der Kolben nicht mehr als zwei Fingerbreit dem Wasser nähert, sondern darüber schweben bleibt, und zugleich mache ein Feuer unter dem Bad. Dann, und erst dann wird die Materie des Silbers, obwohl sie nicht das Wasser berührt, sondern sich in diesem warmen und feuchten Bauche befindet, sich in Wasser verwandeln.

– Meister, sagte Khunrath, auf die Knie fallend und des Doktors knochige, diaphane Hand küssend. So werde ich's tun. Und du wirst bekommen, was du willst. Entsinne dich dieser zwei Worte: Rose und Kreuz. Du wirst noch davon hören.

Dee hüllte sich in seinen schwarzen Kapuzenmantel, so daß nur seine stechenden Augen daraus hervorlugten. – Gehen wir, Kelley, sagte er. Dieser Mann ist nun unser. Und du, Khunrath, halte uns den Golem vom Leibe, bis wir wieder in London sind. Danach mag ganz Prag ein einziger Scheiterhaufen sein.

Er machte Anstalten, sich zu entfernen. Khunrath kroch näher und ergriff einen Zipfel seines Mantels. – Es wird vielleicht eines Tages ein Mann zu dir kommen. Einer, der über dich schreiben will. Sei freundlich zu ihm.

– Gib mir die Macht, sagte Dee mit einem unbeschreiblichen Ausdruck auf seinem hageren Antlitz, und sein Glück ist gesichert.

Wir gingen hinaus. Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum, es wanderte ostwärts zu einem über Russland lagernden Maximum.

– Gehen wir nach Moskau, sagte ich.

– Nein, erwiderte er. Wir kehren nach London zurück.

– Nach Moskau, nach Moskau, murmelte ich verstört. Dabei hast du's doch genau gewusst, Kelley, du würdest niemals nach Moskau gelangen. Auf dich wartete der TURM.

 

Wir kamen zurück nach London, und Doktor Dee sagte: – Sie werden versuchen, vor uns zur Lösung zu gelangen. Kelley, schreib etwas für William, das sie... das sie ganz teuflisch verleumdet.

Und beim Bauche des Dämons, ich hab's getan, und dann hat William den Text verdorben und hat die ganze Geschichte aus Prag nach Venedig verlegt. Dee kochte vor Wut. Aber der blasse, schleimige William fühlte sich sicher im Schutz seiner königlichen Konkubine. Und die genügte ihm nicht. Als ich ihm eins nach dem andern seine besten Sonette übergab, fragte er mich mit schamlosem Blick nach Ihr, nach Dir, my Dark Lady. Wie entsetzlich, deinen Namen auf seinen schmierenkomödiantischen Lippen zu hören! (Ich wusste noch nicht, daß er, als doppelt verdammte Seele und Stellvertreter, für Bacon nach ihr suchte). – Jetzt reicht's, sagte ich zu ihm. Ich habe es satt, im Schatten deinen Ruhm zu errichten. Schreib du für dich selbst.

– Ich kann nicht, antwortete er mit einem Blick, als hätte er ein Gespenst gesehen. Er lässt mich nicht.

– Wer? Dee?

– Nein, der Baron Verulam. Hast du nicht gemerkt, daß er's jetzt ist, der das Spiel regelt? Er zwingt mich, die Werke zu schreiben, die er dann als die seinen ausgeben wird. Hast du verstanden, Kelley, ich bin der wahre Bacon, und die Nachgeborenen werden's nicht wissen. Oh, wie ich diesen Parasiten hasse, diesen Satansbraten!

– Bacon ist ein Schuft, aber er hat Geist, erwiderte ich. Warum schreibt er nicht eigenhändig?

Ich wusste noch nicht, daß er keine Zeit dazu hatte. Wir bemerkten es erst einige Jahre später, als Deutschland vom Rosenkreuzer‑Wahn erfasst wurde. Da begriff ich, indem ich verstreute Andeutungen zusammenfügte, die er sich in unbedachten Momenten hatte entfahren lassen, daß er der Verfasser der Rosenkreuzer‑Manifeste war. Er schrieb unter dem falschen Namen Johann Valentin Andreae!

Für wen der echte Andreae schrieb, hatte ich damals noch nicht begriffen. Doch jetzt, im Dunkel dieser Zelle, in welcher ich schmachte, hellsichtiger als Don Isidro Parodi, jetzt weiß ich's. Soapes hat es mir gesagt, mein Zellengenosse, ein einstiger portugiesischer Templer: Andreae schrieb einen Ritterroman für einen Spanier, der zur selben Zeit in einem anderen Gefängnis saß. Ich weiß nicht warum, aber das Projekt nützte dem infamen Bacon, der gerne als der geheime Autor der Abenteuer des Ritters von La Mancha in die Geschichte eingegangen wäre und daher Andreae gebeten hatte, ihm heimlich das Werk zu schreiben, als dessen wahrer okkulter Autor er sich dann ausgeben würde, um im Schatten (aber warum, warum?) den Triumph eines anderen zu genießen.

Doch ich schweife ab, nun, da es kalt ist in dieser Zelle und mich der Daumen schmerzt. Ich schreibe, im blakenden Licht einer verlöschenden Öllampe, die letzten Werke, die unter dem Namen Williams laufen werden.

 

Doktor Dee ist tot. Im Sterben murmelte er die Worte: Licht, mehr Licht, und bat um einen Zahnstocher. Zuletzt sagte er: Qualis Artifex Pereo! Es war Bacon, der ihn hatte umbringen lassen. Jahrelang hatte der Verulamius die Königin, bis sie gebrochenen Herzens und Sinnes verschied, in gewisser Weise umgarnt, ihre Züge waren bereits entstellt und ihr Leib zum Skelett abgemagert. Ihre Nahrung hatte sich auf ein Stück Weißbrot und eine Zichoriensuppe pro Tag reduziert. Sie trug immer noch einen Degen an ihrer Seite, und in Momenten der Wut stieß sie ihn heftig in die Vorhänge und die Damasttapeten an den Wänden ihrer Gemächer. (Und wenn nun jemand dahinter verborgen war, um zu lauschen? Oder eine Ratte, eine Ratte? Gute Idee, alter Kelley, muß ich mir gleich notieren.)

Der so senil gewordenen Alten konnte Bacon leicht weismachen, daß er William wäre, ihr Bastard – vor ihren Knien sitzend, sie schon erblindet, er in das Fell eines Widders gehüllt. Das Goldene Vlies! Es hieß, er spekuliere auf den Thron, aber ich wusste, daß er weit mehr wollte: Er wollte die Herrschaft über den Planeten. Zu der Zeit geschah es, daß er Viscount of Saint Albans wurde. Und sobald er sich stark genug fühlte, schaffte er Dee aus dem Wege.

Date: 2015-12-13; view: 391; Нарушение авторских прав; Помощь в написании работы --> СЮДА...



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