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Geburah 4 page





 

 

Erinnern wir uns, daß Daath an dem Punkt liegt, wo der Abgrund den Mittelpfeiler durchschneidet, und daß oben auf dem Mittelpfeiler der Pfad des Pfeils ist... und daß hier auch Kundalini ist, so sehen wir, daß in Daath sowohl das Geheimnis der Zeugung wie das der Wiedererzeugung liegt, der Schlüssel zur Manifestation aller Dinge durch die Differenzierung der Gegensatzpaare und ihre Vereinigung in einem Dritten.

Dion Fortune, The mystical Qabalah, London, Fraternity of the Inner Light, 1957, 7.19

 

Zum Glück musste ich mich nicht um Manuzio kümmern, sondern um das wunderbare Abenteuer der Metalle. So begann ich meine Erkundung der Mailänder Bibliotheken. Ich fing mit den Handbüchern an, verzettelte die Bibliografien und gelangte von da zu den mehr oder minder alten Originalen, in denen ich gute Illustrationen finden konnte. Nichts ist schlimmer, als ein Kapitel über die Raumfahrt mit einem Foto der letzten amerikanischen Sonde zu illustrieren. Wie Signor Garamond mir gesagt hatte: Das mindeste war ein Engel von Doré.

Ich sammelte Berge von kuriosen Reproduktionen, aber das genügte nicht. Wer einen Bildband machen will, muß für ein gutes Bild mindestens zehn andere verwerfen.

Ich bekam die Erlaubnis, nach Paris zu fahren, für vier Tage. Wenig, um alle Archive zu durchsuchen. Ich fuhr mit Lia hin, wir kamen am Donnerstag an und hatten die Rückfahrt für Montagabend gebucht. Ich machte den Fehler, das Conservatoire für den Montag zu planen, und entdeckte dann, dass genau an diesem Tag das Museum geschlossen war. Zu spät, ich musste mit langer Nase abziehen.

Belbo war ärgerlich, aber ich hatte viel Interessantes gesammelt, und so gingen wir hin, um es Signor Garamond zu zeigen. Er blätterte die Reproduktionen durch, die ich mitgebracht hatte, von denen viele in Farbe waren. Dann sah er die Rechnung und stieß einen Zischlaut aus.»Teuer, teuer. Unsere Arbeit ist eine Mission, wir arbeiten für die Kultur, ça va sans dire, aber wir sind nicht das Rote Kreuz, ich sage noch mehr, wir sind nicht die Unicef. War es wirklich nötig, all dieses Material zu kaufen? Ich meine, hier sehe ich einen Herrn in Unterhosen, mit einem Schnurrbart wie d'Artagnan, umgeben von allerlei Abrakadabra und Steinböcken, was ist das, Mandrake?«

»Die Anfänge der Medizin. Der Einfluß des Tierkreises auf die verschiedenen Teile des Körpers, mit den entsprechenden Heilkräutern. Und den Mineralen, einschließlich der Metalle. Die Lehre von den kosmischen Signaturen. In jener Frühzeit waren die Grenzen zwischen Magie und Wissenschaft noch recht dünn.«

»Interessant. Aber dieses Frontispiz hier, was bringt uns das? Philosophia Moysaica. Was hat Moses damit zu tun, ist der nicht ein bisschen zu frühzeitlich?«

»Das betrifft den Disput über das unguentum armarium oder die Waffensalbe. Berühmte Ärzte diskutierten fünfzig Jahre lang darüber, ob diese Salbe, wenn man sie auf die Waffe strich, mit der einer verletzt worden war, die Wunde heilen konnte.«

»Verrücktes Zeug. Und das ist Wissenschaft?«

»Nicht in dem Sinn, wie wir Wissenschaft heute verstehen. Aber sie diskutierten über diese Sache, weil kurz vorher die Wunder des Magneten entdeckt worden waren und man sich überzeugt hatte, dass es Fernwirkungen gibt. Wie es auch die Magie behauptete. Und so dachte man, eine Fernwirkung ist so gut wie die andere... Verstehen Sie, diese Leute irrten sich damals, aber Volta und Marconi haben sich nicht geirrt. Was sind Elektrizität und Funkwellen, wenn nicht Fernwirkungen?«

»Schau, schau. Gar nicht so übel, unser Casaubon. Wissenschaft und Magie Arm in Arm, he? Große Idee. Also gut, los: Werfen Sie ein paar von diesen langweiligen Dynamos raus, und tun Sie dafür mehr Mandrake rein. So ein paar Teufelsbeschwörungen, was weiß ich, auf Goldgrund.«

»Ich würde es nicht übertreiben. Dies ist das wunderbare Abenteuer der Metalle. Die Bizarrerien machen sich nur gut, wenn sie an der richtigen Stelle kommen.«

»Das wunderbare Abenteuer der Metalle muß vor allem die Geschichte seiner Irrtümer sein. Man zeigt die schöne Bizarrerie, und dann sagt man in einer Fußnote, dass sie falsch ist. Derweilen steht sie da, und der Leser ist fasziniert, weil er sieht, dass auch die großen Männer falsch argumentieren, genau wie er.«


Ich erzählte von einem sonderbaren Erlebnis, das ich am Ufer der Seine gehabt hatte, unweit vom Quai Saint‑Michel. Ich war in eine Buchhandlung getreten, die sich schon draußen in zwei symmetrischen Schaufenstern mit ihrer Schizophrenie gebrüstet hatte. Auf der einen Seite Werke über Computer und die Zukunft der Elektronik, auf der anderen nur okkulte Wissenschaften. Und genauso ging's dann auch innen weiter: Apple und Kabbala.

»Unglaublich«, sagte Belbo.

»Evident«, sagte Diotallevi.»Oder jedenfalls bist du der letzte, der sich darüber wundern dürfte, Jacopo. Die Welt der Maschinen sucht das Geheimnis der Schöpfung wiederzufinden: Buchstaben und Zahlen.«

Garamond sagte nichts. Er hatte die Hände gefaltet, als ob er betete, und hielt die Augen am Himmel gerichtet. Dann klatschte er plötzlich die Hände zusammen:»Meine Herren, alles, was Sie heute gesagt haben, bestätigt mich in einem Gedanken, den ich seit ein paar Tagen... Aber alles zu seiner Zeit, ich muß noch darüber nachdenken. Machen Sie vorerst weiter so. Bravo, Casaubon, wir werden auch Ihren Vertrag noch mal ansehen, Sie sind ein wertvoller Mitarbeiter. Und tun Sie, tun Sie mir viel Kabbala und Computer rein. Computer macht man doch aus Silizium, oder?«

»Aber Silizium ist kein Metall, sondern ein Metalloid.«

»Wollen Sie mir jetzt mit Spitzfindigkeiten über Wortendungen kommen? Was soll das, rosa rosarum? Computer rein! Und Kabbala!«

»Die kein Metall ist«, insistierte ich.

Er begleitete uns zur Tür. Auf der Schwelle sagte er zu mir:»Casaubon, das Büchermachen ist eine Kunst, keine Wissenschaft. Spielen wir nicht die Revolutionäre, die Zeiten sind vorbei. Tun Sie Kabbala rein. Ach, übrigens, bei Ihren Reisespesen habe ich mir erlaubt, den Liegewagen abzuziehen. Nicht aus Geiz, ich hoffe, Sie nehmen mir das ab. Sondern weil die Forschung sich eines gewissen – wie soll ich sagen – spartanischen Geistes befleißigen muß. Sonst wird sie unglaubwürdig.«

Ein paar Tage später bestellte er uns wieder in sein Büro. Er habe da einen Besucher, sagte er zu Belbo, mit dem er uns gerne bekannt machen würde.

Wir gingen hinüber. Garamond unterhielt sich mit einem beleibten Herrn, der ein Gesicht wie ein Tapir hatte, blonder Schnurrbart unter einer großen Tiernase und kein Kinn. Er kam mir gleich irgendwie bekannt vor, dann erinnerte ich mich: es war der Professor Bramanti, den ich in Rio gehört hatte, der Referent oder was auch immer jenes Ordens vom Rosenkreuz.

»Herr Professor Bramanti behauptet«, sagte Garamond,»es sei der rechte Moment für einen gewitzten Verlag mit Gespür für den Zeitgeist, eine Buchreihe zum Thema okkulte Wissenschaften zu initiieren.«

»Für... Manuzio«, warf Belbo ein.

»Für wen sonst?«lächelte Signor Garamond verschmitzt.»Herr Professor Bramanti, der mir unter anderem von einem teuren Freund empfohlen wurde, nämlich von Doktor De Amicis, dem Autor jener großartigen Chroniken des Zodiaks, die wir letztes Jahr herausgebracht haben, beklagt, dass die wenigen Reihen, die es zu diesem Thema gebe – fast alle bei Verlagen von geringer Seriosität und Zuverlässigkeit, notorisch oberflächlich, unaufrichtig, unkorrekt, ich sage noch mehr, ungenau –, dass diese Reihen dem Reichtum und der Tiefe dieses Studiengebietes nicht annähernd gerecht würden.«


»Die Zeit ist reif für eine Neubewertung der Kultur der Inaktualität, nach dem Scheitern der Utopien der modernen Welt«, sagte Bramanti.

»Sie sagen da große Dinge, Herr Professor. Aber verzeihen Sie bitte unsere – nun ja, ich sage nicht Ignoranz, aber doch Unvertrautheit mit diesen Dingen: An was genau denken Sie, wenn Sie von okkulten Wissenschaften sprechen? An Spiritismus, Astrologie, Schwarze Magie?«

Bramanti machte eine abwehrende Gebärde:»O nein, wo denken Sie hin! Das sind doch nur Märchen, die man den Einfältigen erzählt. Ich spreche von Wissenschaften, wenn auch von okkulten. Gewiss, auch von Astrologie, wenn nötig, aber nicht um der kleinen Bürotippse zu sagen, dass sie nächsten Sonntag den Mann ihres Lebens treffen werde. Ich denke eher an eine seriöse Studie über die Dekane, um nur soviel zu sagen.«

»Verstehe. Wissenschaftlich. Die Sache liegt schon auf unserer Linie, aber könnten Sie sich ein bisschen erschöpfender äußern?«

Bramanti lehnte sich in den Sessel zurück und ließ die Augen durch den Raum schweifen, als suche er astrale Inspirationen.»Beispiele ließen sich geben, gewiss. Ich würde sagen, der ideale Leser einer solchen Reihe müsste ein Adept der Rosenkreuzer sein, mithin ein Experte in magiam, in necromantiam, in astrologiam, in geomantiam, in pyromantiam, in hydromantiam, in chaomantiam, in medicinam adeptam, um das Buch Azoth zu zitieren – jenes, das dem Staurophoros von einem mysteriösen Mädchen überreicht wurde, wie im Raptus philosophorum berichtet. Doch die Kenntnis des wahren Adepten umfasst noch andere Gebiete. Da wäre die Physiognosis zu nennen, die sich mit okkulter Physik befasst, mit Statik, Dynamik und Kinematik, mit Astrologie oder esoterischer Biologie sowie dem Studium der Naturgeister, mit hermetischer Zoologie und biologischer Astrologie. Hinzu käme die Kosmognosis, die ebenfalls die Astrologie studiert, aber unter astronomischem Aspekt, unter kosmologischem, physiologischem, ontologjschem Blickwinkel, die Anthropognosis, die die homologische Anatomie studiert, sowie die divinatorischen Wissenschaften, die Physiologie der Fluida, die Psychurgie, die soziale Astrologie und der historische Hermetismus. Ferner gibt es die qualitative Mathematik, und das heißt wem sage ich das, die Arithmologie oder Zahlenkunde... Aber erforderlich wären auch Grundkenntnisse in der Kosmografie des Unsichtbaren, in Magnetismus, Auratik, Traumdeutung, Fluidumskunde, Psychometrie und Hellseherei – und generell das Studium der andern fünf hyperphysischen Sinne –, zu schweigen von der horoskopischen Astrologie, die bereits eine Degeneration des Wissens darstellt, wenn sie nicht mit der gebührenden Umsicht betrieben wird – und dann natürlich Physiognomik, Gedankenleserei, zukunftsdeutende Künste, von Tarot und Traumdeutung bis zu den höchsten Stufen der Prophetie und Ekstase. Verlangt werden auch hinreichende Kenntnisse über Verflüssigung, Alchimie, Spagirik, Telepathie, Exorzismus, Zeremonial‑ und Beschwörungsmagie, elementare Theurgie. Für den eigentlichen Okkultismus empfehlen würde ich Erkundungen in den Gebieten ursprüngliche Kabbala, Brahmanismus, Gymnosophie, memphitische Hieroglyphen... «


»Templerische Phänomenologie«, warf Belbo ein.

