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Chochmah 7 page
»Hab schon verstanden«, sagte Belbo.»Ich werfe das weg. Aber Ihre Templergeschichte interessiert mich. Jetzt, wo ich endlich mal einen Experten vor mir habe, will ich ihn mir nicht entwischen lassen. Wieso reden alle immer nur von den Tempelrittern und nicht zum Beispiel auch von den Maltesern? Nein, sagen Sie's mir nicht jetzt. Es ist schon spät, Diotallevi und ich müssen gleich zu einem Abendessen mit Signor Garamond. Aber ich hoffe, wir werden so gegen halb elf damit fertig sein. Wenn ich kann, überrede ich Diotallevi, auf einen Sprung zu Pilade mitzukommen – er geht gewöhnlich früh schlafen und ist Abstinenzler. Sind Sie dort zu finden?« »Wo sonst? Ich gehöre zu einer verlorenen Generation und finde mich nur wieder, wenn ich in Gesellschaft der Einsamkeit meinesgleichen beiwohne.«
13
Li frere, li mestre du Temple Qu’estoient rempli et ample D’or et d’argent et de richesse Et qui menoient tel noblesse, Où sont il? que sont devenu? (Die Brüder, die Meister des Tempels Die angefüllt waren und reichlich Mit Gold und Silber und Schätzen Und die solchen Adel führten Wo sind sie geblieben? Was ist aus ihnen geworden?)
Chronique à la suite du roman de Favel
Et in Arcadia ego. Pilade war an jenem Abend das Inbild des Goldenen Zeitalters. Es war so ein Abend, an dem man spürte, dass die Revolution nicht nur gemacht werden, sondern vom Unternehmerverband gesponsert sein würde. Nur bei Pilade konnte man den Besitzer einer Baumwollfabrik, in Jeansjacke und mit Bart, beim Pokern mit einem künftigen Untergrundkämpfer im Zweireiher und mit Krawatte sehen. Wir standen am Beginn eines großen Paradigmenwechsels. Noch zu Anfang der sechziger Jahre war der Bart ein Abzeichen der Faschisten gewesen – man musste ihn nur wie Italo Balbo tragen: spitz zulaufend, mit glatt rasierten Wangen –, Achtundsechzig war er dann zum Symbol der Protestbewegung geworden, und jetzt wurde er allmählich neutral, ein allgemeines Zeichen der Freiheit. Der Bart war seit jeher Maske gewesen (man klebt sich einen falschen Bart an, um nicht erkannt zu werden), aber zu Beginn der siebziger Jahre konnte man sich auch mit einem echten Bart vermummen. Man konnte lügen, indem man die Wahrheit sagte, ja indem man die Wahrheit enigmatisch und ungreifbar machte, denn angesichts eines Bartes konnte niemand mehr auf die Gesinnung des Trägers schließen. An jenem Abend indessen prangte der Bart auch auf den glatten Gesichtern derer, die gerade dadurch, dass sie keinen trugen, zu verstehen gaben, dass sie durchaus einen tragen könnten und nur der Provokation wegen darauf verzichteten. Aber ich schweife ab. Gegen elf erschienen Belbo und Diotallevi, einander mit verstörter Miene herbe Kommentare über ihr soeben absolviertes Essen zuraunend. Erst später erfuhr ich, was es mit den Einladungen des Signor Garamond auf sich hatte. Belbo ging gleich zu seinen bevorzugten Destillaten über, Diotallevi überlegte lange, entnervt, und bestellte schließlich ein Tonicwater. Wir fanden ein Tischchen im hinteren Teil der Bar, das gerade zwei Straßenbahner räumten, die am nächsten Morgen früh aufstehen mussten. »Also los«, begann Diotallevi.»Diese Templer...« »Nein, bitte nicht jetzt«, versuchte ich mich zu drücken.»Das sind doch Sachen, die man überall nachlesen kann.« »Wir sind für die mündliche Überlieferung«, sagte Belbo. »Die ist mystischer«, erklärte Diotallevi.»Gott schuf die Welt, indem er sprach. Er hat kein Telegramm geschickt.« »Fiat lux. Stop. Brief folgt«, murmelte Belbo. »Vermutlich an die Thessalonicher«, sagte ich. »Die Templer!«beharrte Belbo. »Also«, begann ich. »Man fängt nie mit also an«, tadelte Diotallevi. Ich machte Anstalten, mich zu erheben. Wartete, dass sie mich baten zu bleiben. Sie taten es nicht. Ich setzte mich wieder und sprach. »Naja, ich meine, die Geschichte kennt ja doch jeder. Da wäre der erste Kreuzzug, klar? Gottfried von Bouillon betet am Heiligen Grab und erfüllt sein Gelübde, Balduin wird der erste König von Jerusalem, Ein christliches Reich im Heiligen Land. Aber Jerusalem halten ist eine Sache, das übrige Palästina ist eine andere, die Sarazenen sind zwar geschlagen, aber nicht ausgeschaltet. Das Leben ist nicht leicht da unten, weder für die Neuansässigen noch für die Pilger. Tja, und dann kommen 1118, unter Balduin II., neun Typen daher, angeführt von einem gewissen Hugo von Payns, und bilden den ersten Kern eines Ordens der Armen Ritter Christi: einen monastischen Orden, aber mit Schwert und Rüstung. Mit den drei klassischen Gelübden, Armut, Keuschheit, Gehorsam, aber ergänzt um den Schutz der Pilger. Der König, der Bischof, alle in Jerusalem helfen ihnen sofort, spenden Geld, bringen sie im Kloster des alten Tempels von Salomo unter. Tja, und so werden sie Tempelritter.« »Was sind es für Leute?« »Hugo und die ersten acht sind wahrscheinlich noch Idealisten, von der Kreuzzugmystik durchdrungen. Aber später sind es dann junge Kerle, zweitgeborene Adelssöhne auf der Suche nach Abenteuern. Das neue Reich von Jerusalem ist ein bisschen das Kalifornien jener Epoche, da kann man sein Glück machen. Zu Hause haben sie nicht viele Chancen, für einige war der Boden wohl auch zu heiß geworden. Ich sehe die ganze Sache etwa so wie die Fremdenlegion. Was macht man, wenn man in der Tinte sitzt? Man geht zu den Templern, da kommt man in der Welt rum, amüsiert sich, darf sich raufen, kriegt zu essen und was zum Anziehen, und am Ende hat man sogar seine Seele gerettet. Natürlich, man musste schon ziemlich am Ende sein, es bedeutete schließlich, in die Wüste zu gehen, in Zelten zu schlafen, tage‑ und nächtelang keine lebende Seele zu sehen außer anderen Templern, und in der glühenden Sonne zu reiten, quälenden Durst zu ertragen und anderen armen Teufeln den Bauch aufzuschlitzen...« Ich hielt einen Augenblick inne.»Vielleicht mach ich's ein bisschen zu sehr auf Western. Wahrscheinlich gab es eine dritte Phase: Der Orden ist reich geworden, inzwischen kommen auch Leute, die zu Hause gut situiert sind. Aber Templer sein heißt jetzt nicht mehr unbedingt, im Heiligen Land zu wirken, man kann auch zu Hause den Templer spielen. Eine komplizierte Geschichte. Mal erscheinen sie als rohe Haudegen, mal legen sie eine gewisse Sensibilität an den Tag. Zum Beispiel kann man nicht sagen, dass sie Rassisten gewesen wären: Sie bekämpften die Muslime, dazu waren sie da, aber in ritterlichem Geist, und man hatte Achtung voreinander. Als der Gesandte des Emirs von Damaskus Jerusalem besucht, überlassen die Templer ihm eine kleine Moschee, die schon zur christlichen Kirche umfunktioniert worden war, damit er dort seine Gebete verrichten kann. Eines Tages kommt ein Franke herein, empört sich über die Anwesenheit eines ›Muselmanns‹ an einem heiligen Ort und misshandelt ihn. Aber die Templer jagen den Intoleranten hinaus und entschuldigen sich für ihn bei dem Muslim. Diese Waffenbrüderschaft mit dem Feind kommt sie schließlich teuer zu stehen, denn im Prozess werden sie auch beschuldigt, Beziehungen zu esoterischen Muslim‑Sekten unterhalten zu haben. Was vielleicht sogar stimmte, es war wohl ein bisschen wie bei jenen Abenteurern im vorigen Jahrhundert, die sich die ›Afrikanische Krankheit‹ holten. Sie hatten keine reguläre Klostererziehung genossen, sie waren nicht besonders feinsinnig im Erfassen der theologischen Unterschiede, man muss sie sich vielleicht so vorstellen wie Lawrence von Arabien, der sich nach einer Weile wie ein Scheich anzieht... Naja, und außerdem ist es schwierig, ihre Aktionen richtig einzuschätzen, weil die christlichen Geschichtsschreiber oft, wie Guillaume von Tyrus, keine Gelegenheit auslassen, um sie anzuschwärzen.« »Warum?« »Weil sie zu schnell zu mächtig geworden sind. Schuld daran war der heilige Bernhard – Bernhard von Clairvaux, der ist Ihnen doch ein Begriff, nein? Großer Organisator, reformiert den Benediktinerorden, räumt gnadenlos allen Schmuck aus den Kirchen, wenn ein Kollege ihm auf die Nerven geht, wie Abaelard, attackiert er ihn a la McCarthy und würde ihn, wenn er könnte, am liebsten auf den Scheiterhaufen bringen. Ersatzweise lässt er seine Bücher verbrennen. Dann ruft er zum Kreuzzug auf und predigt: Bewaffnet euch und zieht los gegen die Heiden... « »Sie mögen ihn nicht«, bemerkte Belbo. »Ich kann ihn nicht ausstehen, wenn es nach mir ginge, säße er jetzt in einem der inneren Höllenkreise, von wegen Heiliger! Aber er war ein guter PR‑Mann seiner selbst, siehe die Position, die ihm Dante verleiht: er macht ihn zum Kabinettschef der Madonna. Heiliger ist er geworden, weil er sich mit den richtigen Leuten zusammengetan hat. Aber ich sprach von den Templern. Bernhard hat sofort gerochen, dass die Idee kultiviert werden muss, er unterstützt diese neun Abenteurer, macht sie zu einer Militia Christi, wir können ruhig sagen, die Templer in ihrer heroischen Version, die hat er erfunden. 1128 lässt er extra ein Konzil in Troyes einberufen, um zu definieren, was genau diese neuen Mönchssoldaten sein sollen, und ein paar Jahre später schreibt er eine Eloge auf diese ›Christus‑Milizen‹ und entwirft eine Regel mit zweiundsiebzig Artikeln, amüsant zu lesen, weil man da alles finden kann. Jeden Tag Messe, kein Umgang mit exkommunizierten Rittern, aber wenn einer von ihnen um Aufnahme in den Tempel ersucht, muss man ihn christlich empfangen – da können Sie sehen, wie recht ich hatte, als ich von Fremdenlegion sprach. Weiße Mäntel sollten sie tragen, einfache, ohne Pelz, es sei denn von Lämmern oder von Widdern, feine modische Schnabelschuhe waren verboten, geschlafen wurde in Hemd und Hose, auf einer Matratze mit Laken und brav unter einer Decke...« »Muss ganz schön gestunken haben bei der Hitze da«, meinte Belbo. »Von Gestank reden wir noch. Es gab noch andere Härten in Bernhards Regel: nur eine Schüssel für zwei, beim Essen darf nicht geredet werden, Fleisch nur dreimal die Woche, freitags wird gefastet, aufgestanden wird im Morgengrauen, wenn die Arbeit schwer war, darf man ein Stündchen länger schlafen, aber dafür muss man im Bett dreizehn Vaterunser beten. Es gibt einen Meister, eine ganze Hierarchie absteigender Ränge, bis runter zu den Stallmeistern, Pferdeburschen, Dienern und Knechten. Jeder Ritter soll drei Pferde und einen Knappen haben, keinerlei Schmuck am Zaumzeug, an Sattel und Sporen, einfache, aber gute Waffen, die Jagd ist verboten, außer auf Löwen. Kurzum, ein Leben in Buße und Kampf. Ganz zu schweigen vom Keuschheitsgelübde, auf dem wird besonders herumgeritten, denn es ging ja um Leute, die nicht im Kloster lebten, sondern Krieg führten, die in der Welt lebten, wenn man die Schlangengrube Welt nennen will, die damals das Heilige Land gewesen sein muss. Im Kern sagt die Regel, dass der Umgang mit Frauen höchst gefährlich ist und dass man niemand küssen darf außer der Mutter, der Schwester und der Tante.« Belbo nickte:»Recht so, allerdings bei der Tante wäre ich vorsichtiger... Aber sagen Sie, hat man die Templer nicht auch der Sodomie bezichtigt? Es gibt da doch dieses Buch von Klossowski, Der Baphomet. War der Baphomet nicht so eine Art teuflische Gottheit bei denen?« »Darauf komme ich gleich. Aber erst überlegen Sie mal: Die führten ein Leben wie Seeleute, monatelang nur Wüste und nichts als Wüste. Man kommt sich vor wie am Arsch der Welt, es ist Nacht, man legt sich ins Zelt mit dem Typ, mit dem man aus derselben Schüssel gegessen hat, man ist müde und friert und hat Durst und Angst und sehnt sich nach Muttern. Was macht man da?« »Männerliebe, thebanische Legion«, suggerierte Belbo. »Aber bedenken Sie, was für ein Höllenleben, umgeben von anderen Kriegern, die kein Gelübde abgelegt haben, wenn die eine Stadt überfallen, greifen sie sich das Maurenmädchen, ambraduftender Bauch und Sammetaugen, und was macht der arme Templer unter den aromatischen Zedern des Libanon? Lassen Sie ihm den Maurenjungen. Und jetzt verstehen Sie auch, warum sich die Redensart ›trinken und fluchen wie ein Templer‹ verbreitet. Es ist ein bisschen wie die Geschichte mit dem Kaplan im Schützengraben: er säuft und flucht mit seinen analphabetischen Kameraden. Und wenn's nur das wäre. In ihrem Wappen sind sie immer zu zweit dargestellt, einer dicht hinter dem andern auf demselben Pferd. Warum, wo doch die Regel jedem von ihnen drei Pferde gönnte? Muss eine Idee von Bernhard gewesen sein, um ihre Armut zu symbolisieren, oder die Duplizität ihrer Rolle als Ritter und Mönche. Aber was meinen Sie wohl, was die Leute sich dabei dachten, wenn sie diese komischen Mönche sahen, die da pärchenweise so eng aneinandergepresst herumgaloppierten, einer mit dem Bauch am Hintern des andern? Man wird sie auch ganz schön verleumdet haben...« »Das hatten sie sich ja wohl selbst zuzuschreiben«, warf Belbo ein.»Dieser heilige Bernhard wird doch nicht blöd gewesen sein?« »Nein, blöd war er nicht, aber auch er war ein Mönch, und Mönche hatten damals eine sonderbare Vorstellung vom Körper... Eben hatte ich noch gefürchtet, meine Geschichte zu sehr als Western aufgezogen zu haben, aber wenn ich's mir recht überlege, hören Sie, was Bernhard über seine geschätzten Ritter sagt, ich habe das Zitat mitgebracht, weil sich's wirklich lohnt: ›Sie meiden und verabscheuen die Mimen, die Taschenspieler und Gaukler, die ungehörigen Lieder und Farcen, sie schneiden sich die Haare kurz, da sie vom Apostel gelernt haben, dass es eine Schande sei für einen Mann, die eigene Haartracht zu pflegen. Nie sieht man sie gekämmt, selten gewaschen, ihr Bart ist struppig, sie stinken und starren vor Schmutz in ihren Rüstungen und in der Hitze.‹ « »Möchte nicht in ihren Unterkünften übernachtet haben«, meinte Belbo. »Es war stets kennzeichnend für die Eremiten«, dozierte Diotallevi,»eine gesunde Schmutzigkeit zu kultivieren, um den eigenen Körper zu erniedrigen. War's nicht der heilige Makarios, der auf einer Säule lebte, und wenn ihm die Würmer vom Leibe fielen, las er sie auf und setzte sie sich wieder auf den Leib, damit auch diese Geschöpfe Gottes ihr Festmahl hatten?« »Der Säulenheilige war Simeon«, sagte Belbo,»und meines Erachtens war er auf die Säule geklettert, um denen, die unten vorbeikamen, auf den Kopf zu spucken.« »Ich hasse den Geist der Aufklärung«, sagte Diotallevi.»Auf jeden Fall gab's einen Säulenheiligen mit Würmern, wie ich gesagt habe, ob nun Makarios oder Simeon. Doch ich bin keine Autorität in diesen Dingen, denn ich kümmere mich nicht um die Narreteien der Gojim.« »Und deine Rabbiner von Gerona, die waren sauber, ja?«, fragte Belbo. »Sie lebten in dreckigen Löchern, weil ihr Gojim sie ins Ghetto verbannt hattet. Eure Templer dagegen besudelten sich aus Lust« »Dramatisieren wir nicht«, sagte ich.»Haben Sie je einen Trupp Rekruten nach einem Marsch gesehen? Aber ich habe Ihnen das alles bloß erzählt, um den inneren Widerspruch der Templer zu verdeutlichen. Ein Templer musste asketisch und mystisch sein, er durfte nicht fressen und saufen und vögeln, aber er zog durch die Wüste und schnitt den Feinden Christi die Köpfe ab, und je mehr er abschnitt, desto mehr Abschnitte sammelte er für seine Eintrittskarte ins Paradies, er stank und wurde jeden Tag struppiger, und dann kam der heilige Bernhard daher und verlangte auch noch, dass er, wenn er eine Stadt erobert hatte, nicht über die kleinen Maurenmädchen herfiel oder, was weiß ich, auch über die älteren, und dass er in mondlosen Nächten, wenn, wie man weiß, der Samum durch die Wüste fegt, sich nicht eine kleine Gefälligkeit von seinem bevorzugten Kameraden erweisen ließ! Wie schafft man das, gleichzeitig Mönch und Haudegen zu sein? Du schlitzt Bäuche auf und sprichst dazu das Ave Maria, du darfst deiner eigenen Cousine nicht ins Gesicht sehen, und dann kommst du nach tagelanger Belagerung in eine Stadt, die anderen Kreuzfahrer treiben's vor deinen Augen mit der Frau des Kalifen, wundervolle Suleikas öffnen ihre Korsetts und sagen: Nimm mich, nimm mich, aber lass mir das Leben... Nix da, von wegen, der Templer muss standhaft bleiben, stinkig und struppig, wie ihn der heilige Bernhard wollte, und fromm das Abendgebet rezitieren... Andererseits, man braucht nur mal die Retraite zu lesen...« »Was ist das?« »Verhaltensregeln des Ordens, ziemlich spät verfasst, als der Orden schon sozusagen in Pantoffeln war. Es gibt nichts Schlimmeres als eine Armee, die sich langweilt, weil der Krieg vorbei ist. Da werden zum Beispiel an einem bestimmten Punkt Raufereien verboten, Verletzungen eines Christen aus Rache, Umgang mit einer Frau, Verleumdungen eines Bruders. Man darf keinen Sklaven entkommen lassen, nicht aufgebracht sagen: ›Ich haue ab zu den Sarazenen!‹, kein Pferd aus Unachtsamkeit verlieren, keine Tiere verschenken außer Hunden und Katzen, nicht ohne Erlaubnis fortgehen, das Siegel des Meisters nicht zerbrechen, nicht bei Nacht das Quartier verlassen, kein Geld des Ordens verleihen, ohne dazu ermächtigt zu sein, nicht wütend die Kleider auf den Boden werfen...« »Verboten kann man entnehmen, was die Leute gewöhnlich tun«, sagte Belbo.»Man kann daraus ein Bild des Alltagslebens gewinnen.« »Na, schauen wir mal«, sagte Diotallevi.»Ein Templer, aufgebracht durch irgendwas, was die Brüder am Abend zu ihm gesagt oder mit ihm gemacht haben, verlässt heimlich in der Nacht das Quartier, zu Pferd, mit einem maurischen Knappen und drei Kapaunen am Sattel; er reitet zu einer Frau mit lockerem Lebenswandel, schenkt ihr die Kapaune und verschafft sich dadurch Gelegenheit zu einem unerlaubten Beischlaf... Dann, während sie's treiben, macht sich der Maurenbengel mit dem Pferd aus dem Staub, und unser Templer, noch stinkender, verschmitzter und struppiger als gewöhnlich, kommt mit eingezogenem Schwanz nach Hause und zahlt, um nicht verraten zu werden, ein Schweigegeld (aus der Kasse des Ordens) an den üblichen jüdischen Wucherer, der am Tor auf ihn wartet wie ein Geier auf der Stange...« »Du sagst es, Kaiphas«, warf Belbo ein. »Nun ja, man redet halt so in Klischees. Am nächsten Tag bemüht sich unser Templer, wenn schon nicht den Knappen, so wenigstens einen Anschein von seinem Pferd wiederzukriegen. Aber ein Mitttempler kommt ihm auf die Schliche, und am Abend (man weiß ja, in diesen Gemeinschaften ist der Neid zu Hause), als zur allgemeinen Zufriedenheit das Fleisch auf den Tisch kommt, macht er schlüpfrige Anspielungen. Der Hauptmann schöpft Verdacht, der Verdächtige verheddert sich, wird rot, zieht den Dolch aus dem Gürtel und stürzt sich auf den Mitbruder... «»Den Sykophanten«, präzisierte Belbo.»Den Sykophanten, richtig, er stürzt sich auf den Denunzianten und verunstaltet ihm das Gesicht. Dieser greift zum Schwert, die beiden beginnen zu raufen, der Hauptmann brüllt ›Ruhe da!‹ und schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch, die Brüder grinsen... «»Trinkend und fluchend wie Templer...«, ergänzte Belbo.»Gottverflucht, Gottverdammt, Herrgottsakrament, Himmelnochmal, Potzblitzdonnerundschwefel, Jesusmariaundjoseph!«dramatisierte ich. »Kein Zweifel, unser Mann gerät außer sich, er... zum Teufel, was macht ein Templer, wenn er außer sich gerät?«»Er läuft blauviolett an«, erwog Belbo.»Genau, du sagst es, er läuft blauviolett an, reißt sich die Kleider vom Leib und wirft sie zu Boden...« »Und brüllt: Behaltet dies elende Dreckshemd, ihr und euer Scheißtempel!«schlug ich vor.»Oder vielmehr, er haut mit dem Schwert auf das Siegel, zerbricht es und brüllt: Ich haue ab zu den Sarazenen!« »Damit hat er mindestens acht Vorschriften auf einen Schlag verletzt.« »Ja«, sagte ich und ergänzte, um meine These noch besser zu illustrieren:»Können Sie sich so einen Typ vorstellen, der sagt, ich haue ab zu den Sarazenen, wenn ihn dann eines Tages der Blutvogt des Königs verhaftet und ihm die glühenden Eisen zeigt? Rede, Götzendiener! Gestehe, ihr habt ihn euch in den Hintern gesteckt. Was, wir? Ha, eure Zangen machen mich lachen, ihr wisst ja gar nicht, wozu ein Templer fällig ist: Euch steck ich ihn in den Hintern, euch und dem Papst, und wenn er mir unter die Finger kommt, auch dem König Philipp!« »Er hat gestanden, er hat gestanden! jawohl, so ist es bestimmt gewesen«, rief Belbo.»Abführen! Ins Verlies mit ihm, und jeden Tag eine Kanne Öl drauf, damit er hinterher besser brennt!« »Wie die kleinen Kinder«, schloss Diotallevi. Ein Mädchen trat an unseren Tisch, mit einem Leberfleck auf der Nase und Blättern in der Hand. Sie fragte, ob wir schon für die verhafteten Genossen in Argentinien unterschrieben hätten. Belbo unterschrieb sofort, ohne den Text zu lesen.»Auf jeden Fall geht's ihnen schlechter als mir«, sagte er zu Diotallevi, der ihn bestürzt ansah. Dann wandte er sich an das Mädchen:»Er kann nicht unterschreiben, er gehört zu einer indischen Minderheit, bei der es verboten ist, den eigenen Namen zu schreiben. Viele von ihnen sind im Gefängnis, weil die Regierung sie verfolgt«Das Mädchen sah Diotallevi verständnisvoll an und reichte das Blatt zu mir weiter. Diotallevi entspannte sich. »Wer sind sie?«, fragte ich. »Was heißt, wer sind sie? Genossen in Argentinien!« »Ja schon, aber von welcher Gruppe?« »Taquaras, wieso?« »Aber die Taquaras sind doch Faschisten«, wagte ich einzuwenden, nach dem bisschen, was ich davon verstand. »Faschist!«zischte das Mädchen. Und ging davon. »Aber dann waren diese Templer doch eigentlich arme Teufel«, meinte Diotallevi. »Nein«, sagte ich,»es ist meine Schuld, wenn dieser Eindruck entstanden ist, ich habe versucht, die Geschichte möglichst lebendig zu machen. Was wir gesagt haben, gilt für die einfache Truppe, aber der Orden erhielt von Anfang an riesige Schenkungen und hatte bald Komtureien in ganz Europa. Stellen Sie sich vor, König Alfons von Aragonien schenkt ihnen ein ganzes Land, und in seinem Testament vermacht er ihnen sogar sein Reich für den Fall, dass er ohne Erben stirbt. Die Templer trauen ihm nicht und machen eine Transaktion, so nach dem Muster: Nein danke, wir hätten lieber ein paar Kleinigkeiten gleich jetzt Aber diese Kleinigkeiten sind ein halbes Dutzend Burgen in Spanien. Der König von Portugal schenkt ihnen einen Wald, der noch von den Mauren besetzt ist, die Templer erstürmen ihn, verjagen die Mauren und gründen einfach so mal die Stadt Coimbra. Und das sind bloß Episoden. Kurz und gut, ein Teil von ihnen kämpft in Palästina, aber das Gros des Ordens entwickelt sich in der Heimat. Und was passiert? Wenn jemand nach Palästina muss und dort Geld braucht und sich nicht traut, mit Juwelen und Gold hinzureisen, überweist er's den Templern in Frankreich oder in Spanien oder Italien, erhält dafür einen Gutschein und löst ihn im Orient ein.« »Das ist ein Kreditbrief«, sagte Belbo. »Genau, sie haben den Scheck erfunden, lange vor den ersten Bankiers in Florenz. Und folglich, so peu a peu, teils durch Schenkungen, teils durch Eroberungen mit Waffengewalt, teils durch die Provisionen auf ihre Finanzoperationen, werden die Templer ein multinationaler Konzern. Um solch ein Unternehmen zu führen, braucht man Leute, die den Kopf fest auf den Schultern haben, Leute, die imstande sind, einen wie Papst Innozenz III. zu überreden, ihnen außerordentliche Privilegien einzuräumen: Der Orden darf alles, was er im Krieg erbeutet, behalten, und wo immer er Güter hat, untersteht er weder dem König noch den Bischöfen, noch dem Patriarchen von Jerusalem, sondern ganz allein nur dem Papst. An jedem Ort vom Zehnten befreit, hat er das Recht, in den von ihm kontrollierten Gebieten selber den Zehnten einzutreiben... Mit einem Wort, er ist ein florierendes Unternehmen, in das niemand seine Nase reinstecken kann. Kein Wunder, dass er von den Bischöfen und den weltlichen Herren scheel angesehen wird, und doch kann niemand auf ihn verzichten. Die Kreuzfahrer sind Wirrköpfe, Leute, die losziehen, ohne zu wissen, wohin und was sie dort vorfinden werden, die Templer dagegen sind dort zu Hause, sie wissen, wie man mit dem Feind verhandelt, sie kennen die Gegend und die Kriegskunst. Der Templerorden ist eine seriöse Angelegenheit, auch wenn sein Ruf auf den Rodomontaden seiner Sturmtruppen beruht.« »Waren es denn bloß Rodomontaden?«, fragte Diotallevi. »Meistens schon, man staunt immer wieder über die Kluft zwischen ihrer politischen und administrativen Klugheit und ihrem draufgängerischen Stil a la Green Berets, bloß Mut und kein Hirn. Nehmen wir nur mal die Geschichte von Askalon... « »Ja, nehmen wir sie«, sagte Belbo, der sich für einen Moment weggedreht hatte, um mit übertrieben großer Gebärde eine gewisse Dolores zu begrüßen. Die so Begrüßte setzte sich zu uns an den Tisch und rief:»Au ja, ich will die Geschichte von Askalon hören, ich will sie hören.« »Also. Eines Tages beschließen der König von Frankreich, der deutsche Kaiser, König Balduin III. von Jerusalem und die beiden Großmeister der Templer und der Johanniter, die Stadt Askalon zu belagern. Alle ziehen los mit Riesentamtam, der König, der Hofstaat, der Patriarch, die Priester mit ihren Kreuzen und Standarten, die Erzbischöfe von Tyrus, Nazareth und Cäsarea – kurz, die Belagerung wird wie ein großes Fest aufgezogen, mit Zelten vor den Mauern der Stadt und mit Kriegsbannern, Oriflammen, großen Wappenschilden und Trommeln... Askalon war mit hundertfünfzig Türmen befestigt, die Einwohner hatten sich seit geraumer Zeit auf die Belagerung vorbereitet, jedes Haus war mit Schießscharten versehen, jedes zu einer Festung in der Festung ausgebaut worden. Man sollte meinen, die Templer, die doch so dolle Typen waren, die hätten das wissen müssen. Aber von wegen, nix da, sie mühen sich ab, sie bauen sich Belagerungsmaschinen, sogenannte Schildkröten und Türme aus Holz, ihr wisst schon, diese Dinger auf Rädern, die man bis vor die feindlichen Mauern schiebt, wo sie dann Steine und Brandfackeln schleudern, während von hinten die Katapulte große Wackmänner katapultieren... Die Belagerten versuchen, die Türme in Brand zu stecken, aber der Wind steht für sie ungünstig, die Flammen ergreifen die Mauern, das Mauerwerk bricht an mindestens einer Stelle zusammen. Das ist die Bresche! Alle Belagerer rennen los wie ein Mann – und jetzt passiert das Seltsame: der Großmeister des Templerordens lässt den Zugang versperren, sodass nur seine Leute in die Stadt gelangen. Die Böswilligen behaupten später, er hätte das nur getan, damit die Templer allein plündern könnten, die Gutwilligen meinen, er hätte einen Hinterhalt gefürchtet und wollte seine tapferen Krieger vorschicken. Na, jedenfalls, wie auch immer, ich würde ihn nicht zum Chef einer Militärakademie ernennen, denn was passiert? Vierzig Templer preschen mit achtzig Sachen quer durch die ganze Stadt, bis sie an die gegenüberliegende Mauer stoßen, bremsen in einer großen Staubwolke, schauen sich verdutzt in die Augen und fragen sich, was zum Teufel sie da eigentlich wollen, machen kehrt und preschen zurück, Hals über Kopf direkt in den Hinterhalt der Sarazenen, die sie mit einem Hagel von Steinen und Glasscherben aus den Fenstern empfangen und sie allesamt massakrieren, inklusive den Großmeister, um dann die Bresche zu schließen, die Leichen außen an den Mauern aufzuhängen und den Christen draußen mit grässlichem Grinsen obszöne Gesten hinunterzuwerfen, als riefen sie höhnisch – natürlich in ihrer Maurensprache – Fuck you!« »Der Mohr ist grausam«, nickte Belbo. »Wie die kleinen Kinder«, wiederholte Diotallevi. »Wow!«, rief die Dolores hingerissen.»Das müssen ja irre Typen gewesen sein, deine Templer!« »Mich erinnern sie an Tom und Jerry«, sagte Belbo. Ich bereute. Schließlich lebte ich seit zwei Jahren mit den Templern und mochte sie. Erpresst vom Snobismus meiner Zuhörer, hatte ich sie als Comicfiguren dargestellt. Schuld war vielleicht Guillaume von Tyrus, der ungetreue Chronist. Sie waren nicht so, die Ritter vom Tempel, sie waren ganz anders. Bärtig und flammend, das prächtige rote Kreuz auf dem weißen Mantel, sprengten sie hoch zu Roß dahin im Schatten ihres schwarz‑weißen Banners, des Beauceant, nichts anderes im Sinne, als edel und todesmutig ihren Dienst zu erfüllen, und der Schweiß, von dem Bernhard sprach, war vielleicht ein bronzener Schimmer, der ihrem furchtbaren Lächeln einen sarkastischen Adel verlieh, wenn sie sich anschickten, ihren Abschied vom Leben so grausam zu feiern... Löwen im Krieg, wie Jacques de Vitry sagte, Lämmer voll Sanftmut im Frieden, roh in der Schlacht und fromm im Gebet, wild mit den Feinden und mild zu den Brüdern, gezeichnet vom Weiß und Schwarz ihres Banners, da strahlend rein für die Freunde Christi und finsterschrecklich für seine Feinde. Date: 2015-12-13; view: 407; Íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ |