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Chochmah 5 page
Aber es war nicht nur der Blick – Belbo konnte einen mit einer einzigen Geste, mit einer bloßen Interjektion aus den Angeln heben. Angenommen, du hattest dich zum Beispiel abgemüht zu beweisen, dass Kant tatsächlich die kopernikanische Wende in der modernen Philosophie vollzogen hat, und warst bereit, dein Leben darauf zu verwetten. Belbo, vor dir sitzend, konnte plötzlich seine Hände betrachten oder sein Knie fixieren, oder die Lider halb schließen und ein etruskisches Lächeln andeuten, oder ein paar Sekunden mit offenem Munde dahocken, die Augen zur Decke erhoben, und dann leicht stammelnd sagen:»Ach ja, dieser Kant...«Oder, wenn jemand sich engagiert zu einem Attentat auf das ganze System des transzendentalen Idealismus aufschwang:»Jaaa... und Sie werden dann wirklich all das Durcheinander gewollt haben...?«Wonach er dich auffordernd ansah, als hättest du und nicht er den Zauber gebrochen, und dich ermunterte:»Aber reden Sie weiter, reden Sie doch weiter. Da ist sicher was dran... da ist was... der Mann hatte Geist.« Manchmal, wenn er sich wirklich sehr ärgerte, reagierte er grob. Da aber das einzige, was ihn auf die Palme brachte, die Grobheit anderer war, blieb seine eigene Grobheit ganz innerlich und regional. Er presste die Lippen zusammen, drehte die Augen kurz zum Himmel, senkte dann rasch den Blick und den Kopf, von links oben nach unten, und sagte halblaut:» Ma gavte la nata. «Es war ein piemontesischer Ausdruck, den er bisweilen erklärte, wenn jemand ihn nicht verstand:» Ma gavte la nata, wörtlich: zieh dir mal den Pfropfen raus. Das sagt man, wenn einer sich aufbläht. Die Idee ist, dass er in diese abnorme Lage geraten ist, weil er einen Pfropfen im Hintern hat. Sobald er ihn rauszieht, pffffiisch, schrumpft er wieder zu normaler Menschengröße zusammen.« Mit solchen Interventionen konnte er einem ganz unversehens die Vanitas allen Seins enthüllen, und ich war davon fasziniert. Aber ich zog daraus eine falsche Lehre, denn ich nahm sie als Modell der höchsten Verachtung für die Banalität der Wahrheit anderer. Erst jetzt, nachdem ich mit den Geheimnissen Abulafias auch die Seele Belbos aufgedeckt habe, weiß ich, dass jene Haltung, die ich für illusionslose Nüchternheit hielt und mir zum Lebensprinzip erhob, für ihn eine Form der Melancholie war. Sein respektloser intellektueller Libertinismus verbarg ein verzweifeltes Streben nach Absolutheit. Es war schwer, das auf den ersten Blick zu erkennen, denn Belbo kompensierte die Momente der Flucht, des Zögerns, der Distanzierung mit Momenten entspannter Geselligkeit, in denen er sich damit amüsierte, in fröhlichem Unglauben alternative Absolutheiten zu produzieren. So etwa, wenn er mit Diotallevi Handbücher des Unmöglichen konzipierte, verkehrte Welten, bibliographische Teratologien. Und wenn man ihn dann so enthusiastisch und eloquent beim Bau seiner Sorbonne a la Rabelais sah, konnte man nicht ahnen, wie tief er unter seinem Exil aus der theologischen Fakultät, der wirklichen, litt. Erst jetzt ist mir klar: Ich hatte jene Adresse einfach weggeworfen, er hatte sie verloren und konnte den Verlust nie verschmerzen. In Abulafias Dateien habe ich viele Seiten eines Pseudo‑Tagebuches gefunden, das Belbo dem Schweigen der Disketten anvertraut hatte, in der Gewissheit, damit seine so oft proklamierte Berufung zum schlichten Betrachter der Welt nicht zu verraten. Einige tragen ein weit zurückliegendes Datum, offenbar alte Aufzeichnungen, die er in den Computer übertragen hatte, sei's aus Nostalgie oder in der Absicht, sie irgendwie zu redigieren. Andere sind aus den letzten Jahren, seit er Abulafia hatte. Er schrieb aus Freude am mechanischen Spiel, oder um einsam über seine Irrtümer zu reflektieren, er machte sich vor, damit nichts zu»kreieren«, denn Kreation, auch wenn sie Irrtümer produziert, geschieht immer aus Liebe zu jemand anderem. Doch allmählich ging Belbo, ohne es zu merken, zur anderen Hemisphäre über. Er kreierte – und hätte er es bloß nie getan: Sein Enthusiasmus für den Großen Plan entsprang genau diesem Bedürfnis, ein BUCH zu schreiben, mochte es auch nur aus einsamen, exklusiven, wilden und absichtlich gemachten Fehlern bestehen. Solange du bloß dir selbst in deiner Leere begegnest, kannst du noch denken, du hättest Kontakt mit dem Einen, aber kaum knetest du an der Materie herum, und sei's an der elektronischen, bist du schon ein Demiurg geworden, und wer sich vornimmt, eine Welt zu erschaffen, hat sich schon mit dem Irrtum und mit dem Bösen kompromittiert. Filename: Drei Frauen...
