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Chessed 5 page





»Die Glücklichen«, sagte Amparo.

»Ja, sie sind glücklich«, sagte Agliè.»Sie treten in Kontakt mit dem Mutterboden. Bedenken Sie, diese Gläubigen sind entwurzelt worden, ins grauenhafte Gewimmel der Großstadt geworfen, und wie Oswald Spengler sagte: Im Moment der Krise wendet sich das merkantile Abendland wieder an die Welt der Erde.«

Wir kamen an. Von außen sah der Tempel wie ein normales Gebäude aus. Auch hier trat man durch ein Gärtchen ein, ein kleineres als in Bahia, und vor der Tür des barracão, einer Art Lagerschuppen, fanden wir die Statuette des Exu, schon umgeben mit Opfergaben.

Während wir eintraten, zog mich Amparo beiseite:»Ich hab schon alles kapiert. Hast du nicht gehört? Dieser Tapir gestern Nachmittag sprach von einer arischen Epoche, der hier spricht vom Untergang des Abendlandes, von Erde, Blut und Boden, das ist reinster Nazismus!«

»So einfach ist das nicht, mein Schatz, wir sind in einem anderen Kontinent.«

»Danke für die Information. Die Große Weiße Bruderschaft! Sie hat euch dazu gebracht, euren Gott zu verspeisen.«

»Das waren die Katholiken, mein Schatz, das ist nicht dasselbe.«

»Es ist dasselbe, hast du's nicht gehört? Pythagoras, Dante, die Jungfrau Maria, die Freimaurer, alles dasselbe. Alles um uns zu betrügen. Make Umbanda, not love!«

»Also jetzt bist du es, die alles in einen Topf wirft. Lass uns das mal ansehen, komm. Auch das ist Kultur.«

»Es gibt nur eine Kultur: den letzten Priester aufzuhängen an den Gedärmen des letzten Rosenkreuzers!«

Agliè winkte uns hinein. Wenn das Äußere unscheinbar war, so prangte das Innere in flammenden Farben. Es war ein rechteckiger Saal mit einer für den Tanz der cavalos reservierten Zone vor dem Altar an der Rückwand, die durch ein Gitter abgeteilt wurde, hinter dem sich das Podium der Trommler, der atabaques, erhob. Der rituelle Raum war noch leer, während diesseits des Gitters bereits eine dichte Menge wogte, Gläubige, Neugierige, Weiße und Schwarze gemischt, durch die sich die cavalos mit ihren Assistenten, den cambonos, drängten, weiß gekleidet, einige barfuß, andere mit Tennisschuhen. Sofort fiel mir der Altar auf – Pretos velhos, Caboclos mit bunten Federkronen, Heilige, die wie Zuckerhüte aussahen, wären nicht ihre pantagruelischen Dimensionen gewesen, Sankt Georg mit funkelnder Rüstung und scharlachrotem Mantel, die Heiligen Kosmas und Damian, eine Madonna, durchbohrt von Schwertern, und ein schamlos hyperrealistischer Christus mit ausgebreiteten Armen wie der Erlöser auf dem Corcovado, aber farbig bemalt. Es fehlten die Orixás, aber man spürte ihre Präsenz in den Gesichtern der Anwesenden, im süßlichen Geruch des Zuckerbackwerks und im Schweißgeruch all der Transpirationen wegen der Hitze und der Erregung über die bevorstehende Gira.

Es erschien der Pai‑de‑santo, der sich neben den Altar setzte, wo er einige Gläubige empfing und danach die Gäste, die er mit dichten Schwaden seiner Zigarre parfümierte, segnete und zu einer Tasse Likör einlud wie zu einem raschen eucharistischen Ritus. Wir knieten nieder und tranken. Ich bemerkte, als ich einen Cambono aus einer Flasche einschenken sah, dass es Dubonnet war, aber ich tat, als schlürfte ich ein kostbares Lebenselixier. Auf dem Podium begannen die Atabaques mit dumpfen Schlägen zu trommeln, während die Initiierten einen beschwörenden Hymnus an Exu und die Pomba Gira anstimmten: Seu Tranca Ruas é Mojuba! É Mojuba, é Mojuba! Sete Encruzilhadas é Mojuba! É Mojuba, é Mojuba! Seu Maraboe é Mojuba! Seu Tiriri, é Mojuba! Exu Veludo, é Mojuba! A Pomba Gira é Mojuba!

