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Rückblick 10 page





 

Frau Fromm war an der linken Schmalkante meines Schreibtisches angelangt. Ehe ich noch begriff, was das alles zu bedeuten hatte, fuhren ihre Hände wie mit einem wahren Katzensprung plötzlich auf den schwarz-silbernen Tulakasten los, den ich kürzlich erst durch Lipotins Vermittlung von Baron Stroganoff erworben und so überaus sorgfältig hatte in die Richtung des Erdmeridians stellen müssen.

"Halte ich dich endlich in Händen, silberschwarze Schlange", zischte Frau Fromm und tastete mit schnellen, vor Nervosität zitternden Fingern an den eingelegten Ornamenten des Tulakästchens entlang.

Zuerst wollte ich aufspringen und ihr das Ding aus der Hand reißen. Ein sonderbarer Aberglaube hatte ja seit einiger Zeit Besitz von mir ergriffen, daß ich irgendeinen Sinn in der Weltordnung verletzt meinte, wenn das Kästchen nicht in seiner ihm angewiesenen Richtung verblieb. Dieser kindische Wahn übermannte mich in diesem Augenblick mit geradezu irrsinniger Gewalt.

"Nicht anfassen! Stehen lassen!" glaubte ich zu brüllen, aber ich hörte nur einen eisernen halblauten Schrei aus meiner Kehle hervordringen, und es gelang mir nicht, die Worte zu artikulieren.

Im nächsten Augenblick sammelten sich die ruhelosen Finger der Frau auf eine bestimmte Stelle der glatten silbernen Oberfläche; sie liefen förmlich zusammen wie Spinnentiere – wie selbstbewußte Lebewesen, die vom Geruch oder Anblick einer gemeinsamen Beute jählings zu einem Punkte hinabgerissen werden. Sie sprangen übereinander, drängten sich, umirrten immer die gleiche Stelle mit hungrigen Bewegungen, und plötzlich knackte eine leise Feder: das Tulakästchen lag geöffnet in den Händen Frau Fromms.

 

 

Im Nu stand ich neben ihr. Sie war ganz ruhig geworden und hielt das offene Kästchen in flacher, ausgestreckter Hand mit einer Gebärde, die fast wie Abscheu oder Ekel vor einem häßlichen oder gefährlichem Tier aussah, mir entgegen. In ihrer Miene lag Triumph, Freude und eine schwer zu deutende Beseeltheit, die auf mich wirkte wie bittende, schüchtern sich nähernde Liebe.

Wortlos nahm ich ihr das Kästchen aus der Hand. Da schien sie gleichsam aufzuwachen. Verwunderung, leichter Schreck liefen über ihr Gesicht. Sie wußte, wie streng ich darauf hielt, daß auf meinem Schreibtisch nichts berührt, nichts von seiner Stelle gerückt werden dürfe. Ängstlich, verständnislos und siegesgewiß zugleich schaute sie mich groß an, und ich fühlte, daß ein Wort des Tadels in diesem Augenblick sie für immer von mir und aus dem Hause getrieben hätte.

Die warme Welle rätselhafter Zuneigung, die aber gerade jetzt mein innerstes Empfinden überströmte, verhinderte mich, das Wort auszusprechen, das mir auf der Zunge lag. Dies alles waren die Vorgänge einer Sekunde.

Mein nächster Blick galt dem Tulakästchen. Ich sah: auf ein sorgfältig gearbeitetes, aus grünem und vor Alter verschossenem und verschliffenem Atlas gefertigtes Polster lag gebettet der " Lapis sacer et praecipuus manifestationis " des John Dee, wie er ihm einst vom Grünen Engel des westlichen Fensters übergeben worden war in den letzten Tagen von Mortlake: die geschliffene Kohle des Bartlett Green, die John Dee im Feuer verbrannt und dann auf so wunderbare Weise aus dem Jenseits wieder zurückerhalten hatte.

Schon der erste Blick schloß jeden Zweifel für mich aus: der von Dee so genau beschriebene goldene Fuß, die kostbare Fassung der dodekaëderförmigen Kohle – alles stimmte: vor mir lag das Geschenk des Bartlett Green und des Grünen Engels.

 

Ich wagte nicht, den Deckel des Kästchens zufallen zu lassen; es konnte ja sein, daß das geöffnete Schicksal sich noch einmal vor mir zugeschlossen hätte wie einst vor John Dee, als er das Geschenk der roten und weißen Kugeln zum Fenster hinauswarf.

Ich habe jetzt keine Zeit zu verlieren, sagte ich mir, ich stehe im Hellen und – weiß, während John Dee, mein Vorfahr, nur im Dunkeln tastete.

 

Ich hob also den wunderbaren Kristall sorgsam aus seinem altersmorschen Bett, prüfte sorgsam die Verschraubung an Fuß und Ornament, die das prachtvoll glatt und regelmäßig von glänzenden Flächen begrenzte Stück Fettkohle festhielt und stellte das kleine Kunstwerk mitten auf den Schreibtisch. Da zeigte sich ein rätselhafter Vorgang: der Kohlekristall begann in seiner Achse zu zittern und machte oszillierende Bewegungen; es zeigte sich, daß er an seinen Polen lose in den Stiften des Fußes und des oberen Ornamentes aufgehängt war. Die Kohle stellte sich, wie suchend, von selbst in den Meridian! – Dann kam sie zur Ruhe.

Frau Fromm und ich sahen dem Spiele zu. Dann gab ich ihr die Hand und sagte, ohne zu überlegen:

 

"Ich danke Ihnen, meine Freundin – meine Helferin!"

Ein Freudenschrei zuckte in ihrem Gesicht auf. Sie beugte sich jäh und küßte mir die Hand.

Mich durchbrannte ein helles Licht auf die Länge eines halben Gedankens. Ich sagte, ohne im geringsten zu wissen und zu wollen, was ich tat: "Jane!"... und zog die blonde junge Frau an mich, küßte sie leise auf die Stirn. Sie neigte den Kopf. Ein Schluchzen kam aus ihrer Brust; sie stammelte unter hervorstürzenden Tränen etwas, was ich nicht verstand, schaute mich dann in wilder Verwirrung beschämt, ratlos, entsetzt an und floh, ohne ein weiteres Wort zu sagen, aus meinem Zimmer.

 

 

Die Beweise, die Zeugnisse häufen sich. Wie wollte ich in dieser Klarheit, die mich umgibt, noch mit Zweifel und absichtlich blinden Augen umhertasten. Gegenwart ist aus Vergangenheit geworden! Gegenwart ist die Summe aller Vergangenheit in einem Moment der Besinnung, sonst nichts. Und weil diese Besinnung – diese Erinnerung – möglich ist, sooft der Geist sie ruft, so ist ewige Gegenwart im Strom der Zeit, und das fließende Gewebe wird zum ruhend ausgebreiteten Teppich, auf den ich herabblicken und auf ihm mit dem Finger die Stelle bezeichnen kann, wo ein bestimmter Einschlag eine ganz bestimmte Zeichnung im Muster beginnen läßt. Und dann kann ich den Faden von Knüpfung zu Knüpfung, vorwärts wie rückwärts, verfolgen; er reißt nicht ab: er ist der ewige Träger der Zeichnung und des Sinnes der Zeichnung; er ist der Wirt des Teppichs, der nichts zu tun hat mit seinem zeitlichen Dasein!

Hier stehe ich nun mit geöffneten Augen und erkenne mich am Punkte meiner Knüpfung: als mich, den zur Wiedererinnerung erwachsenden John Dee, Baronet of Gladhill, der ich eine Zeichnung des Schicksals vollenden – der ich das uralte Blut der Hoël Dhats und des großen Roderich knüpfen soll mit dem Blut der Elisabeth, damit die Zeichnung des Teppichs vollendet werde! Nur die Frage bleibt: was bedeuten mir die lebendigen Einschläge aus anderem Kettenschuß, die mich umgeben, die mich durchschießen? Stehen Sie mit im Plan des Teppichs oder gehören sie der unendlichen Vielfalt der anderen Bilder an, die das Spiel des Brahma unaufhörlich hervorbringt?

Frau Fromm – wie fremd und unzugehörig mich der Name jetzt anmutet! – gehört mit zum Gewebe! Daß ich das so spät erst durchschaue! Sie ist Jane, John Dees zweite Frau – – –: meine Frau! Immer wieder ziehen mich Schwindelanfälle nieder in die Abgrunde der Geheimnisse des Wachseins außer der Zeit! –

 

 

Jane irrt sich seit ihrer Geburt in diesem gegenwärtigen Dasein an den Grenzen ihres Lebenstraums viel näher und wachbereiter entlang als ich. Ich – ich? – Bin ich nicht erst berufen worden, als... Vetter Roger versagte?! – – War auch Roger: John Dee? Ist John Dee überall?! Bin auch ich nur eine Maske? Eine Hülle? Eine Trompete, die bloß den Atemstoß durch sich hindurchläßt und nur tönen läßt, was draußen, droben der blasende Mund will?! Aber: einerlei! So wie ich es jetzt in meiner Gegenwart erlebte, so ist es und nicht anders. Aber genug der Spinnwebgedanken! Die Augen auf und die Hand fest! Deine Fehler, John Dee, begehe ich nicht. Deinen Untergang, Vetter Roger, mache ich dir nicht nach. Mich sollen die Irdischen nicht narren, aber auch nicht – und noch weniger – die Unsichtbaren. Wer die Fürstin Chotokalungin ist, werde ich wissen, ehe die Sonne denselben Stand erreicht hat, den sie soeben einnimmt.

 

Ich werden den Briefträger von meinen Schicksalsträgern schon zu unterscheiden wissen; nicht wahr, mein Freund Lipotin?! –

Ich habe den Kohlekristall auf mehreren seiner Flächen lange beschaut. Es zeigte sich aber – ich muß es zu meiner Enttäuschung gestehen – keinerlei Anzeichen von Rauch, Nebel, Wolken, oder gar Bildern, wie von magischen Spiegeln und Kristallen übereinstimmend berichtet wird. In meiner Hand hielt blieb die Kohle eine schön geglättete und bearbeitete Kohle, weiter nichts.

 

Ich habe natürlich sofort bedacht, ob Jane... ich will sagen Frau Fromm – nicht entscheidendere Fähigkeiten besitzen möchte, dem Kristall sein Geheimnis zu entlocken. Ich rief soeben nach ihr. Sie ist nicht zu finden. Es scheint, sie ist ausgegangen. Ich muß mich gedulden, bis sie wiederkommt. – – – – – –

 

 

Kaum hatte mein mehrmaliger Ruf nach Frau Fromm das Haus durchhallt, da läutete das Telephon: – – Lipotin! Und ob er mich zu Hause antreffen werde? Er habe mir viel Interessantes zu zeigen. – Ja, ich sei zu Haus. – Gut. Abhängen. – –

Ich hatte nur wenig Zeit, über diese theatermäßig prompte Abwicklung des Regisseurs "Schicksal" nachzudenken und nachzugrübeln, was wohl Lipotin mir in diesem Augenblick mitzuteilen habe, da stand er auch schon in meinem Zimmer unbegreiflich rasch angesichts des weiten Weges von seinem Gewölbe bis heraus zu mir.

Nein! Er habe in der Nähe antelephoniert; es sei ihm plötzlich so eingefallen; wie ein Impuls sei es gewesen; und ein purer Zufall, daß er gerade bei sich getragen habe, was mich interessieren dürfte.

 

Ich sah ihn mit zweifelndem Schmerz an und fragte:

"Sind Sie eigentlich ein Gespenst oder sind Sie wirklich? Gehen Sie, sagen Sie mirs aufrichtig; wir können dann um so gemütlicher plaudern! Sie wissen gar nicht, wie furchtbar gern ich Gespenster habe!"

 

 

Lipotin nahm den immerhin etwas sonderbaren Spaß ganz unbefangen auf und lächelte aus den Augenwinkeln:

"Diesmal bin ich schon echt, Verehrtester. Brächte ich Ihnen sonst eine solche... Merkwürdigkeit?!"

 

 

Er grub in einer seiner vielen Taschen und hielt mir auf einmal zwischen ausgestreckten Fingern eine kleine rote Elfenbeinkugel hin.

 

Mich traf der Schlag, – buchstäblich, denn der Nervenriesel rann mit Blitzgewalt vom Hinterhaupt den Rücken entlang bis in die Fußspitzen.

"Die Kugel aus St. Dunstans Grab!" stotterte ich.

 

Lipotin grinste auf seine fatalste Art.

"Sie träumen, Verehrtester. Sie scheinen sich an roten Kugeln so zu erschrecken. Haben Sie in jüngster Zeit Pech im Billardspiel gehabt, oder sind Sie einmal in einem Ihrer unwürdigen Klubs ausballotiert worden?"

 

Mit diesen Worten steckte er die Kugel wieder zu sich und tat, als ob nichts geschehen wäre.

 

"Entschuldigen Sie", sagte ich verwirrt, "– es sind Umstände vorhanden, Umstände... geben Sie mir doch die rote Kugel; sie interessiert mich in der Tat."

 

Lipotin war neugierig an den Schreibtisch getreten, schien meine Worte gar nicht zu hören. Betrachtete mit größter Aufmerksamkeit den goldgefaßten Kohlekristall.

 

"Wo haben Sie das her?"

Ich deutete auf den offenen Tulakasten:

"Von Ihnen."

"Ah, gratuliere!"

"Wozu?"

"Das also war der Inhalt aus Stroganoffs letztem Besitz? Merkwürdig!"

"Was ist merkwürdig?" verharrte ich lauernd.

Lipotin schaute auf. Er kniff das linke Auge zu:

 

"Eine ganz feine Arbeit! Böhmische Arbeit. Man möchte fast an den berühmten Hofgoldschmied Rudolfs von Habsburg, an den Prager Meister Hradlik denken."

 

Wieder ein kurzes Aufblitzen in meiner Seele: Prag? – Dann erwiderte ich, einigermaßen verstimmt:

"Lipotin, Sie wissen ganz gut, daß mich Ihre erstaunlichen Kenntnisse in kunstgeschichtlichen Angelegenheiten in dieser Stunde wenig interessieren. Dieses Stück bedeutet mir mehr – –"

 

"Ja, ja. Sehen Sie nur die vorzügliche, künstliche Arbeit des Fußgestells!"

"Hören Sie auf, Lipotin!" befahl ich zornig. "Sagen Sie mir lieber, da Sie doch alles wissen, wie ich mit dem Ding zurechtkomme, das Sie mir ins Haus geschleppt haben."

 

"Was wollen Sie denn mit ihm anfangen?"

 

"Ich – sehe nichts drin", antwortete ich kurz.

 

"Ach sooo! –" machte Lipotin gedehnt und unecht.

 

"Hab ichs doch gewußt, Sie verstehen mich!" triumphierte ich. Mir war, als hätte ich jetzt die Karten des Spieles in der Hand.

 

"Kunststück!" brummte Lipotin, zerbiß seine unvermeidliche Zigarette und warf den glimmenden Stummel in meinen Papierkorb, eine Nachlässigkeit, die mir zuwider ist, "Kunststück! Es ist doch ein magischer Kristall; ein ' glass ', wie man in Schottland sagt."

 

 

"Warum gerade Schottland?" fiel ich ihm ins Wort wie ein Untersuchungsrichter.

"Das Ding kommt doch aus England", sagte Lipotin träge und wies mit dem Fingernagel auf eine feingravierte Schmuckschrift, in spätgotisches Rankenwerk versteckt, die um die Greifklauen des Fußgestells lief. Sie war mir bis jetzt entgangen. – Die Inschrift war englisch und lautete:

"Dieser edle und köstliche Stein, von Wunderkräften erfüllt, stammt aus dem Nachlaß des hochgeehrten Meisters aller verborgenen Weisheit, des unglücklichen John Dee, Baronets of Gladhill. Im Jahr seines Heimgangs 1607."

 

Da war also zu allem Überfluß nun auch noch das Zeugnis urkundlich vorhanden, daß John Dees kostbarster Besitz, den er höher als Geld und alle Schätze der Welt gehalten, getreulich seinen Weg zu mir, dem berufenen Erben und Sachwalter seines Geschickes, zurückgefunden hatte. Diese Entdeckung benahm mir den letzten Zweifel, wer im tiefsten Grunde seines Wesens Lipotin war. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte:

"Nun, alter Bote der Geheimnisse, sagen Sie mir endlich: was wollen Sie mir bringen? Was ists mit der roten Kugel?! Wollen wir Blei tingieren? Wollen wir Gold machen?"

 

Lipotin wandte seinen Fuchskopf gegen mich und antwortete ausweichend, aber im Ton ruhigster Sachlichkeit:

"Sie haben also schon einen Versuch mit der Kohle gemacht? Sie können aber darin nichts sehen, nicht wahr?"

Er wollte nicht hören. Er war eigenartig, wie so oft, und wollte seinen eigenen Weg verfolgen. Gut, ich kenne das an ihm. Man muß sich fügen, sonst ist nichts mit ihm anzufangen. Ich sagte daher ruhevoll:

 

"Nein, ich kann nichts drin wahrnehmen, wie ich's auch anstelle."

"Das wundert mich nicht." – Lipotin zuckte die Achseln.

"Und wie würden Sie es anstellen, wenn Sie etwas aus der Kohle lesen wollten?"

"Ich? Mich gelüstet nicht danach, ein Medium zu werden."

"Medium? – Und anders, denken Sie, ist es unmöglich?"

"Das einfachste ist: Medium werden", erwiderte Lipotin.

"Und wie wird man ein Medium?"

"Fragen Sie Schrenck Notzing." Ein maliziöses Lächeln spielte in Lipotins Gesicht.

"Auch ich habe weder Lust noch Zeit, ein Medium zu werden, wenn ich die Wahrheit sagen soll", wehrte ich seinen Spott ab. – "Aber sagten Sie nicht soeben, das Mediumwerden sei nur das einfachste? Was wäre weniger einfach?"

 

"Die ganze Kristallguckerei sein lassen!"

 

Ich stutzte:

"Sie haben recht mit Ihren Paradoxen; es fällt mir in der Tat schwer, es ganz und gar sein zu lassen! Gewisse Umstände veranlassen mich nämlich, zu vermuten, daß auf den Flächen dieser Kohle Bilder fixiert schlummern – so würden sich wohl manche Okkultisten ausdrücken –, Vergangenheitsbilder, sagen wir einmal, die für mich von vielleicht nicht geringer Bedeutung sind..."

"Dann müssen Sie eben etwas riskieren!"

"Was zum Beispiel?"

"Zum Beispiel die Sicherheit vor Täuschungen seitens der – nennen wir es: eigenen Phantasie. Mediumistisches Halluzinieren wird oft zu einer Art Morphinismus im seelischen Sinn. Außer..."

 

 

"Außer...?"

"Man 'tritt' aus."

"Wie meinen?"

"Man geht hinüber!"

"Wie?"

"So!!" – Lipotin hatte auf einmal wieder die rote Kugel in der Hand und ließ sie zwischen seinen Fingern spielen.

"Geben Sie her! Ich habe sie schon einmal darum gebeten."

"O nein, Verehrtester; ich kann Ihnen die Kugeln doch nicht überlassen! Es fällt mir soeben ein, daß es nicht geht."

Ich wurde ärgerlich:

"Was soll das wieder heißen?"

Liputin machte ein sehr ernsthaftes Gesicht –: "Verzeihen Sie! Ich hatte vorhin eine Kleinigkeit vergessen. Ich fühle, ich bin Ihnen eine Aufklärung schuldig. Diese Kugel ist hohl."

"Weiß ich."

 

 

"Woher wissen Sie...?" – Lipotin tat sehr erstaunt.

 

"Faxen! Ich habe Ihnen, denke ich, schon einmal gesagt: ich kenne die Augenbinde des Herrn Mascee aus St. Dunstans Grab genau! Geben Sie endlich her!"

 

Lipotin wich zurück.

"Was reden Sie da von Mascee und Sankt Dunstan?! Ich verstehe keine Silbe. Die Kugel hat nichts mit dem ehrwürdigen Mascee zu tun! Ich selbst habe sie zum Geschenk erhalten vor langen Jahren. Von einem Rotkappenmönch in den Felsgrotten von Ling Pa am Berge Dpal bar."

"Sie wollen mich also vexieren, Lipotin?"

 

"Aber nein; es ist mein voller Ernst! Ich werde mir doch nicht erlauben, Ihnen Fabeln aufzutischen! – Die Sache war so: mehrere Jahre vor Ausbruch des russisch-japanischen Krieges war ich in besonderer Sendung einer meiner reichen russischen Gönner in Nordchina, an der chinesich-tibetischen Grenze; es handelte sich darum, tibetanische Tempelikone von ziemlich phantastischem Wert zu erwerben: uralte chinesische Seidenmalereien und dergleichen. Genug: ich mußte mich mit meiner Klientel dort erst einmal gründlich anfreunden, ehe an Geschäfte zu denken war. Unter anderem auch mit den merkwürdigen Bewohnern von Dpal bar skyd. Die Sekte nennt sich 'Yang'. Sie haben dort ein höchst seltsames Ritual. Es ist sehr schwierig, Genaueres darüber zu erfahren. Es ist auch mir kaum gelungen, Einblick zu gewinnen, obgleich ich in fernöstlicher Magie ziemlich Bescheid weiß. – – Die Leute haben besondere Einweihungen. Zu dem Einweihungsritual eben gehört 'der Zauber der roten Kugel'. Ein einziges Mal durfte ich der Zeremonie beiwohnen. Wie ich dazu kam, tut nichts zur Sache. – Die Neophyten räuchern mit einem Pulver, das in roten Elfenbeinkugeln verwahrt wird. Es geschieht das alles auf eine besondere Weise, wovon zu erzählen keinen Zweck jetzt hätte. Jedenfalls: die Räucherung wird von dem Abt selbst geleitet und befähigt die neu in die Sekte aufzunehmenden Jungmönche, 'Yang Yin' zu machen oder 'die Hochzeit des vollkommenen Kreises' an sich zu erleben. Was sie damit meinen, ist mir gleichfalls dunkel geblieben. Auch rede ich nicht gern davon. Sie behaupten, sie erwürben durch 'Austreten' aus dem Leibe infolge Einatmens des roten Rauches die Macht, über die Schwelle des Todes zu gelangen und unvorstellbare magische Kräfte zu bekommen, indem sie sich mit ihrer weiblichen, im irdischen Leben fast immer verborgenen 'anderen Hälfte' vermählen, wie zum Beispiel: Unsterblichkeit der Person, Stillstand des Rades der Geburt, kurz, eine Art Götterrang, der andern sterblichen Wesen versagt bleibt, solange sie das Geheimnis der blau und roten Kugeln nicht kennen. – Offenbar liegen diesem Aberglauben Ideen zugrunde, wie sie als Zeichnung im Staatswappen von Korea niedergelegt sind: das männliche und das weibliche Prinzip in der innigen Einschmiegung in den Kreis der Unwandelbaren. – Aber das alles ist Ihnen, verehrter Gönner, natürlich viel geläufiger als mir selbst."

 

 

Ich bemerkte wohl den scheinheilig-wegwerfenden Ton in den letzten Worten Lipotins. Er mag eine recht schlechte Meinung von meinen Kenntnissen ostasiatischer Mystik haben; aber er irrt sich. Soviel weiß ich allerdings: das Yin-Yang Symbol genießt in Ostasien die höchste Verehrung. Es wird als Kreis gemalt, der durch eine Schlangenlinie zur Doppelfigur wird, in der zwei birnenförmige Flächen – die eine rot, die andere blau – sich innig aneinander schmiegen: das geometrische Zeichen der Vermählung zwischen Himmel und Erde: dem männlichen und dem weiblichen Prinzip.

 

Ich nickte nur mit dem Kopf. Lipotin fuhr fort:

 

"Die Yangsekte ist der Meinung, der geheime Sinn der Zeichen sei die Bewahrung oder Fixierung der magnetischen Kraft der beiden Prinzipien, anstatt ihrer Vergeudung im Auseinandertritt der Geschlechter. Sie meinen damit so etwas wie eine – hermaphroditische Ehe..."

Wieder schlug ein Blitz senkrecht vor mir ein; ich glaubte in der blendenden Helle seines Lichts aufbrennen zu müssen! – Daß mir diese Erleuchtung jetzt erst zu Bewußtsein kam! Yin Yang: der Baphomet! Ein und dasselbe!... Ein und dasselbe!! – "Das also ist der Weg zur Königin!" – schrie eine Stimme laut in mir, so daß ich meinte, mit den äußeren Ohren den Ruf zu hören. Zugleich zog eine wunderbare Ruhe in meine aufgeregten Sinne und Gedanken ein.

 

Lipotin hatte mich scharf beobachtet: offenbar sah er, welche Veränderung mit mir vorging, sah mein Erschrecken und mein von Gewißheit erhelltes Lächeln, denn er lächelte gleichfalls.

 

 

"Sie kennen den alten Glauben an das Geheimnis des Hermaphroditen, wie ich sehe", sagte er nach einer Pause. "Nun, man erklärte mir damals in dem asiatischen Kloster, der Inhalt dieser roten Kugel hier bewirke die Vereinigung mit dem Weiblichen in uns."

 

"Geben Sie her!" rief ich, – befahl ich.

 

Lipotin wurde feierlich.

"Ich muß wiederholen, daß mir unbegreiflicherweise erst vorhin ein sonderbarer Umstand wieder ins Gedächtnis zurückgekehrt ist, der sich mit dem Geschenk dieser Kugel verbindet. Ich habe nämlich dem Mönch, der sie mir gab, versprechen müssen, sie zu vernichten, falls ich selbst keinen Gebrauch von ihr zu machen wünschte, keinesfalls aber sie in eine dritte Hand zu geben, es sei denn, diese Hand verlange ausdrücklich danach."

"Ich verlange danach!" rief ich rasch.

Lipotin zuckte mit der Wimper und fuhr gleichmäßig fort:

"Sie wissen ja, wie ein Reisender mit den skurrilen Gastgeschenken von Halbwilden umzugehen pflegt: es sammelt sich da auf weiten Reisen, wie ich sie tun mußte, mancherlei an, so daß man das einzelne sehr rasch wieder vergißt. Was denken Sie, wie wenig mich oft die Kugel des Yangmönches interessiert hat! Man wirft so etwas in den Koffer, reist weiter und vergißt den Raritätenschund. Ich meinesteils habe nie das allergeringste Bedürfnis gespürt, mein 'Yang' neben mein 'Yin' zu legen und das Weibliche in mir zum Kreisschluß aufzufordern."

 

 

Dazu grinste Lipotin auf eine zynische Weise und machte eine abstoßend laszive Handbewegung.

Ich suchte das zu übersehen und wiederholte mit Ungeduld:

"Sie hören doch: ich verlange danach! Mit allem Ernst und mit aller Kraft meines Wesens. – So wahr mir Gott helfe!" fügte ich hinzu und wollte gerade die Hand zum Schwur erheben, da unterbrach mich Lipotin:

"Wenn Sie schon schwören wollen bei einer solchen Gelegenheit, dann müssen Sie, und sei es auch nur Scherzes halber, die Methode der Yangmönche einhalten. Wollen Sie?" – –

Und als ich bejahte, ließ er mich die linke Hand auf den Boden legen und sagen:

"Ich verlange und nehme die Folgen auf mich, damit du entbunden seist aller karmischen Vergeltung." – –

Ich lächelte, denn die Komödie kam mir reichlich dumm vor, trotzdem mich dabei ein widerwärtiges Gefühl beschlich.

"Jetzt ists etwas anderes!" sagte Lipotin befriedigt. "Sie verzeihen, daß ich soviel Umstände mache, aber als Russe bin ich selber ein wenig Asiat und möchte nicht gern pietätlos gegen meine tibetanischen Freunde sein."

 

Dabei reichte er mir die rote Kugel ohne weiters mit rascher Hand hin. Ich suchte und fand auch bald die feineVerschraubung. War es nicht doch eine von den Kugeln John Dees und des Apothekers Kelley? – – Die Kugelhälften klappten auseinander. Ein graurötliches Pulver, ungefähr so viel, wie eine hohle Walnuß zu füllen vermochte, lag in den Schalen.

 

Lipotin stand neben mir. Er schaute mir seitlich über die Schulter und sprach halblaut auf mich ein. Seltsam eintönig, leblos und weitab drang seine Stimme mir ins Ohr:

"Man muß eine Steinschale bereitstellen und ein reines Feuer; am besten eine Spiritusflamme. Man muß Spiritus in die Schale gießen und dann anzünden. Man muß den Inhalt der Elfenbeinkugel darüber ausschütten. Man muß das Pulver aufbrennen lassen; man muß warten, bis der Spiritus ausgebrannt ist, und muß den Rauch des Pulvers aufsteigen lassen; man muß dabei einen Oberen haben, der das Haupt des Neophyten..."

Ich hörte nicht mehr auf das Geflüster, reinigte rasch die Onyxschale, die mir sonst als Aschenbecher dient, so sorgfältig, wie es in der Eile ging, goß Spiritus aus dem Siegellämpchen, das immer auf meinem Schreibtisch steht, in die Schale, entzündete ihn, nahm die roten Kugelhälften zur Hand und räucherte. Lipotin stand beiseite; ich beachtete ihn nicht. Bald war der Alkohol verflammt. Langsam fing der Rückstand in der Schale an zu glühen und zu schwelen. Eine grünlich-blaue Rauchwolke hob sich, kräuselte sich, stieg zögernd aus der Onyxschale auf.

 

"Eigentlich eine unbedachte Torheit", hörte ich Lipotin sagen, und es klang wie höhnisches Geschnatter in meinen Ohren, "die alte voreilige Torheit, künstliche Materie zu vergeuden, ohne Gewißheit, ob auch alle Bedingungen erfüllt sind, die den Erfolg verbürgen. – Wer sagt Ihnen, Verehrtester, daß einer der verlangten Oberen zur Stelle ist, um Ihre Einweihung zu leiten? – Es ist ein Glück, – es ist Ihr ganz unverdientes Glück, mein Verehrtester, daß zufällig ein Oberer anwesend ist; daß zufällig ich anwesend bin, daß zufällig ich ein eingeweihter Dugpamönch von der Yangsekte bin..."

 

 

Ich sah noch, wie aus weiter Ferne, die Gestalt Lipotins, rätselhaft verändert, in einem violetten Mantel mit sonderbar geformten, rotem, aufrecht stehendem Talarkragen, eine kegelförmige purpurne Mütze, darin paarweise übereinander sechs Menschenaugen aus Glas glitzerten, auf dem Kopf, schlitzäugig grinsend mit teuflisch frohlockendem, ganz verzerrtem Gesichtsausdruck sich mir nähern.

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