So ist's: toutes les femmes que j'ai rencontrées se dressent aux horizons – avec les gestes piteux et les regards tristes des sémaphores sous la pluie... (Alle Frauen, denen ich begegnet bin, erheben sich an den Horizonten mit den kläglichen Gesten und den traurigen Blicken der Ampeln im Regen... ‑ Blaise Cendrars) Schau hoch, Belbo. Erste Liebe, Maria Santissima. Mama, wie sie mich singend im Schoße wiegt, als ich schon längst kein Wiegenlied mehr brauchte, aber ich wollte, dass sie sang, denn ich liebte ihre Stimme und den Lavendelgeruch ihrer Brust:»O Königin des Empyreums, reinste und schönste – gegrüßet seist du, Tochter, Braut, Magd – gegrüßet seist du, Erlösermutter.« Natürlich, die erste Frau in meinem Leben war nicht meine – wie übrigens per definitionem auch keines anderen Frau. Hab mich sofort in die einzige Frau verliebt, die alles ohne mich schafft. Dann Marilena (Marylena? Mary Lena?). Lyrisch die Dämmerung zu beschreiben, das goldene Haar, die große hellblaue Schleife, ich aufrecht, die Nase hochgereckt vor der Bank, sie balancierend auf der Rückenlehne, die Arme ausgebreitet, um ihre Schwankungen auszugleichen (graziöse Extrasystolen), der Rock flatternd um ihre rosa Schenkel. Hoch oben, unerreichbar. Skizze: am selben Abend die Mama, wie sie den rosa Popo meiner Schwester pudert und ich sie frage, wann der Kleinen das Pimmelchen wächst, und die Mama enthüllt mir, dass die kleinen Mädchen keins kriegen, sondern so bleiben. Auf einmal sehe ich Mary Lena wieder, und das Weiß ihrer Höschen, das hervor blitzt unter dem flatternden blauen Rock, und ich begreife, dass sie blond und erhaben ist, unerreichbar, da anders. Keine Beziehung möglich, sie gehört zu einer anderen Rasse. Dritte Frau gleich verloren im Abgrund, in den sie versank. Soeben im Schlaf gestorben, blasse Ophelia zwischen den Blumen ihrer jungfräulichen Bahre, während der Priester das Totengebet rezitiert, da reckt sie sich plötzlich hoch aus dem Sarg, faltig und weiß, den Finger rächend erhoben, die Stimme hohl:»Pater, beten Sie nicht für mich. Heut Nacht vor dem Einschlafen hatte ich einen unreinen Gedanken, den einzigen in meinem Leben, und nun bin ich verdammt.«Das Büchlein der Ersten Kommunion wiederfinden. War da ein Bild, oder habe ich mir alles ausgedacht? Sicherlich war sie gestorben, während sie an mich dachte, der unreine Gedanke war ich, ich, der ich Mary Lena begehrte, die Unberührbare, da von anderer Art und Bestimmung. Ich bin schuld an ihrer Verdammnis, ich bin schuld an der Verdammnis aller, die sich verdammen, geschieht mir ganz recht, dass ich die drei Frauen nicht gehabt habe: Es ist die Strafe dafür, sie begehrt zu haben. Die erste verlor ich ans Paradies, die zweite ans Fegefeuer, wo sie den Penis beneidet, den sie nie haben wird, die dritte an die Hölle. Theologisch perfekt. Schon geschrieben. Aber da ist noch die Geschichte von Cecilia, und Cecilia war auf der Erde. Ich dachte an sie vor dem Einschlafen, ich stieg den Hügel hinauf, um die Milch beim Bauern zu holen, und während die Partisanen vom gegenüberliegenden Hügel auf die Wachtposten schossen, sah ich mich ihr zu Hilfe eilen, um sie zu retten vor einer Schar schwarzer Schergen, die sie mit hochgehaltenen Maschinenpistolen verfolgten... Blonder als Mary Lena, beunruhigender als das Mädchen im Sarg, reiner