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Chochmah 8 page





Pathetische Glaubenskämpfer, letzte Beispiele einer untergehenden Kavallerie – warum behandelte ich sie wie ein beliebiger Ariost, während ich doch ihr Joinville hätte sein können? Mir kamen die Seiten in den Sinn, die ihnen der Verfasser der Histoire de Saint Louis gewidmet hatte, der mit Ludwig dem Heiligen ins Heilige Land gekommen war, als sein Schreiber und Mitstreiter zugleich. Die Templer gab es bereits seit einhundertfünfzig Jahren, Kreuzzüge waren genug geführt worden, um jedes Ideal zuschanden zu machen. Verblasst wie Phantome sind die Heldenfiguren der Königin Melisenda und König Balduins des Leprösen, erschöpft die internen Kämpfe des seit damals blutüberströmten Libanon, Jerusalem ist bereits einmal gefallen, Barbarossa ist in Kilikien ertrunken, Richard Löwenherz kehrt geschlagen und gedemütigt heim im Gewande eben des Templers, die Christenheit hat ihre Schlacht verloren, die Mauren haben einen ganz anderen Sinn für den Zusammenschluss autonomer Potentaten zur gemeinsamen Verteidigung einer Kultur – sie haben Avicenna gelesen, sie sind nicht ignorant wie die Europäer, wie kann man zweihundert Jahre lang einer toleranten, mystischen und zugleich sinnenfreudigen Kultur ausgesetzt sein, ohne ihren Verlockungen nachzugeben, zumal wenn man sie mit der abendländischen Kultur vergleicht, mit dem rohen, rüpelhaften, barbarischen und germanischen Westen? Als es im Jahre 1244 zum letzten und definitiven Fall Jerusalems kommt, ist der Krieg, der hundertfünfzig Jahre zuvor begonnen hatte, verloren, die Christen müssen aufhören, Waffen in ein Land zu tragen, dessen Bestimmung der Frieden ist und der Duft der Zedern des Libanon. Arme Templer, wozu hat euer ganzes Heldenepos gedient?

Weichheit, Melancholie, morbide Blässe einer alternden Pracht – warum dann nicht den Geheimlehren der islamischen Mystiker lauschen, sich der hieratischen Akkumulation verborgener Schätze widmen? Vielleicht ist dies der Ursprung jener Legende von den Tempelrittern, die noch heute in den Köpfen der Enttäuschten und Suchenden umgeht – die Geschichte einer Macht ohne Grenzen, die nicht mehr weiß, was sie mit sich anfangen soll...

Und doch, als der Mythos bereits verdämmert, kommt Ludwig der Heilige auf den Thron, der König, der als Tischgenossen den Aquinaten hatte; er glaubt noch an den Kreuzzug, trotz zweier Jahrhunderte voller Träume und gescheiterter Ansätze wegen der Dummheit der Sieger. Lohnt es sich, noch einen Versuch zu wagen? Jawohl, es lohnt sich, sagt Ludwig der Heilige, die Templer stimmen ihm zu und folgen ihm ins Verderben, denn das ist ihr Beruf, wie wäre der Tempelorden zu rechtfertigen ohne Kreuzzug?

Ludwigs Flotte nähert sich der ägyptischen Küste, um Damiette anzugreifen, das feindliche Ufer ist ein einziges Schimmern von Piken und Hellebarden, Standarten und Bannern, Schilden und Krummsäbeln, eine große, prächtig anzusehende Kriegerschar, sagt Joinville, ritterlich, mit Waffen, die gülden in der Sonne erglänzen. Ludwig könnte abwarten, doch er beschließt, um jeden Preis zu landen.»Meine Getreuen, wir werden unbesiegbar sein, wenn wir unzertrennlich in unserer Brüderlichkeit sind. Verlieren wir, so werden wir Märtyrer sein. Siegen wir, so wird Gottes Ruhm dadurch noch größer.«Die Templer glauben es nicht, aber sie haben gelernt, für das Ideal zu kämpfen, dies ist das Bild, das sie von sich abgeben müssen. Sie werden dem König in seinen mystischen Wahnsinn folgen.

Die Landung gelingt unglaublicherweise, die Sarazenen räumen unglaublicherweise Damiette, es ist so unglaublich, dass der König zögert, die Stadt zu betreten, da er dem Frieden nicht traut. Aber es ist wahr, die Stadt ist sein, sein mitsamt ihren Schätzen und ihren hundert Moscheen, die er sogleich in Kirchen des Herrn verwandelt. Dann muss er eine Entscheidung treffen: Soll er auf Alexandria oder auf Kairo marschieren? Die kluge Entscheidung wäre Alexandria gewesen, um Ägypten einen lebenswichtigen Hafen zu nehmen. Aber da tritt der böse Geist der Expedition auf den Plan, der Bruder des Königs, Robert von Artois, ein ehrgeiziger Megalomane, begierig auf schnellen Ruhm wie alle Zweitgeborenen. Er rät, auf Kairo zu zielen, ins Herz Ägyptens. Die Templer, bisher zurückhaltend, ballen die Faust in der Tasche. Der König hat isolierte Gefechte verboten, aber nun ist es der Marschall des Ordens, der das Verbot übertritt. Er erblickt ein Banner der Mamelucken des Sultans und brüllt:»Auf sie, im Namen Gottes, denn unerträglich ist mir eine solche Schmach!«

Bei Mansurah verschanzen sich die Sarazenen am anderen Ufer eines Nilarms, die Franzosen versuchen einen Damm zu bauen, um eine Furt zu schaffen, und schützen ihn mit ihren mobilen Türmen, aber die Sarazenen haben von den Byzantinern die Kunst des griechischen Feuers gelernt. Das griechische Feuer war an der Spitze dick wie ein Fass, und sein Schwanz war gleich einer großen Lanze, es kam daher wie ein Blitz und erschien wie ein fliegender Drache. Und es warf ein so helles Licht, dass man sich im Lager sehen konnte wie am helllichten Tag.

Während das Lager der Christen lichterloh brennt, zeigt ein verräterischer Beduine dem König eine Furt, für dreihundert byzantinische Goldfranken. Der König beschließt anzugreifen, der Übergang ist nicht leicht, viele Christen ertrinken und treiben in den Wellen davon, am anderen Ufer warten dreihundert sarazenische Reiter. Doch schließlich gelangt das Gros nach drüben, die Templer reiten wie immer voran, gefolgt vom Grafen von Artois. Die muslimischen Reiter fliehen, und die Templer warten auf den Rest des christlichen Heeres. Aber Graf Artois prescht mit seinen Mannen los, um den Feinden nachzusetzen.

Daraufhin stürmen nun auch die Templer los, um ihre Ehre zu wahren, aber sie können den Artois nicht mehr erreichen, er ist schon ins feindliche Lager eingedrungen und hat ein Gemetzel angerichtet Die Muslime fliehen nach Mansurah. Darauf hat der Artois nur gewartet, die Templer versuchen ihn zurückzuhalten, Bruder Gilles, der Großkommandant des Ordens, umschmeichelt ihn, indem er sagt er habe doch nun schon ein so großartiges Unternehmen vollbracht, eines der größten, die je in überseeischen Landen gewagt worden seien. Umsonst, der geckenhafte, ruhmsüchtige Graf bezichtigt die Templer des Verrats und behauptet sogar, wenn sie und die Johanniter es nur gewollt hätten, wären jene Gebiete schon längst erobert worden, er jedoch habe nun bewiesen, wozu man imstande sei, wenn man Blut in den Adern habe. Das ist zu viel für die Ehre des Ordens, die Templer stehen niemandem nach, sie stürmen die Stadt und erobern sie, verfolgen die Feinde bis an die Mauern am anderen Ende – und merken auf einmal, dass sie dabei sind, den Fehler von Askalon zu wiederholen. Die Christen – samt Templern – haben sich damit aufgehalten, den Palast des Sultans zu plündern, die Ungläubigen konnten sich wieder sammeln und fallen über die versprengten Häuflein der Plünderer her. Haben die Templer sich erneut von ihrer Gier verblenden lassen? Andere jedoch berichten, Bruder Gilles habe zu Artois, bevor sie ihm in die Stadt gefolgt seien, mit stoischer Luzidität gesagt:»Herr, meine Brüder und ich haben keine Furcht und werden Euch folgen. Aber wisset, dass wir Zweifel haben, und zwar starke, ob Ihr und ich heil zurückkehren werden.«Wie auch immer, Graf Robert von Artois, Gott sei ihm gnädig, wird erschlagen, zusammen mit vielen anderen tapferen Rittern, darunter zweihundertachtzig Templer.

Es war schlimmer als eine Niederlage, es war eine Schande. Und doch wird es nicht als solche registriert, nicht einmal von Joinville: So was kommt eben vor, das ist die Schönheit des Krieges.

Unter der Feder des Herrn de Joinville werden viele dieser Schlachten oder Scharmützel zu harmlosen Tänzchen, zierlichen kleinen Balletten mit da und dort ein paar abgeschlagenen Köpfen und vielen Anrufungen des Herrn im Himmel und gelegentlich einer Klage des Königs über einen seiner Getreuen, der gerade den Geist aufgibt, aber alles wie in Technicolor gedreht, mit purpurnen Satteldecken, goldenen Zaumzeugbeschlägen, funkelnden Helmen und Schwertern unter der gelben Wüstensonne vor dem türkisblauen Meer, und wer weiß, ob die Templer ihre täglichen Schlächtereien nicht wirklich so erlebt hatten.

Der Blick Joinvilles bewegt sich von oben nach unten oder von unten nach oben, je nachdem, ob er gerade vom Pferd fällt oder sich wieder hinaufschwingt, und er erfasst einzelne Szenen, aber der Schlachtverlauf entgeht ihm, alles löst sich in einzelne Zweikämpfe auf, und nicht selten bleibt der Ausgang offen. Joinville eilt dem Herrn von Wanon zu Hilfe, ein Türke trifft ihn mit der Lanze, sein Pferd bricht zusammen, Joinville fliegt im hohen Bogen über den Kopf des Tieres, erhebt sich mit dem Schwert in der Hand, und Messire Erard de Siverey (»Gott sei ihm gnädig«) winkt ihm, sich in ein zerfallenes Haus zu retten, sie werden von einem Trupp Türken buchstäblich überrannt, erheben sich unverletzt, erreichen das Haus, verschanzen sich darin, und die Türken bestürmen sie von oben mit Lanzen. Messire Frederic de Loupey wird am Rücken verwundet,»und so groß war die Wunde, dass das Blut heraussprang wie der Korken aus einer Flasche«, der Siverey wird von einem Hieb im Gesicht getroffen,»dass die Nase ihm auf die Lippen fiel«. Und so weiter, in letzter Minute kommen die Retter, das Haus wird verlassen, der Blick richtet sich auf andere Teile des Schlachtfeldes, neue Szenen, weitere Tode und Rettungsaktionen in letzter Minute und laute Gebete zu Messire Saint‑Jacques. Und derweilen ruft der wackere Graf von Soissons, während er wacker Hiebe austeilt:»Seigneur de Joinville, lassen wir diese Kanaille heulen, bei Gott, von diesem Tage werden wir noch sprechen, wenn wir wieder im Kreise der Damen sind!«

Und als der König fragt, was für Nachricht man von seinem Bruder habe, dem zur Hölle gefahrenen Grafen Artois, antwortet ihm Bruder Henry de Ronnay, Oberhaupt des Johanniterordens:»Gute Nachricht, denn gewiss ist Graf Artois jetzt schon im Paradiese.«Gelobt sei Gott für alles, was er uns schickt, sagt der König, und dicke Tränen rinnen ihm aus den Augen.

Nicht immer ist es Ballett, ob zierlich oder blutig. Der Großmeister Guillaume de Sonnac verbrennt lebendigen Leibes im griechischen Feuer, das christliche Heer wird, infolge des großen Leichengestanks und des Mangels an Lebensmitteln, vom Skorbut erfasst, die Flotte des heiligen Ludwig ist zerstört, der König wird von der Ruhr ausgesogen, sodass er in der Schlacht, um Zeit zu gewinnen, sich den Hosenboden aufschneiden muss. Damiette ist verloren, die Königin muss mit den Sarazenen verhandeln und bezahlt ihnen fünfhunderttausend französische Pfund für das Leben des Königs.