Es begannen die rituellen Räucherungen, die der Pai‑de‑santo mit einem Schwenkfässchen vornahm, dem ein schwerer Geruch indianischen Weihrauchs entströmte, wozu er spezielle Gebete an Oxalá und an Nossa Senhora sprach.

Die Atabaques beschleunigten das Tempo, und die Cava‑ los strömten in den abgeteilten Raum vor dem Altar, um sich dem Zauber der pontos zu überlassen, rhythmischer Strophen, die beim Tanzen im Chor gesungen werden. Die Mehrheit der Tanzenden waren Frauen, und Amparo machte ironische Bemerkungen über die Schwäche ihres Geschlechts (»Nicht wahr, wir sind sensibler«).


Unter den Frauen waren auch einige Europäerinnen. Agliè zeigte uns eine Blondine und sagte, sie sei eine deutsche Psychologin, die seit Jahren zu den Riten komme. Sie habe schon alles versucht, aber wenn man nicht prädisponiert und auserwählt sei, dann sei eben alles umsonst: sie werde nie in Trance fallen. Sie tanzte hektisch, den Blick ins Leere gerichtet, während die Atabaques ihren und unseren Nerven keine Pause gönnten. Scharfe Schwaden erfüllten den Saal, betäubten Aktive und Zuschauer, packten alle – glaube ich, jedenfalls mich – am Magen. Aber ich hatte das schon in den Sambaschulen von Rio erlebt, ich kannte die psychagogische Macht der Musik und des Lärms – dieselbe, der sich unsere Discofieberkranken am Samstagabend unterwerfen. Die blonde Deutsche tanzte mit weit aufgerissenen Augen, erflehte Vergessen mit jeder Bewegung ihrer hysterischen Glieder. Nach und nach fielen die anderen Tänzerinnen in Trance, warfen die Köpfe zurück, bewegten sich weich und fließend, schwammen in einem Meer von Selbstvergessenheit, und sie blieb steif, verkrampft und weinte beinahe, wie eine, die sich verzweifelt bemüht, einen Orgasmus zu kriegen, und sich windet und zuckt und doch trocken bleibt. Sie tat alles, um die Kontrolle über sich zu verlieren, und fand sie doch jeden Augenblick wieder, die arme Teutonin, krank an Wohltemperierten Klavieren.

Unterdessen vollzogen die Auserwählten ihren Sprung ins Leere, ihr Blick wurde stumpf, ihre Glieder erstarrten, sie bewegten sich mehr und mehr automatisch, aber nicht zufällig, denn sie offenbarten die Natur des höheren Wesens, das sie in Besitz genommen hatte: weich und fließend einige, die mit den Händen in Hüfthöhe seitlich ruderten wie beim Schwimmen, andere gebückt mit langsamen Schritten, und die Cambonos kamen und hüllten sie in weiße Tücher, um sie den Blicken der Menge zu entziehen, diese von einem überragenden Geist Berührten...

Manche zuckten am ganzen Körper, die von Pretos velhos Erfüllten stießen dumpfe Laute aus – hum! hum! hum! – und stapften gebeugt voran wie Greise, die sich auf einen Stock stützen müssen, schoben die Unterkiefer vor und bekamen ausgezehrte, zahnlose Gesichter. Die von Caboclos Besessenen stießen grelle Kriegsrufe aus – hiahouuu!! –, und die Cambonos eilten denen zu Hilfe, die der Gewalt des Geschenkes nicht standzuhalten vermochten.

Die Trommler trommelten, der Singsang der Pontos stieg in die rauchgeschwängerte Luft. Ich hatte Amparo untergefasst, und plötzlich spürte ich, wie ihre Hände zu schwitzen begannen, ihr Körper zitterte, ihre Lippen öffneten sich.»Mir ist nicht gut«, sagte sie,»ich möchte raus.«

Agliè bemerkte den Zwischenfall und half mir, sie hinauszubegleiten. Die Abendluft tat ihr gut.»Es ist nichts«, sagte sie.»Ich muss irgendwas gegessen haben. Und dann diese Gerüche, diese Hitze... «

»Nein«, sagte der Pai‑de‑santo, der uns gefolgt war.»Es ist, weil Sie mediale Eigenschaften haben. Sie haben gut auf die Pontos reagiert, ich habe Sie beobachtet.«


»Schluss damit!«rief Amparo und fügte ein paar Worte in einer mir unbekannten Sprache hinzu. Ich sah den Pai‑de‑santo erbleichen, oder grau werden, wie es in den alten Abenteuerromanen heißt, wenn Dunkelhäutige erbleichen.»Schluss, mir ist schlecht, ich hab was Falsches gegessen... Bitte, lasst mich ein bisschen frische Luft schnappen, geht ihr wieder rein. Ich warte hier draußen, ich bin nicht krank!«

Wir gaben nach und ließen sie draußen, aber als ich wieder hineinkam, nach der Unterbrechung im Freien, wirkten die Trommeln, die schwere Luft, der scharfe Schweißgeruch, der jetzt allen Leibern entströmte, wie ein Schluck Alkohol auf einen, der nach langer Abstinenz wieder zu trinken anfängt. Ich fasste mir an die Stirn, und ein alter Mann reichte mir ein agogõ, ein kleines vergoldetes Instrument, eine Art Triangel mit Schellen, die man mit einem metallenen Stäbchen schlug.»Steigen Sie aufs Podium«, sagte er.»Spielen Sie, das wird Ihnen guttun.«

Es lag eine homöopathische Weisheit in diesem Rat Ich schlug das Agogõ, bemüht, mich dem Rhythmus der Trommeln anzupassen, und langsam trat ich in das Geschehen ein, wurde ein Teil davon, beherrschte es durch Teilnahme, vertrieb meine innere Anspannung durch Bewegungen meiner Beine und Füße, befreite mich von dem, was mich umgab, indem ich es provozierte und ermunterte. Später sagte Agliè mir einiges über den Unterschied zwischen Erkennen und Erleiden.

Während die Medien nach und nach in Trance fielen, führten die Cambonos sie an die Ränder des Saales, ließen sie niedersitzen und boten ihnen Zigarren und Pfeifen an. Diejenigen Gläubigen, denen kein Besuch zuteil geworden war, strömten herbei, knieten vor ihnen nieder, flüsterten ihnen ins Ohr, hörten auf ihre Ratschläge, empfingen ihren wohltuenden Einfluß, ergossen sich in Bekenntnissen und gewannen daraus Erleichterung. Einige deuteten einen Anflug von Trance an, den die Cambonos maßvoll ermunterten, um sie dann entspannter in die Menge zurückzuführen.

Auf der Tanzfläche bewegten sich noch viele Kandidaten für die Ekstase. Die Deutsche zuckte krampfhaft in der Hoffnung, verzückt zu werden, aber vergeblich. Einige waren offensichtlich von Exu gepackt worden: Sie zeigten einen bösen, tückischen, hinterhältigen Ausdruck und bewegten sich ruckhaft voran.

Da aber sah ich Amparo.

Heute weiß ich, dass Chessed nicht nur die Sefirah der Gnade und der Liebe ist. Wie Diotallevi sagte, ist sie auch der Moment der plötzlichen Expansion des göttlichen Wesens, das sich ausdehnt zu seiner unendlichen Peripherie. Sie ist Sorge der Lebenden für die Toten, aber irgendwer muss auch gesagt haben, dass sie zugleich Sorge der Toten für die Lebenden ist.


Ich hatte, während ich das Agogõ schlug, nicht mehr auf das Geschehen im Saal geachtet, da ich ganz darauf konzentriert war, meine Selbstkontrolle zu artikulieren und mich der Musik zu überlassen. Amparo musste schon vor einer Weile wieder hereingekommen sein, und sicher hatte sie dieselbe Wirkung verspürt wie ich zuvor. Aber niemand hatte ihr ein Agogõ gegeben, und vielleicht hätte sie nun auch keins mehr gewollt. Von tiefen inneren Stimmen gerufen, hatte sie jeden Abwehrwillen abgelegt.

