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Chochmah 10 page
»Was sind konkrete Anhaltspunkte bei diesen Dingen? Ach, übrigens, apropos Neurosen, heute Abend muss ich zu einem Essen mit Doktor Wagner. Höchste Zeit, mich auf den Weg zu machen, ich werde ein Taxi an der Scala nehmen. Gehen wir, Sandra?« »Doktor Wagner?«, fragte ich, während wir uns verabschiedeten.»Er persönlich?« »Ja, er ist für ein paar Tage in Mailand, und vielleicht kann ich ihn überreden, uns etwas von seinen unveröffentlichten Schriften zu geben, für ein Aufsatzbändchen. Wäre ein schöner Coup.« Demnach stand Belbo schon damals in Kontakt mit Doktor Wagner. Ich frage mich, ob es wohl jener Abend gewesen war, an dem Wagner (französisch auszusprechen: Wagnère) Belbo gratis analysierte, ohne dass einer der beiden es wusste. Aber vielleicht war das auch später gewesen. Jedenfalls war es damals das erste Mal gewesen, dass Belbo auf seine Kindheit in *** zu sprechen kam. Merkwürdig, dass er dabei von Fluchten erzählte – fast glorreichen Fluchten, im Glorienschein der Erinnerung, doch ins Gedächtnis gekommenen, nachdem er – mit mir, aber vor meinen Augen, unrühmlich, wenn auch klug – erneut geflohen war.
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Danach sagte Bruder Etienne de Provins, vor die genannten Kommissare geführt und von diesen gefragt, ob er den Orden verteidigen wolle, nein, das wolle er nicht, und so ihn die Meister verteidigen wollten, sollten sie das nur tun, aber er sei vor der Verhaftung nur ganze neun Monate lang im Orden gewesen. Aussage am 27.11.1309
Unter Abulafias files hatte ich einen Text gefunden, der von drei anderen Fluchten erzählte. Daran dachte ich vorgestern Abend im Periskop, als ich es im Dunkeln knacken, knistern und rascheln hörte – und mir sagte, bleib ruhig, das ist die Art, wie Museen, Bibliotheken, alte Paläste nachts miteinander sprechen, das sind nur Schränke, die sich setzen, Rahmen, die auf die abendliche Feuchtigkeit reagieren, langsam abbröckelnder Putz und rissig werdendes Mauerwerk. Du kannst nicht fliehen, sagte ich mir, denn schließlich bist du ja hergekommen, um zu erfahren, was mit einem geschehen ist, der versucht hat, einer Reihe von Fluchten ein Ende zu setzen, indem er einen Akt sinnlosen (oder verzweifelten) Mutes beging, vielleicht um jene so oft hinausgeschobene Begegnung mit der Wahrheit herbeizuzwingen. Filename: Canaletto
Bin ich vor einem Polizeiangriff weggelaufen, oder erneut vor der Geschichte? Und was wäre der Unterschied? Bin ich aus moralischen Gründen zur Demonstration gegangen, oder um mich ein weiteres Mal vor der GELEGENHEIT auf die Probe zu stellen? Sicher, ich habe die großen Gelegenheiten verpasst, weil ich zu früh gekommen war, oder zu spät, aber schuld war mein Geburtsjahr. Ich wäre gern auf jenem Maisfeld gewesen, um zu schießen, auch auf die Gefahr hin, dabei meine Großmutter zu treffen. Ich war nicht aus Feigheit abwesend, sondern aus Altersgründen. D'accord. Und bei der Demonstration? Da bin ich erneut aus Altersgründen geflohen, dieser Kampf ging mich nichts an. Aber ich hätte ein Risiko eingehen können, auch ohne Enthusiasmus, nur um mir zu beweisen, dass ich damals auf dem Maisfeld zu wählen gewusst hätte. Hat es Sinn, die falsche Gelegenheit zu wählen, um sich zu überzeugen, dass man die richtige gewählt hätte? Wer weiß, wie viele von denen, die sich heute dem Kampf gestellt haben, es so machten. Aber eine falsche Gelegenheit ist nicht die GELEGENHEIT. Kann man feige sein, weil einem scheint, dass der Mut der andern in keinem Verhältnis zur Nichtigkeit des Anlasses steht? Wenn ja, dann macht Klugheit feige. Und so verpasst man die gute Gelegenheit, wenn man das Leben