Bramanti Augen leuchteten auf.»Ohne Zweifel. Doch ich vergaß, zuvörderst einige Grundbegriffe in Nekromantik und Hexerei der nicht‑weißen Rassen zu erwähnen, Onomantie, prophetische Raserei, freiwillige Thaumaturgie, Autosuggestion, Yoga, Hypnotik, Somnambulismus, merkuriale Chemie... Wronski riet, für die mystische Tendenz die Techniken der Besessenen von Loudun präsent zu haben, ebenso die der Konvulsionäre von Sankt Medardus oder Veitstänzer, dazu die mystischen Getränke: ägyptischen Wein, Lebenselixiere und Arsenlösungen. Für das Prinzip des Bösen – doch mir ist klar, dass wir hier zur delikatesten Zone einer möglichen Buchreihe kommen – müsste man sich vertraut machen mit den Mysterien Beelzebubs als der Selbstzerstörung und Satans als des entthronten Fürsten, mit denen des Eurynomios, des Molochs sowie der In‑ und Sukkubi. Für das positive Prinzip mit den Himmelsmysterien der Erzengel Michael, Gabriel und Raphael sowie der Agathodaimones. Sodann mit den Mysterien der Isis, des Mithra, des Morpheus, mit denen von Samothrake und Eleusis, mit den Naturmysterien des männlichen Geschlechts, Phallus, Lignum Vitae, Clavis Scientiorum, Baphomet, Hammer, sowie den Naturmysterien des weiblichen Geschlechts, Ceres, Kreis, Patera, Kybele und Astarte.«

Signor Garamond beugte sich vor und sagte mit einschmeichelndem Lächeln:»Sie werden die Gnostiker nicht vernachlässigen... «

»Aber gewiss nicht, obgleich zu diesem Thema viel Unsinn und Unfug im Umlauf ist. In jedem Fall ist jeder gesunde Okkultismus eine Gnosis.«

»Das war's, was ich meinte«, sagte Garamond.

»Und das alles wäre genug«, fragte Belbo unschuldig.

Bramanti blies die Backen auf und verwandelte sich mit einem Schlag aus einem Tapir in einen Hamster.»Genug... für den Anfang, ja, zur Initiierung, nicht für die Initiierten, wenn Sie mir das Wortspiel gestatten. Doch schon mit einem halben Hundert Bänden könnten Sie ein Publikum von Tausenden von Lesern mesmerisieren, die auf nichts anderes warten als auf ein klärendes Wort... Mit einer Investition von ein paar Hundert Millionen Lire – ich komme bewusst gerade zu Ihnen, Doktor Garamond, da ich Sie kenne und schätze als einen Verleger, der zu den großzügigsten Abenteuern bereit ist – und mit einem bescheidenen Prozentsatz für mich als Herausgeber der Reihe... «

Bramanti hatte genug gesagt und jedes Interesse in Garamonds Augen verloren. Er wurde eiligst hinauskomplimentiert, mit großen Versprechungen: Die übliche Beraterrunde werde den Vorschlag aufmerksam erwägen.

 

42

 

 

Wisset aber, daß wir uns alle einig sind, was wir auch immer sagen.

Turba Philosophorum

 

Als Bramanti draußen war, murmelte Belbo, er hätte sich mal den Pfropfen rausziehen sollen. Signor Garamond kannte den Ausdruck nicht, und Belbo versuchte ein paar respektvolle Paraphrasen, doch ohne Erfolg.

»Nun jedenfalls«, sagte Garamond,»machen wir uns doch nichts vor. Dieser Herr hatte kaum fünf Worte gesagt, da wusste ich schon, dass er für uns kein Kunde ist. Er. Wohl aber die, von denen er gesprochen hat, Autoren und Leser. Dieser Bramanti hat Überlegungen in mir bestärkt, die ich schon seit einigen Tagen anstelle. Hier, sehen Sie, meine Herren!«Mit theatralischer Geste zog er drei Bücher aus seiner Schreibtischschublade.

»Diese drei Bücher sind in den letzten Jahren erschienen und alle sehr erfolgreich gewesen. Das erste ist englisch, ich habe es nicht gelesen, aber der Autor ist ein berühmter Kritiker. Und was hat er geschrieben? Sehen Sie auf den Untertitel: ein gnostischer Roman. Und nun dies hier: anscheinend ein Kriminalroman, ein Bestseller. Und wovon spricht er? Von einer gnostischen Kirche in der Gegend von Turin. Sie werden wissen, was für Leute diese Gnostiker sind... «Er hob abwehrend die Hand:»Nein, lassen Sie, das spielt keine Rolle, mir genügt zu wissen, dass sie etwas Dämonisches sind... Ich weiß, ich weiß, ich gehe vielleicht zu rasch vor, aber ich will nicht wie Sie reden, ich will wie dieser Bramanti reden. Ich spreche jetzt als Verleger, nicht als Professor für vergleichende Gnoseologie oder wie das heißt. Was habe ich in Bramantis Diskurs an Lichtvollem gesehen, an Verheißungsvollem, an Einladendem, ich sage noch mehr, an Kuriosem? Diese außergewöhnliche Fähigkeit zur Zusammenschau, er hat nicht von den Gnostikern gesprochen, aber Sie haben's gehört, er hätte es ohne weiteres tun können, zwischen Geomantie, Gerovital und Radames mit Merkurium. Und warum insistiere ich so darauf? Weil ich hier noch ein anderes Buch habe, von einer berühmten Journalistin, die unglaubliche Dinge erzählt, die in Turin geschehen, in Turin sage ich, der Stadt des Automobils: Hexereien, schwarze Messen, Teufelsbeschwörungen, und das alles für zahlendes Publikum, nicht für die Veitstänzer aus dem Süden. Casaubon, Belbo hat mir gesagt, dass Sie in Brasilien waren und die Satansriten der Wilden da unten gesehen haben... Gutgut, Sie können mir später sagen, was genau das gewesen war, aber es kommt auf dasselbe raus. Brasilien ist hier, meine Herren. Vorgestern habe ich selbst in eigener Person eine von diesen Buchhandlungen aufgesucht, wie hieß sie doch gleich, na egal, es kommt auf dasselbe raus, es war eine Buchhandlung, die vor sechs oder sieben Jahren noch Texte von Anarchisten, Revolutionären, Tupamaros, Terroristen, ich sage noch mehr, Marxisten verkaufte. Und nun? Was verkauft sie jetzt? Die Sachen, von denen Bramanti gesprochen hat. Es ist wahr, wir befinden uns heute in einer Zeit der Konfusion, und wenn Sie in eine katholische Buchhandlung gehen, wo es früher nur den Katechismus zu kaufen gab, dann finden Sie heute da auch die Neubewertung Luthers, aber wenigstens verkaufen die noch keine Bücher, in denen steht, dass die ganze Religion eine einziger großer Schwindel ist. Doch in den Buchhandlungen, von denen ich spreche, da findet man den gläubigen Autor neben dem ungläubigen, alles wild durcheinander. Hauptsache, das Thema ist irgendwie, wie soll ich sagen... «

»Hermetisch«, suggerierte Diotallevi.

»Genau, ich glaube, das ist das richtige Wort. Da standen mindestens zehn Bücher über Hermes. Und so will ich nun über ein Hermes‑Projekt sprechen. Begeben wir uns in den gewerblichen Zweig.«

»Den Goldenen Zweig«, sagte Belbo.

»Genau«, sagte Garamond, ohne die literarische Anspielung zu verstehen.»Es handelt sich um eine Goldader. Mir ist klar geworden, dass diese Leute alles fressen, solange es nur hermetisch ist, wie Sie sagten, solange es nur das Gegenteil dessen besagt, was in den Schulbüchern steht. Und ich glaube, es handelt sich auch um eine kulturelle Pflicht. Ich bin zwar kein Wohltäter aus Berufung, aber in diesen so finsteren Zeiten jemandem einen Glauben anzubieten, einen Blick auf das Übernatürliche... Der Verlag Garamond hatte schon immer eine wissenschaftliche Mission... «

Belbo erstarrte.»Ich dachte, Sie dächten an Manuzio.«

»An beide. Hören Sie. Ich habe mich in jener Buchhandlung umgesehen, und dann bin ich in eine andere gegangen, eine höchst seriöse, die jedoch ebenfalls ein Regal mit okkulten Wissenschaften hatte. Zu diesen Themen gibt es Studien auf universitärem Niveau, und sie stehen neben Büchern von Leuten wie diesem Bramanti. Und nun überlegen wir mal: Dieser Bramanti ist den akademischen Autoren vielleicht nie persönlich begegnet, aber er hat sie gelesen, und er hat sie gelesen, als wären sie seinesgleichen. Diese Leute sind so, bei allem, was man ihnen sagt, denken sie immer, es gehe um ihr Problem, wie in der Geschichte mit dem Kater, der hört, wie die beiden Eheleute sich wegen ihrer Scheidung zanken, und denkt, es gehe um die Zusammensetzung seines Frühstücks. Sie haben's ja selbst gehört, Belbo, Sie haben das mit diesen Templern da eingeworfen, und er sofort: d'accord, auch die Templer, und die Kabbala, und das Lotto und der Kaffeesatz. Das sind Allesfresser, sage ich Ihnen. Allesfresser. Haben Sie das Gesicht von diesem Bramanti gesehen: ein Nagetier. Ich sehe ein riesiges Publikum vor mir, in zwei Kategorien eingeteilt, ich sehe sie schon vor meinen Augen vorbeiziehen, und sie sind Legion. Erstens die, die darüber schreiben, und hier steht Manuzio mit offenen Armen bereit. Man braucht sie nur anzulocken, mit einer neuen Reihe, die in die Augen sticht und die heißen könnte, warten Sie... «

»Die Smaragdene Tafel«, suggerierte Diotallevi.

»Wie? Nein, zu schwierig, mir zum Beispiel sagt das gar nichts, wir brauchen etwas, das an etwas anderes erinnert.«

»Die Entschleierte Isis«, sagte ich.

»Die Entschleierte Isis! Das klingt gut, bravo, Casaubon, das klingt nach Tutanchamun, nach Skarabäus und Pyramiden. Die Entschleierte Isis, mit einem leicht dämonischen Umschlag, aber nicht zu viel. Und jetzt weiter. Daneben gibt es die zweite Heerschar, diejenigen, die kaufen. Schon gut, meine Freunde, Sie werden sagen, dass Manuzio nicht an denen interessiert ist, die kaufen. Aber muß das so bleiben? Diesmal verkaufen wir die Manuzio‑Bücher, meine Herren, das wird ein qualitativer Sprung! Bleiben schließlich noch die Studien auf wissenschaftlichem Niveau, und hier tritt der Verlag Garamond auf den Plan. Unbeschadet der historischen Studien und der anderen akademischen Reihen werden wir einen seriösen Berater finden und drei bis vier Bücher pro Jahr herausbringen, in einer seriös aufgemachten Reihe mit einem aussagekräftigen, aber nicht pittoresken Titel...«

»Reihe Hermetik«, schlug Diotallevi vor.

»Sehr gut. Klassisch. Würdig. Sie werden mich vielleicht fragen, warum Geld bei Garamond ausgeben, wenn wir bei Manuzio welches verdienen können. Aber die seriöse Reihe dient uns als Aushängeschild, sie lockt besonnene Leute an, die weitere Vorschläge machen, uns Fährten weisen und dann die anderen anlocken, die Bramantis, die zu Manuzio umgeleitet werden. Kurzum, mir scheint, das ist ein perfektes Projekt, das Hermes‑Projekt, eine saubere Sache, die sich rentiert und den ideellen Fluss zwischen den beiden Verlagen gewährleistet... An die Arbeit, meine Herren! Gehen Sie in die Buchläden, stellen Sie Bibliografien zusammen, lassen Sie sich Verlagskataloge kommen, sehen Sie sich an, was im Ausland gemacht wird... Und dann, wer weiß, wie viele Leute schon zu uns gekommen sind, die irgendwelche Schätze dieser Art mitbrachten, und wir haben sie weggeschickt, weil sie uns nicht nützten... Und denken Sie daran, Casaubon, auch in die Geschichte der Metalle muß ein Schuss Alchimie rein. Gold ist ein Metall, will ich doch hoffen. Die Kommentare später, Sie wissen, ich bin offen für jede Kritik, jeden Vorschlag und jeden Widerspruch, wie es üblich ist unter gebildeten Leuten. Das Projekt ist hiermit beschlossen. Signora Grazia, lassen Sie bitte den Herrn herein, der seit zwei Stunden draußen wartet, so kann man doch einen Autor nicht behandeln!«rief er laut, während er die Tür öffnete, so dass man ihn draußen im Wartesaal hören konnte.

 

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Gewöhnliche Leute, denen man auf der Straße begegnet... betreiben insgeheim Schwarze Magie, verbinden sich oder suchen Verbindung mit den Geistern der Finsternis, um ihr Verlangen nach Höherem zu stillen, nach Haß, nach Liebe – in einem Wort: um Böses zu tun.

J. K. Huysmans, Vorwort zu J. Bois, Le satanisme et la magie, 1895, p. VIII‑IX

 

Ich hatte geglaubt, das Hermes‑Projekt sei vorerst nur eine vage Idee, aber da kannte ich Signor Garamond schlecht. Während ich die nächsten Tage in den Bibliotheken verbrachte, um Illustrationen für die Geschichte der Metalle zu suchen, war man bei Manuzio schon an der Arbeit.

Nach zwei Monaten fand ich bei Belbo eine druckfrische Nummer der Zeitschrift Parnassus Önotrius mit einem langen Aufsatz unter dem Titel»Wiedergeburt des Okkultismus«, in dem der bekannte Hermetist Doktor Moebius – ein neues Pseudonym Belbos, der sich auf diese Weise den ersten Coupon des Hermes‑Projekts verdient hatte – über die wundersame Renaissance der okkulten Wissenschaften in der modernen Welt sprach und ankündigte, dass der Verlag Manuzio beabsichtige, sich mit der neuen Reihe»Entschleierte Isis«auf diesem Gebiet zu betätigen.

In der Zwischenzeit hatte Signor Garamond eine Anzahl von Briefen an die verschiedenen Zeitschriften für Hermetismus, Astrologie, Tarot, Ufologie und so weiter geschrieben, unterzeichnet mit irgendwelchen Fantasienamen, um Informationen über die neue Buchreihe bei Manuzio zu erbitten. Daraufhin hatten die Redakteure dieser Zeitschriften bei ihm angerufen, um sich nach der Reihe zu erkundigen, und er hatte sich in Schweigen gehüllt und gesagt, er könne die ersten zehn Titel noch nicht nennen, aber sie würden in Kürze erscheinen. So war die Welt der Okkultisten, gewiss ohnehin sehr erregt durch fortwährende Trommelwirbel, inzwischen auf dem laufendem über das Hermes‑Projekt.

»Verkleiden wir uns als Blüten«, sagte Signor Garamond, der uns zu einer erneuten Konferenz in den Saal des Globus bestellt hatte,»und die Bienen werden schon kommen.«

Aber das war noch nicht alles. Er wollte uns den Prospekt zeigen, den er sich ausgedacht hatte: ein schlichtes Faltblatt mit vier Seiten, aber aus Hochglanzpapier. Die erste Seite zeigte den geplanten Umschlag der Reihe, eine Art goldenes Siegel (das Pentaculum Salomonis, erklärte uns Garamond) auf schwarzem Grund, die Ränder der Seite gesäumt mit einer Dekoration aus ineinandergreifenden Hakenkreuzen (die asiatische Swastika, präzisierte Garamond, die im Sinne des Sonnenlaufs geht, nicht die nazistische, die im Uhrzeigersinn geht). Oben an der Stelle, wo der Buchtitel stehen sollte, eine Schrift:»Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden...«Auf den inneren Seiten wurden die Verdienste des Hauses Manuzio um die Bewahrung und Förderung der Kultur gerühmt, dann wiesen ein paar einprägsam Slogans auf die Tatsache hin, dass die heutige Welt nach tieferen und leuchtenderen Gewissheiten verlangt, als die Wissenschaft sie ihr zu geben vermag:»Aus Ägypten, aus Chaldäa, aus Tibet – eine vergessene Weisheit – für die spirituelle Wiedergeburt des Okzidents«.

Belbo fragte, an wen der Prospekt versandt werden solle, und Garamond lächelte, wie nur – hätte Belbo gesagt – Jago, der böse Geist Othellos, zu lächeln vermag.»Ich habe mir aus Frankreich das Adressbuch aller zur Zeit in der Welt existierenden Geheimgesellschaften kommen lassen, und fragen Sie nicht, wie es ein öffentliches Adressbuch der geheimen Gesellschaften geben kann. Es gibt eins, hier, bitte sehr, Edition Henry Veyrier, mit Adresse, Telefonnummer und Postleitzahl. Nehmen Sie es mit, Belbo, gehen Sie's durch und eliminieren Sie die Adressen, die uns nicht interessieren, denn sehen Sie, hier stehen auch die Jesuiten, das Opus Dei, die Carbonari und der Rotary Club, aber suchen Sie alle heraus, die nach Okkultismus klingen, ich hab schon einige angekreuzt«

Er blätterte:»Hier: Absolutisten (glauben an die Metamorphose), Aetherious Society of California (pflegt telepathische Kontakte zum Mars), Astara in Lausanne (schwört absolute Geheimhaltung), Atlanteans of Great Britain (suchen nach dem verlorenen Glück), Builders of the Adytum in Kalifornien (Alchimie, Kabbala, Astrologie), Cercle E.B. in Perpignan (verehrt Hathor, die Liebesgöttin und Wächterin des Berges der Toten), Cercle Eliphas Lévi in Maule (keine Ahnung, wer dieser Levi ist, vielleicht dieser französische Anthropologe oder wie der heißt), Chevaliers de l'Alliance Templaire in Toulouse, Collège des Druides des Gaules, Convent Spiritualiste de Jéricho, Cosmic Church of Truth in Florida, Eglise Traditionelle d’Ecône in der Schweiz, überhaupt jede Menge Kirchen, Church of the Mormons (die hab ich mal in einem Krimi gefunden, aber vielleicht gibt's die nicht mehr), Church of Mithra in London und Brüssel, Church of Satan in Los Angeles, Eglise Luciférienne Unifiée de France, Eglise Rosicrucienne Apostolique in Brüssel, Enfants de la Ténèbre ou Orde Vert an der Goldküste (nein, die vielleicht nicht, wer weiß, in welcher Sprache die schreiben), Escuela Hermetista Occidental de Montevideo, National Institute of Kabbalah in Manhattan, Central Ohio Temple of Hermetic Science, Tetra‑Gnosis of Chicago, Frères Anciens de la Rose‑Croix de Saint‑Cyr‑sur‑Mer, Fraternité Internationale d'Isis in Grenoble, Ancient Bavarian Illuminates in San Francisco, Johanniter‑Bruderschaft für die Auferstehung der Templer in Kassel, The Sanctuary of the Gnosis in Sherman Oaks, Grail Foundation of America, Sociedade do Graal do Brazil, Hermetic Brotherhood of Luxor, Lectorium Rosicrucianum in Holland, Mouvement du Graal in Straßburg, Order of Anubis in New York, Temple of the Black Pentacle in Manchester, Odinist Fellowship in Florida, Orden vom Hosenband (da müsste sogar die Queen drin sein), Orden vom Vril (neonazistische Freimaurer, keine Adresse), Militia Templi in Montpellier, Souveräner Orden des Sonnentempels in Monte Carlo, Rosenkreuzer von Harlem (schau, schau, jetzt auch die Neger), Wicca (luziferische Assoziation keltischer Observanz, rufen die 72 Genien der Kabbala an)... nun, Sie sehen, soll ich fortfahren?«







Date: 2015-12-13; view: 436; Íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ



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