und holder als die Jungfrau. Cecilia, lebendig und erreichbar, ein Nichts genügte, und ich hätte sie sogar ansprechen können, ich war mir sicher, dass sie einen von meinem Schlag lieben könnte, liebte sie doch schon einen, der hieß Papi, er hatte blondes struppiges Haar auf einem winzigen Schädel, er war ein Jahr älter als ich und hatte ein Saxophon. Und ich nicht mal eine Trompete. Ich habe sie nie zusammen gesehen, aber alle im Unterricht flüsterten kichernd und ellbogenstoßend, dass sie's miteinander trieben. Bestimmt logen sie, diese Bauernlümmel, geil wie die Böcke. Wollten mir wohl zu verstehen geben, dass sie (sie, Marylena Cecilia, Braut und Magd) derart zugänglich war, dass jemand schon Zugang zu ihr gefunden hatte... Auf jeden Fall – vierter Fall – war ich aus dem Spiel. Schreibt man über solch eine Geschichte einen Roman? Vielleicht sollte ich ihn über die Frauen schreiben, vor denen ich fliehe, weil ich sie haben konnte. Oder gekonnt hätte. Sie haben. Oder ist das dieselbe Geschichte? Fazit: Wenn man nicht einmal weiß, um welche Geschichte es eigentlich geht, korrigiert man besser die Philosophiebücher.
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In der rechten Hand trug sie ein gantz güldin Posaun. Johann Valentin Andreae, Die Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz, Straßburg, Zetzner, 1616, 1
In diesem Text wird eine Trompete erwähnt. Vorgestern Abend im Periskop wusste ich noch nicht, wie wichtig das war. Ich hatte nur einen sehr vagen Anhaltspunkt. Während der langen Nachmittage bei Garamond kam es vor, dass Belbo, vor einem Manuskript verzweifelnd, die Augen von seiner Lektüre hob und auch mich abzulenken versuchte, der ich womöglich gerade am Tisch gegenüber Kupferstiche von der Pariser Weltausstellung für den Umbruch klebte, und dann erging er sich manchmal in alten Erinnerungen – bereit, den Vorhang gleich wieder fallen zu lassen, sobald er argwöhnte, dass ich ihn allzu wörtlich nahm. Er schilderte mir Episoden aus seiner Jugend, aber nur als Exempel, um irgendwelche Eitelkeiten zu geißeln.»Ich frage mich, wo das alles noch enden soll«, sagte er eines Tages. »Sprechen Sie vom Untergang des Abendlandes?« »Geht es unter? Ist doch schließlich sein Beruf, oder? Nein, ich spreche von diesen Leuten, die schreiben. Das ist jetzt das dritte Manuskript in einer Woche, eins über das byzantinische Recht, eins über das Finis Austriae und das dritte über die Sonette von Petrarca. Ziemlich verschiedene Dinge, meinen Sie nicht?« »Denke schon.« »Eben, und hätten Sie wohl gedacht, dass in allen Dreien an einem bestimmten Punkt der Wunsch und das Liebesobjekt auftauchen? Ist eine richtige Mode heute. Bei Petrarca versteh ich's ja noch, aber beim byzantinischen Recht?« »Also werden Sie ablehnen?« »Aber nein, das sind vollfinanzierte Arbeiten, komplett bezahlt vom Nationalen Forschungsrat, und außerdem sind sie nicht schlecht. Allenfalls rufe ich diese drei Leute an und frage sie, ob sie die paar Zeilen nicht streichen können. Die stehen doch sonst selber dumm da.« »Was kann denn bitte das Liebesobjekt im byzantinischen Recht gewesen sein?« »Och, das kriegt man immer irgendwie rein... Freilich, wenn es im byzantinischen Recht ein Liebesobjekt gab, war's nicht das, was der hier sagt. Es ist nie das.« »Das was?