damit verbringt, auf sie zu lauern und über sie nachzugrübeln. Die Gelegenheit ergreift man instinktiv, und im Augenblick weiß man noch nicht, dass es die GELEGENHEIT ist. Vielleicht habe ich sie ja schon einmal ergriffen und weiß es bloß nicht? Wie kommt man dazu, ein schlechtes Gewissen zu haben und sich als Feigling zu fühlen, bloß weil man im falschen Jahrzehnt geboren ist? Antwort: du fühlst dich als Feigling, weil du einmal ein Feigling gewesen bist. Und wenn ich auch damals der GELEGENHEIT ausgewichen wäre, weil ich sie als inadäquat empfand? Das Haus in *** beschreiben, wie es einsam auf dem Hügel zwischen den Weingärten steht – sagt man nicht, die Hügel hätten die Form von Brüsten? –, und dann die Straße, die zu den Ausläufern des Dorfes hinunterführt, zu den letzten Häusern am Rande der Siedlung – oder den ersten (klar, das wirst du nie wissen, solange du keinen Standpunkt wählst). Den kleinen Evakuierten beschreiben, wie er den Schutz der Familie verlässt und sich hinunterwagt in die verstreute Ortschaft, wie er durch die Hauptstraße schleicht, ängstlich und neidisch vorbei am Viottolo. Der Viottolo war der Versammlungsort der Viottolobande. Schmutzige laute Jungen vom Lande. Ich war zu städtisch, ich blieb ihnen besser fern. Aber um zur Piazza zu gelangen, mit dem Kiosk und dem Papierwarenladen, blieb mir nichts anderes übrig, wenn ich nicht einen geradezu kontinentalen und schmachvollen Umweg machen wollte, als über den Canaletto zu gehen. Die Jungs vom Viottolo waren kleine Aristokraten im Vergleich zu denen der Canalettobande, benannt nach einem kanalisierten Bach, der durch die ärmste Gegend der Siedlung floss. Die vom Canaletto waren wirklich verdreckt, subproletarisch gemein und brutal. Die vom Viottolo konnten die Zone der Canalettos nicht durchqueren, ohne attackiert und verprügelt zu werden. Am Anfang wusste ich noch nicht, dass ich zum Viottolo gehörte, ich war gerade erst angekommen, aber die vom Canaletto hatten mich gleich als Feind identifiziert. Ich schlenderte durch ihr Gebiet mit einer aufgeschlagenen Zeitung vor der Nase, so einer kleinen bunten Kinderzeitung, in der ich beim Gehen las, und sie hatten mich sofort im Visier. Ich fing an zu rennen und sie hinterher, sie schmissen mit Steinen, einer davon durchschlug die Zeitung, die ich im Rennen weiter aufgeschlagen hielt, um eine Art Haltung zu bewahren. Ich konnte mich retten, aber die Zeitung war hin. Am nächsten Tag beschloss ich, in die Viottolobande einzutreten. Ich präsentierte mich in ihrer Ratsversammlung und wurde mit Gewieher empfangen. Damals hatte ich dichtes, tendenziell senkrechtstehendes Haar, fast wie der Typ in der Reklame für die Buntstifte von Presbitero. Die Vorbilder, die mir das Kino, die Werbung und die Sonntagsspaziergänge nach der Messe boten, waren Jünglinge in schulterwattierten Zweireihern mit schmalen Lippenbärtchen und glatt anliegendem pomadisierten Haar. Damals nannte man die straff zurückgebürstete Frisur im Volksmund die mascagna. Ich wollte eine mascagna. Also kaufte ich mir auf der Piazza am Montag, wenn Markt war, für lächerliche Summen im Vergleich zur Lage der Aktienbörse, aber enorme für mich, Tuben mit einer körnigen Brillantine, hart wie Kunsthonig, und verbrachte Stunden damit, sie in meine widerspenstigen Haare zu streichen, bis sie glatt wie eine Kappe anlagen. Dann zog ich ein Netz darüber, um sie glattzuhalten. Die Jungs vom Viottolo hatten mich schon ein paarmal mit dem Netz gesehen und mir spöttische Wörter nachgerufen in ihrem rauen Dialekt, den ich einigermaßen verstand, aber nicht sprach. An jenem Tag, nachdem ich zwei Stunden mit dem Netz im Haus verbracht hatte, nahm ich es ab, überprüfte den süperben