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Geburah 8 page





Nach einer Weile fasste Lorenza Riccardo an den Hüften und schob ihn langsam in unsere Richtung, bis sie nur noch einen Meter von Belbo entfernt waren. Ohne ihren Tanz zu unterbrechen, nahm Lorenza ihm den Pappbecher aus der Hand. Hielt Riccardo mit der Linken, den Becher in der Rechten, sah mit feucht glänzenden Augen zu Belbo und schien zu weinen, aber sie lächelte... Und sprach zu ihm.

»Und es war nicht das einzige Mal, weißt du?«

»Das einzige Mal was?«fragte Belbo.

»Daß er Sophia getroffen hat. Viele Jahrhunderte später war Simon auch Guillaume Postel.«

»Hat er Briefe ausgetragen?«

»Idiot. Das war ein Gelehrter in der Renaissance, der fließend jüdisch las... «

»Hebräisch.«

»Von mir aus. Er las es, wie die Jungs heute Mickymaus lesen. Kapierte es auf Anhieb. Na, und in einem Hospital in Venedig, da trifft er auf eine alte analphabetische Dienerin, seine Johanna, er sieht sie an und sagt: klarer Fall, das ist die neue Inkarnation der Sophia, der Ennoia, das ist die Große Mutter des Universums, herniedergestiegen zu uns, um die ganze Welt zu erlösen, die eine weibliche Seele hat. Und so nimmt der Postel die Johanna zu sich, alle erklären ihn für verrückt, aber er lässt sich nicht beirren, er betet sie an, er will sie aus der Gefangenschaft der Engel befreien, und als sie stirbt, bleibt er eine Stunde lang an ihrem Bett sitzen und starrt in die Sonne, und tagelang sitzt er so da, ohne zu essen und zu trinken, bewohnt von Johanna, die nicht mehr da ist, aber es ist, als ob sie noch da wäre, denn sie ist immer da, sie bewohnt die Welt, und ab und zu taucht sie wieder auf, um sich, wie sagt man, zu inkarnieren... Ist das nicht eine Geschichte zum Heulen?«

»Ich zerfließe in Tränen. Und dir gefällt es so sehr, seine Sophia zu sein?«

»Aber ich bin doch auch deine, Liebster! Weißt du, daß du, ehe du mich gekannt hast, ganz schreckliche Krawatten hattest und Schuppen hinten auf dem Jackett?«

Riccardo hielt sie wieder im Nacken.»Darf ich mich an der Konversation beteiligen?«

»Du sei still und tanz weiter. Du bist das Werkzeug meiner Lust«

»Is mir auch recht.«

Belbo sprach weiter, als ob der andere nicht existierte.»Also dann bist du seine Prostituierte, seine feministische PR‑Dame, und er ist dein Simon?«

»Ich heiße nicht Simon«, sagte Riccardo, schon etwas lallend.

»Von dir reden wir nicht«, sagte Belbo. Seit ein paar Minuten hatte ich mir Sorgen um ihn gemacht. Er, der gewöhnlich so sehr darauf bedacht war, seine Gefühle für sich zu behalten, machte ihr eine Eifersuchtsszene vor einem Zeugen, ja einem Rivalen. Aber an diesem letzten Satz wurde mir klar, daß er, indem er sich vor dem anderen entblößte – während der wahre Gegner noch ein ganz anderer war –, in der einzigen Weise, die ihm vergönnt war, seinen Besitzanspruch auf Lorenza erneuerte.

Unterdessen antwortete ihm Lorenza, nachdem sie sich einen weiteren Schluck von jemandem genommen hatte:»Aber doch nur zum Spaß. Ich liebe doch dich.«

»Bin ja schon froh, wenn du mich nicht hasst. Hör zu, ich möchte jetzt gern nach Hause, ich hab eine Magenverstimmung. Ich bin leider noch Gefangener der niederen Materie. Mir hat Simon nichts versprochen. Kommst du mit?«

»Ach lass uns doch noch ein bisschen bleiben. Es ist grad so schön. Amüsierst du dich nicht? Und außerdem, ich hab mir die Bilder noch gar nicht richtig angesehen. Hast du gesehn, Riccardo hat auch eins über mich gemacht.«

»Was würd ich nicht alles gern über dich machen!«sagte Riccardo.