« »Das, was man meint. Einmal, als ich so fünf oder sechs Jahre alt war, träumte ich, ich hätte eine Trompete. Eine vergoldete. Wissen Sie, das war so einer von diesen Träumen, bei denen man meint, man hätte Honig in den Adern, so eine Art von nächtlicher Pollution, wie man sie in der Pubertät haben kann. Ich glaube, ich war nie so glücklich wie in jenem Traum. Nie mehr. Beim Aufwachen merkte ich dann natürlich, dass die Trompete nicht da war, und fing an zu heulen wie ein Schlosshund. Ich heulte den ganzen Tag lang. Wirklich, diese Vorkriegszeit damals, es muss so um Achtunddreißig gewesen sein, das war schon eine sehr karge Zeit. Heutzutage, wenn ich einen Sohn hätte und ihn so verzweifelt sähe, würde ich sagen, na komm, ich kauf dir eine Trompete – es ging schließlich bloß um ein Spielzeug, das hätte schon nicht die Welt gekostet. Nicht so meine Eltern, die dachten gar nicht daran. Geldausgeben war damals eine ernste Sache. Und es war eine ernste Sache, die Kinder zur Bescheidenheit zu erziehen, ihnen beizubringen, dass sie nicht immer alles kriegen konnten, was sie begehrten. Ich mag die Kohlsuppe nicht, sagte ich zum Beispiel und das stimmte, der Kohl in der Suppe war mir eklig. Nicht dass sie dann etwa sagten, na schön, lass die Suppe für diesmal stehen und nimm bloß das Hauptgericht (wir waren nicht arm, wir hatten Vorspeise, Hauptgang und Dessert). O nein, kein Gedanke, was auf den Tisch kommt, wird gegessen. Eher schon, als Kompromisslösung, machte sich dann meine Oma daran, den Kohl aus meiner Suppe zu fischen, Strunk für Strunk, Fädchen für Fädchen, und ich musste die entkohlte Suppe essen, die noch ekliger war als vorher, und das war schon eine Konzession, die mein Vater missbilligte.« »Und die Trompete?« Er sah mich zögernd an:»Was interessiert Sie so an der Trompete?«»Mich nichts, Sie haben von einer Trompete gesprochen, im Zusammenhang mit dem Liebesobjekt, das dann nicht das richtige ist...« »Die Trompete... An jenem Abend sollten mein Onkel und meine Tante aus *** ankommen, sie hatten keine Kinder, und ich war ihr Lieblingsneffe. Sie sahen mich heulen wegen diesem Trompetentraum und sagten, sie würden's schon richten, am nächsten Tag würden wir ins Kaufhaus gehen, ins Upim, wo es eine ganze Spielwarenabteilung gab, ein wahres Wunderland, und da würde ich die Trompete finden, die ich mir so wünschte. Ich brachte die ganze Nacht lang kein Auge zu und trat den ganzen nächsten Vormittag lang von einem Bein auf das andere. Am Nachmittag gingen wir endlich ins Upim, und da gab es mindestens drei Sorten Trompeten, wahrscheinlich alle aus dünnem Blech, aber mir kamen sie vor wie aus reinem Gold. Es gab ein Signalhorn, eine Zugposaune und eine Pseudotrompete, so eine mit richtigem Mundstück, und sie war auch goldfarben, aber sie hatte Klappen wie ein Saxofon. Ich wusste nicht, welche ich nehmen sollte, und vielleicht zögerte ich zu lange. Ich wollte sie alle drei und machte den Eindruck, als wollte ich keine. Inzwischen hatten Onkel und Tante auf die Preisschilder gesehen. Sie waren nicht knausrig, aber mir schien, dass sie eine Klarinette billiger fanden, so eine aus Bakelit, ganz schwarz und mit silbernen Klappen. ›Was meinst du, würde dir die nicht besser gefallen?‹ fragten sie. Ich probierte sie, blökte gehorsam rein und versuchte mich zu überzeugen, dass sie wunderschön sei, aber in Wirklichkeit überlegte ich und sagte mir, wahrscheinlich wollten sie, dass ich die Klarinette nähme, weil sie billiger war, die Trompete musste ein Vermögen kosten, das konnte ich ihnen nicht zumuten. Man hatte mir immer beigebracht, wenn jemand dir etwas schenken will, was du gern hättest, dann musst du erst mal nein danke sagen, und nicht nur einmal, nicht bloß nein danke sagen und dann gleich die Hand ausstrecken, sondern abwarten, bis man dich drängt und sagt, na nimm schon. Erst dann gibt das wohlerzogene Kind nach. Also sagte ich brav, ich wollte vielleicht gar keine Trompete, vielleicht tät's auch die Klarinette, wenn sie's lieber so hätten. Und ich schaute von unten zu ihnen rauf in der Hoffnung, dass sie mich drängten. Sie drängten mich nicht, Gott hab sie selig. Sie waren sehr glücklich, mir die Klarinette kaufen zu können, weil ich sie doch – wie sie sagten – lieber hätte. Es war zu spät zur Umkehr. Ich kriegte die Klarinette.« Er sah mich argwöhnisch an:»Wollen Sie wissen, ob ich noch mal von der Trompete geträumt habe?« »Nein«, sagte ich,»ich will wissen, was das Liebesobjekt war.« »Ah«, sagte er und beugte sich wieder über sein Manuskript,»sehen Sie, auch Sie sind ganz besessen von diesem Liebesobjekt. Solche Geschichten kann man drehen, wie man will. Aber... was, wenn ich damals die Trompete genommen hätte? Wäre ich dann tatsächlich glücklich gewesen? Was meinen Sie, Casaubon?« »Vielleicht hätten Sie dann von der Klarinette geträumt.« »Nein«, schloss er trocken.»Die Klarinette habe ich nur gekriegt. Ich glaube, ich habe sie nie gespielt.« »Gespielt oder geträumt?« »Gespielt«, sagte er mit Nachdruck, und ich weiß nicht wieso, aber ich fühlte mich wie ein Narr.
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E finalmente altro non si inferisce cabalisticamente da vinum che VIS NUMerorum, dai quali numeri essa Magia dipende. (Am Ende erschließt man kabbalistischerweise aus vinum nichts andere als VIS NUMerorum, die Kraft der Zahlen, von denen diese Magie abhängt.)
Cesare della Riviera, Il Mondo Magico degli Eroi, Mantova, Osanna, 1603, p. 65
Doch ich sprach von meiner ersten Begegnung mit Belbo. Wir kannten uns schon vom Sehen und hatten ein paarmal kurz bei Pilade miteinander gesprochen, aber ich wusste nicht viel von ihm, nur dass er bei Garamond arbeitete, und Bücher von Garamond waren mir hin und wieder bei meinen Studien in die Hände gefallen. Es war ein kleiner, aber seriöser Verlag. Ein junger Mann, der sich gerade anschickt, seinen Doktor zu machen, fühlt sich stets angezogen von jemandem, der in einem angesehenen Verlag arbeitet. »Und was treiben Sie?«, fragte er mich eines Abends, als wir beide am äußersten Ende des Zinktresens lehnten, umdrängt von einem Gewühl wie auf einer großen Party. Es war die Zeit, als alle sich duzten, die Studenten die Professoren und die Professoren die Studenten. Ganz zu schweigen von den Kunden in Pilades Bar.»Zahl mir 'n Bier«, sagte der Student im Parka zum Chefredakteur der großen Tageszeitung. Man hätte meinen können, man wäre in Petersburg zur Zeit des jungen Schklowski. Lauter Majakowskis und kein einziger Schiwago. Belbo entzog sich nicht dem allgemeinen Du, aber er gab ihm einen unverkennbar verächtlichen Beiklang. Er sagte du, um zu demonstrieren, dass er auf Vulgarität mit Vulgarität reagierte, dass aber zwischen Vertraulichkeiten und Vertrautheit ein Abgrund klaffte. Nur selten und nur wenige Leute hörte ich ihn mit Zuneigung duzen, oder mit Leidenschaft – nur Diotallevi und ab und zu eine Frau. Zu denen, die er schätzte, ohne sie lange zu kennen, sagte er Sie. So tat er's mit mir während der ganzen Zeit unserer Zusammenarbeit, und ich war stolz auf das Privileg.»Und was treiben Sie?