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Geburah 10 page





»War das damals, als Ihre Großmutter auf dem Maisfeld lag, zwischen den beiden Feuerlinien?«fragte ich.

»Woher wissen Sie das?«

»Sie haben es mir 1973 erzählt, am Tag nach dieser Demonstration.«

»Gott, was für ein Gedächtnis! Bei Ihnen muß man gut aufpassen, was man erzählt... Ja, das war damals. Aber auch mein Vater war draußen. Wie wir später erfuhren, war er im Zentrum der Stadt gewesen, er hatte sich unter einen Torbogen geflüchtet und konnte nicht raus, weil sie auf der Straße einander beschossen, von einem Ende zum andern, und vom Turm des Rathauses bestrich ein Trupp Schwarze Brigaden den Platz mit einem Maschinengewehr. In den Torbogen hatte sich auch der faschistische Ex‑Bürgermeister geflüchtet. Nach einer Weile sagte er, jetzt könnte er's schaffen, nach Hause zu rennen, er müsse nur um die Ecke. Er wartete eine Pause ab, stürzte raus, erreichte die Ecke und wurde von hinten niedergemäht von dem MG auf dem Rathausturm. Die einzige Gefühlsregung meines Vaters, der schon den Ersten Weltkrieg mitgemacht hatte, war: besser im Torbogen bleiben.«

»Ein Ort voll süßer Erinnerungen, das hier«, bemerkte Diotallevi.

»Du wirst es nicht glauben«, sagte Belbo,»aber sie sind wirklich sehr süß. Und sie sind das einzige Wahre, an das ich mich erinnere.«

Die anderen begriffen nicht, was er meinte, ich ahnte es und jetzt weiß ich's. Besonders in jenen Monaten, als wir in den Lügen der Diaboliker schwammen, und nachdem er jahrelang seine Enttäuschung in romanhafte Lügen gekleidet hatte, erschienen ihm die Tage von *** in der Erinnerung wie eine Welt, in der alles klar und eindeutig ist, eine Kugel war eine Kugel, entweder sie ging daneben oder sie traf, und die beiden Seiten hoben sich klar voneinander ab, gekennzeichnet durch ihre Farben, Rot und Schwarz oder Khaki und Graugrün, ohne Zweideutigkeiten – zumindest schien es ihm damals so. Ein Toter war ein Toter war ein Toter war ein Toter. Nicht wie der Oberst Ardenti, der bloß irgendwie verschwunden war. Ich dachte, vielleicht sollte ich ihm von der Synarchie erzählen, die schon in jenen Kriegsjahren umging. War es nicht synarchisch gewesen, wie Onkel Carlo und Terzi einander begegnet waren, als Gegner auf entgegengesetzten Fronten, doch beide erfüllt vom selben Ritterideal? Aber warum sollte ich ihm sein Combray nehmen? Seine Erinnerungen waren süß für ihn, weil sie ihm von der einzigen Wahrheit sprachen, die er je gekannt hatte, und die Zweifel waren erst später gekommen. Nur daß er – er selber hatte es mir zu verstehen gegeben – sogar in den Tagen der Wahrheit bloß zugeschaut hatte. Er betrachtete in der Rückschau die Zeit, als er die Geburt des Gedächtnisses anderer beobachtet hatte, die Geburt der Geschichte und all der vielen Geschichten, die andere dann schreiben würden.

Oder hatte es doch einen Moment der Größe und der Entscheidung gegeben? Denn nun sagte er:»Und dann vollbrachte ich an jenem Tag die Heldentat meines Lebens.«

»O mein John Wayne!«rief Lorenza.»Erzähl!«

»Och, es war nichts Besonderes. Nachdem wir in den andern Flügel rübergekrochen waren, versteifte ich mich darauf, im Flur stehen zu bleiben. Das Fenster war am Ende, wir waren im ersten Stock, hier kann mich niemand treffen, sagte ich. Und fühlte mich wie der Kapitän, der aufrecht auf der Brücke steht, während ihm die Kugeln um die Ohren pfeifen. Dann wurde Onkel Carlo wütend, packte mich am Schlafittchen und zog mich rein, ich heulte los, weil das Vergnügen zu Ende war, und im selben Moment hörten wir drei scharfe Schläge und Scherbenklirren und eine Art Aufprall, als ob jemand draußen im Flur mit einem Tennisball spielte. Eine Kugel war durchs Fenster eingedrungen, war von einem Wasserrohr abgeprallt und hatte sich in den Boden gebohrt, genau an der Stelle, wo ich noch eben gestanden hatte. Wenn ich noch draußen gewesen wäre, hätte sie mich vielleicht gelähmt. Mindestens.«

»O Gott, ich hätte dich nicht gerne lahm gehabt«, rief Lorenza.

»Wer weiß, vielleicht wäre ich jetzt froh darüber«, sagte Belbo. Tatsächlich hatte er auch bei jener Gelegenheit keine Entscheidung getroffen. Er hatte sich von seinem Onkel reinziehen lassen.

Ein Stündchen später schweifte er wieder ab.»Nach einer Weile ist dann Adelino Canepa nach oben gekommen. Er meinte, im Keller würden wir sicherer sein. Er und der Onkel hatten seit Jahren kein Wort miteinander gesprochen, ich hab's euch erzählt. Aber im Moment der Tragödie war Adelino wieder ein menschliches Wesen geworden, und der Onkel drückte ihm sogar die Hand. So verbrachten wir eine Stunde im Dunkeln zwischen den Fässern, in einem Geruch unzähliger Weinlesen, der uns ein bisschen zu Kopf stieg, und draußen krachten die Schüsse. Dann wurden die Salven spärlicher, das Krachen kam immer gedämpfter herauf. Wir begriffen, daß jemand auf dem Rückzug war, nur wussten wir noch nicht, wer. Bis wir dann schließlich durch ein Fenster, eben über unseren Köpfen, das zu einem Feldweg rausging, eine Stimme hörten, die im Dialekt sagte: ›Monssu, i’è d’la repubblica bele si?‹ «

» Was heißt das?«fragte Lorenza.

»Na ungefähr: ›Mein Herr, würden Sie bitte die Freundlichkeit haben, mir zu sagen, ob wir uns hier noch in den Gefilden der Repubblica Sociale Italiana befinden?‹ In jenen Zeiten, müsst ihr wissen, war repubblica ein hässliches Wort. Ein Partisan hatte einen Passanten gefragt, oder jemanden, der zum Fenster raussah, und folglich war der Feldweg wieder passierbar geworden und die Faschisten hatten sich verdrückt. Es wurde allmählich dunkel. Nach einer Weile erschienen sowohl mein Vater wie meine Großmutter, um jeder sein Abenteuer zu erzählen. Meine Mutter und Tante Caterina machten etwas zu essen, während Onkel Carlo und Adelino Canepa wieder feierlich schwiegen. Den ganzen restlichen Abend lang hörten wir in den Hügeln noch ferne Schüsse. Die Partisanen verfolgten die Flüchtenden. Wir hatten gesiegt.«

Lorenza küsste ihn auf die Haare, und Belbo schniefte. Er wusste, daß er bloß durch kämpfende Mittelspersonen gesiegt hatte. In Wirklichkeit hatte er nur einen Film gesehen. Doch für einen Augenblick, als er den Querschläger draußen im Flur riskierte, hatte er in dem Film mitgespielt. Nur eben mal rasch, wie in Hellzapoppin', wenn die Rollen vertauscht werden und ein Indianer zu Pferd auf einem Tanzfest erscheint und fragt, wohin sie gelaufen sind, und jemand sagt»dahin«, und er verschwindet in eine andere Geschichte.

 

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Im aufschwingen aber hat sie so kräfftig in ihr schöne Posaunen gestossen, das der gantze Berg davon erhallet, vnnd ich fast ein Viertelstund hernach mein eygen wort kaum mehr gehöret.

Johann Valentin Andreae, Die Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz, Straßburg 1616, 2, p. 21

 

Wir waren beim Kapitel über die Wunder der Wasserleitungen, und in einem frühbarocken Stich aus den Spiritalia von Heron sah man eine Art Altar mit einem Roboter darauf, der – kraft einer sinnreichen Dampfvorrichtung – Trompete spielte.

Ich brachte Belbo erneut auf seine Kindheitserinnerungen:»Aber sagen Sie, wie war das mit diesem Don Ticho Brahe oder wie der hieß, der Ihnen das Trompetespielen beigebracht hatte?«

»Don Tico. Ich habe nie erfahren, ob das ein Spitzname war oder ob er wirklich so hieß. Ich bin nie mehr ins Oratorium gegangen. Hingekommen war ich per Zufall – die Messe, der Katechismus, die vielen Spiele, und wer gewonnen hatte, kriegte ein Bildchen des seligen Domenico Savio, jenes Burschen mit zerknitterten Hosen aus grobem Leinen, der bei den Statuen immer an die Soutane von Don Bosco geklammert steht, die Augen zum Himmel gerichtet, um nicht die Zoten zu hören, die seine Kameraden erzählen. Nun, ich entdeckte, daß Don Tico eine Blaskapelle zusammengestellt hatte, aus lauter Jungs zwischen zehn und vierzehn Jahren. Die Kleinen spielten Klarinette, Piccoloflöte und Sopransaxofon, die Größeren schafften das Bombardon und die Große Trommel. Sie hatten Uniformen, Khaki‑Jacken und blaue Hosen, dazu Schirmmützen. Ein Traum, ich wollte dabei sein. Don Tico sagte, er könnte ein Baryton brauchen.«

Belbo musterte uns überlegen und dozierte:»Das Baryton ist eine Art kleine Tuba, ähnlich dem eher bekannten Tenorhorn in B. Es ist das dümmste Instrument in der ganzen Kapelle. Es macht Umpa‑Umpa‑Umpapaa, wenn der Marsch losgeht, und nach dem Parapapaa‑Parapapaa geht es zu raschen Stößen über und macht Pa‑Pa‑Pa‑Pa‑Pa... Aber es ist leicht zu erlernen, es gehört zur Familie der Blechblasinstrumente wie die Trompete, und seine Mechanik ist die gleiche wie bei der Trompete. Die Trompete erfordert mehr Atem und einen guten Ansatz – ihr wisst schon, diese kleine runde Schwiele, die sich auf den Lippen bildet, wie bei Louis Armstrong. Mit einem guten Ansatz spart man Atem, und der Ton kommt klar und sauber heraus, ohne daß man das Pusten hört, andererseits darf man auf keinen Fall die Backen aufblasen, wehe, das gibt's nur beim Vortäuschen und in den Karikaturen.«

»Und was war mit der Trompete?«

»Die Trompete hab ich allein gelernt, an den Sommernachmittagen, wenn keiner im Oratorium war und ich mich im Parkett des kleinen Theaters versteckte... Aber ich hab sie aus erotischen Gründen gelernt. Seht ihr die kleine Villa dort unten, etwa einen Kilometer vom Oratorium entfernt? Dort wohnte Cecilia, die Tochter der Wohltäterin des Salesianer‑ Ordens. Naja, und so kam es, daß jedes Mal, wenn die Kapelle aufspielte, zu den Festen, nach der Prozession, im Hof des Oratoriums und vor allem im Theater, bevor die Laienspielgruppe auftrat, dann saß Cecilia da mit ihrer Mama, vorn in der ersten Reihe auf den Ehrensitzen, neben dem Dompropst. Und die Kapelle spielte dann immer einen Marsch, der hieß Buon Principio und wurde von den Trompeten eröffnet, den Es‑Trompeten aus Gold und Silber, die extra für diesen Anlass blank geputzt worden waren. Die Trompeter standen auf und spielten ein Solo. Dann setzten sie sich wieder hin, und die Kapelle legte los. Trompete zu spielen war die einzige Art, mich Cecilia bemerkbar zu machen.«

»Die einzige?«fragte Lorenza gerührt.

»Ja, es gab keine andere. Denn erstens war ich dreizehn und sie dreizehneinhalb, und ein Mädchen von dreizehnein‑ halb ist eine Frau und ein Junge von dreizehn ein Rotzbengel. Und zweitens liebte sie ein Altsaxofon, einen gewissen Papi, einen grässlichen Kerl mit grindigem Haar, wie mir schien, und sie hatte nur Augen für ihn, der lasziv blökte, denn das Saxofon, wenn es nicht von Ornette Coleman gespielt wird, sondern in einer Blaskapelle – noch dazu von einem so grässlichen Kerl wie dem Papi –, dann ist es (so jedenfalls schien es mir damals) ein meckerndes und obszönes Instrument, es klingt sozusagen wie ein Mannequin, das zu saufen angefangen hat und auf den Strich geht.«

»Wie klingen denn Mannequins, die auf den Strich gehen? Was weißt du darüber?«

»Na, kurz und gut, Cecilia wusste nicht einmal, daß ich existierte. Sicher, wenn ich abends den Hügel raufstieg, um die Milch beim Bauern zu holen, dachte ich mir wunderschöne Geschichten aus, mit ihr, wie sie von den Schwarzen Brigaden geraubt wurde und ich hinlief, um sie zu retten, während die Kugeln mir um die Ohren pfiffen und tschakt‑tschak machten, wenn sie in die Stoppeln fielen, und ich enthüllte ihr, was sie nicht wissen konnte, nämlich daß ich unter falschem Namen die Resistenza im ganzen Monferrat leitete, und sie gestand mir, daß sie es immer gehofft hatte, und dann schämte ich mich, weil ich etwas wie Honig in meinen Adern fließen fühlte – ich schwöre euch, mir wurde nicht mal die Vorhaut feucht, es war was anderes, etwas viel Schrecklicheres und Grandioseres –, und ich rannte nach Hause, um zu beichten... Ich glaube, Sünde, Liebe und Ruhm sind genau dies: Wenn du dich an zusammengeknüpften Bettlaken aus dem Fenster des Folterzentrums der SS herab‑ lässt, und die Geliebte hängt dir am Hals, im Leeren schwebend, und sie flüstert dir ins Ohr, sie hätte schon immer von dir geträumt. Der Rest ist bloß Sex, Kopulation, Perpetuierung der infamen Saat... Na jedenfalls, wenn ich Trompete gespielt hätte, hätte Cecilia mich nicht übersehen können, ich stehend und strahlend, das elende Saxofon sitzend. Die Trompete ist kriegerisch, engelhaft, apokalyptisch, siegreich, sie bläst zur Attacke, das Saxofon lässt Vorstadtbubis mit Brillantinehaar tanzen, Wange an Wange mit schwitzenden Mädchen. Also lernte ich Trompeten, lernte wie ein Verrückter, bis ich schließlich vor Don Tico hintrat und sagte, hören Sie zu, und ich spielte wie Oscar Levant bei der ersten Probe am Broadway mit Gene Kelly. Und Don Tico sagte: Du bist ein Trompeter. Aber... «

»Wie dramatisch!«sagte Lorenza.»Erzähl weiter! Spann uns nicht so auf die Folter!«

»Aber ich musste jemanden finden, der mich am Baryton ersetzte. Sieh zu, wie du's schaffst, hatte Don Tico gesagt, arrangier dich. Und ich arrangierte nich. Ihr müsst nämlich wissen, meine lieben Kinderlein, in *** lebten damals zwei törichte Knaben, Klassenkameraden von mir, obschon sie zwei Jahre älter waren als ich, was euch einiges über ihre Lernfähigkeiten sagt. Diese beiden Esel hießen Annibale Cantalamessa und Pio Bo. Eins: historisch.«

»Was?«fragte Lorenza.

Ich erklärte, komplizenhaft:»Wenn Emilio Salgari in einem seiner Romane eine wahre Tatsache berichtet (oder eine, die er für wahr hielt) sagen wir, daß Sitting Bull nach der Schlacht am Little Big Horn das Herz des Generals Custer verzehrte –, dann macht er am Ende der Episode eine Fußnote, und die lautet: 1. Historisch.«

»Genau«, sagte Belbo.»Und es ist historisch gesichert, daß Annibale Cantalamessa und Pio Bo so hießen, und das war nicht mal das Schlimmste an ihnen. Sie waren Faulpelze, sie klauten Comics am Zeitungskiosk, sie klauten Patronenhülsen von denen, die sich eine schöne Sammlung angelegt hatten, und sie legten das Salamibrötchen auf das Buch der Abenteuer zu Land und zur See, das man ihnen geborgt hatte, nachdem man es gerade erst nagelneu zu Weihnachten geschenkt gekriegt hatte. Der Cantalamessa nannte sich Kommunist, der Bo Faschist, aber beide waren bereit, sich für eine Zwille an den Gegner zu verkaufen, sie erzählten schlüpfrige Geschichten, mit ungenauen anatomischen Kenntnissen, und sie stritten sich um die Wette, wer am Abend zuvor länger masturbiert hätte. Sie waren zu allem bereit, warum also nicht auch zum Baryton? So beschloss ich, sie zu verführen. Ich pries die Uniform der Musikanten vor ihnen, ich nahm sie mit zu den Auftritten, ich versprach ihnen amouröse Erfolge bei den Töchtern Mariens... Sie gingen ins Netz. Ich verbrachte die Tage mit ihnen im kleinen Theater, mit einem langen dünnen Rohrstock, wie ich ihn in den Illustrationen der frommen Bändchen über die Missionare gesehen hatte, und gab ihnen kleine Schläge auf die Finger, wenn sie eine Note falsch spielten – das Baryton hat nur drei Ventile, man bewegt die drei mittleren Finger, aber ansonsten ist alles eine Frage des richtigen Ansatzes, wie ich schon sagte. Nun, ich will euch nicht länger hinhalten, meine lieben kleinen Zuhörer: Es kam der Tag, da ich Don Tico zwei Barytonisten präsentieren konnte, sie waren nicht gerade perfekt, aber zumindest beim ersten Vorspiel, das wir an end‑ und schlaflosen Nachmittagen eingeübt hatten, waren sie akzeptabel. Don Tico nahm sie, steckte sie in die Uniform und gab mir die Trompete. Und noch in derselben Woche beim Fest der Maria Ausiliatrice zur Eröffnung der Theatersaison mit dem Stück Der kleine Pariser, vor geschlossenem Vorhang und vor den versammelten Autoritäten der Stadt, stand ich auf und spielte den Anfang von Buon Principio. «

»Fantastisch!«rief Lorenza, das Gesicht ostentativ überströmt von zärtlicher Eifersucht.»Und Cecilia?«

»War nicht da. Vielleicht war sie krank, was weiß ich? Sie war nicht da.«

Belbo sah auf und ließ den Blick über sein Publikum schweifen, denn jetzt fühlte er sich als Barde oder als Gaukler. Er kalkulierte die Pause, dann fuhr er fort:»Zwei Tage später ließ Don Tico mich rufen und eröffnete mir, daß Annibale Cantalamessa und Pio Bo den ganzen Abend ruiniert hätten. Sie hätten das Tempo nicht halten können, sie hätten sich in den Pausen mit Witzchen und Mätzchen zerstreut und danach den Einsatz verpasst. ›Das Baryton‹, sagte Don Tico, ›ist das Rückgrat der Blaskapelle, es ist ihr rhythmisches Gewissen, ihre Seele. Die Kapelle ist wie eine Herde, die Instrumente sind die Schafe, der Kapellmeister ist der Hirte, aber das Baryton ist der treue, knurrende Hund, der die Schafe zusammenhält. Der Kapellmeister schaut vor allem zum Baryton, und wenn ihm das Baryton folgt, dann folgen ihm auch die Schafe. Jacopo, mein Junge, ich muß dich um ein großes Opfer bitten, du musst wieder ans Baryton, zusammen mit diesen beiden. Du hast Sinn für Rhythmus, du musst sie mir zusammenhalten. Ich schwöre dir, sobald sie selbstständig werden, kannst du wieder Trompete spielen.‹ Ich verdankte Don Tico alles. Ich sagte ja. Und beim nächsten Fest standen die Trompeter wieder auf und spielten den Anfang von Buon Principio vor Cecilia, die wieder vorn in der ersten Reihe saß. Ich war im Dunkeln, ein Baryton unter Barytonen. Was die beiden Esel betraf, sie wurden nie selbstständig. Ich kam nicht wieder an die Trompete. Der Krieg war vorbei, wir zogen zurück in die Stadt, ich gab die Blechblasinstrumente auf, und von Cecilia wusste ich nicht mal – und erfuhr ich auch nie – den Nachnamen.«

»Mein armer Schatz«, sagte Lorenza und umarmte ihn von hinten.»Aber ich bin dir doch geblieben.«

»Ich dachte, du magst Saxofone«, sagte Belbo. Drehte dann leicht den Kopf und küsste sie auf die Hand. Und wurde wieder ernst.»An die Arbeit! Wir haben eine Geschichte der Zukunft zu machen, nicht eine Chronik der verlorenen Zeit.«

Am Abend feierten wir dann die Aufhebung des Alkoholverbots. Belbo schien seine elegische Stimmung vergessen zu haben und maß sich mit Diotallevi. Sie dachten sich absurde Maschinen aus, um bei jedem Schritt zu entdecken, daß sie schon erfunden waren. Um Mitternacht, nach einem erfüllten Arbeitstag, beschlossen wir alle auszuprobieren, was man empfindet, wenn man in den Hügeln schläft.

Ich ging in mein Zimmer und kroch in die klammen Laken, die noch feuchter waren als am Nachmittag. Belbo hatte uns mit Nachdruck geraten, rechtzeitig den»Priester«reinzutun, einen Bettwärmer in Gestalt eines Topfes voll Glut, den man in einem ovalen Drahtgestell unter die Decke schiebt, und sicher hatte er es getan, um uns die Freuden des Landlebens voll genießen zu lassen. Doch wenn die Feuchtigkeit latent ist, macht der Priester sie manifest: man spürt eine köstliche Wärme, aber die Laken fühlen sich an wie aus dem Wasser gezogen. Nun ja. Ich knipste eine Stehlampe an, so eine mit Fransen am Schirm, wo die Eintagsfliegen flügelschlagend verenden, wie es der Dichter will, und versuchte einzuschlafen, indem ich Zeitung las.

Nach ein bis zwei Stunden hörte ich Schritte im Flur, ein Auf‑ und Zuklappen von Türen, und beim letzten Mal (beim letzten, das ich hörte) eine heftig zugeschlagene Tür. Lorenza war offenbar dabei, Belbos Nerven auf die Probe zu stellen.

Ich war gerade am Einschlafen, da hörte ich ein Kratzen an meiner Tür. Es klang wie von einem Tier (aber ich hatte weder Hunde noch Katzen in der Villa gesehen), und mir kam es wie eine Einladung vor, eine Aufforderung, ein Köder. Vielleicht war es Lorenza, die da kratzte, weil sie wusste, daß Belbo sie beobachtete. Vielleicht auch nicht Bisher hatte ich Lorenza immer als Belbos Eigentum betrachtet – jedenfalls in Bezug auf mich –, und seit ich mit Lia zusammenlebte, war ich taub für andere Reize geworden. Die maliziösen und oft komplizenhaften Blicke, die Lorenza mir manchmal im Büro oder in der Bar zuwarf, wenn sie Belbo auf den Arm nahm, Blicke wie auf der Suche nach einem Verbündeten oder Zeugen, gehörten – so hatte ich immer gedacht – zu einem Gesellschaftsspiel. Außerdem konnte Lorenza jeden beliebigen so ansehen, als wollte sie seine amourösen Fähigkeiten testen – aber auf eine kuriose Art, als wollte sie sagen:»Ich will dich, aber nur um dir zu zeigen, daß du Angst vor mir hast«... An jenem Abend hingegen, als ich dieses Scharren hörte, dieses Kratzen mit den Fingernägeln auf dem Türlack, hatte ich ein anderes Gefühl: Mir wurde klar, daß ich Lorenza begehrte.

Ich zog das Kissen über den Kopf und dachte an Lia. Ich möchte ein Kind mit ihr haben, sagte ich mir. Und ihm (oder ihr) werde ich sofort Trompetespielen beibringen, kaum daß es pusten kann.

 

57

 

 

Der Weg aber, so zum Schlosse gieng, war zu beiden seiten... mit schönen Bäumen von allerley Früchten besetzet, auch allweg drey Bäum auff beiden seiten, daran Laternen gehefftet, darinnen schon allbereit alle Lichter durch ein schön Jungfraw... im Blawen Kleyd mit einer herrlichen Fackel angezündt worden. Das war so herrlich vnd Meisterlich anzusehen, daß ich mich wider die notturft etwas länger auffgehalten.

Johann Valentin Andreae, Die Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz, Straßburg 1616, 2, p. 21

 

Gegen Mittag erschien Lorenza lächelnd auf der Terrasse und verkündete uns, sie habe einen prächtigen Zug gefunden, der um halb eins in *** vorbeikomme und sie mit nur einmal Umsteigen am frühen Nachmittag nach Mailand zurückbringen würde. Ob wir sie zum Bahnhof brächten.

Belbo blätterte weiter in unseren Papieren und sagte, ohne aufzuschauen:»Mir schien, daß Agliè auch dich erwartet, mir schien sogar, daß er den ganzen Ausflug nur für dich organisiert hat.«

»Pech für ihn«, sagte Lorenza.»Wer bringt mich runter?«

Belbo erhob sich und sagte:»Bin gleich zurück. Dann können wir noch zwei Stündchen hierbleiben. Lorenza, hattest du eine Tasche?«

Ich weiß nicht, ob sie sich während der Fahrt zum Bahnhof noch anderes sagten. Belbo war nach zwanzig Minuten zurück und ging wieder an die Arbeit, ohne den Zwischenfall zu erwähnen.

Um zwei Uhr fanden wir ein gemütliches Restaurant am Marktplatz, und die Wahl der Speisen und Weine erlaubte Belbo, weitere Kindheitserinnerungen zu evozieren. Aber er sprach, als zitierte er aus der Biografie eines anderen. Er hatte die Erzählfreude und den glücklichen Ton vom Vortag verloren. Gegen drei machten wir uns auf den Weg zu dem vereinbarten Treffpunkt mit Agliè und Garamond.

Belbo fuhr in südwestlicher Richtung, während die Landschaft sich allmählich Kilometer um Kilometer veränderte. Waren die Hügel um *** eher sanft und auch im Herbst noch lieblich gewesen, so wurde der Horizont nun immer weiter, obwohl nach jeder Kurve höhere Gipfel erschienen, auf denen sich Burgen und kleine Dörfer verschanzten. Doch zwischen den Gipfeln taten sich endlose Horizonte auf – jenseits des Heckenzaunes, wie Diotallevi bemerkte, der unsere Entdeckungen in wohlgesetzte Worte fasste. So öffneten sich, während wir im dritten Gang eine Steigung hinauffuhren, bei jeder Kehre weite Ebenen mit einem wenigen Profil, das am Horizont in einem fast schon winterlichen Nebel verschwamm. Es wirkte wie eine von Dünen modulierte Ebene und war doch schon halb das Gebirge. Als hätte die Hand eines ungeschickten Demiurgen Gipfel, die ihm zu hoch geraten vorkamen, zu einem buckligklumpigen Quittenmus zerdrückt, das sich ohne Halt bis zum Meer hinunter erstreckte oder, wer weiß, bis hinauf zu den Hängen rauerer und markanterer Höhen.

Wir erreichten das Dorf, wo uns Agliè und Garamond in der Bar an der Piazza erwarteten. Daß Lorenza nicht mitgekommen war, nahm Agliè zur Kenntnis, ohne sich seine Enttäuschung anmerken zu lassen:»Unsere exquisite Freundin möchte die Geheimnisse, die ihr Wesen definieren, nicht mit andern teilen. Eine singuläre Schamhaftigkeit, die ich schätze«, sagte er. Das war alles.

Wir fuhren durch weitere Täler und Hügel, Garamonds Mercedes voran und Belbos Renault hinterher, bis wir, als es bereits zu dämmern begann, hoch oben auf einem steilen Berg ein seltsames Bauwerk erblickten, eine Art Barockschlösschen, gelb getönt, von welchem sich Stufen den Hang herabsenkten, Terrassen, wie mir von weitem schien, mit Blumen und Bäumen in üppiger Pracht trotz der Jahreszeit.

Als wir am Fuß des Hanges ankamen, fanden wir uns auf einem weiten Parkplatz, wo bereits viele Autos standen.»Hier halten wir«, sagte Agliè.»Den Rest gehen wir zu Fuß.«

Die Dämmerung ging schon in Dunkelheit über. Der Anstieg lag vor uns im Licht zahlreicher Fackeln, die längs des Weges entzündet waren.

Es ist seltsam, doch alles, was dann geschah, von jenem Moment an bis in die tiefe Nacht, habe ich gleichzeitig klar und verschwommen in Erinnerung. Vorgestern Abend im Periskop rief ich es mir ins Gedächtnis zurück und empfand dabei eine Art von Familienähnlichkeit zwischen den beiden Erfahrungen. Siehst du, sagte ich mir, jetzt bist du hier, in einer unnatürlichen Situation, ein bisschen betäubt vom leichten Modergeruch alten Holzes, ein bisschen argwöhnend, du befändest dich in einem Grab oder im Bauch eines Gefäßes, in dem sich eine Verwandlung vollzieht. Würdest du nur den Kopf hinausstrecken, du würdest da draußen Gegenstände, die dir vorhin noch reglos erschienen, im Halbdunkel sich bewegen sehen wie eleusinische Schatten zwischen den Dämpfen eines Zaubergebräus. So ähnlich war es auch an jenem Abend im Schloss gewesen: Die Lichter, die Überraschungen während des Aufstiegs, die Worte, die ich hörte, und später gewiss auch die Weihrauchdünste, alles tat sich zusammen, um mich glauben zu machen, ich wäre in einem Traum, aber auf seltsame Weise, so wie man dem Erwachen nahe ist, wenn man träumt, daß man träumt.

Eigentlich dürfte ich mich an nichts erinnern. Doch ich erinnere mich an alles, als hätte ich es nicht selbst erlebt, sondern es mir von einem anderen erzählen lassen.

Ich weiß nicht, ob das, woran ich mich mit solch konfuser Deutlichkeit erinnere, an jenem Abend wirklich geschah, oder ob ich nur wünschte, es wäre geschehen, aber sicher war es an jenem Abend, daß der Große Plan in unseren Köpfen Gestalt annahm, als Wille, jener unförmigen Erfahrung eine Form zu geben, indem wir die Fantasie, die jemand dort hatte Wirklichkeit sein lassen wollen, in fantasierte Wirklichkeit umwandelten.

»Der Aufstieg ist rituell«, erklärte Agliè, als wir uns auf den Weg machten.»Dies hier sind hängende Gärten, die gleichen (oder beinahe), die Salomon de Caus für den Schlosspark in Heidelberg entworfen hatte – ich meine, für den pfälzischen Kurfürsten Friedrich V. im großen Jahrhundert der Rosenkreuzer. Das Licht ist schwach, doch so muß es sein, denn ahnen ist besser als sehen: Unser Gastgeber hat den Entwurf von de Caus nicht originalgetreu nachgebaut, sondern auf engeren Raum konzentriert. Der Hortus palatinus imitierte den Makrokosmos; der ihn hier nachbaute, hat nur jenen Mikrokosmos imitiert. Sehen Sie die Grotte dort, mit dem Muschelwerk à rocaille... Dekorativ, ohne Zweifel. Aber de Caus hatte jenes Emblem der Atalanta Fugiens von Michael Maier vor Augen, in dem die Koralle der Stein der Weisen ist. De Caus wusste, daß man durch die Form der Gärten die Gestirne beeinflussen kann, denn es gibt Zeichen, die durch ihre Konfiguration die Harmonie des Universums nachahmen.«

»Wunderbar«, sagte Garamond.»Aber wie kann ein Garten die Gestirne beeinflussen?«

»Es gibt Zeichen, die sich zueinander beugen, einander betrachten und sich umarmen, und sie zwingen zur Liebe. Sie haben keine bestimmte, determinierte Form, sie dürfen keine haben. Jedes von ihnen, je nachdem, wie es ihm sein Furor gebietet oder der Elan seines Geistes, erprobt bestimmte Kräfte, wie es mit den Hieroglyphen der Ägypter geschah. Es kann keine andere Beziehung zwischen uns und den göttlichen Wesen geben als durch Siegel, Figuren, Gestalten und Zeremonien. Aus demselben Grunde sprechen die Gottheiten zu uns durch Träume und Rätsel. Und nichts anderes sind diese Gärten. Jedes Element dieser Terrasse reproduziert ein Geheimnis der alchimistischen Kunst, nur sind wir leider nicht mehr imstande, es zu lesen, nicht einmal unser Gastgeber. Eine singuläre Hingabe an das Verborgene, das müssen Sie zugeben, beherrscht diesen Mann, der alles ausgibt, was er jahrelang akkumuliert hat, um Ideogramme zeichnen zu lassen, deren Sinn er nicht kennt«

Date: 2015-12-13; view: 360; Íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ; Ïîìîùü â íàïèñàíèè ðàáîòû --> ÑÞÄÀ...



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