»Du bist vulgär. Nimm die Pfoten weg, ich rede mit Jacopo. Herrgott, Jacopo, darfst denn bloß du intellektuelle Spielchen mit deinen Freunden treiben und ich nicht? Wer ist es denn, der mich wie eine Prostituierte aus Tyrus behandelt? Du!«

»Na klar doch. Ich. Ich bin es, der dich alten Herren in die Arme treibt.«

»Er hat nie versucht, mich in die Arme zu nehmen. Er ist kein Lüstling. Es stört dich wohl, daß er nicht mit mir ins Bett will, sondern mich als eine intellektuelle Partnerin betrachtet.«

»Animierdame.«

» Das hättest du jetzt nicht sagen dürfen. Riccardo, bring mich irgendwohin, wo's noch was zu trinken gibt.«

»Nein, warte«, sagte Belbo.»Sag mir jetzt, ob du ihn ernst nimmst, ich will endlich kapieren, ob du verrückt bist oder nicht. Und hör auf zu trinken. Sag mir verdammt noch mal, ob du ihn ernst nimmst?«

»Aber Liebster, das ist doch ein Spiel zwischen mir und ihm. Und dann, das Schöne an der Geschichte ist: wenn die Sophia kapiert, wer sie ist, und sich aus der Tyrannei der Engel befreit, dann kann sie sich frei von Sünde bewegen... «

»Hast du aufgehört zu sündigen?«

»Ach bitte, überleg's dir noch mal«, sagte Riccardo und küsste sie schamhaft auf die Stirn.

»Im Gegenteil«, antwortete sie Belbo, ohne den Maler zu beachten.»Alle diese Sachen da sind jetzt keine Sünde mehr, man kann alles machen, was man will, um sich vom Fleisch zu befreien, man ist jenseits von Gut und Böse.«

Mit einem Stoß schob sie Riccardo weg und rief laut in den Saal:»Ich bin die Sophia, und um mich von den Engeln zu befreien, muß ich alle Sünden prepetieren... prerpuetieren... per‑pe‑trieren, auch die allerschönsten!«

Sie ging leicht schwankend in eine Ecke, wo ein ganz in Schwarz gekleidetes Mädchen mit dicken Lidschatten und sehr blassem Teint saß, zog es in die Mitte des Saales und begann mit ihm zu tanzen. Die beiden tanzten fast Bauch an Bauch, mit schlaff herunterhängenden Armen.»Ich kann auch dich lieben«, sagte Lorenza. Und küsste sie auf den Mund.

Die anderen bildeten einen Halbkreis um sie, ein bisschen erregt, und jemand rief etwas. Belbo hatte sich hingesetzt und betrachtete die Szene mit einem undurchdringlichen Ausdruck, wie ein Impresario, der einer Theaterprobe zuschaut. Er schwitzte und hatte ein nervöses Zucken am linken Auge, das ich noch nie an ihm bemerkt hatte. Dann plötzlich, als Lorenza schon mindestens fünf Minuten lang tanzte und ihre Bewegungen immer lasziver wurden, straffte er sich und sagte scharf.»Komm jetzt her!«

Lorenza blieb stehen, spreizte die Beine auseinander, streckte die Arme nach vorn und schrie:»Ich bin die Heilige und die Hure!«

»Du bist ein Haufen Scheiße«, sagte Belbo, stand auf, ging geradewegs auf sie zu, packte sie hart am Handgelenk und zog sie zur Tür.

»Lass mich!«schrie sie.»Was erlaubst du dir... «Dann brach sie in Schluchzen aus und warf ihm die Arme um den Hals.»Liebster, ich bin doch deine Sophia! Du wirst dich doch nicht wegen so was aufregen...«

Belbo legte ihr sanft den Arm um die Schultern, küsste sie auf die Schläfe und strich ihr die Haare aus der Stirn, dann sagte er in den Saal:»Entschuldigt, sie ist es nicht gewohnt, so viel zu trinken.«

Ich hörte ein paar Leute kichern. Ich glaube, auch Belbo hatte es gehört. Er entdeckte mich auf der Türschwelle und machte etwas, von dem ich bis heute nicht weiß, ob es für mich, für die anderen oder für ihn selbst bestimmt war. Er machte es gedämpft, mit halblauter Stimme, als die anderen sich schon abgewandt hatten.

Den Arm immer noch um Lorenzas Schultern, drehte er sich halb zum Saal herum und machte leise, wie jemand, der eine Selbstverständlichkeit sagt:»Kikerikiii.«

 

51

 

 

Wann derohalben ein kabbalistischer Großkopfeter dir etwas sagen will, so denke nicht, er sage dir etwas Frivoles, etwas Vulgäres, etwas Gemeines: sondern ein Geheimnis, ein Orakel...

Thomaso Garzoni, Il Theatro de vari e diverse cervelli mondani, Venedig, Zanfretti, 1583, Discorso XXXVI

 

Das Bildmaterial, das ich in Mailand und Paris gefunden hatte, genügte nicht. Signor Garamond genehmigte mir eine Reise nach München, zum Deutschen Museum.

Ich verbrachte einige Abende in den Bars von Schwabing – soll heißen in jenen immensen Krypten, wo ältere Herren mit Schnauzbart und kurzen Lederhosen Blechmusik oder Hackbrett spielen, während die Paare, dicht gedrängt eins neben dem andern sitzend, sich durch Rauchschwaden voller Schweinsbratendunst über riesigen Maßkrügen zulächeln – und die Nachmittage im Lesesaal mit der Durchsicht des Fotoarchivs. Ab und zu ging ich ins Museum hinüber, wo alles nachgebaut worden ist, was je ein menschliches Hirn hat erfinden können: Man drückt auf einen Knopf, und Dioramen von Ölfeldern beleben sich mit stampfenden Pumpen, man spaziert durch ein echtes Unterseeboot, man lässt die Planeten kreisen, man spielt Chemiefabrik und Atomkraftwerk... Ein weniger gotisches und ganz auf die Zukunft ausgerichtetes Conservatoire, bewohnt von lärmenden Schulklassen, die das Ingenium der Ingenieure lieben lernen.

Im Deutschen Museum lernt man auch alles über den Bergbau: Man steigt eine Treppe hinunter und betritt ein richtiges Bergwerk, komplett mit Stollen, Fahrkörben für Menschen und Pferde, engen Schläuchen, in denen ausgemergelte Kinder (aus Wachs, hoffe ich) kriechend ihre Fronarbeit verrichten. Man wandert durch endlose finstere Gänge, schaut in einen Brunnen ohne Boden, spürt die Kälte in den Knochen und meint beinahe das Grubengas zu riechen. Alles im Maßstab eins zu eins.

Ich gelangte in einen Seitengang, verlor schon die Hoffnung, das Tageslicht jemals wiederzusehen, und entdeckte am Rande eines Abgrunds jemanden, der mir bekannt vorkam. Das Gesicht hatte ich schon irgendwo gesehen, faltig und grau, mit weißem Haar und Eulenblick, aber mir war, als müsste er anders gekleidet sein, als hätte ich dieses Gesicht über einer Art Uniform gesehen, wie wenn man einen Priester nach langer Zeit in Zivil wiedersieht oder einen Kapuziner ohne Bart. Auch er sah mich an, auch er zögernd. Und wie es in solchen Fällen geschieht, nach einem Duell kurzer Blicke ergriff er die Initiative und begrüßte mich auf italienisch. Mit einem Mal konnte ich ihn mir in seiner Berufskleidung vorstellen – er brauchte nur einen langen gelblichen Kittel zu tragen und wäre der Signor Salon gewesen. A. Salon, Taxidermist, derselbe, der sein Labor direkt neben meinem Büro hatte, am selben Flur in der aufgelassenen Fabrik, wo ich den Marlowe des Wissens spielte. Ich war ihm ein paar mal auf der Treppe begegnet, und wir hatten uns kurz gegrüßt.