Effekt im Spiegel und begab mich zum Treffen mit denen, welchen ich Treue zu schwören gedachte. Als ich eintraf, hatte die Brillantine bereits ihre glutinöse Funktion beendet und mein Haar begonnen, sich wieder in seine vertikale Position aufzurichten, aber in Zeitlupe. Große Begeisterung bei den Viottolos, die mich umringten und sich auf die Schenkel schlugen. Ich bat um Aufnahme in ihre Bande. Leider sprach ich italienisch: ich war eben ein Andersartiger. Der Anführer trat vor, ein Junge namens Martinetti, der mir groß wie ein Turm vorkam, schimmernd mit nackten Füßen. Er entschied, dass ich hundert Tritte in den Hintern erdulden müsse. Vielleicht sollten sie die Schlange Kundalini wecken. Ich willigte ein. Stellte mich an die Mauer, rechts und links an den Armen von zween Mareschallen gehalten, und erduldete hundert Tritte mit nacktem Fuß. Martinetti erfüllte seine Aufgabe mit Enthusiasmus, Kraft und Methode, er trat nicht mit der Fußspitze zu, sondern mit dem Ballen, um sich nicht die Zehen zu verletzen. Das Ritual wurde rhythmisch vom Chor der Bandenmitglieder begleitet. Sie zählten die Tritte im Dialekt. Dann beschlossen sie, mich in einen Kaninchenstall einzusperren, für eine halbe Stunde, während welcher sie sich in gutturalen Gesprächen ergingen. Schließlich ließen sie mich raus, als ich über das Kribbeln in meinen erstarrten Beinen klagte. Ich war stolz auf mich, denn ich hatte die wilde Liturgie einer wilden Gruppe mit Würde bestanden. Ich war ein Mann, den sie Pferd nannten. Damals gab es in *** auch teutonische Recken, nicht sehr wachsame, denn die Partisanen hatten sich noch nicht bemerkbar gemacht – es war so gegen Ende 43 oder Anfang 44. Eine unserer ersten Unternehmungen war, uns in eine Baracke einzuschleichen, während draußen ein paar Genossen den Wachposten umschmeichelten, so einen blonden Langobarden, der ein enormes Brötchen verzehrte, mit – so schien uns, und wir erschauerten – Salami und Marmelade. Der Störtrupp bezirzte den Deutschen, indem er seine Waffen lobte, und wir andern in der Baracke (in die man von hinten eindringen konnte) raubten derweilen einige Brötchen mit Sprengstoff. Ich glaube nicht, dass der Sprengstoff je benutzt worden ist, aber in Martinettis Plänen ging es darum, ihn draußen auf dem Feld hochgehen zu lassen, zu pyrotechnischen Zwecken und, wie ich heute weiß, mit sehr primitiven, inadäquaten Methoden. Später folgten dann auf die Deutschen die italienischen Partisanenbekämpfer der Decima Mas (sie waren hart, die faschistischen Ledernacken, aber nicht so brutal wie die Schwarzen Brigaden, die auch Kriminelle aus den Gefängnissen rekrutierten und skrupellos gegen die Zivilbevölkerung vorgingen). Sie hatten einen Kontrollposten unten am Fluss eingerichtet, genau an der Kreuzung, wo abends um sechs die Schülerinnen aus dem Internat Maria Ausiliatrice herunterkamen. Nun ging es darum, die Burschen von der Decima (die kaum älter als achtzehn sein konnten) zu überreden, ein paar deutsche Handgranaten zu bündeln, solche mit langem Stiel, und sie dann so zu werfen, dass sie auf dem Wasser explodierten, genau in dem Moment, wenn die Mädchen kamen. Martinetti wusste präzis, was zu tun war und wie man die Zeiten kalkulierte. Er erklärte es den Schwarzhemden, und der Effekt war enorm: eine Fontäne schoss hoch aus dem Bachbett mit Donnergetöse, genau als die Mädchen um die Ecke bogen. Allgemeine Flucht mit großem Gekreische, und wir und die Schwarzhemden lachten uns tot. An jene glorreichen Tage hätten sich – nach dem Feuertod von Molay – noch die Überlebenden von Salò erinnert. Hauptsport der Viottolos war, Patronenhülsen und andere Kriegsüberbleibsel zu sammeln, woran nach dem 8. September kein