Aber Kreuzzüge führt man mit kardinaler Unredlichkeit. In Akkon wird Ludwig als Triumphator empfangen, die ganze Stadt zieht ihm in großer Prozession entgegen, samt Klerus, Frauen und Kindern. Die Templer denken weiter und versuchen, in Verhandlungen mit Damaskus zu treten. Ludwig kriegt Wind davon, erträgt es nicht, übergangen worden zu sein, staucht den neuen Großmeister vor den versammelten Botschaftern der Sarazenenherrscher zusammen, und der Großmeister widerruft das den Feinden gegebene Wort, kniet vor dem König nieder und bittet ihn um Vergebung. Man kann nicht sagen, dass die Ritter sich nicht gut geschlagen hätten, sie waren tapfer und selbstlos, aber der König von Frankreich demütigt sie, um seine Macht zu stabilisieren – und aus demselben Grunde wird sein Nachfolger Philipp sie ein halbes Jahrhundert später auf den Scheiterhaufen schicken.

Im Jahre 1291 wird Akkon von den Sarazenen erobert, und alle Einwohner werden geopfert. Mit dem restlichen Königreich von Jerusalem ist es vorbei. Die Templer sind wohlhabender, zahlreicher und mächtiger denn je, doch im Heiligen Lande, das zu befreien sie sich einst aufgemacht hatten, im Heiligen Lande gibt es die Templer nicht mehr.

Sie leben glanzvoll begraben in ihren Komtureien überall in Europa und im Tempel zu Paris, und sie träumen noch immer von der Esplanade des Tempels zu Jerusalem in den glorreichen Zeiten – die schöne Kirche Sankt Marien in Lateran, vollgestopft mit Votivkapellen und Siegestrophäen, umgeben von emsigen Schmiedewerkstätten, Sattlereien, Tuchwebereien und Kornspeichern, dazu ein Stall mit zweitausend Pferden, ein Gewimmel von Schildknappen, Adjutanten, türkischen Söldnern, die weißen Mäntel mit roten Kreuzen, die braunen Kutten der Hilfskräfte, die Gesandten des Sultans mit großen Turbanen und vergoldeten Helmen, die Pilger, ein Hin und Her von schönen Reiterschwadronen und Kurieren, dazu die Pracht der vollen Tresore, der Hafen, aus dem Befehle und Dispositionen ausgingen, Ladungen für die Burgen des Mutterlandes, der Inseln, der Küsten Kleinasiens...

Vorbei, meine armen Templer, alles vorbei.

Mit einem Mal wurde mir bewusst, an jenem Abend in Pilades Bar, beim fünften Whisky, den Belbo mir förmlich aufzwang, dass ich geträumt hatte, sentimental (welche Schande), aber laut, und dass ich eine wunderschöne Geschichte erzählt haben musste, mit Leidenschaft und Mitgefühl, denn Dolores hatte glänzende Augen, und Diotallevi, der sich inzwischen sogar ein zweites Tonicwater geleistet hatte, drehte seraphisch die Augen zum Himmel, beziehungsweise zur keineswegs sefirothischen Decke der Bar, und murmelte:»Vielleicht waren sie alles das zugleich: verlorene und gerettete Seelen, Rossknechte und Ritter, Bankiers und Recken... «

»Gewiss waren sie einzigartig«, lautete Belbos Urteil.»Aber sagen Sie, Casaubon, mögen Sie sie?«

»Ich promoviere über sie, und wer über die Syphilis promoviert, mag am Ende sogar die bleichen Spirochäten.«

»Ach, schön wie ein Film war das«, seufzte das Mädchen Dolores.»Aber jetzt muss ich gehen, tut mir leid, ich muss noch Flugblätter für morgen abziehen. Bei Marelli wird gestreikt«

»Sei froh, dass du dir das erlauben kannst«, sagte Belbo, hob müde eine Hand und strich ihr übers Haar.

Dann bestellte er den, wie er sagte, letzten Whisky und bemerkte:»Es ist fast Mitternacht. Ich denke dabei nicht an die gewöhnlichen Sterblichen, aber an Diotallevi. Trotzdem, beenden wir die Geschichte, ich möchte noch wissen, was es mit dem Prozess auf sich hatte. Wann, wie, warum...«

» Cur, quomodo, quando «, stimmte Diotallevi zu.»Ja ja!«

 

14

 

 

Er sagte aus, er habe am Abend zuvor mit eigenen Augen gesehen, wie vierundfünfzig Brüder besagten Ordens auf einem Karren zum Scheiterhaufen geführt worden seien, weil sie die obengenannten errores nicht hätten gestehen wollen, und er habe sagen hören, sie seien verbrannt worden, und er selber würde, weil er fürchte, daß er nicht gut standzuhalten vermochte, so man ihn verbrennte, aus Angst vor dem Tode gestehen und auch beeiden, vor den genannten Herren Kommissaren und vor einem jedem beliebigen andern, so man ihn verhörte, daß alle dem Orden vorgeworfenen errores wahr seien, und daß er, so man es von ihm verlangte, sogar gestehen würde, unseren lieben Herrn Jesum Christum umgebracht zu haben.

Aussage des Templers Aimery de Villiers‑le‑Duc am 13.5.1310

 

Ein Prozess voller Lücken, Widersprüche, Rätsel und Dummheiten. Die Dummheiten waren am auffälligsten, und da sie mir unerklärlich waren, warf ich sie mit den Rätseln zusammen. In jenen glücklichen Studientagen glaubte ich noch, dass die Dummheit Rätsel erzeuge. Vorgestern Abend im Periskop dachte ich, dass die schrecklichsten Rätsel, um nicht als solche erkannt zu werden, sich als Verrücktheit tarnen. Heute denke ich, dass die Welt ein gutartiges Rätsel ist, das unsere Verrücktheit schrecklich macht, weil sie sich anmaßt, es nach ihrer Wahrheit zu deuten.

Die Templer hatten kein Ziel mehr. Oder besser gesagt, sie hatten die Mittel zum Zweck gemacht, sie verwalteten ihren immensen Reichtum. Kein Wunder, dass ein auf Zentralisierung erpichter Monarch wie Philipp der Schöne sie scheel ansah. Wie ließ sich ein souveräner Orden unter Kontrolle halten? Der Großmeister hatte den Rang eines Fürsten von Geblüt, er befehligte eine Armee, verwaltete einen immensen Grundbesitz, war gewählt wie der Kaiser und besaß eine unumschränkte Autorität. Der französische Staatsschatz befand sich nicht in den Händen des Königs, sondern wurde im Pariser Tempel gehütet. Die Templer waren die Depositäre, Prokuristen und Verwalter eines formal auf den Namen des Königs eingetragenen Kontos. Sie kassierten, bezahlten, spekulierten mit den Zinsen, kurzum: sie benahmen sich wie eine große Privatbank, aber mit allen Privilegien und Freiheiten einer Staatsbank. Und des Königs Schatzmeister war ein Templer... Kann man unter solchen Bedingungen ernstlich regieren?

Wen man nicht schlagen kann, den muss man umarmen. Philipp ersuchte den Orden, ihn zum Ehrenmitglied zu ernennen. Die Antwort war negativ. Eine Beleidigung, die sich ein König merkt. Er wandte sich an den Papst und legte ihm nahe, die Templer mit den Johannitern zu fusionieren, um den neuen Orden dann einem seiner Söhne zu unterstellen. Der Großmeister des Tempels, Jacques de Molay, kam mit großem Pomp aus Zypern angereist, wo er inzwischen wie ein Monarch im Exil residierte, und legte dem Papst eine Denkschrift vor, in der er scheinbar die Vorteile, in Wahrheit aber die Nachteile der Fusion hervorhob. Ohne Scham gab Molay unter anderem zu bedenken, dass die Templer reicher als die Johanniter seien, die Fusion also mehr den einen als den anderen zugutekäme, was den Seelen seiner Ritter sehr zum Schaden gereichen würde. Molay gewann diese erste Partie des beginnenden Spiels, der Fall wurde zu den Akten gelegt.

Nun blieb nur noch die Verleumdung, und hier hatte der König leichtes Spiel. Gerüchte über die Templer waren seit Langem im Umlauf. Wie mussten sie den guten Franzosen erscheinen, diese»Kolonialisten«, die herumliefen und den Zehnten eintrieben, ohne selber etwas dafür zu entrichten, inzwischen nicht einmal mehr ihren Blutzoll als Hüter des Heiligen Grabes? Gewiss waren auch sie Franzosen, aber doch nicht ganz richtige, eher pieds noirs oder, wie man damals sagte, poulains, Fohlen. Sie gaben sich exotisch, womöglich unterhielten sie sich miteinander gar in der Maurensprache, an die sie sich gewöhnt hatten. Sie waren Mönche, aber ihre wüst‑arroganten Sitten waren bekannt, schon vor

Jahren hatte Papst Innozenz III. sich veranlasst gesehen, eine Bulle De insolentia Templariorum zu schreiben. Sie hatten das Armutsgelübde abgelegt, aber sie traten auf mit dem Prunk einer aristokratischen Kaste, der Habsucht des neuen Bürgertums und der Dreistigkeit einer Musketiertruppe.

Es bedarf wenig, um vom Gerücht zum Geraune, zur schlüpfrigen Anspielung überzugehen – Homosexuelle, Häretiker, Götzendiener, die einen bärtigen Kopf anbeten, bei dem man nicht weiß, woher er kommt, aber bestimmt nicht aus dem Pantheon der guten Gläubigen. Womöglich teilen sie die Geheimnisse der Ismaeliten, verkehren gar mit den Assassinen des Alten vom Berge... Philipp und seine Ratgeber wissen sich dieses Gerede zunutze zu machen.

Hinter Philipp stehen seine zwei teuflischen Einbläser, Marigny und Nogaret. Marigny ist der, der am Ende die Hand auf den Schatz des Tempels legen und ihn für den König verwalten wird, bis ihn die Johanniter bekommen, wobei nicht ganz klar ist, wer von den Zinsen profitiert. Nogaret, der Siegelbewahrer des Königs, war 1303 der Stratege des Zwischenfalls von Anagni, als der römische Fürst Sciarra Colonna den Papst Bonifatius VIII. geohrfeigt hatte, woraufhin dieser binnen Monatsfrist an der Demütigung verstarb.

An einem bestimmten Punkt tritt ein gewisser Esquieu de Floyran auf den Plan. Wegen irgendwelchen nicht präzisierten Delikte eingekerkert und zum Tode verurteilt, ist er in der Zelle angeblich einem abtrünnigen Templer begegnet, der ebenfalls auf die Enthauptung wartete und ihm schreckliche Dinge anvertraut hatte. Gegen seine Freilassung und eine schöne Summe Geldes verkauft Floyran, was er weiß. Was er weiß, ist, was alle inzwischen raunen. Aber nun ist man vom Geraune zur Aussage vor Gericht übergegangen. Der König teilt die sensationellen Enthüllungen Floyrans dem Papst mit, der jetzt Clemens V. ist, derselbe, der den päpstlichen Sitz nach Avignon verlagert hat. Der Papst weiß nicht recht, ob er's glauben soll, auf jeden Fall weiß er, dass es nicht leicht ist, sich in die Angelegenheiten der Templer einzumischen. Aber 1307 gibt er sein Placet zur Eröffnung eines offiziellen Verfahrens. Molay wird informiert, doch er gibt sich gelassen. Er nimmt weiter an der Seite des Königs an den offiziellen Zeremonien teil, als Fürst unter Fürsten. Clemens zieht den Prozess in die Länge, der König argwöhnt, dass der Papst den Templern Zeit lassen will, zu verschwinden. Nichts ist falscher als das, die Templer trinken und fluchen ahnungslos weiter in ihren Burgen. Und dies ist das erste Rätsel.

Am 14. September 1307 schickt der König versiegelte Botschaften an alle Vögte und Seneschalle des Reiches mit dem Befehl, die Templer überall zu verhaften und ihre Güter zu beschlagnahmen. Zwischen dem Erlass des Haftbefehls und der Verhaftung vergeht ein ganzer Monat, doch die Templer ahnen offenbar nichts. Am Morgen des 13. Oktober werden sie alle umstellt und – weiteres Rätsel – ergeben sich kampflos. Und man bedenke, in den Tagen davor haben die Beamten des Königs, um sicherzugehen, dass ihnen bei der Beschlagnahme nichts entgeht, eine Art Bestandsaufnahme des Templervermögens durchgeführt, im ganzen Lande, mit kindischen administrativen Vorwänden. Und die Templer haben nichts gemerkt – machen Sie sich's bequem, Herr Vogt, sehen Sie sich um, wo Sie wollen, fühlen Sie sich wie zu Hause...

Als der Papst von der Verhaftung erfährt, versucht er's mit einem Protest, aber nun ist es zu spät Die königlichen Kommissare haben schon angefangen, mit Eisen und Strick zu arbeiten, und viele Ritter haben unter der Folter bereits gestanden. Nun kann man sie nur noch den Inquisitoren überantworten, die zwar damals noch nicht das Feuer anwandten, aber es geht auch so. Die Geständigen wiederholen ihre Geständnisse.

Und dies ist das dritte Rätsel: Gewiss ist Folter angewandt worden, und zwar schlimme, wenn sechsunddreißig Ritter daran gestorben sind, aber von diesen Männern aus Eisen, die es gewohnt waren, dem grausamen Türken standzuhalten, hält keiner den Schergen des Königs stand. In Paris verweigern bloß vier von einhundertachtunddreißig Templern das Geständnis. Alle andern gestehen, einschließlich Jacques de Molay.

»Aber was gestehen sie denn?«, fragte Belbo.

»Sie gestehen genau das, was im Haftbefehl geschrieben stand. Ihre Aussagen weichen kaum voneinander ab, jedenfalls in Frankreich und Italien. In England dagegen, wo ihnen niemand ernstlich den Prozess machen will, tauchen zwar in den Aussagen auch die üblichen Anklagen auf, aber sie werden ordensfremden Zeugen zugeschrieben, die nur berichten, was sie vom Hörensagen wissen. Mit einem Wort, die Templer gestehen nur dort, wo jemand will, dass sie gestehen, und nur das, was er von ihnen hören will.«

»Normaler Inquisitionsprozess«, sagte Belbo.»Von der Sorte haben wir schon andere gesehen.«

»Trotzdem ist das Verhalten der Angeklagten bizarr. Die Anklagepunkte lauten, die Ritter hätten bei ihren Initiationsritualen dreimal Christus verleugnet, auf das Kruzifix gespuckt, sich entblößt und in posteriori parte spine dorsi (auf den unteren Teil der Wirbelsäule... in Beleidigung der Menschenwürde) küssen lassen, also auf den Hintern, danach auf den Nabel und auf den Mund, in humane dignitatis opprobrium; schließlich hätten sie, sagt der Anklagetext, sich wechselseitig dem Beischlaf hingegeben, alle miteinander. Die Orgie. Dann sei ihnen der Kopf eines bärtigen Götzen gezeigt worden, und sie hätten ihn anbeten müssen. Und was erwidern sie auf diese Beschuldigungen? Geoffroy de Charnay, derselbe, der später mit Jacques de Molay auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird, sagt, ja, das sei schon vorgekommen, er habe Christus verleugnet, aber nur mit den Lippen, nicht mit dem Herzen, und er könne sich nicht erinnern, ob er auf das Kruzifix gespuckt habe, weil an jenem Abend alles so schnell gegangen sei. Was den Kuss auf den Hintern betreffe, ja, auch das sei ihm widerfahren, und er habe den Präzeptor der Auvergne sagen hören, im Grunde sei's besser, sich mit den Brüdern zu vereinigen, als sich mit einer Frau zu kompromittieren, aber er selber habe keine fleischlichen Sünden mit andern Rittern begangen. Kurz, man gesteht, aber es sei nur ein Spiel gewesen, niemand habe ernstlich daran geglaubt, die anderen haben's vielleicht getan, aber ich nicht, ich hab nur aus Höflichkeit mitgemacht... Jacques de Molay, der Großmeister, nicht der letzte der Bande, sagt, er habe, als man ihm das Kruzifix zum Draufspucken hinhielt, nur so getan, aber auf den Boden gespuckt. Er räumt ein, dass die Initiationsrituale ungefähr so gelaufen seien, aber wie's der Zufall will – er könne es nicht genau sagen, weil er während seiner ganzen Karriere nur ganz wenige Brüder initiiert habe. Ein anderer sagt, er habe den Meister zwar schon geküsst, aber nicht auf den Hintern, sondern bloß auf den Mund, allerdings habe der Meister dann ihn auf den Hintern geküsst. Einige gestehen mehr als nötig: Sie hätten nicht nur Christus verleugnet, sondern auch behauptet, er sei ein Verbrecher gewesen, sie hätten die Jungfräulichkeit Mariens geleugnet, und aufs Kruzifix hätten sie sogar uriniert, und das nicht nur am Tage ihrer Initiation, sondern auch während der Karwoche; sie glaubten nicht an die Sakramente, und sie hätten sich nicht damit begnügt, nur den Baphomet anzubeten, sondern auch den Teufel in Gestalt einer Katze...«

Nicht minder grotesk, wenn auch nicht ganz so unglaublich, ist das Ballett, das daraufhin zwischen König und Papst beginnt. Der Papst will den Fall in die Hand nehmen, der König zieht es vor, den Prozess allein durchzufahren, der Papst möchte den Orden nur vorübergehend verbieten, um die Schuldigen zu bestrafen, und ihn dann wieder in seiner ursprünglichen Reinheit erneuern, der König will, dass der Skandal um sich greift und der Prozess den Orden in seiner Gesamtheit erfasst, damit er ihn endgültig zerschlagen kann, politisch und religiös, aber vor allem finanziell.

Schließlich taucht ein Dokument auf, das ein Meisterwerk der Jurisprudenz ist. Hochgelehrte Magister der Theologie legen fest, dass den Verurteilten kein Verteidiger zuerkannt werden dürfe, damit es nicht dazu komme, dass sie widerriefen; da sie ja gestanden hätten, sei es nicht nötig, einen Prozess zu eröffnen, der König müsse von Amts wegen handeln, einen Prozess mache man nur, wenn es Zweifel gebe, und von Zweifeln könne hier nicht die Rede sein.»Also wozu ihnen dann noch einen Verteidiger geben, außer um ihre eingestandenen Verfehlungen zu verteidigen, da doch die Evidenz der Fakten ihr Verbrechen beweist?«

Weil jedoch die Gefahr besteht, dass der Prozess dem König entgleitet und in die Hände des Papstes gelangt, ziehen der König und Nogaret einen sensationellen Fall auf, eine Affäre, die den Bischof von Troyes involviert, der aufgrund der Anzeige eines mysteriösen Intriganten, eines gewissen Noffo Dei, der Hexerei bezichtigt wird. Später stellt sich heraus, dass dieser Noffo Dei gelogen hat – wofür er dann gehängt wird –, aber bis dahin ergießen sich über den armen Bischof öffentliche Anklagen wegen Sodomie, Sakrileg und Wucher. Dieselben, die man den Templern vorwirft. Vielleicht will der König damit den Söhnen Frankreichs bedeuten, dass die Kirche kein Recht habe, über die Templer zu richten, da sie selber nicht immun gegen deren Verfehlungen sei, oder er will nur einfach dem Papst eine Warnung erteilen. Das Ganze ist eine ziemlich obskure Geschichte, ein undurchsichtiges Spiel zwischen Polizei und Geheimdiensten, mit Infiltrationen und Denunziationen... Der Papst gerät in die Bredouille und genehmigt schließlich, dass zweiundsiebzig Templer verhört werden, die im Verhör bekräftigen, was sie unter der Folter gestanden haben. Doch der Papst setzt auf ihre Reue und spielt die Karte der Abschwörung aus, um ihnen vergeben zu können.

Date: 2015-12-13; view: 340; Нарушение авторских прав; Помощь в написании работы --> СЮДА...



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