»Kurios«, sagte er, während er mir die Hand reichte,»da sind wir nun so lange schon Nachbarn und stellen uns hier in den Eingeweiden der Erde vor, tausend Meilen entfernt.«

Wir wechselten ein paar höfliche Sätze. Ich hatte den Eindruck, daß er recht genau wusste, was ich tat, und das war nicht wenig, bedenkt man, daß ich es nicht einmal selbst genau wusste.»Was tun Sie denn hier in einem Museum der Technik? In Ihrem Verlag beschäftigt man sich doch eher mit geistigen Dingen, scheint mir.«

»Woher wissen Sie das?«

»Och... «Er machte eine vage Geste.»Die Leute reden, ich bekomme viel Besuch... «

»Was für Leute kommen denn so zu einem Tierausstopfer? Pardon: zu einem Taxidermisten?«

»Alle möglichen. Sie werden sagen, wie's alle tun, das sei kein alltäglicher Beruf. Aber es mangelt mir nicht an Kunden, und sie kommen von überall her. Museumsleute, private Sammler.«

»Es passiert mir nicht oft, daß ich ausgestopfte Tiere in privaten Häusern sehe«, sagte ich.

»Nein? Das hängt davon ab, welche Häuser Sie frequentieren... Oder welche Keller.«

»Hält man sich ausgestopfte Tiere im Keller?«

»Manche tun es. Nicht alle Krippen stehen im Licht der Sonne – oder des Mondes. Ich misstraue zwar solchen Kunden, aber Sie wissen ja, die Arbeit... Ich misstraue den Untergründen.«

»Und deshalb spazieren Sie hier durch die Untergründe?«

»Ich kontrolliere. Ich misstraue den Untergründen, aber ich will sie begreifen. Es gibt ja nicht allzu viele Möglichkeiten. Die Katakomben von Rom, werden Sie sagen. Da gibt's kein Geheimnis mehr, die sind voller Touristen und kontrolliert von der Kirche. Es gibt die Kloaken von Paris... Sind Sie mal da gewesen? Man kann sie montags, mittwochs und an jedem letzten Samstag im Monat besichtigen, der Eingang ist beim Pont de l'Alma. Auch das ein Touristenziel. Natürlich gibt's in Paris auch die Katakomben, und die unterirdischen Höhlen. Zu schweigen von der Metro. Waren Sie je an Nummer 145 der Rue La Fayette?«

»Ich muß gestehen, nein.«

»Ein bisschen abseits, zwischen der Gare de l'Est und der Gare du Nord. Auf den ersten Blick ein unscheinbares Gebäude. Nur wenn man genauer hinsieht, entdeckt man, daß die Türen zwar aussehen wie aus Holz, aber in Wahrheit aus bemaltem Eisen sind, und die Zimmer hinter den Fenstern sind seit Jahrhunderten unbewohnt. Nie brennt da ein Licht. Aber die Leute gehen vorbei und wissen nicht«

»Wissen nicht was?«

»Daß das Haus nur vorgetäuscht ist Es ist nur Fassade, eine Hülle ohne Dach, ohne Inneres. Leer. Es kaschiert die Mündung eines Kamins. Dient zur Be‑ und Entlüftung der Metro. Und wenn Sie das begreifen, haben Sie das Gefühl, vor dem Eingang der Unterwelt zu stehen, als würden Sie, wenn Sie nur in diese Mauern eindringen könnten, ins unterirdische Paris gelangen. Ich habe manchmal Stunden um Stunden vor diesen Scheintüren verbracht, die das Tor der Tore maskieren, den Abfahrtsbahnhof zur Reise ins Zentrum der Erde. Warum, meinen Sie, hat man das gemacht?«

»Um die Metro zu belüften, sagten Sie doch.«

»Dafür hätten ein paar Luken genügt. Nein, es sind diese Untergründe, vor denen ich Verdacht zu schöpfen begann. Verstehen Sie mich?«

Das Reden über die Dunkelheit schien ihn aufzuheitern. Ich fragte ihn, weshalb er die Untergründe so verdächtig fand.

»Nun, weil die Herren der Welt, wenn es sie gibt, nur unter der Erde sein können. Das ist eine Wahrheit, die alle ahnen, aber nur wenige auszusprechen wagen. Der einzige, der den Mut besaß, es in klaren Worten zu sagen, war vielleicht Saint‑Yves d'Alveydre. Kennen Sie ihn?«

Vielleicht hatte ich den Namen schon irgendwann von einem der Diaboliker gehört, aber ich erinnerte mich nicht genau.

»Er ist es, der von Agarttha gesprochen hat, von der unterirdischen Residenz des Königs der Welt, dem verborgenen Zentrum der Synarchie«, sagte Salon.»Er hatte keine Angst, er fühlte sich seiner selbst sicher. Doch alle, die ihm öffentlich gefolgt sind, wurden eliminiert, weil sie zu viel wussten.«

Wir setzten unseren Gang durch die Stollen fort, und Salon warf beim Sprechen zerstreute Blicke umher, spähte in die Einmündung anderer Stollen, in die Tiefe anderer Brunnen, als suchte er im Halbdunkel nach einer Bestätigung seines Verdachts.

»Haben Sie sich jemals gefragt, warum alle großen modernen Metropolen sich Ende des vorigen Jahrhunderts so beeilten, Untergrundbahnen zu bauen?«

»Um Verkehrsprobleme zu lösen. Oder nicht?«

»Als es noch gar keinen Autoverkehr gab und nur Pferdedroschken durch die Straßen rollten? Von einem Mann Ihres Geistes hätte ich mir eine subtilere Erklärung erwartet!«

»Und haben Sie eine?«

»Vielleicht«, sagte Signor Salon, und es schien, als sagte er es mit abwesender und gedankenversunkener Miene. Doch es war eine Art, das Gespräch abzublocken. Und tatsächlich bemerkte er nun, er müsse jetzt gehen. Dann, nachdem er mir erneut die Hand gereicht hatte, blieb er noch einen Augenblick stehen, als fiele ihm gerade noch etwas ein:»Apropos, dieser Oberst... wie hieß er doch gleich, der damals vor Jahren zu Garamond gekommen war, um Ihnen von einem Schatz der Templer zu erzählen? Haben Sie nie wieder von ihm gehört?«

Ich stand wie vom Schlag gerührt vor dieser brüsken und indiskreten Enthüllung von Kenntnissen, die ich für intim und begraben gehalten hatte. Ich wollte ihn fragen, woher er das wisse, aber ich fürchtete mich davor. So sagte ich nur mit möglichst indifferenter Miene:»Ach, eine alte Geschichte, hatte ich ganz vergessen... Aber apropos, warum haben Sie ›apropos‹ gesagt?«

»Habe ich ›apropos‹ gesagt? Ach ja, gewiss, mir schien, als hätte er etwas in einem Untergrund gefunden... «

»Woher wissen Sie das?«

»Weiß nicht mehr. Kann mich nicht mehr erinnern, wer mir davon erzählt hat. Vielleicht ein Kunde. Aber ich horche immer auf, wenn Untergründe erwähnt werden. Eine Altersmanie. Guten Abend.«

Er ging davon, und ich blieb stehen, um dieser Begegnung nachzusinnen.

 

52

 

 

In gewissen Regionen des Himalaja, zwischen den zweiundzwanzig Tempeln, welche die zweiundzwanzig Arcana des Hermes darstellen und die zweiundzwanzig Buchstaben einiger heiliger Alphabete, bildet Agarttha die mystische Null, das unauffindbare Alles und Nichts – alles für die Synarchie, nichts für die Anarchie... Der Leser stelle sich ein kolossales Schachbrett vor, das sich unterirdisch erstreckt, durch fast alle Regionen des Erdballs.

Saint ‑Yves d’Alveydre, Mission de l’Inde en Europe, Paris,Calmann‑Lévy, 1886, p. 54 und 65

 

Zurück in Mailand, erzählte ich Belbo und Diotallevi von meinem Erlebnis, und wir stellten verschiedene Hypothesen auf. Salon, ein Exzentriker und Schwätzer, der sich in gewisser Weise an Mysterien delektierte, hatte Ardenti getroffen, und das war alles. Oder: Salon wusste etwas über Ardentis Verschwinden und arbeitete für die, die ihn hatten verschwinden lassen. Oder auch: Salon war ein Informant der Polizei...

Dann sahen wir andere Diaboliker, und Salon vermischte sich mit seinesgleichen.

Ein paar Tage später hatten wir Agliè zu Besuch, der uns über einige Manuskripte referierte, die Belbo ihm zur Begutachtung zugesandt hatte. Er beurteilte sie präzise, streng und mit Nachsicht. Agliè war scharfsinnig, es hatte ihn nicht viel gekostet, das Doppelspiel Garamond‑Manuzio zu durchschauen, und wir hatten ihm die Wahrheit nicht länger verschwiegen. Er schien zu verstehen und zu verzeihen. Er vernichtete einen Text mit wenigen schneidenden Sätzen, dann fügte er mit sanftem Zynismus hinzu, für Manuzio sei er gerade recht.

Ich fragte ihn, was er uns über Agarttha und Saint‑Yves d'Alveydre sagen konnte.

»Saint‑Yves d'Alveydre...«, begann er.»Ein bizarrer Geselle, ohne Zweifel, seit früher Jugend frequentierte er die Anhänger von Fabre d'Olivet. Er war nur ein Angestellter im Innenministerium, aber ambitioniert... Freilich fand seine Ehe mit Marie‑Victoire nicht unseren Beifall... «

Agliè hatte nicht widerstanden. Er war zur ersten Person übergegangen. Er rief sich Erinnerungen ins Gedächtnis.

»Wer war Marie‑Victoire? Ich liebe Klatschgeschichten«, sagte Belbo.

»Marie‑Victoire de Risnitch, eine strahlende Schönheit, als sie noch Busenfreundin der Kaiserin Eugenie war. Aber als sie Saint‑Yves begegnete, hatte sie die Fünfzig bereits überschritten. Er war in den Dreißigern. Eine Mesalliance für sie, das ist nur natürlich. Aber damit nicht genug, um ihm einen Titel zu verschaffen, kaufte sie ihm auch Ländereien von einem gewissen Marquis d'Alveydre, und so konnte sich unser Bruder Leichtfuß nun mit diesem Titel schmücken, und in Paris sang man Couplets über den ›Gigolo‹. Da er jetzt von der Rendite leben konnte, überließ er sich seinen Träumen. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, eine politische Formel zu finden, die imstande wäre, eine harmonischere Gesellschaft herbeizuführen. Synarchie als das Gegenteil von Anarchie. Eine gesamteuropäische Gesellschaft, regiert von drei Räten als Repräsentanten der ökonomischen Macht, der Justiz und der geistigen Mächte, das heißt der Kirchen und der Wissenschaften. Eine aufgeklärte Oligarchie, die mit den Klassenkämpfen Schluss machen sollte. Wir haben schon Schlimmeres gehört.«

»Und Agarttha?«

»Er sagte, eines Tages sei er von einem mysteriösen Afghanen besucht worden, einem gewissen Hadji Scharipf, der kein Afghane gewesen sein konnte, da der Name ganz klar albanisch ist... Und dieser Mann habe ihm das Geheimnis der Residenz des Königs der Welt verraten, wenn auch Saint‑ Yves diesen Ausdruck nie benutzt hat, das haben dann die anderen getan: Agarttha, das Unauffindbare.«

»Aber wo hat er denn diese Dinge gesagt?«

»In Mission de l'Inde en Europe, einem Werk, das große Teile des zeitgenössischen politischen Denkens beeinflusst hat. In Agarttha gibt es unterirdische Städte, unter deren Boden und weiter hinunter in Richtung des Erdmittelpunktes gibt es fünftausend Pandits, die sie regieren – selbstverständlich erinnert die Zahl fünftausend an die hermetischen Wurzeln der vedischen Sprache, wie Sie zweifellos wissen. Und jede Wurzel ist ein magisches Hierogramm, verbunden mit einer himmlischen Macht und mit der Sanktion einer höllischen Macht. Die zentrale Kuppel von Agarttha wird von oben erleuchtet durch besondere Spiegel, die das Licht nur durch die enharmonische Farbskala eintreten lassen, von welcher das Sonnenspektrum unserer Physiklehrbücher nur die diatonische Skala darstellt. Die Weisen von Agarttha studieren alle heiligen Sprachen, um zur Universalsprache zu gelangen, dem Vattan. Wenn sie allzu tiefe Geheimnisse angehen, erheben sie sich von der Erde und schweben nach oben und würden sich den Schädel an der Kuppelwölbung einschlagen, wenn ihre Brüder sie nicht zurückhielten. Sie präparieren die Blitze, lenken die zyklischen Ströme der interpolaren und intertropikalen Flüsse, die interferentiellen Derivationen in den diversen Längen‑ und Breitenzonen der Erde. Sie selektionieren die Arten und Gattungen, sie haben kleine Tiere geschaffen, die jedoch außergewöhnliche psychische Tugenden besitzen, Tiere mit einem Schildkrötenpanzer und einem gelben Kreuz auf dem Rücken und einem Auge und einem Mund an jeder Extremität, vielfüßige Tiere, die sich in jeder Richtung bewegen können. Nach Agarttha haben sich vermutlich die Templer zurückgezogen, als sie aufgelöst worden sind, und dort erfüllen sie nun Überwachungsaufgaben. Noch was?«

»Aber... meinte er das im Ernst«? fragte ich.

»Ich glaube, er nahm die Geschichte wörtlich. Zu Anfang hielten wir ihn für einen exaltierten Schwärmer, dann wurde uns klar, daß er, vielleicht in visionärer Weise, auf eine verborgene Lenkung der Geschichte anspielte. Sagt man nicht, die Geschichte sei ein blutiges, sinnloses Rätsel? Unmöglich, es muß einen Plan in ihr geben. Es muß eine Vernunft in ihr walten, ein Geist. Deshalb haben verständige Männer im Laufe der Jahrhunderte an Herren der Welt oder an einen König der Welt gedacht, vielleicht nicht an eine Person im physischen Sinne, eher an eine Rolle, eine kollektive Rolle, an die von Mal zu Mal stets nur provisorische Inkarnation eines Stabilen Willens. Etwas, womit gewiss die großen verschwundenen Priester‑ und Ritterorden in Kontakt waren.«

»Glauben Sie daran?«fragte Belbo.

»Besonnenere Leute als er suchen nach den Unbekannten Oberen.«

»Und finden sie?«

Agliè lachte still vor sich hin.»Was wären das für Unbekannte Obere, wenn sie sich jedem Hergelaufenen zu erkennen gäben? Meine Herren, wir müssen arbeiten. Ich habe noch ein Manuskript, und wie's der Zufall will, ist es genau eine Abhandlung über Geheimgesellschaften.«

»Brauchbar?«

»Wo denken Sie hin? Aber für Manuzio könnte es gehen.«

 

53

 

 

Da sie die irdischen Geschicke nicht unverhüllt lenken kann, weil die Regierungen sich widersetzen würden, kann diese mysteriöse Vereinigung nur vermittels Geheimgesellschaften agieren... Diese Geheimgesellschaften, die je nach Bedarf geschaffen wurden, zerfallen in verschiedene und scheinbar entgegengesetzte Gruppen, die von Mal zu Mal die unterschiedlichsten Meinungen vertreten, um getrennt und mit Vertrauen zueinander sämtliche religiösen, politischen, ökonomischen und literarischen Parteien zu lenken, und sie verbinden sich, um eine gemeinsame Richtung daraus zu empfangen, mit einem unbekannten Zentrum, in dem die mächtige Triebfeder verborgen ist, welche auf diese Weise unsichtbar alle Szepter der Erde zu bewegen trachtet.

J. M. Hoene‑Wronski, zit. in P. Sédir, Histoire et doctrine des Rose‑Croix, Rouen 1932

 

Eines Tages sah ich Signor Salon in der Tür seines Laboratoriums stehen. Er stand im Halbdunkel, und ich erwartete schon, daß er gleich den Ruf eines Käuzchens ausstoßen würde. Er begrüßte mich wie einen alten Freund und fragte, wie es mir»dort unten«ergangen sei. Ich machte eine vage Geste und ging lächelnd vorbei.

Unwillkürlich fiel mir dabei Agarttha ein. Wie Agliè uns die Ideen von Saint‑Yves geschildert hatte, mussten sie einem Diaboliker faszinierend vorkommen, aber nicht beunruhigend. Dennoch hatte ich neulich in München eine gewisse Unruhe in Salons Worten und Blicken gespürt.

So beschloss ich, als ich aus dem Haus trat, einen Sprung in die Bibliothek zu machen und nach der Mission de linde en Europe zu suchen.

Im Katalogsaal und am Bestellschalter war das übliche Gedränge. Mit Ellbogenstößen gelang es mir endlich, den gesuchten Karteikasten in die Hand zu bekommen, ich fand den Titel, füllte den Leihschein aus und gab ihn dem Angestellten am Schalter. Er teilte mir mit, der Band sei ausgeliehen, und wie es in Bibliotheken vorkommt, schien er sich darüber zu freuen. Doch im selben Moment ertönte hinter mir eine Stimme:»Sehen Sie nach, er muß da sein, ich habe ihn gerade zurückgegeben.«Ich drehte mich um. Es war der Kommissar De Angelis.

Ich erkannte ihn, und er erkannte mich – zu schnell, wie mir schien. Ich hatte ihn unter für mich außergewöhnlichen Umständen kennengelernt, er mich bei einer Routineuntersuchung. Außerdem trug ich damals ein Bärtchen und die Haare länger. Was für ein Auge!

Hatte er mich womöglich seit meiner Rückkehr überwacht? Oder war er bloß ein guter Physiognomiker? Polizisten müssen den Spürsinn kultivieren, sich Gesichter und Namen gut merken können...

»Sieh da, der Signor Casaubon! Und wir lesen dieselben Bücher!«

Ich reichte ihm die Hand.»Jetzt bin ich Doktor, schon seit einer Weile. Vielleicht bewerbe ich mich bei der Polizei, um nichts zu versäumen, wie Sie's mir damals geraten haben. Dann krieg ich die Bücher zuerst.«

»Man braucht bloß als erster zu kommen«, sagte er.»Aber jetzt ist das Buch wieder da, Sie können sich's später holen. Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?«

Die Einladung verwirrte mich, aber ich konnte sie nicht ablehnen. Wir setzten uns in ein nahes Café. Er fragte, wieso ich mich für die Mission Indiens interessierte, und ich war versucht, sofort zurückzufragen, wieso er sich dafür interessierte, aber ich beschloss, mir erst einmal Rückendeckung zu verschaffen. Sagte also, ich ginge in der Freizeit weiter meinen Studien über die Templer nach – laut Wolfram von Eschenbach hätten die Templer damals Europa verlassen und wären nach Indien gegangen, und nach Ansicht mancher ins Reich von Agarttha. Nun war es an ihm, aus der Deckung zu kommen.»Die Frage ist eher«, sagte ich,»wieso Sie sich dafür interessieren.«

»Och, wissen Sie«, antwortete er,»seit Sie mir damals dieses Buch über die Templer empfohlen haben, versuche ich, mich über das Thema ein bisschen zu informieren, und Sie wissen ja besser als ich, daß man von den Templern ganz automatisch auf Agarttha kommt.«Touché, Volltreffer! Dann fügte er hinzu:»Nein, ich mache nur Spaß. Ich habe das Buch aus anderen Gründen gesucht. Nämlich weil...«, er zögerte,»weil ich in meiner Freizeit gerne in Bibliotheken gehe. Um keine Maschine zu werden, oder um kein Bulle zu bleiben, suchen Sie sich selber die nettere Formel aus. Aber erzählen Sie mir von sich.«

Ich gab ihm einen autobiografischen Kurzbericht, bis zum wunderbaren Abenteuer der Metalle.

Date: 2015-12-13; view: 383; Íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ; Ïîìîùü â íàïèñàíèè ðàáîòû --> ÑÞÄÀ...



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