Mangel war, zum Beispiel alte Stahlhelme, Patronengürtel und Proviantbeutel, manchmal auch noch intakte Patronen. Um eine intakte Patrone zu benutzen, ging man so vor: man nahm sie vorsichtig in die Hand, führte sie in ein Türschloss ein und drehte sie fest; dann ließ das Geschoss sich herausschrauben und kam in die Spezialsammlung. Die Hülse wurde vom Pulver entleert (manchmal enthielt sie auch ein Material in Form dünner Schnüre), das dann in Serpentinen ausgelegt und abgebrannt wurde. Die Hülse, die um so mehr galt, wenn die Kapsel noch intakt war, kam als Neuzugang in die Armee. Ein guter Sammler hatte viele davon, die er wie Zinnsoldaten aufstellte, sortiert nach Fabrikat, Farbe, Form und Größe. Da gab es die einfachen Fußsoldaten – die Hülsen der italienischen MP und der englischen Sten –, dann die Bannerträger und Ritter – Moschetto‑Karabiner, Sturmgewehr 91 (das Garand sahen wir erst bei den Amerikanern) – und schließlich, die begehrteste Trophäe, als hoch aufragende Großmeister die MG‑Hülsen. Während wir uns diesen Friedensspielen hingaben, eröffnete Martinetti uns eines Tages, dass der Moment gekommen sei. Die Duellforderung sei der Canalettobande zugestellt worden, und sie habe den Fehdehandschuh aufgenommen. Der Kampf werde auf neutralem Boden stattfinden, hinterm Bahnhof. Heute Abend um neun. Es war ein sommerlicher Spätnachmittag, schwülwarm und voller Erregung. Jeder von uns rüstete sich mit den fürchterlichsten Paraphernalien, schnitzte sich Knüppel, die gut in der Hand lagen, füllte sich die Patronen‑ und Provianttaschen mit Steinen in verschiedener Größe. Einer hatte sich aus dem Riemen eines Karabiners eine Peitsche gemacht, eine schreckliche Waffe, wenn sie entschlossen gehandhabt wurde. Zumindest in jenen Abendstunden fühlten wir uns allesamt als Helden, ich besonders. Es war die Erregung vor dem Angriff, stechend, schmerzlich, wunderbar – leb wohl, meine Schöne, leb wohl, hart und süß ist das Los des Kriegers, wir schickten uns an, unsere Jugend zu opfern, wie man es uns vor dem 8. September in der Schule gelehrt hatte. Martinettis Plan war raffiniert ausgedacht: wir würden den Bahndamm weiter nördlich überqueren, um sie von hinten zu fassen, unerwartet, praktisch bereits als Sieger. Dann drauf mit Gebrüll und keine Gnade. Bei Einbruch der Dämmerung kletterten wir wie geplant die steile Böschung hinauf, schwer beladen mit Steinen und Knüppeln. Oben angelangt, sahen wir sie schon hinter dem Bahnhofsklo stehen. Sie erblickten uns sofort, da sie genau in unsere Richtung spähten. So blieb uns nichts anderes übrig, als möglichst schnell runterzulaufen, ohne ihnen Zeit zu lassen, sich lange über die Evidenz unserer Taktik zu wundern. Niemand hatte uns vor dem Angriff mit Feuerwasser versorgt, aber wir stürmten trotzdem voran mit Gebrüll. Dann, etwa hundert Meter vorm Bahnhof, geschah es. Dort standen die ersten Häuser des Dorfes, und obwohl es nur wenige waren, bildeten sie doch schon ein kleines Gassengewirr. Es geschah, dass die kühnste Gruppe sich furchtlos auf die Feinde stürzte, während ich und – zu meinem Glück – ein paar andere die Gangart verlangsamten und hinter den Ecken der Häuser stehen blieben, um aus der Ferne zuzusehen. Hätte uns Martinetti in Vor‑ und Nachhut eingeteilt, wir hätten nur unsere Pflicht getan, aber so war's eine Art von spontaner Aufteilung. Die Mutigen vorn, die Feigen hinten. Und aus unserem Schlupfwinkel, ich noch ein Stückchen weiter hinter den andern, beobachteten wir den Kampf. Der nicht stattfand. Als sich die beiden Gruppen bis auf ein paar Meter genähert hatten, machten sie halt und standen sich zähnefletschend gegenüber. Die Anführer traten vor und verhandelten. Es war ein Jalta, sie beschlossen, sich die Einflusszonen zu teilen und gelegentliche Transite zu dulden, wie einst die Christen und Moslems im Heiligen Land. Die Solidarität zwischen den beiden Ritterheeren obsiegte (ist das ein Gallizismus?) über die Unausweichlichkeit der Entscheidungsschlacht. Jeder hatte eine schöne Mutprobe abgelegt. In schöner Eintracht zogen sie sich auf gegnerische Seiten zurück. In schöner Eintracht zogen die Gegner sich auf entgegengesetzte Seiten zurück. Sie gingen einträchtig auseinander. Heute sage ich mir, dass ich damals stehen geblieben war, weil ich lachen musste. Aber damals sagte ich mir das nicht. Ich fühlte mich einfach nur feige. Heute sage ich mir, noch feiger, wenn ich damals weitergelaufen wäre, hätte ich nichts riskiert und in den folgenden Jahren besser gelebt. Ich habe die GELEGENHEIT verpasst, mit zwölf Jahren. Und das ist, wie wenn man beim ersten Mal keine Erektion hat: man bleibt impotent fürs ganze Leben. Einen Monat danach, als die Viottolos und die Canalettos sich aufgrund einer zufälligen Grenzverletzung unversehens auf offenem Feld gegenüberstanden und Erdklumpen aufeinander zu schmeißen begannen, trat ich, vielleicht beruhigt durch den Verlauf der letzten Begegnung, vielleicht auch begierig auf Märtyrertum, in die erste Reihe vor. Es war ein unblutiger Zusammenstoß, außer für mich. Einer der Erdklumpen, der offenkundig ein Herz von Stein in sich barg, traf mich an der Lippe und spaltete sie. Ich floh, rannte heulend nach Hause, und meine Mutter musste lange mit einer Pinzette herumpulen, um mir die Krümel aus der Wunde zu holen, die sich innen im Mund gebildet hatte. Tatsache ist, dass ich noch heute ein kleines Knötchen vorn im Mund habe, unter dem rechten unteren Eckzahn, und wenn ich mit der Zunge drüberfahre, spüre ich ein Vibrieren, ein leichtes Erschauern. Aber dieses Knötchen erteilt mir keine Absolution, denn ich habe es mir aus Versehen zugezogen, nicht aus Mut. Ich fahre mit der Zunge drüber, und was tue ich? Ich schreibe. Aber schlechte Literatur erlöst nicht.
Nach jener Demonstration sah ich Belbo etwa ein Jahr lang nicht mehr. Ich hatte mich in Amparo verliebt und ging nicht mehr zu Pilade, beziehungsweise die wenigen Male, wenn ich mit Amparo auf einen Sprung hineingeschaut hatte, war Belbo nicht da gewesen. Und Amparo mochte das Lokal nicht. Ihr moralischer und politischer Rigorismus – vergleichbar nur ihrer Anmut und ihrem herrlichen Stolz – ließ sie Pilade als einen Club für demokratische Dandys empfinden, und den demokratischen Dandyismus betrachtete sie als ein Element, das subtilste, des kapitalistischen Herrschaftsgefüges. Es war ein Jahr voller Engagement, in großem Ernst und großer Freude. Ich arbeitete lustvoll, aber in Ruhe an meiner Dissertation. Eines Tages traf ich Belbo auf der Straße, nur wenige Schritte vor seinem Büro.»Hallo, sieh da«, rief er freudig,»mein Lieblingstempler! Gerade hat mir jemand ein Destillat von unsäglichem Alter geschenkt. Wie wär's, wollen Sie nicht auf einen Sprung mit raufkommen? Ich habe Pappbecher und den Nachmittag frei.« »Das ist ein Zeugma«, bemerkte ich. »Nein, ein Bourbon, ich glaube aus der Zeit vor dem Fall von Alamo.« Ich ging mit hinauf. Aber kaum hatten wir einen Schluck probiert, kam Gudrun herein und sagte, da wäre ein Herr. Belbo schlug sich mit der Hand an die Stirn. Er habe diese Verabredung ganz vergessen, sagte er, aber die Sache rieche nach einer Verschwörung. Soweit ich begriff, wollte der Typ ihm ein Buch präsentieren, in dem es auch um die Templer ging.»Ich werde ihn gleich abwimmeln«, meinte Belbo.»Aber helfen Sie mir mit scharfsinnigen Bemerkungen.« Es war bestimmt nur ein Zufall gewesen. Und so ging ich ins Netz.
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So verschwanden die Tempelritter mit ihrem Geheimnis, in dessen Schatten eine schöne Hoffnung auf die irdische Stadt pulsierte. Aber das Abstraktum, an das ihr Bemühen gekettet war, setzte sein unerreichbares Leben in unbekannten Regionen fort... und mehr als einmal im Laufe der Zeiten ließ es seine Inspiration in die Geister derer fließen, die sie aufzunehmen vermochten. Victor Emile Michelet, Le secret de la Chevalerie, 1930, 2
Er hatte ein Gesicht wie aus den vierziger Jahren. Nach den alten Illustrierten zu urteilen, die ich zu Hause im Keller gefunden hatte, mussten alle Leute in den vierziger Jahren so ein Gesicht gehabt haben. Muss der Hunger gewesen sein, der in Kriegszeiten herrscht: er macht die Wangen hohl und die Augen fiebrig. Ich hatte das Gesicht in Erschießungsszenen gesehen, auf beiden Seiten. In jenen Zeiten erschossen sich Männer mit gleichen Gesichtern gegenseitig. Gekleidet war er in einen blauen Anzug mit weißem Hemd und perlgrauer Krawatte, ich fragte mich unwillkürlich, warum er in Zivil gekommen war. Das unnatürlich schwarze Haar war an den Schläfen glatt zurückgebürstet in zwei maßvoll pomadisierten Strähnen und ließ auf dem blanken Schädel feine Streifen, regelmäßig wie Telegrafendrähte, die sich V‑förmig von der Stirn aus verteilten. Das Gesicht war braun gebrannt und gezeichnet, nicht nur von – explizit kolonialen – Furchen. Eine bleiche Narbe furchte die linke Wange, von der Lippe bis zum Ohr, und da er ein schwarzes Menjoubärtchen trug, war auch dessen linke Seite kaum merklich gefurcht an der Stelle, wo die Haut sich weniger als einen millimeterbreit geöffnet und wieder geschlossen hatte. Mensurschmiss oder Streifschuss? Er stellte sich vor: Oberst Ardenti, reichte Belbo die Hand und nickte mir zu, als Belbo mich als seinen Mitarbeiter definierte. Setzte sich, schlug die Beine übereinander, zog sich die Hose über den Knien zurecht und entblößte dabei ein Paar braune Socken, kurze. »Oberst... im aktiven Dienst?«, fragte Belbo. Ardenti entblößte einige teure Prothesen:»Eher in Pension. Oder, wenn Sie so wollen, in der Reserve. Sieht vielleicht nicht so aus, aber ich bin nicht mehr der Jüngste.« »Sieht nicht so aus«, sagte Belbo. »Dabei habe ich vier Kriege mitgemacht« »Da mussten Sie ja mit Garibaldi angefangen haben.« »Nein. Erst Leutnant, als Freiwilliger, in Abessinien. Dann Hauptmann, als Freiwilliger, in Spanien. Dann Major, erneut in Afrika, bis zur Aufgabe jener Küste. Silbermedaille. Dreiundvierzig dann... Sagen wir: ich hatte die Verliererseite gewählt. Habe alles verloren, außer der Ehre. Hatte jedoch den Mut, neu anzufangen. Fremdenlegion. Brutstätte für Helden. Sechsundvierzig Sergeant, achtundfünfzig dann Oberst, bei Massu. Offenbar wähle ich immer die Verliererseite. Als der Linke de Gaulle an die Macht kam, ließ ich mich pensionieren und ging nach Frankreich. Hatte mir gute Kontakte in Algerien aufgebaut und gründete eine Export‑Import‑Firma in Marseille. Diesmal hatte ich, glaube ich, die siegreiche Seite gewählt, denn jetzt lebe ich von der Rendite und kann mich meinem Hobby widmen – so sagt man doch heutzutage, oder? Und in den letzten Jahren habe ich die Ergebnisse meiner Forschungen zu Papier gebracht. Hier... «er öffnete seine Ledermappe und zog einen dicken Ordner hervor, der mir damals rot erschien. »Also«, sagte Belbo,»ein Buch über die Templer?