«, fragte er mich also mit, wie ich jetzt weiß, Sympathie. »Im Leben oder im Theater?«, fragte ich mit einem Rundblick auf Pilades Bühne. »Im Leben.« »Ich studiere.« »Gehen Sie an die Uni oder studieren Sie?« »Sie werden's nicht glauben, aber das widerspricht sich nicht. Ich beende gerade eine Dissertation über die Tempelritter.« »Oh, was für ein scheußliches Thema«, sagte er.»Ist das nicht eher was für Irre?« »Ich studiere die echten. Die Prozessdokumente. Aber was wissen Sie denn von den Templern?« »Ich arbeite in einem Verlag, und in einen Verlag kommen Weise und Irre. Das Metier des Lektors ist, auf Anhieb die Irren zu erkennen. Wenn einer anfängt, von den Templern zu reden, ist es meistens ein Irrer.« »Wem sagen Sie das. Ihr Name ist Legion. Aber nicht alle Irren reden von den Templern. Woran erkennen Sie die anderen?« »Berufserfahrung. Ich will's Ihnen erklären, Sie sind noch jung. Übrigens, wie heißen Sie eigentlich?« »Casaubon.« »War das nicht eine Romanfigur in Middlemarch?« »Keine Ahnung. Jedenfalls war's, glaube ich, auch ein Philologe der Renaissance. Aber ich bin nicht mit ihm verwandt« »Lassen wir das für ein andermal. Trinken Sie noch was? Pilade, noch mal zwei, danke. Also passen Sie auf. In der Welt gibt es die Idioten, die Dämlichen, die Dummen und die Irren.« »Sonst nichts?« »Doch, uns zwei zum Beispiel, oder jedenfalls – ohne wen zu beleidigen – mich. Aber letzten Endes, genau besehen, gehört jeder Mensch zu einer von diesen Kategorien. Jeder von uns ist hin und wieder idiotisch, dämlich, dumm oder irre. Sagen wir, normal ist, wer diese Komponenten einigermaßen vernünftig mischt. Es sind Grundtypen.«»Idealtypen, wie die Deutschen sagen.« »Bravo. Sie können auch deutsch?« »Es reicht gerade so für die Bibliografien.« »Wer zu meiner Zeit deutsch konnte, promovierte nicht mehr. Er verbrachte seine Tage damit, deutsch zu können. Heute passiert das, glaube ich, mit dem Chinesischen.« »Ich kann's nicht gut genug, drum promoviere ich. Aber zurück zu Ihrer Typologie. Wer ist dann ein Genie, so wie Einstein zum Beispiel?« »Genie ist, wer eine Komponente in schwindelerregende Höhen treibt, indem er sie mit den anderen nährt.« Er trank einen Schluck und prostete einem Mädchen zu, das gerade vorbeikam:»Ciao, Bellissima, hast du noch mal Selbstmord versucht?« »Nein«, antwortete sie.»Jetzt leb ich in einer Kommune.« »Na prima«, sagte Belbo. Dann drehte er sich wieder zu mir:»Man kann auch kollektiven Selbstmord begehen, meinen Sie nicht?« »Aber was ist mit den Irren?« »Ich hoffe, Sie nehmen meine Theorie nicht für reines Gold. Ich kann nicht die ganze Welt erklären. Ich sage nur, was ein Irrer für einen Verlag ist. Die Theorie ist ad hoc entwickelt, okay?« »Okay. Die nächste Runde ist meine.« »Okay. Pilade, bitte mit weniger Eis. Sonst geht's direkt ins Blut. Also. Der Idiot redet gar nicht, er sabbert bloß, er ist spastisch. Er pflanzt sich den Pudding auf die Stirn, weil er seine Bewegungen nicht koordinieren kann. Er geht auf der falschen Seite durch die Drehtür.« »Wie macht er das?« »Er schafft das. Drum ist er ja ein Idiot. Er interessiert uns hier nicht, man erkennt ihn sofort, und er kommt auch nicht in den Verlag. Lassen wir ihn, wo er ist.« »Gut, lassen wir ihn.« »Dämlich zu sein ist komplexer. Es ist ein soziales Verhalten. Dämlich ist, wer immer neben dem Glas redet.« »Wie meinen Sie das?« »So.«Er stieß den gestreckten Zeigefinger neben sein Whiskyglas auf den Tresen.»Er will von dem reden, was im Glas ist, aber was er auch tut, er redet daneben. Wenn Sie so wollen, um's in allgemein verständlichen Worten zu sagen: Er benimmt sich immer daneben, er ist der Typ, der sich nach dem Befinden der lieben Frau Gemahlin erkundigt, wenn einem die Frau gerade weggelaufen ist. Genügt das zur Veranschaulichung der Idee?« »Es genügt, ich kenne den Typ.« »Der Dämliche ist sehr gefragt, besonders bei mondänen Veranstaltungen und auf Partys. Er bringt alle in Verlegenheit, aber dann bietet er Anlässe zu Kommentaren. In seiner positiven Variante wird er Diplomat. Er redet neben dem Glas, wenn die anderen sich danebenbenommen haben, er bringt die Gespräche auf andere Themen. Aber er interessiert uns hier nicht, er ist nie kreativ, er schafft nichts selber, und daher kommt er auch nicht in die Verlage, um Manuskripte anzubieten. Der Dämliche sagt nicht, dass die Katze bellt, er spricht von Katzen, wenn die andern von Hunden reden. Er vertut sich mit den Konversationsregeln, und wenn er sich gut vertut, ist er wunderbar. Ich glaube, er ist eine aussterbende Gattung, ein Träger eminent bürgerlicher Tugenden. Er braucht einen Salon Verdurin, oder geradezu eine Maison Guermantes. Lest ihr noch diese Sachen, ihr Studenten?« »Ich schon.« »Der Dämliche ist Joachim Murat, der die Parade abnimmt und einen hochdekorierten Offizier aus Martinique erblickt. ›Vous êtes négre?‹ fragt er ihn. ›Oui, mon général‹, antwortet der Offizier. Und Murat: ›Bravo, bravo, continuez!‹ Weitermachen. Können Sie mir folgen? Entschuldigen Sie, aber heute Abend feiere ich eine historische Entscheidung in meinem Leben: Ich habe aufgehört zu trinken! Noch einen? Nein, antworten Sie nicht – Sie machen mir Schuldgefühle. Pilade!« »Und der Dumme?« »Ah. Der Dumme vertut sich nicht im Benehmen. Er vertut sich im Denken. Er ist der Typ, der sagt, alle Hunde sind Haustiere, und alle Hunde bellen, aber auch die Katzen sind Haustiere, und folglich bellen sie. Oder: Alle Athener sind sterblich, und alle Einwohner von Piräus sind sterblich, also sind alle Einwohner von Piräus Athener.« »Stimmt ja auch.« »Ja, aber nur aus Zufall. Der Dumme kann auch was Richtiges sagen, aber aus falschen Gründen.« »Man kann auch was Falsches sagen, wenn nur die Gründe richtig sind.« »Bei Gott! Wozu sonst die ganze Mühe, ein animal rationale zu sein?« »Alle großen Menschenaffen stammen von niederen Formen des Lebens ab, die Menschen stammen von niederen Formen des Lebens ab, also sind alle Menschen große Affen.« »Nicht schlecht. Wir sind schon auf der Schwelle, wo Sie zu ahnen beginnen, dass etwas nicht stimmt, aber es ist noch eine gewisse Arbeit nötig, um herauszufinden, was genau und warum. Der Dumme ist überaus heimtückisch. Den Dämlichen erkennt man sofort (ganz zu schweigen vom Idioten), aber der Dumme argumentiert fast genau wie man selber, es fehlt nur ein winziges Stückchen. Er ist ein Meister der Paralogismen. Vor ihm kann sich kein Verlagslektor retten, er bräuchte dafür eine Ewigkeit. Bücher von Dummen werden viele veröffentlicht, weil sie uns auf den ersten Blick überzeugen. Der Verlagslektor ist nicht gehalten, den Dummen zu erkennen. Die Akademie der Wissenschaften erkennt ihn nicht, warum sollten es die Verlagsleute tun?« »Auch die Philosophie erkennt ihn nicht. Der Gottesbeweis des Anselm von Canterbury ist dumm: Gott muss existieren, weil ich ihn als ein Wesen denken kann, das alle Vollkommenheit besitzt, einschließlich der Existenz. Anselm verwechselt die Existenz im Denken mit der Existenz in der Realität.« »Ja, aber dumm ist auch die Widerlegung von Gaunilo: Ich kann an eine Insel im Meer denken, auch wenn es diese Insel nicht gibt. Er verwechselt das Denken des Zufälligen mit dem Denken des Notwendigen.« »Ein Kampf zwischen Dummen.« »Sicher, und Gott amüsiert sich dabei wie närrisch. Er wollte bloß undenkbar sein, um zu demonstrieren, dass Anselm und Gaunilo dumm waren. Welch ein erhabenes Ziel für die Schöpfung, was sage ich, für den Willensakt, kraft dessen Gott sein wollte. Alles finalisiert auf die Anprangerung der kosmischen Dummheit.« »Wir sind von Dummen umzingelt.« »Man entgeht ihnen nicht. Alle sind dumm, außer Ihnen und mir. Oder sogar, ohne wen zu beleidigen, außer Ihnen.« »Mir scheint, hier kommt Gödels Beweis ins Spiel.« »Keine Ahnung, ich bin ein Idiot. Pilade!« »He, das ist meine Runde.« »Wir teilen's dann nachher. Der Kreter Epimenides sagt, alle Kreter sind Lügner. Wenn er das sagt, er, der ein Kreter ist und die Kreter kennt, muss es wahr sein.« »Das ist dumm.« »Das ist Paulus. Brief an Titus. Jetzt diesen: Alle, die denken, dass Epimenides ein Lügner ist, können sich nur auf die Kreter verlassen, aber die Kreter verlassen sich nicht auf die Kreter, weshalb kein Kreter denkt, dass Epimenides ein Lügner ist.« »Das ist dumm, oder?« »Urteilen Sie selbst. Ich hab's Ihnen ja gesagt – es ist schwierig, den Dummen zu erkennen. Ein Dummer kann auch den Nobelpreis kriegen.« »Lassen Sie mich mal nachdenken... Einige von denen, die nicht glauben, dass Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat, sind keine Fundamentalisten, aber einige Fundamentalisten glauben, dass Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat – also ist keiner, der nicht glaubt, dass Gott die Welt in sieben Tagen geschaffen hat, ein Fundamentalist. Ist das jetzt dumm oder nicht?« »Mein Gott, schwer zu sagen... Ich weiß nicht. Was meinen Sie?« »Es ist in jedem Fall dumm, auch wenn es wahr wäre. Es verletzt eine Regel des Syllogismus: Man kann keine allgemeinen Schlüsse aus zwei besonderen Fällen ableiten.« »Und wenn Sie nun der Dumme wären?« »Dann wäre ich in guter und säkularer Gesellschaft.« »Da haben Sie recht, die Dummheit umgibt uns. Und vielleicht ist unsere Dummheit in einer anderen Logik als der unseren ihre Weisheit. Die ganze Geschichte der Logik besteht in der Definition eines akzeptablen Begriffs der Dummheit. Nichts zu machen, sie ist zu immens. Jeder große Denker ist eines anderen Dummer.« Date: 2015-12-13; view: 414; Íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ |