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Geburah 3 page





»Kommt denn die Radioaktivität bei den Metallen mit rein?«, fragte ich.

»Ist das Radium kein Metall?«

»Ich glaube schon.«

»Na bitte. Unter dem Gesichtspunkt der Metalle kann man das ganze Universum des Wissens betrachten. Wie haben wir das Buch zu nennen beschlossen, Belbo?«

»Wir dachten an einen seriösen Titel, wie Die Metalle und die materielle Kultur.«

»Und seriös muß er auch sein. Aber mit jenem zusätzlichen Appeal, jenem Nichts, das alles sagt, warten Sie... Ja, so: Universalgeschichte der Metalle. Sind da auch die Chinesen mit drin?«

»Ja, auch.«

»Also universal. Das ist kein Werbetrick, das ist die reine Wahrheit. Oder warten Sie, besser noch: Das wunderbare Abenteuer der Metalle.«

In diesem Augenblick kam die Signora Grazia herein und meldete, der Commendator De Gubernatis sei da. Garamond zögerte einen Moment und sah mich zweifelnd an, doch Belbo nickte ihm zu, wie um zu sagen, er könne sich nunmehr auf mich verlassen. Garamond ließ den Besucher eintreten und ging ihm entgegen. De Gubernatis kam im dunklen Zweireiher, hatte ein Abzeichen im Knopfloch, einen Füllfederhalter in der Brusttasche, eine gefaltete Zeitung in der Jackentasche und eine Mappe unter dem Arm.

»Mein lieber Commendatore, machen Sie sich's bequem, unser lieber Freund De Ambrosiis hat mir von Ihnen erzählt, ein Leben im Dienste des Staates. Und eine geheime poetische Ader, nicht wahr? Zeigen Sie, zeigen Sie mir den Schatz, den Sie da in Händen halten... Hier stelle ich Ihnen zwei meiner Generaldirektoren vor.«

Er ließ ihn vor dem mit Manuskripten übersäten Schreibtisch Platz nehmen und streichelte mit vor Begierde zitternden Fingern den Umschlag des Werkes, das ihm vorgelegt wurde:»Nein, sagen Sie nichts, ich weiß bereits alles. Sie kommen aus Vipiteno, der großen und noblen Grenzstadt. Ein Leben im Dienste der Zollverwaltung. Und im geheimen, Tag für Tag, Nacht für Nacht diese Seiten, erregt vom Dämon der Poesie. Ah, die Poesie... Sie verbrannte die Jugend Sapphos, sie nährte das Alter Goethes... Pharmakon, sagten die alten Griechen: Gift und Medizin. Natürlich werden wir es zuerst lesen müssen, dieses Ihr Werk, ich pflege mindestens drei Gutachten einzuholen, eins aus dem Hause und zwei von unseren Außenberatern (die leider anonym bleiben müssen, Sie werden verstehen, es handelt sich um sehr exponierte Personen), der Verlag Manuzio bringt kein Buch heraus, wenn er sich dessen Qualität nicht sicher ist, und Qualität, das wissen Sie besser als ich, ist etwas Ungreifbares, man muß sie mit einem sechsten Sinn erspüren, manchmal hat ein Buch gewisse Imperfektionen, Mängel – auch Svevo schrieb schlecht, wem sage ich das –, doch bei Gott, man spürt eine Idee, einen Rhythmus, eine Kraft! Ich weiß es, sagen Sie nichts, kaum habe ich einen Blick auf das Incipit dieses Ihres Werkes geworfen, habe ich etwas gespürt, aber ich will nicht alleine urteilen, auch wenn so oft – ach, wie so oft! – die Gutachten lau waren, aber ich habe mich versteift, denn man kann einen Autor nicht verurteilen, ohne sich auf ihn eingelassen zu haben, ja gleichsam in inneren Einklang mit ihm getreten zu sein, hier zum Beispiel, ich schlage aufs Geratewohl diesen Ihren Text auf, und mein Blick fällt auf einen Vers: ›wie im Herbst, die abgemagerten Wimpern‹ – gut, ich weiß noch nicht, wie es weitergeht, aber ich spüre da einen Anhauch, erfasse ein Bild, manchmal ist das der erste Einstieg in einen Text, eine Ekstase, eine Verzückung... Dies vorausgeschickt, lieber Freund – ah, bei Gott, wenn man könnte, wie man wollte! Aber auch das Verlagswesen ist eine Industrie, die edelste unter den Industrien, aber doch eine Industrie, Wissen Sie, was heutzutage der Druck kostet, und das Papier? Sehen Sie, sehen Sie hier in der Zeitung von heute, wie hoch die prime rate in Wall Street gestiegen ist! Das betreffe uns nicht, meinen Sie? Und wie uns das betrifft! Wissen Sie, dass man uns sogar das Lager besteuert? Ich verkaufe nichts, und die besteuern sogar noch die Remittenden. Ich bezahle auch den Misserfolg, den Leidensweg des Genies, das die Philister nicht erkennen. Dieses Seidenpapier – es ist wirklich sehr fein, und gestatten Sie: gerade daran, dass Sie Ihren Text auf so dünnes Papier getippt haben, erkennt man den Dichter, ein beliebiger Schwätzer hätte ein extradickes Papier genommen, um das Auge zu blenden und den Geist zu benebeln, aber dies hier ist mit dem Herzen geschriebene Poesie, nicht wahr, die Worte sind Steine und erschüttern die Welt –, dieses Seidenpapier kostet mich soviel wie Banknotenpapier.«

Das Telefon klingelte. Wie ich später erfuhr, hatte Garamond auf einen Knopf unter dem Schreibtisch gedrückt, und die Signora Grazia hatte ihm einen fingierten Anruf durchgestellt.

»Verehrtester Meister! Was sagen Sie? Wie schön! Große Neuigkeiten, man läute die Glocken! Ein neues Buch von Ihnen ist stets ein Ereignis. Aber gewiss, Manuzio ist stolz, ist bewegt, ich sage noch mehr, ist froh, Sie unter seinen Autoren zu wissen. Haben Sie gelesen, was die Zeitungen über Ihre letzte epische Dichtung geschrieben haben? Nobel‑preiswürdig! Leider sind Sie der Zeit voraus. Wir haben mit Mühe dreitausend Exemplare verkauft... «

Der Commendator De Gubernatis erbleichte: dreitausend Exemplare waren für ihn ein unverhofft hohes Ziel.

»Der Verkauf hat die Produktionskosten nicht gedeckt. Schauen Sie nur einmal hinter die Glastür, wie viele Angestellte ich beschäftige. Heutzutage muß ich von einem Buch, um auf meine Kosten zu kommen, mindestens zehntausend Exemplare absetzen, und zum Glück kann ich von vielen auch mehr verkaufen, aber das sind Schriftsteller mit einer, wie soll ich sagen, anderen Berufung. Balzac war groß und verkaufte seine Bücher wie warme Semmeln, Proust war ebenso groß und publizierte auf eigene Kosten. Sie, lieber Freund, werden in den Schulbüchern landen, aber nicht in den Bahnhofskiosken, genauso ist es auch Joyce ergangen, der seine Sachen gleichfalls auf eigene Kosten herausbrachte, wie Proust. Von Büchern wie den Ihren kann ich mir nur alle zwei, drei Jahre eins leisten. Geben Sie mir drei Jahre Zeit... «Es folgte eine lange Pause. In Signor Garamonds Antlitz zeichnete sich eine schmerzerfüllte Verlegenheit ab.

»Wie bitte? Auf Ihre eigenen Kosten? Nein, nein, es ist nicht die Höhe der Summe, die Summe lässt sich begrenzen... Aber der Verlag Manuzio pflegt nicht... Gewiss, wem sagen Sie das, auch Joyce und Proust... Gewiss, ich verstehe... «

Erneute leidvolle Pause.»Nun gut, wir werden darüber reden. Ich bin ehrlich zu Ihnen gewesen, Sie sind voller Ungeduld, also machen wir, was man einen Joint venture nennt, die Amerikaner machen's uns vor. Kommen Sie morgen vorbei, und wir rechnen alles noch einmal durch... Meine tiefe Verehrung und hohe Bewunderung.«

Garamond legte auf, hob den Kopf, als erwachte er aus einem Traum, und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dann entsann er sich plötzlich der Anwesenheit seines Besuchers.»Entschuldigen Sie. Das war ein Schriftsteller, ein echter Schriftsteller, vielleicht ein Großer. Und doch, gerade deshalb... Manchmal ist es demütigend, diesen Beruf auszuüben. Wenn man nicht die Berufung hätte. Aber kommen wir zurück zu Ihnen. Wir haben uns alles gesagt, ich werde Ihnen schreiben, sagen wir, etwa in einem Monat. Ihr Text bleibt hier, in guten Händen.«

Der Commendator De Gubernatis war sprachlos gegangen. Er hatte den Fuß in die Schmiede des Ruhmes gesetzt.

 

39

 

 

Ritter der Weltkugeln, Prinz des Tierkreises, Erhabener Hermetischer Philosoph, Oberkommandeur der Gestirne, Erhabener Priester der Isis, Prinz des Heiligen Hügels, Philosoph von Samothrakien, Titan des Kaukasus, Knabe der Goldenen Lyra, Ritter des Wahren Phönix, Ritter der Sphinx, Erhabener Weiser des Labyrinthes, Erster Brahmane, Mystischer Wächter des Heiligtums, Architekt des Mysteriösen Turmes, Erhabener Prinz des Heiligen Vorhangs, Deuter der Hieroglyphen, Orphischer Doktor, Wächter der Drei Feuer, Hüter des Unnennbaren Namens, Erhabener Ödipus der Großen Geheimnisse, Geliebter Hirte der Oase der Mysterien, Doktor des Heiligen Feuers, Ritter des Leuchtenden Dreiecks.

Hochgrade nach Altem und Primitivem Ritus von Memphis‑Misraim

 

Manuzio war ein Verlag für AEKs.

Ein AEK im Jargon von Manuzio war – doch warum gebrauche ich hier das Imperfekt? Die AEKs sind immer noch da, dort unten geht alles weiter, als wenn nichts geschehen wäre, ich bin es, der inzwischen alles in eine unendlich ferne Vergangenheit projiziert, weil das, was vorgestern Abend geschehen ist, gleichsam einen Riss in der Zeit markiert hat, weil in der Kirche von Saint‑Martin‑des‑Champs die Ordnung der Jahrhunderte umgestürzt worden ist... Oder vielleicht, weil ich seit vorgestern Abend mit einem Schlag um Jahrzehnte gealtert bin, oder weil die Furcht, von denen gefasst zu werden, mich reden lässt, als berichtete ich von einem zerfallenden Reich, im Bade liegend, die Pulsadern aufgeschnitten, wartend, dass ich im eigenen Blut ertrinke...

Ein AEK ist ein Autor auf Eigene Kosten, und Manuzio ist eines jener Unternehmen, die man in den angelsächsischen Ländern»Vanity Press«nennt. Enorme Gewinne und so gut wie keine Betriebskosten. Belegschaft: Signor Garamond, Signora Grazia, der Buchhalter hinten in seinem Kabäuschen, genannt kaufmännischer Direktor, und Luciano, der kriegsversehrte Packer unten im Lager.

»Ich habe nie kapiert, wie Luciano es schafft, die Bücher mit seinem einen Arm zu verpacken«, hatte Belbo zu mir gesagt,»ich glaube, er behilft sich mit den Zähnen. Andererseits verpackt er nicht gerade viel: die Packer in normalen Verlagen schicken die Bücher an die Buchhandlungen, Luciano schickt sie nur an die Autoren. Manuzio interessiert sich nicht für die Leser... Das Entscheidende ist, sagt Signor Garamond, dass man die Autoren nicht verrät – ohne Leser kann man durchaus überleben.«

Belbo bewunderte den Signor Garamond. Er sah in ihm den Träger einer Kraft, die ihm verwehrt war.

Das System von Manuzio war sehr einfach. Einige wenige Anzeigen in Lokalzeitungen, Fachzeitschriften, literarischen Provinzblättern, besonders in denen, die nur wenige Nummern überdauern. Anzeigen von mittlerer Größe, mit Foto des Autors und wenigen einprägsamen Zeilen:»Eine der exzellentesten Stimmen unserer Dichtung«oder:»Der neue Beweis für das erzählerische Talent des Autors von Floriana und ihre Schwestern«.

»An diesem Punkt ist das Netz gespannt«, erklärte Belbo,»und die AEKs fallen traubenweise darauf herein, wenn man traubenweise auf ein Netz hereinfallen kann, aber die verunglückte Metapher ist typisch für die Autoren von Manuzio, und ich habe die schlechte Angewohnheit übernommen, entschuldigen Sie.«

»Und dann?«

»Nehmen Sie den Fall De Gubernatis. In einem Monat, wenn unser Pensionär sich vor lauter Ungeduld schon verzehrt, wird Signor Garamond ihn anrufen und zu einem Abendessen mit einigen Schriftstellern einladen. Rendezvous in einem arabischen Restaurant, sehr exklusiv, ohne Firmenschild draußen: man läutet und sagt seinen Namen vor einem Guckloch, innen luxuriöses Ambiente, diffuses Licht, exotische Musik. Garamond drückt dem Chefkoch die Hand, duzt die Kellner und schickt den Wein zurück, weil ihn der Jahrgang nicht überzeugt, oder er sagt, entschuldige, mein Lieber, aber das ist nicht der Couscous, den man in Marrakesch isst. De Gubernatis wird dem Kommissar Hinz vorgestellt, alle Flughafendienste unterstehen ihm, aber vor allem ist er der Erfinder und Apostel des Cosmoranto, der Sprache für den Weltfrieden, die gerade in der Unesco diskutiert wird. Dann dem Professor Kunz, starke Erzählernatur, Gewinner des Premio Petruzzellis della Gattina 1980, aber auch eine Leuchte der medizinischen Wissenschaft. Wie viele Jahre haben Sie gelehrt, Herr Professor? Andere Zeiten, ja damals, da waren die Studien noch eine ernsthafte Sache. Und last but not least hier unsere exquisite Dichterin, die charmante Olinda Mezzofanti Sassabetti, Autorin von Keusche Herzensregungen, haben Sie sicher gelesen.«

Belbo gestand mir, dass er sich lange gefragt hatte, warum die weiblichen AEKs immer mit zwei Nachnamen firmierten, Lauretta Solimeni Calcanti, Dora Ardenzi Fiamma, Carolina Pastorelli Cefalù. Warum haben bedeutende Schriftstellerinnen nur einen Nachnamen, außer Ivy Compton‑Bunett, und einige nicht mal einen Nachnamen, wie Colette, während eine AEK sich Olinda Mezzofanti Sassabetti nennt? Weil ein wahrer Schriftsteller aus Liebe zu seinem Werk schreibt und es ihm nichts ausmacht, unter einem Pseudonym bekannt zu sein, siehe Nerval, während ein AEK von seinen Nachbarn wiedererkannt werden möchte, von den Leuten in seinem Viertel und in dem, wo er früher gewohnt hat. Dem Mann genügt sein Name, der Frau nicht, weil es Leute gibt, die sie als Mädchen gekannt haben, und solche, die sie als Verheiratete kennen. Deswegen benutzt sie zwei Namen.

»Kurz, ein Abend prall voll intellektueller Erfahrungen. De Gubernatis kommt sich vor, als schluckte er einen LSD‑Cocktail. Er lauscht dem Geschwätz der Tischgenossen, der geschmackvollen Anekdote über den großen Poeten mit seiner notorischen Impotenz, der auch als Poet nicht viel tauge, er wirft vor Erregung glänzende Blicke auf die neue Ausgabe der Enzyklopädie der berühmten Italiener, die Garamond überraschend hervorzieht, um die betreffende Seite dem Kommissar zu zeigen (haben Sie gesehen, mein Lieber, auch Sie sind jetzt im Pantheon, oh, es gibt noch Gerechtigkeit!).«

Belbo zeigte mir die Enzyklopädie.»Vor einer Stunde habe ich Ihnen eine Gardinenpredigt gehalten, aber niemand ist unschuldig. Die Enzyklopädie machen Diotallevi und ich ganz allein. Aber ich schwöre Ihnen, nicht um unser Gehalt aufzubessern. Es ist eine der amüsantesten Sachen der Welt, und jedes Jahr muß die aktualisierte Neuausgabe gemacht werden. Die Struktur ist mehr oder weniger diese: Ein Artikel verweist auf einen berühmten Autor, einer auf einen AEK, und das Problem ist nur, die alphabetische Ordnung gut auszutarieren und nicht zu viel Platz für die berühmten Autoren zu verschwenden. Sehen Sie hier zum Beispiel den Buchstaben L.«

LAMPEDUSA, Giuseppe Tomasi di (1896‑1957). Sizilianischer Schriftsteller. Lebte lange Zeit unbekannt und wurde erst nach seinem Tod berühmt durch den Roman Der Leopard.

LAMPUSTRI, Adeodato (*1919). Schriftsteller, Pädagoge, Frontkämpfer (Bronzemedaille in Ostafrika), Denker, Erzähler und Dichter. Seine Gestalt ragt hoch empor in der italienischen Literatur unseres Jahrhunderts. L. offenbarte sich bereits 1959 mit dem ersten Band einer groß angelegten Trilogie, Die Brüder Caramasssi, einer mit krudem Realismus und hochpoetischer Inspiration erzählten Geschichte einer lukanischen Fischerfamilie. Diesem Erstlingswerk, das im Jahre 1960 mit dem Premio Petruzzellis della Gattina ausgezeichnet wurde, folgten in den beiden nächsten Jahren Die Entlassenen und Der Panther mit den wimperlosen Augen. Zwei Werke, die vielleicht noch mehr als das erste das Ausmaß an epischer Kraft, an plastisch funkelnder Fantasie und lyrischem Atem dieses unvergleichlichen Künstlers bezeugen. Ein emsiger Ministerialbeamter, wird L. in seinen Kreisen geschätzt als höchst integre Persönlichkeit, als beispielhafter Vater und Gatte sowie als erlesener Redner.

»De Gubernatis«, erklärte Belbo,»wird sich dringend wünschen, in dieser Enzyklopädie präsent zu sein. Er hatte schon immer gesagt, dass der Ruhm der Hochberühmten nur Machenschaft sei, Ergebnis einer Verschwörung willfähriger Kritiker. Aber vor allem wird ihm aufgehen, dass er in eine Familie von Schriftstellern eingetreten ist, die zugleich Direktoren öffentlicher Ämter sind, Bankbeamte, Aristokraten, Richter. Mit einem Schlag wird er seinen Bekanntenkreis beträchtlich vergrößert haben, und wenn er künftig jemanden um einen Gefallen bitten muß, wird er wissen, an wen er sich wenden kann. Signor Garamond hat die Macht, den Commendator De Gubernatis aus der Provinz zu holen und in die höchsten Kreise zu versetzen. Gegen Ende des Abends wird Garamond ihm ins Ohr flüstern, er solle doch am nächsten Morgen einmal bei ihm vorbeikommen.«

»Und kommt er am nächsten Morgen?«

»Darauf können Sie schwören. Er wird die Nacht schlaflos verbringen, von der Größe des Adeodato Lampustri träumend.«

»Und dann?«

»Dann wird ihm Garamond am nächsten Morgen sagen: Hören Sie, gestern Abend habe ich nicht gewagt, mit Ihnen darüber zu sprechen, um die anderen nicht zu demütigen. Ah, welch ein erhabenes Werk, ich spreche gar nicht von den enthusiastischen, ich sage noch mehr, positiven Gutachten, nein, ich selber habe in eigener Person eine Nacht über diesen Seiten verbracht. Ein literaturpreiswürdiges Buch. Groß, groß... Er wird an den Schreibtisch zurückgehen, wird die Hand auf das Manuskript legen – das inzwischen zerknittert ist, zerlesen durch die liebenden Blicke von mindestens vier Lektoren (die Manuskripte zu zerknittern ist Aufgabe der Signora Grazia) – und wird den AEK mit perplexer Miene anstarren. Was geschieht nun damit, was geschieht nun damit? wird De Gubernatis fragen, und Garamond wird sagen, dass über die Qualität des Werkes keine Sekunde lang zu diskutieren sei, aber dass es zweifellos seiner Zeit weit vorauseile und dass man, was die Auflage angehe, zweitausend nicht überschreiten werde, maximal zweitausendfünfhundert. Für De Gubernatis würden zweitausend Exemplare vollauf reichen, um alle Personen, die er kennt, zu beglücken, der AEK denkt nicht in planetarischen Dimensionen, beziehungsweise sein Planet besteht aus bekannten Gesichtern, solchen von Schulkameraden, Bankdirektoren, Kollegen im Lehrkörper seiner Schule, pensionierten Offizieren. Lauter Personen, die der AEK gerne in seine poetische Welt einführen würde, auch jene, die keinen Wert darauf legen, wie der Metzgermeister an der Ecke oder der Präfekt... Angesichts der Gefahr, dass Garamond sich zurückziehen könnte, nachdem alle zu Hause, im Städtchen, im Büro wissen, dass er sein Manuskript einem großen Mailänder Verlag angeboten hat, überschlägt De Gubernatis seine Finanzen. Er könnte einen Kredit aufnehmen, sich die Lebensversicherung auszahlen lassen, den Bausparvertrag verkaufen, Paris ist eine Messe wert. Er bietet schüchtern an, sich an den Druckkosten zu beteiligen. Garamond zeigt sich verstört: Aber nicht doch, wo denken Sie hin, Manuzio pflegt nicht... und dann lässt er sich breitschlagen: Top, abgemacht, Sie haben mich überzeugt, schließlich haben auch Joyce und Proust sich der harten Notwendigkeit beugen müssen, die Kosten sind soundso hoch, wir drucken erst einmal zweitausend Exemplare, aber den Vertrag machen wir über ein Maximum von zehntausend. Rechnen Sie zweihundert Freiexemplare für sich, die Sie zusenden können, wem immer Sie wollen, zweihundert gehen an die Presse, denn wir wollen eine Werbekampagne machen, als handle es sich um die Angélique der Golon, also bleiben eintausendsechshundert zu vertreiben. Auf diese, das werden Sie verstehen, haben Sie keine Rechte, aber wenn das Buch dann geht, drucken wir nach, und von da an kriegen Sie zwölf Prozent.«

Später sah ich einen Vertrag von der Art, wie ihn De Gubernatis, nun voll auf dem Poetentrip, unterschreiben würde, ohne ihn auch nur gelesen zu haben, während der Buchhalter jammerte, Garamond habe wieder einmal die Kosten zu niedrig veranschlagt. Zehn Seiten Klauseln in winziger Schrift, betreffend ausländische Übersetzungen, Nebenrechte wie Bühnenbearbeitungen, Hörspielfassungen, Verfilmungen, Ausgaben in Blindenschrift und Kurzfassungen für Reader's Digest, Gewährleistungsausschluss im Falle von Prozessen wegen Diffamierung, Recht des Autors, die redaktionellen Änderungen zu billigen, Zuständigkeit des Mailänder Gerichts im Falle von Streitigkeiten... Der AEK sollte völlig erschöpft, das Auge umflort von Ruhmesträumen, zu den haarigen Klauseln gelangen, in denen stand, dass die Höchstauflage zehntausend betrage, ohne dass eine Mindestauflage erwähnt wurde, dass die zu zahlende Summe nicht an die Auflagenhöhe gebunden sei, von der nur mündlich die Rede war, und vor allem, dass der Verleger das Recht habe, nach Ablauf eines Jahres die unverkauften Exemplare einzustampfen, es sei denn, der Autor wolle sie zum halben Ladenpreis erwerben. Unterschrift.

Die Werbekampagne sollte gigantisch sein. Zehnseitige Presseerklärung mit Biografie und kritischer Würdigung. Keine Schamgrenze, in den Zeitungsredaktionen würde man das Zeug sowieso in den Papierkorb werfen. Effektiv gedruckt: tausend Exemplare in Rohbögen, davon nur dreihundertfünfzig aufgebunden. Zweihundert an den Autor, fünfzig an zweitrangige und genossenschaftliche Buchläden, fünfzig an Provinzzeitschriften, dreißig zur Sicherheit an die Zeitungen, für den Fall, dass sie sich zu einer Zeile in der Rubrik»Eingesandte Bücher«aufrafften. Die Exemplare würden sie Krankenhäusern oder Gefängnissen schenken – womit begreiflich wird, warum erstere nicht heilen und letztere nicht resozialisieren.

Im Sommer würde dann der Premio Petruzzellis della Gattina kommen, eine Kreation von Garamond. Gesamtkosten: Unterkunft und Verpflegung der Jury, zwei Tage, und eine Nike von Samothrake aus Vermeil. Glückwunschtelegramme von den Manuzio‑Autoren.

Schließlich würde der Moment der Wahrheit kommen, anderthalb Jahre später. Garamond würde ihm schreiben: Lieber Freund, ich hatte es ja vorausgesehen, Sie sind fünfzig Jahre zu früh erschienen. Rezensionen in Hülle und Fülle, Preise und Zustimmung der Kritik, ça va sans dire. Aber verkaufte Exemplare nur wenige, das Publikum ist noch nicht soweit Wir sehen uns gezwungen, das Lager zu räumen, wie vorgesehen in unserem Vertrag (Kopie anbei). Entweder geht der Rest in den Reißwolf, oder Sie kaufen ihn zum halben Ladenpreis, wie es Ihr gutes Recht ist.

De Gubernatis ringt verzweifelt die Hände, seine Familie tröstet ihn: die Leute verstehen dich nicht, natürlich, wenn du einer von ihnen wärst, wenn du sie geschmiert hättest, ja, dann hätten sie dich jetzt auch im Corriere rezensiert, ist doch alles nur eine einzige Mafia, du musst standhaft bleiben. Von den Freiexemplaren sind bloß noch fünf übrig, es gibt noch viele wichtige Persönlichkeiten, die bedacht werden müssen, du kannst nicht zulassen, dass dein Werk in den Reißwolf wandert, um zu Klopapier verarbeitet zu werden, sehen wir mal, was wir zusammenkratzen können, es ist gut ausgegebenes Geld, man lebt nur einmal, wir könnten doch, sagen wir, fünfhundert Exemplare kaufen, und für den Rest, sic transit gloria mundi.

Bei Manuzio liegen noch 650 Exemplare in Rohbögen, Signor Garamond lässt 500 aufbinden und schickt sie dem Autor per Nachnahme. Bilanz: der Autor hat großzügig die Produktionskosten für 2000 Exemplare bezahlt, der Verlag hat 1000 gedruckt und davon 850 aufgebunden, von denen der Autor 500 noch ein zweites Mal bezahlt hat. Fünfzig Autoren pro Jahr, und die Firma schließt immer mit gutem Gewinn.

Und ohne Gewissensbisse: sie verbreitet Glück.

 

40

 

 

Der Feige stirbt schon vielmal, eh er stirbt.

Shakespeare, Julius Caesar, II, 2

 

Ich hatte stets einen Gegensatz empfunden zwischen der Hingabe, mit der sich Belbo um seine respektablen Autoren bei Garamond kümmerte, immer bestrebt, aus ihren Texten Bücher zu machen, auf die er stolz sein konnte, und dem Piratentum, mit dem er nicht nur half, die eitlen Tröpfe bei Manuzio zu umgarnen, sondern mit dem er auch diejenigen, die ihm bei Garamond nicht präsentabel erschienen, in die Via Gualdi schickte – wie er's mit dem Oberst Ardenti versucht hatte.

Ich hatte mich oft gefragt, während ich mit ihm arbeitete, warum er diese Situation akzeptierte. Sicher nicht wegen des Geldes. Er verstand sein Metier gut genug, um eine besser bezahlte Arbeit zu finden.

Lange dachte ich, dass er es deshalb täte, weil er auf diese Weise seine Studien über die menschliche Torheit betreiben konnte, und zwar in einem exemplarischen Observatorium. Was er Dummheit nannte, der unangreifbare Paralogismus, der hinterlistige Wahn, verkleidet als makellose Argumentation, das faszinierte ihn und er wiederholte immerzu, dass es ihn faszinierte. Aber auch das war nur eine Maske. Wer aus Spiellust mitgemacht hatte, war Diotallevi gewesen, vielleicht in der Hoffnung, dass sich ihm eines Tages in einem Buch von Manuzio eine unerhört neue Kombination der Torah offenbaren würde. Und aus Jux, zum puren Vergnügen, aus Spottlust und Neugier hatte ich bei dem Spiel mitgemacht, besonders nachdem Garamond das Hermes‑Projekt lanciert hatte.

Für Belbo lag die Sache anders. Das ist mir jedoch erst jetzt klar geworden, nachdem ich in seinen files gekramt habe.

Filename: Rache furchtbare Rache

 

Sie kommt einfach so. Auch wenn Leute im Büro sind: packt mich am Rockkragen, streckt das Gesicht vor und küsst mich. Anna che quando bacia sta in punta di piedi. (Anna, die sich zum Küssen auf die Zehenspitzen stellt [ein italienischer Schlager aus den sechziger Jahren]) Sie küsst mich, als ob sie flippert.

Dabei weiß sie, dass sie mich verlegen macht. Aber sie will mich vorführen.

Sie lügt nie.

– Ich liebe dich.

– Sehen wir uns Sonntag?

– Nein, ich bin am Wochenende mit einem Freund...

– Du meinst einer Freundin.

– Nein, einem Freund, du kennst ihn, es ist der, der neulich mit mir in der Bar war. Ich hab's ihm versprochen, du willst doch nicht, dass ich 'n Rückzieher mache.

– Mach keinen, aber komm nicht, um mir... Nein, bitte, draußen wartet ein Autor.

– Ein Genie zum Lancieren?

– Ein Wurm zum Zertreten.

Ein Wurm zum Zertreten.

Ich war gekommen, dich bei Pilade abzuholen. Du warst nicht da. Habe lange auf dich gewartet, dann bin ich allein hingegangen, sonst wäre die Galerie schon geschlossen gewesen. Jemand dort sagte mir, ihr wärt schon ins Restaurant vorgegangen. Ich tat, als betrachtete ich die Bilder – die Kunst ist tot seit den Zeiten Hölderlins, sagen sie mir. Ich brauchte zwanzig Minuten, um das Restaurant zu finden, weil die Galeristen immer die auswählen, die erst nächsten Monat berühmt werden.

Du warst da, mitten unter den üblichen Gesichtern, und neben dir hattest du den Mann mit der Narbe. Du warst keinen Moment verlegen. Hast mich komplizenhaft angesehen und – wie machst du das gleichzeitig? – herausfordernd, als wolltest du sagen: na und? Der Eindringling mit der Narbe musterte mich wie einen Eindringling. Die anderen auf dem laufenden über alles, abwartend. Ich hätte einen Vorwand zum Streit suchen sollen. Wäre in jedem Fall hinterher gut dagestanden, auch wenn er mich geschlagen hätte. Alle wussten, dass du mit ihm dort warst, um mich zu provozieren. Ob ich nun provozierte oder nicht, meine Rolle war festgelegt. Ich gab in jedem Fall ein Schauspiel.

Ein Schauspiel ist so gut wie das andere, ich wählte die brillante Komödie, beteiligte mich liebenswürdig an der Konversation, in der Hoffnung, jemand würde meine Selbstkontrolle bewundern.

Der einzige, der mich bewunderte, war ich.

Man ist feige, wenn man sich feige fühlt.

Der maskierte Rächer. Wie Clark Kent pflege ich die jungen unverstandenen Genies, und wie Superman bestrafe ich die zu Recht unverstandenen alten. Ich kollaboriere beim Ausbeuten derer, die nicht meinen Mut hatten und sich nicht mit der Rolle des Zuschauers zu begnügen wussten.

Ist das eine Möglichkeit? Das Leben damit zu verbringen, diejenigen zu bestrafen, die niemals wissen werden, dass sie bestraft worden sind? Wolltest du Homer werden? Nimm, Bettler, und glaub daran.

Ich hasse Leute, die versuchen, mir eine Illusion von Leidenschaft zu verkaufen.

 

 

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Date: 2015-12-13; view: 350; Нарушение авторских прав; Помощь в написании работы --> СЮДА...



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