« »Die Templer«, nickte der Oberst.»Eine Passion, die ich quasi seit meiner Jugend habe. Auch sie waren Glücksritter, die auf der Suche nach Ruhm durchs Mittelmeer zogen.« »Herr Casaubon beschäftigt sich mit den Templern«, sagte Belbo.»Er kennt die Thematik besser als ich. Erzählen Sie.« »Die Templer haben mich schon immer interessiert. Ein Häuflein edler Ritter, die das Licht Europas unter die Wilden der beiden Tripolis trugen...« »Die Gegner der Templer waren eigentlich gar nicht so wild«, sagte ich in konziliantem Ton. »Sind Sie je Gefangener der Rebellen im Maghreb gewesen?«, fragte er mich sarkastisch. »Bisher nicht.« Er fixierte mich, und ich war froh, nie in seiner Truppe gedient zu haben.»Entschuldigen Sie«, sagte er zu Belbo,»ich gehöre zu einer anderen Generation.«Er sah mich herausfordernd an.»Sind wir hier, um einen Prozess zu führen, oder um...« »Wir sind hier, um über Ihre Arbeit zu sprechen, Herr Oberst«, sagte Belbo.»Bitte erzählen Sie uns davon.« »Ich möchte eines gleich klarstellen«, sagte der Oberst und legte eine Hand auf seinen Ordner.»Ich bin bereit, zu den Publikationskosten beizutragen, ich schlage Ihnen kein Verlustgeschäft vor. Wenn Sie wissenschaftliche Garantien verlangen, kann ich sie Ihnen bringen. Gerade erst vor zwei Stunden habe ich mich mit einem einschlägigen Experten getroffen, der eigens aus Paris hergekommen ist. Er wird ein maßgebliches Vorwort schreiben können... «Er erriet Belbos Frage und winkte ab, als wollte er sagen, dass es im Augenblick besser sei, angesichts der Delikatheit des Falles keine Namen zu nennen. »Doktor Belbo«, sagte er dann,»hier auf diesen Seiten habe ich das Material für eine Geschichte. Eine wahre. Und keine banale. Besser als die amerikanischen Kriminalromane. Ich habe etwas gefunden, etwas sehr Wichtiges, aber es ist nur der Anfang. Ich möchte öffentlich mitteilen, was ich weiß, damit diejenigen, die dieses Puzzlespiel vervollständigen können, es lesen und sich bemerkbar machen. Ich möchte einen Köder auswerfen. Und ich muss es unverzüglich tun. Derjenige, der vor mir in Erfahrung gebracht hatte, was ich heute weiß, ist vermutlich umgebracht worden, eben damit er sein Wissen nicht verbreiten konnte. Wenn ich das, was ich weiß, zweitausend Lesern sage, wird niemand mehr daran interessiert sein, mich aus dem Weg zu räumen.«Er machte eine Pause.»Die Herren wissen etwas über die Verhaftung der Templer?« »Herr Casaubon hat mir kürzlich davon erzählt, und es hat mich frappiert, dass sich die Templer so widerstandslos verhaften ließen und offenbar nichts ahnten...« Der Oberst lächelte mitleidig.»In der Tat. Es ist kindisch zu glauben, dass Leute, die so mächtig waren, dass der König von Frankreich vor ihnen zitterte, nicht in der Lage gewesen sein sollten, rechtzeitig in Erfahrung zu bringen, dass vier Halunken den König gegen sie aufhetzten und dass der König daraufhin den Papst aufhetzte. Nein, ich bitte Sie! Da muss es doch einen Plan gegeben haben. Und zwar einen weitreichenden, hochgespannten, ja erhabenen Plan. Nehmen Sie an, die Templer hätten einen Plan zur Eroberung der Welt gehabt und das Geheimnis einer immensen Machtquelle gekannt, ein Geheimnis, für das kein Opfer zu groß war, für dessen Bewahrung es sich sogar lohnte, das ganze Pariser Hauptquartier aufzugeben, die über ganz Frankreich, Spanien, Portugal, England, Italien verstreuten Güter, und die Burgen im Heiligen Land, die monetären Guthaben, alles... Philipp der Schöne muss es geahnt haben, warum sonst sollte er eine Verfolgung auslösen, die schließlich die Blüte der französischen Ritterschaft in Misskredit brachte. Die Templer begreifen, dass der König begriffen hat und sie zu vernichten trachtet, es hat keinen Sinn, ihm frontal entgegenzutreten, der Plan erfordert Zeit, der Schatz, oder was immer es gewesen sein mag, muss erst noch genauer lokalisiert werden, oder man kann ihn nur langsam ausbeuten... Und die geheime Führung des Tempels, deren Existenz mittlerweile alle einräumen...« »Alle?« »Gewiss. Es ist undenkbar, dass ein so mächtiger Orden so lange überleben konnte, ohne ein geheimes Führungsgremium zu haben.« »Das Argument ist makellos«, sagte Belbo mit einem Seitenblick zu mir. »Ergo«, fuhr der Oberst fort,»sind auch die Folgerungen evident. Der Großmeister gehört natürlich zur geheimen Führung, ist aber nur die Deckung nach außen, das Aushängeschild. Gauthier Walther sagt in seinem Buch La chevalerie et les aspects secrets de l'histoire, der Welteroberungsplan der Templer habe als Endziel das Jahr Zweitausend anvisiert! Die Templer beschließen also, in den Untergrund zu gehen, und um das tun zu können, ist es erforderlich, dass der Orden in den Augen der Welt verschwindet. Sie opfern sich, das ist es, was sie tun, samt ihrem Großmeister. Einige lassen sich umbringen, vermutlich hat man sie ausgelost. Andere unterwerfen sich, tarnen sich durch den Eintritt in andere Orden. Wo landen die unteren Ränge? Die Laienbrüder, die Bau‑ und Zimmerleute, die Glaser...? Nun, so entsteht die Zunft der Freien Maurer, die sich über die Welt verbreitet, man kennt die Geschichte. Doch was geschieht in England? Der König widersetzt sich dem Druck des Papstes und gestattet den Templern, ihr Leben friedlich in ihren Ordensburgen zu beenden. Und die Templer in Frankreich lassen sich alles brav und bieder gefallen! Schlucken Sie das? Ich nicht. In Spanien beschließt der Orden, den Namen zu ändern, und wird zum Orden von Montesa. Tja, meine Herren, das waren Leute, die einen König zu überzeugen vermochten, die so viele Wechsel in ihren Tresoren hatten, dass sie ihn binnen einer Woche in den Bankrott hätten treiben können. Auch der König von Portugal ist kompromissbereit: Hört zu, liebe Freunde, sagt er, nennt euch fortan nicht mehr Ritter des Tempels, sondern Ritter Christi, und ich bin's zufrieden. Und in Deutschland? Kaum Prozesse, rein formale Abschaffung des Ordens, aber dort haben die Templer immerhin auch einen Bruderorden, die Deutschordensritter, die zu jener Zeit etwas mehr tun, als nur einen Staat im Staate zu gründen: Sie sind der Staat, sie beherrschen ein Gebiet, so groß wie das der Länder, die heute unter der Knute Russlands leben, und sie machen weiter so bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, bis die Mongolen kommen – aber das ist eine andere Geschichte, denn die Mongolen haben wir ja immer noch vor den Toren... Aber schweifen wir nicht ab...« Date: 2015-12-13; view: 384; Íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ |