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Tifereth 12 page





– Woher weißt du, daß ich's wirklich bin? frage ich ihn verwirrt.

Er lächelt bedrohlich: – Du hast mich zu anderen Zeiten gekannt – zu Zeiten, als du versuchtest, mich von Postels Sterbebett wegzuziehen, zu Zeiten, als ich dich unter dem Namen des Abbé d'Herblay dazu brachte, eine deiner Verkörperungen im Innern der Bastille zu beenden (oh, wie ich sie immer noch spüre auf dem Gesicht, die Eiserne Maske, zu der mich mein Orden, mit Hilfe Colberts, verurteilt hatte), zu Zeiten, als ich deine heimlichen Zusammenkünfte mit Baron d'Holbach und Condorcet ausspionierte...

– Rodin! rufe ich aus, wie vom Blitz getroffen.

– Jawohl, ich bin Rodin, der heimliche Jesuitengeneral. Rodin, den du nicht täuschen wirst, den du nicht dazu bringen wirst, in den Schacht dort hinten zu stürzen, wie du's mit den anderen getan. Wisse, o Saint‑Germain, es gibt kein Verbrechen und keine Gemeinheit, keine tückische List und keine listige Tücke, die wir nicht vor euch erfunden hätten, zum größeren Ruhme unseres Gottes, der die Mittel rechtfertigt! Wie viele gekrönte Häupter haben wir nicht schon stürzen lassen in dieser Nacht, die keinen Morgen kennt, stürzen in weit subtilere Hinterhalte, um die Weltherrschaft zu erlangen! Und jetzt willst du uns hindern, jetzt, einen Schritt vor dem Ziel, unsere gierigen Hände auf das Geheimnis zu legen, das seit fünf Jahrhunderten die Geschichte der Welt umtreibt?

Rodin, so sprechend, wird zunehmend fürchterlich. All jene Instinkte einer blutigen, lästerlichen und ruchlosen Ambition, die sich in den Päpsten der Renaissance manifestierten, perlen jetzt auf der Stirn dieses Ignatius‑Jüngers. Ich sehe es wohl: ein unstillbarer Durst nach Herrschaft bewegt sein unreines Blut, ein siedender Schweiß überströmt ihn, ein süßlicher, ekelerregender Dunst verbreitet sich rings um ihn her.

Wie kann ich diesen letzten Feind schlagen? Mich überkommt eine plötzliche Intuition, die nur der zu nähren vermag, für den die menschliche Seele seit Jahrhunderten keine unerforschten Winkel mehr hat.

– Sieh her! sage ich. Auch ich bin ein Tiger.

Und mit einer einzigen raschen Bewegung stoße ich dich in die Mitte des Raumes, reiße dir das T‑Shirt vom Leibe, löse den Gürtel des eng anliegenden Panzers, der die Anmut deines ambragoldenen Leibes verbirgt. So stehst du nun da im bleichen Mondlicht, das durch die halb offene Tür eindringt, erhobenen Kopfes, schöner als die Schlange, die Adam verführte, hochmütig und lasziv, Jungfrau und Hure, bekleidet mit nichts als deiner fleischlichen Macht, denn die nackte Frau ist die gewappnete Frau.

Der ägyptische Klaft hängt von deinem dichten schwarzen Haar, das vor lauter Schwärze schon beinahe blau ist, auf deinen wogenden Busen unter dem leichten Musselin. Um die kleine gewölbte und eigensinnige Stirn schlingt sich der goldene Uräus mit den smaragdenen Augen, der seine dreigespaltene rubinrote Zunge über deinem Kopf züngeln lässt. Oh, deine Tunika aus schwarzen Schleiern mit Silberreflexen, zusammengehalten von einer Schärpe, bestickt mit funesten Iriden aus schwarzen Perlen. Oh, deine geschwellte Scham, glatt rasiert von deiner malabarischen Sklavin, auf das du in den Augen deiner Liebhaber die Nacktheit einer Statue habest! Oh, deine Brustspitzen, zart betupft mit demselben Karmesin, das deine Lippen rötet, die einladend lächeln wie eine Wunde!

Jetzt keucht Rodin. Die langen Zeiten der Abstinenz, das in einem Machttraum verbrachte Leben haben nichts anderes bewirkt, als ihn mehr und mehr in sein unstillbares Verlangen zu stürzen. Angesichts dieser schönen und schamlosen Königin mit den dämonischen schwarzen Augen, den runden Schultern, dem duftenden Haar und der zarten weißen Haut wird Rodin von der Sehnsucht nach einer nie gekannten Zärtlichkeit erfasst, nach einer unsäglichen Lust, er zittert in seinem Fleische, wie ein Waldgott erzittert beim Anblick einer entblößtem Nymphe, die sich im selben Wasser spiegelt, das schon Narziss ins Unglück getrieben. Im Gegenlicht errate ich seinen unbezähmbaren Rictus, er ist wie versteinert von der Medusa, in Stein gehauen in seinem Verlangen nach einer unterdrückten und jetzt erlöschenden Männlichkeit, obsessive Flammen der Libido versengen sein Fleisch, er ist wie ein gespannter Bogen, hochgespannt bis zu dem Punkt, an dem er zerbrechen wird.

Jäh zu Boden gestürzt, liegt er kriechend vor dieser Erscheinung, die Hand vorgereckt wie eine Kralle, um einen Schluck vom Elixier zu erflehen.

– Oh, röchelt er, oh, wie schön du bist, oh, diese kleinen Zähne einer jungen Wölfin, die aufblitzen, wenn du deine schwellenden roten Lippen öffnest... Oh, diese großen, smaragdgrünen Augen, die bald funkeln, bald schmachten. O Dämonin der Wollust.

Er hat schon Gründe, der Elende, während du jetzt deine blaugepanzerten Hüften bewegst und die Scham vorstreckst, um den Flipper vollends zur Raserei zu treiben.

– O Vision, stöhnt Rodin, sei die meine, für einen Augenblick nur, erfülle mit einem Augenblick des Genusses ein Leben, verbracht im Dienst eines eifersüchtigen Gottes, tröste mit einem Hauch von Wollust die Ewigkeit in Flammen, zu der dein Anblick mich treibt und zieht. Ich flehe dich an, berühre mein Gesicht mit deinen Lippen, Antinea, Aphrodite, Maria Magdalena, du, die ich begehrte im Antlitz ekstatisch verzückter Heiliger, die ich begehrte, während ich heuchlerisch im Gebet vor Jungfrauengesichtern lag, o meine Herrin, schön bist du wie die Sonne, weiß wie der Mond, o ja, ich verleugne Gott und die Heiligen und sogar den Heiligen Vater in Rom, ich sage noch mehr, ich verleugne sogar den heiligen Pater Ignatius von Loyola, ich schwöre ihm ab, ihm und dem kriminellen Eid, der mich an meinen Orden bindet – ich erflehe nur einen einzigen Kuss, und dann mag der Tod mich holen.

Er ist noch ein Stückchen näher gekrochen, auf zitternden Knien, die Kutte hochgezogen über den Lenden, die Hand noch flehender vorgestreckt zu diesem unerreichbaren Glück. Dann plötzlich ist er zurückgefallen, die Augen scheinen ihm aus den Höhlen zu treten. Grässliche Krämpfe versetzen seinen Zügen unmenschliche Schläge, ähnlich denen, welche die Voltasche Säule auf den Gesichtern der Leichen hervorruft. Ein bläulicher Schaum färbt ihm purpurn die Lippen, aus denen eine zischende und erstickte Stimme kommt, ähnlich der eines Hydrophoben, denn, wie Charcot richtig sagt, wenn sie in die Phase des Paroxysmus tritt, zeigt die entsetzliche Krankheit der Satyriasis, die als Strafe der Wollust auftritt, dieselben Symptome wie die Tollwut.

Es ist das Ende. Rodin bricht in ein wahnwitziges Lachen aus. Dann stürzt er entseelt zu Boden, als lebendes Bild der Totenstarre.

In einem einzigen Augenblick ist er verrückt geworden, gestorben und zur Hölle gefahren.

Ich begnüge mich damit, den Leichnam in den Schacht zu stoßen, vorsichtig, um nicht meine blanken Lackstiefelchen an der schmierigen Kutte des letzten meiner Feinde zu besudeln.

Es bedarf nicht mehr des mörderischen Dolches von Luciano, doch der Henker, gepackt von einem bestialischen Wiederholungszwang, kann seine Gesten nicht mehr kontrollieren. Er lacht und erdolcht einen schon seines Lebens beraubten Leichnam.

Jetzt führe ich dich an den Rand des Schachtes, streichle dir den Hals und den Nacken, während du dich vorbeugst, um die Szene zu genießen, und sage: – Nun, bist du zufrieden mit deinem Rocambole, meine unerreichbare Liebe?

Und während du lüstern nickst und geifernd ins Leere hinuntergrinsest, drücke ich langsam die Finger zusammen, was tust du, mein Liebster, nichts, meine Sophia, ich töte dich nur, ich bin jetzt Giuseppe Balsamo und brauche dich nicht mehr.

Die Buhle der Archonten erlischt und fährt in die Grube, Luciano ratifiziert mit einem Klingenhieb das Verdikt meiner unerbittlichen Hand, und ich rufe zu ihm hinunter: jetzt kannst du heraufkommen, mein Getreuer, mein böser Geist, und während er heraufsteigt und mir den Rücken zuwendet, stoße ich ihm ein schmales Stilett mit Dreikantklinge, das fast keine Narben hinterlässt, zwischen die Schulterblätter. Er stürzt hinunter, ich schließe die Luke, es ist vollbracht, ich verlasse den Keller, während acht Leichen zum Châtelet davontreiben, durch nur mir bekannte Kanäle.

Ich kehre zurück in mein kleines Quartier im Faubourg Saint‑Honoré und betrachte mich im Spiegel. Voilà, sage ich mir, ich bin der König der Weit. Von der Spitze meiner Hohlen Nadel aus beherrsche ich das Universum. In manchen Augenblicken schwindelt mir ob meiner Macht. Ich bin ein Meister der Energie. Ich bin trunken von Autorität.

Aber ach, die Rache des Lebens lässt nicht lange auf sich warten. Monate später, in der tiefsten Krypta der Burg von Tomar, nun Herr des Geheimnisses der unterirdischen Ströme und der sechs heiligen Orte jener, die einst die Sechsunddreißig Unsichtbaren waren, letzter der letzten Templer und Unbekannter Oberer aller Unbekannten Oberen, will ich nun auch Cecilia heimführen, die Androgyne mit den eisblauen Augen, von der mich jetzt nichts mehr trennt. Ich habe sie wiedergefunden nach all den Jahrhunderten, seit sie mir damals geraubt wurde von dem Mann mit dem Saxofon. Sie balanciert gerade auf der Rückenlehne der Parkbank, himmelblau und blond, und ich weiß noch immer nicht, was sie unter dem duftigen Tüllröckchen hat.

Die Kapelle ist in den Felsen gehauen, den Altar krönt ein beunruhigendes Tafelbild, das die Strafen der Verdammten in den Eingeweiden der Hölle darstellt. Einige kapuzenbewehrte Mönche flankieren mich düster, und noch schöpfe ich keinen Verdacht, fasziniert wie ich bin von der iberischen Fantasie...

Doch, o Grauen, das Bild hebt sich wie ein Vorhang, und dahinter erscheint, wunderbares Werk eines Arcimboldo der Unterwelt, eine andere Kapelle, in allem gleich der, in welcher ich knie, und dort, vor einem anderen Altar, kniet Cecilia, und neben ihr – eiskalter Schweiß perlt mir auf der Stirne, die Haare stehn mir zu Berge –, wen sehe ich dort mit höhnischem Grinsen seine Narbe vorzeigen? Den Anderen, den wahren Giuseppe Balsamo, den jemand befreit haben muß aus seinem Verlies in San Leo!

Und ich? Jetzt schlägt der älteste der Mönche neben mir die Kapuze zurück, und ich erkenne das grässliche Grinsen von Luciano, wer weiß, wie er meinem Stilett entkommen ist, wie den Kloaken, der blutigen Schlammflut, die ihn als Leichnam hätte fortschwemmen sollen in die stillen Tiefen der Ozeane – nun ist er übergewechselt zu meinen Feinden aus verständlichem Rachedurst.

Die Mönche werfen ihre Kutten ab und erscheinen gepanzert in einer bisher verborgenen Rüstung, auf ihren schneeweißen Mänteln ein flammendes Kreuz. Es sind die Templer von Provins.

Sie ergreifen mich, zwingen mich, den Kopf zu drehen, und hinter mir steht nun ein Henker mit zwei missgebildeten Helfern, ich werde über eine Art Garotte gebeugt und mit einem rot glühenden Brandeisen zur ewigen Beute des Kerkermeisters geweiht, das infame Grinsen des Baphomet prägt sich für immer auf meinem Rücken ein – jetzt verstehe ich: damit ich Balsamo in San Leo ersetzen kann, oder auch: damit ich den Platz einnehmen kann, der mir seit jeher bestimmt war.

Aber man wird mich erkennen, sage ich mir, und da alle nun glauben, ich sei er und er der Verdammte, wird mir gewiss jemand zu Hilfe kommen – zumindest meine Komplizen –, man kann nicht einen Gefangenen einfach durch einen anderen ersetzen, ohne daß es irgendwer merkt, wir sind nicht mehr in den Zeiten der Eisernen Maske... Ich Träumer! Jäh begreife ich, während der Henker meinen Kopf über ein kupfernes Becken beugt, aus dem grünliche Dämpfe aufsteigen... Das Vitriol!

Mir werden die Augen verbunden, mein Gesicht wird in die ätzende Flüssigkeit gedrückt, ein brennender, unerträglicher Schmerz, die Haut an den Wangen, an Nase und Mund und Kinn wirft sich auf, zerfasert, zerläuft, es genügt ein Moment, und als ich an den Haaren zurückgerissen werde, ist mein Gesicht nicht mehr wiederzuerkennen, ein Blasenbrand, ein Blatternfraß, ein unsägliches Nichts, ein einziger Hymnus an die Widerwärtigkeit, ich werde ins Verlies zurückkehren wie jene Flüchtlinge, die den Mut hatten, sich zu entstellen, um nicht wieder eingefangen zu werden.

Ah! schreie ich, besiegt, und, wie der Erzähler sagt, von meinen zerfressenen Lippen löst sich ein Wort, ein Seufzer, ein Hoffnungsschrei: Erlösung!

Aber Erlösung wovon, alter Rocambole, du wusstest doch genau, daß du nicht versuchen durftest, ein Protagonist zu sein! Nun bist du bestraft worden, und zwar mit deinen eigenen Künsten. Du hast die Schreiber der Illusion verhöhnt, und jetzt – siehst du – schreibst du selber, mit dem Alibi der Maschine. Du redest dir ein, du wärst nur ein Zuschauer, weil du deine Worte auf dem Bildschirm liest, als wären es die eines anderen, aber du bist in die Falle gegangen, siehst du, jetzt willst du Spuren im Sand hinterlassen. Du hast es gewagt, den Text des Romans der Welt zu verändern, und nun holt dich der Roman der Welt in seine Texturen zurück und verwickelt dich in seine Intrigen, die du nicht entschieden hast.

Ach, wärst du doch lieber auf deinen Inseln geblieben, Surabaya‑Jim, und sie hätte dich für tot gehalten.

 

 

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Die nationalsozialistische Partei tolerierte die Geheimgesellschaften nicht, da sie selber eine Geheimgesellschaft war, komplett mit eigenem Großmeister, eigener rassistischer Gnosis, eigenen Riten und eigenen Initiationen.

René Alleau, Les sources occultes du nazisme, Paris, Grasset, 1969, p. 214

 

Um diese Zeit etwa muß es gewesen sein, daß Agliè uns aus der Kontrolle glitt. Den Ausdruck hatte Belbo benutzt,»er gleitet uns aus der Kontrolle«, hatte er mit übertriebener Indifferenz gesagt. Ich schob es ein weiteres Mal auf seine Eifersucht: im stillen bedrückt von Agliès Macht über Lorenza, spottete er in Worten über die Macht, die Agliè über Garamond gewann.

Vielleicht war es auch unsere Schuld gewesen. Seit fast einem Jahr war Agliè dabei, Garamond zu bezirzen, seit den Tagen der alchimistischen Fete auf dem Schloss in Piemont. Bald danach hatte Garamond ihm die Kartei der AEKs anvertraut, damit er sie nach neuen Opfern zum Mästen der Entschleierten Isis durchsuchte, und mittlerweile zog er ihn bei jeder Entscheidung zu Rate, sicher zahlte er ihm auch ein monatliches Fixum. Gudrun, die periodische Erkundungen am Ende des Korridors vornahm, jenseits der Glastür, die in das wattierte Reich von Manuzio führte, berichtete uns ab und zu in besorgtem Ton, Agliè habe sich im Büro der Signora Grazia praktisch eingerichtet, er diktiere ihr Briefe, empfange Besucher und führe sie in Signor Garamonds Arbeitszimmer, mit einem Wort – und vor lauter Empörung verlor Gudruns Aussprache noch ein paar Vokale mehr –, er benehme sich ganz wie der Chef. Wir hätten uns wirklich fragen können, wieso Agliè Stunden um Stunden über der Adressenkartei von Manuzio verbrachte. Er hatte genügend Zeit gehabt, die AEKs herauszufinden, die sich als neue Autoren für die Entschleierte Isis anwerben ließen. Trotzdem fuhr er fort zu schreiben, zu kontaktieren, zu organisieren. Im Grunde aber bestärkten wir seine Autonomie, denn die Lage kam uns durchaus zupass.

Sie kam Belbo zupass, denn mehr Agliè in der Via Marchese Gualdi hieß weniger Agliè in der Via Sincero Renata und somit weniger Möglichkeiten, daß gewisse unverhoffte Besuche von Lorenza Pellegrini (über die Belbo immer glühender errötete, ohne noch irgendeinen Versuch zu machen, seine Erregung zu verbergen) durch das plötzliche Auftauchen von»Simon«gestört wurden.

Die Lage kam auch mir zupass, da ich die Lust an der Entschleierten Isis inzwischen verloren hatte und immer mehr von meiner Geschichte der Magie beansprucht wurde. Von den Diabolikern glaubte ich alles gelernt zu haben, was ich von ihnen lernen konnte, und so überließ ich Agliè gern die Pflege der Kontakte (und der Kontrakte) mit den neuen Autoren.

Auch Diotallevi hatte schließlich nichts gegen die Lage, da ihm die Welt überhaupt immer weniger zu bedeuten schien. Jetzt, wenn ich daran zurückdenke, wird mir bewusst, daß er von Tag zu Tag weiter abnahm, in besorgniserregender Weise, manchmal überraschten wir ihn in seinem Büro, wie er über ein Manuskript gebeugt dasaß, reglos ins Leere starrend, während der Stift ihm fast aus der Hand fiel. Er war nicht eingeschlafen, er war nur erschöpft.

Es gab aber noch einen anderen Grund, warum wir es hinnahmen, daß Agliè immer seltener erschien, um uns nur rasch die Manuskripte zurückzugeben, die er abgelehnt hatte, und gleich wieder durch den langen Korridor zu verschwinden. In Wirklichkeit wollten wir nicht, daß er unsere Gespräche mit anhörte. Hätte man uns gefragt, warum nicht, hätten wir gesagt: aus Scham – oder auch aus Zartgefühl, schließlich parodierten wir Metaphysiken, an die er in gewisser Weise glaubte. Tatsächlich war's eher aus Misstrauen, wir hüllten uns mehr und mehr in die natürliche Reserviertheit derer, die sich im Besitz eines Geheimnisses wissen, und stießen Agliè ins profane Volk zurück – wir, die wir nun langsam und immer weniger lächelnd kennenlernten, was wir erfunden hatten. Im übrigen, wie Diotallevi einmal in einem gut gelaunten Augenblick sagte: Jetzt, wo wir einen echten Saint‑Germain hatten, wussten wir nicht mehr, was wir mit einem vorgeblichen Saint‑Germain anfangen sollten.

Agliè schien sich über unsere Zurückhaltung nicht zu grämen. Er grüßte uns sehr elegant und verzog sich. Mit einer Anmut, die schon an Hochmut grenzte.

Eines Montagmorgens war ich spät in den Verlag gekommen, und Belbo, schon ungeduldig wartend, hatte mich gleich in sein Büro gebeten, zusammen mit Diotallevi.»Große Neuigkeiten«, hatte er gesagt. Er wollte gerade anfangen zu sprechen, da kam Lorenza hereingewirbelt. Belbo war hin‑und hergerissen zwischen der Freude über ihren Besuch und der Ungeduld, uns seine Entdeckungen mitzuteilen. Gleich darauf klopfte es, und Agliè streckte den Kopf herein:»Bleiben Sie sitzen, ich will Sie nicht inkommodieren, ich habe nicht die Macht, ein solches Konsistorium zu stören. Ich wollte nur rasch der lieben Lorenza sagen, daß ich drüben bei Signor Garamond bin. Und ich hoffe doch wenigstens noch so viel Macht zu haben, sie zu einem Sherry um zwölf in mein Büro einzuladen.«

In sein Büro. Diesmal verlor Belbo die Kontrolle. Jedenfalls so, wie er die Kontrolle verlieren konnte. Er wartete, bis Agliè draußen war, und knurrte dann zwischen den Zähnen:» Ma gavte la nata. «

Lorenza, die noch bei ihren komplizenhaften Begrüßungsgesten war, fragte ihn, was das heiße.

»Das ist Turinerisch. Heißt soviel wie: Zieh dir mal den Pfropfen raus, oder wenn du's so lieber hast: Wollen Sie sich bitte gütigst den Stöpsel entfernen. Angesichts einer steif und geschwollen daherredenden Person nimmt man an, daß sie von ihrem eigenen Dünkel aufgeblasen sei, und zugleich unterstellt man, daß diese übermäßige Selbsteinschätzung den geblähten Leib nur kraft eines Pfropfens so prall erhalte, eines korkenähnlichen Stöpsels, der, in den After eingeführt, verhindert, daß diese ganze aerostatische Würde einfach verpufft; dergestalt, daß man mit der Aufforderung an das Subjekt, sich besagten Stöpsels per Extraktion zu entledigen, dieses dazu verurteilen will, sein eigenes Erschlaffen herbeizuführen, ein jähes und irreversibles Zusammenschnurren, nicht selten begleitet von scharfem Zischen, mit Reduktion der verbleibenden Hülle zu einem traurigen Rest, einem blassen Abbild und blutleeren Schatten der einstigen Majestät.«

»Ich dachte nicht, daß du so vulgär sein kannst.«

»Jetzt weißt du's.«

Lorenza war mit gespieltem Ärger gegangen. Ich wusste, daß Belbo darunter noch mehr litt: eine echte Wut hätte ihn befriedigt, eine gespielte brachte ihn auf den Gedanken, daß bei Lorenza auch die Anflüge von Leidenschaft immer nur Theater waren.

Und deswegen, glaube ich, sagte er nun mit Entschiedenheit, kaum daß sie draußen war:»Also machen wir weiter!«Was heißen sollte: Basteln wir weiter am Großen Plan, arbeiten wir ernsthaft.

»Ich hab keine Lust«, sagte daraufhin Diotallevi.»Ich fühl mich nicht wohl. Ich hab Schmerzen hier«, und er fasste sich an den Bauch.»Scheint eine Gastritis zu sein.«

»Ach nein!«rief Belbo.» Du hast eine Gastritis, und ich hab keine... Wovon hast du denn Gastritis gekriegt? Vom Mineralwasser?«

»Schon möglich«, sagte Diotallevi mit müdem Lächeln.»Gestern Abend hab ich's übertrieben. Ich bin an Fiuggi gewöhnt und hab San Pellegrino getrunken.«

»Na, Pass bloß auf, solche Exzesse können dich umbringen. Aber lass uns jetzt weitermachen, seit zwei Tagen brenne ich drauf, euch zu erzählen, was ich entdeckt habe. Ich weiß endlich, warum die Sechsunddreißig Unsichtbaren seit Jahrhunderten nicht in der Lage sind, die Form der Karte zu bestimmen. John Dee hatte sich geirrt, die ganze Geografie muß neu gemacht werden. Wir leben im Innern einer hohlen Erdkugel, umhüllt von der Erdoberfläche. Und Hitler hat es gewusst.«

 

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Der Nazismus war der Moment, in dem der magische Geist sich der Hebel des materiellen Fortschritts bemächtigte. Lenin sagte, Kommunismus sei Sozialismus plus Elektrizität. In gewisser Hinsicht kann man sagen, Hitlerismus war Guénonismus plus Panzerdivisionen.

Pauwels & Bergier, Le matin des magiciens, Paris, Gallimard, 1960, 2, VII

 

Belbo war es gelungen, auch Hitler in den Großen Plan einzubauen.»Steht alles geschrieben, schwarz auf weiß. Es ist erwiesen, daß die Begründer des Nazismus mit dem teutonischen Neutemplerismus zusammenhingen.«

»Sie verkohlen uns!«

»Nein, ehrlich, Casaubon, ich erfinde nichts, diesmal erfinde ich wirklich nichts.«

»Also bitte, wann hätten wir jemals etwas erfunden? Wir sind immer von objektiven Fakten ausgegangen, in jedem Fall von allgemein zugänglichen Daten.«

»Auch diesmal. Also aufgepasst: im Jahre 1912 tritt ein Germanenorden hervor, der eine ›Ariosophie‹ propagiert, soll heißen, eine Philosophie der arischen Überlegenheit Sechs Jahre später, 1918, gründet ein gewisser Baron von Sebottendorff eine Filiale, die Thule‑Gesellschaft, einen Geheimbund, eine soundsovielte Variante der Strikten Observanz neu‑templerischer Prägung, aber mit starken rassistischen Zügen: pangermanisch, neo‑arisch. Und 1933 wird derselbe Sebottendorff schreiben, er habe gesät, was Hitler dann habe reifen lassen. Tatsächlich taucht das Hakenkreuz erstmals im Umkreis der Thule‑Gesellschaft auf. Und wer gehört sofort zu dieser Thule‑Gesellschaft? Rudolf Heß, Hitlers Schatten! Und dann Alfred Rosenberg! Und Hitler selbst! Und sicher habt ihr in der Zeitung gelesen, daß Heß sich noch heute in seinem Spandauer Gefängnis mit esoterischen Wissenschaften beschäftigt. Sebottendorff schreibt 1924 ein Büchlein über Alchimie und bemerkt, daß die ersten Experimente mit Atomspaltung die Wahrheit des Großen Werkes beweisen. Und er schreibt auch einen Roman über die Rosenkreuzer! Außerdem wird er Leiter einer Astrologischen Rundschau, und wie man bei Trevor‑Roper nachlesen kann, haben die Nazibonzen, Hitler voran, keinen Schritt getan, ohne sich vorher ein Horoskop stellen zu lassen. 1943 sollen sie einen Haufen medial begabter Personen befragt haben, um herauszubekommen, wo Mussolini gefangen gehalten wurde. Kurz, die ganze Naziführung war mit dem teutonischen Neo‑Okkultismus verbunden.«

Belbo schien den Zwischenfall mit Lorenza vergessen zu haben, und ich bestärkte ihn darin, indem ich seine Rekonstruktion noch ein Stück weitertrieb:»Im Grunde können wir auch Hitlers berühmte Verführungsmacht der Massen in diesem Licht sehen. Physisch war er ein mickriges Männchen, seine Stimme war schrill, wie schaffte er es, die Leute so verrückt zu machen? Er muß mediale Fähigkeiten gehabt haben. Vermutlich wusste er, instruiert von irgendwelchen Druiden aus seiner Gegend, wie man die Erdstrahlen anzapft. Auch er also war eine Sonde, ein biologischer Menhir. Er übertrug die Energie der tellurischen Ströme auf seine Getreuen im Nürnberger Stadion. Eine Zeit lang muß es ihm gelungen sein, dann waren seine Batterien erschöpft.«

 

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An alle Welt: Ich erkläre, daß die Erde innen hohl und bewohnbar ist; sie enthält eine gewisse Anzahl solider Sphären, die konzentrisch sind, das heißt ineinandergeschoben, und sie ist an den beiden Polen offen in einer Breite von zwölf bis sechzehn Grad.

J. Cleves Symmes, Hauptmann der Infanterie, am 10. April 1818, zit. in Sprague de Camp/Ley, Lands Beyond, New York, Rinehart, 1952, X

 

»Gratuliere, Casaubon, in Ihrer Unschuld haben Sie eine richtige Intuition gehabt. Hitlers wahre und einzige Obsession waren in der Tat die unterirdischen Ströme. Hitler war ein Anhänger der Hohlweltlehre.«

»Kinder, ich gehe, ich hab Gastritis«, sagte Diotallevi.

»Warte, jetzt wird's doch erst spannend: Die Erde ist eine hohle Kugel, wir leben nicht draußen auf der konvexen Außenfläche, sondern drinnen an der konkaven Wölbung. Was wir für den Himmel halten, ist eine Masse aus dunklem Gas, durchsetzt mit Zonen von strahlendem Licht, die das Innere der Kugel füllt. Alle astronomischen Maße müssen revidiert werden. Der Himmel ist nicht unendlich, er ist begrenzt. Die Sonne, wenn sie denn existiert, ist nicht größer, als sie erscheint Ein Bällchen von höchstens dreißig Zentimetern Durchmesser im Mittelpunkt der Erde. Das hatten schon die alten Griechen vermutet.«

»Das hast du jetzt erfunden«, sagte Diotallevi müde.

»Das hab ich jetzt gerade nicht erfunden! Die Idee hatte bereits zu Anfang des vorigen Jahrhunderts ein Amerikaner namens Symmes. Um die Jahrhundertwende wird sie dann von einem anderen Amerikaner aufgegriffen, einem gewissen Teed, der sich auf alchimistische Experimente und die Lektüre des Propheten Jesaja stützt. Und nach dem Ersten Weltkrieg wird seine Theorie von einem Deutschen perfektioniert, wie heißt er noch gleich, Karl Neupert, der sogar eine regelrechte Bewegung gründet, die Bewegung der ›Hohlweltlehre‹. Hitler und die Seinen finden, dass diese Theorie der hohlen Welt aufs schönste zu ihren Prinzipien passt, ja es heißt sogar, sie hätten einige ihrer V2 nur deshalb danebengeschossen, weil sie die Flugbahn ausgehend von der Annahme einer konkaven und nicht konvexen Erdoberfläche berechneten... Hitler hat sich nunmehr überzeugt, dass er der König der Welt ist und dass der Führungsstab seiner Partei die Unbekannten Oberen sind. Und wo bitte wohnt der König der Welt? Innen drin, unten, nicht draußen. Von dieser Hypothese geht Hitler aus, als er beschließt, das Ganze umzustülpen: die Richtung und Reihenfolge der Suche, die Konzeption der endgültigen Karte und die Interpretationsweise des Pendels! Die sechs Gruppen müssen neu kombiniert und alle Berechnungen neu gemacht werden. Man vergegenwärtige sich nur einmal die Logik der Hitlerschen Eroberungen... Zuerst nimmt er Danzig, um die klassischen Stätten der Deutschordensritter in die Hand zu bekommen. Dann erobert er Paris, bringt das Pendel und den Eiffelturm unter seine Kontrolle, kontaktiert die synarchischen Gruppen und schleust sie in die Vichy‑Regierung ein. Dann sichert er sich die Neutralität und faktische Komplizenschaft der Portugiesen. Viertes Ziel ist natürlich England, aber wir wissen, das ist ein harter Brocken. Einstweilen versucht er, mit dem Afrika‑Feldzug, nach Palästina vorzustoßen, aber auch das gelingt nicht. Also zielt er nun auf die Unterwerfung der paulizianischen Territorien, indem er den Balkan und Russland überfällt. Als er vier Sechstel des Großen Plans in Händen zu haben glaubt, schickt er Heß in geheimer Mission nach England, um ein Bündnis vorzuschlagen. Da die Baconianer nicht anbeißen, hat er eine Intuition: diejenigen, die den wichtigsten Teil des Geheimnisses in der Hand haben, müssen die uralt‑ewigen Erbfeinde sein: die Juden. Und es ist gar nicht nötig, sie in Jerusalem suchen zu gehen, wo bloß noch wenige von ihnen leben. Das Jerusalemer Stück der Templerbotschaft befindet sich nicht mehr in Palästina, sondern im Besitz einer Gruppe der Diaspora. Und so erklärt sich der Holocaust.«

Date: 2015-12-13; view: 406; Нарушение авторских прав; Помощь в написании работы --> СЮДА...



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