Ich sah sie mitten auf die Tanzfläche stürmen, plötzlich innehalten, das Gesicht unnatürlich emporgereckt, den Hals fast starr, dann selbstvergessen sich einer lasziven Sarabande überlassen, mit Handbewegungen, als wollte sie ihren Körper anbieten. A Pomba Gira, a Pomba Gira! riefen einige, froh über das Wunder, denn an diesem Abend hatte sich die Teufelin noch nicht manifestiert: O seu manto é de veludo, rebordodo todo em ouro, o seu garfo é de prata, muito grande é seu tesouro... Pomba Gira das Almas, vem toma cho cho...

Ich wagte nicht einzugreifen. Vielleicht beschleunigte ich die Schläge mit meinem metallenen Stäbchen, um mich körperlich mit meiner Geliebten zu vereinigen, oder mit dem chthonischen Geist, den sie verkörperte.

Die Cambonos nahmen sich ihrer an, streiften ihr das rituelle Gewand über, stützten sie, als sie aus ihrer kurzen, aber intensiven Trance erwachte, und führten sie zu einer Sitzbank, wo sie schweißüberströmt und keuchend Platz nahm. Sie weigerte sich, die Gläubigen zu empfangen, die herbeigeströmt kamen, um Orakel von ihr zu hören, und fing an zu weinen.

Der Ritus ging langsam zu Ende, ich verließ das Podium und lief rasch zu ihr hinüber. Agliè war schon bei ihr und massierte ihr sanft die Schläfen.

»So eine Schande!«jammerte sie.»Ich glaube nicht dran, ich wollte es nicht, aber was konnte ich machen?«

»Kommt vor, kommt vor«, sagte Agliè beruhigend.

»Aber dann gibt's keine Rettung«, schluchzte Amparo.»Ich bin immer noch eine Sklavin... Geh weg, du!«fuhr sie mich an.»Ich bin 'ne dreckige arme Negerin, gebt mir einen Herrn, ich verdien's nicht besser!«

»Das ist auch den blonden Achäern passiert«, tröstete sie Agliè.»Das ist die menschliche Natur... «

Amparo bat, zur Toilette geführt zu werden. Die Zeremonie war so gut wie beendet. Nur die Deutsche tanzte noch mitten im Saal, nachdem sie mit neidischen Blicken verfolgt hatte, wie es Amparo ergangen war. Aber sie bewegte sich nur noch verbissen.

Amparo kam nach zehn Minuten zurück, als wir andern uns schon von dem Pai‑de‑santo verabschiedeten, der sich hocherfreut zeigte über den großartigen Erfolg unseres ersten Kontakts mit der Welt der Toten.

Agliè fuhr schweigend durch die nun schon tiefe Nacht und wollte sich gleich verabschieden, als er vor unserem Hause hielt. Amparo sagte jedoch, sie würde lieber allein hinaufgehen.»Mach noch ein paar Schritte«, schlug sie mir vor,»und komm zurück, wenn ich schon schlafe. Ich werde eine Tablette nehmen. Entschuldigt mich, alle beide. Ich hab's ja gesagt, ich muss was Schlechtes gegessen haben. Alle diese Mädchen haben was Schlechtes gegessen und getrunken. Ich hasse mein Land. Gute Nacht«

Agliè verstand mein Unbehagen und schlug mir vor, noch in eine Bar an der Copacabana zu gehen, die die ganze Nacht über offen hatte.

Wir saßen schweigend da. Agliè wartete, bis ich meine batida zu schlurfen begann, dann brach er das Schweigen und die Verlegenheit.

»Die Rasse, oder die Kultur, wenn Sie so wollen, ist ein Teil unseres Unbewussten. Und ein anderer Teil ist von Archetypen bewohnt die für alle Menschen und alle Zeiten gleich sind. Heute Abend haben Klima und Umgebung in uns allen die Wachsamkeit geschwächt, Sie haben es an sich selbst gemerkt. Amparo hat entdeckt, dass die Orixás, die sie in ihrem Herzen vernichtet zu haben glaubte, noch in ihrem Bauche wohnen. Glauben Sie nicht, ich hielte das für etwas Positives. Sie haben mich respektvoll von diesen übernatürlichen Kräften reden hören, die hier in diesem Lande um uns vibrieren. Aber glauben Sie nicht, dass ich die Praktiken der Ekstase mit besonderer Sympathie sähe. Es ist nicht dasselbe, ob man ein Initiierter oder ein Mystiker ist. Die Initiation, das intuitive Verständnis der Mysterien, die der Verstand nicht zu erklären vermag, ist ein abgründiger Prozess, eine langsame Transformation des Geistes und des Körpers, die zum Erwerb höherer Eigenschaften führen kann und sogar zum Erwerb der Unsterblichkeit, aber sie ist etwas Intimes, Geheimes. Sie manifestiert sich nicht äußerlich, sie ist schamhaft, und vor allem besteht sie aus Luzidität und Distanz. Deswegen sind die Herren der Welt Initiierte, Eingeweihte, aber sie geben sich nicht der Mystik hin. Der Mystiker ist für sie ein Sklave, Ort einer Manifestation des Numinosen, durch welchen die Symptome eines Geheimnisses sichtbar werden. Der Initiierte ermuntert den Mystiker, er bedient sich seiner, wie Sie sich des Telefons bedienen, um Kontakte über Distanzen hinweg herzustellen, wie der Chemiker sich des Lackmuspapiers bedient, um zu erfahren, mit was für einer Substanz er's zu tun hat. Der Mystiker ist nützlich, denn er ist theatralisch, er stellt sich zur Schau. Die Initiierten dagegen erkennen sich nur untereinander. Der Initiierte kontrolliert die Kräfte, die der Mystiker nur erleidet. In diesem Sinne besteht kein Unterschied zwischen der Besessenheit dieser Cavalos und der Ekstase einer heiligen Theresa von Avila oder eines San Juan de la Cruz. Der Mystizismus ist eine degradierte Form des Kontaktes mit dem Göttlichen. Die Initiation dagegen ist das Ergebnis einer langen Askese des Geistes und des Herzens. Der Mystizismus ist ein demokratisches Phänomen, wenn nicht ein demagogisches, die Initiation ist aristokratisch.«

»Eine Sache des Geistes und nicht des Körpers?«

»Ja, in gewissem Sinne. Amparo hat ihren Geist grimmig bewacht und nicht auf ihren Körper geachtet. Die Laien sind schwächer als wir.«

Es war sehr spät geworden. Agliè eröffnete mir, dass er im Begriff stand, Brasilien zu verlassen. Er gab mir seine Adresse in Mailand.

Als ich nach Hause kam, schlief Amparo schon. Ich legte mich schweigend neben sie, ohne Licht anzumachen, und verbrachte die Nacht schlaflos. Mir war, als läge ein unbekanntes Wesen neben mir.

Am nächsten Morgen teilte Amparo mir trocken mit, sie werde nach Petropolis fahren, um eine Freundin zu besuchen. Wir verabschiedeten uns verlegen.

Sie ging davon mit einer Segeltuchtasche und einem Buch über politische Ökonomie unterm Arm.

Zwei Monate lang ließ sie nichts von sich hören, und ich suchte nicht nach ihr. Dann schrieb sie mir einen knappen, sehr allgemein gehaltenen Brief. Schrieb, sie brauche eine Zeit der Besinnung. Ich antwortete nicht.

Ich empfand keinen Schmerz, keinen Groll, keine Sehnsucht. Ich fühlte mich leer, luzide, gereinigt und blank geputzt wie ein Aluminiumtopf.

Ich blieb noch ein weiteres Jahr in Brasilien, aber nun mit dem Gefühl, immer schon halb auf dem Sprung nach Europa zu sein. Ich sah Agliè nicht wieder, ich sah Amparos Freunde nicht wieder, ich verbrachte lange Stunden am Strand, um mich zu sonnen.

Ich ließ Drachen steigen, die da unten sehr schön sind.

 

 







Date: 2015-12-13; view: 372; Нарушение авторских прав



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