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Die erste Schau 1 page





Es will mir kaum mehr gelingen, mit schreibender Hand dem Ansturm der Erlebnisse und Gesichte zu folgen, die mich überfallen.

Ich nehme die stillen Nachtstunden zu Hilfe, um auf dem Papier festzuhalten, was sich alles begeben hat.

Als ich Johanna – oder soll ich schreiben: Jane? – zu Bett gebracht hatte, kehrte ich in mein Arbeitszimmer zurück und beendete zunächst mein Protokoll, wie mir das jetzt schon zur Gewohnheit geworden ist, indem ich das Begebnis mit Lipotin niederschrieb.

Sodann griff ich nach dem " Lapis sacer et praecipus manifestationis " des John Dee und beschaute nachdenklich Fuß und Inschrift, die darauf eingraviert ist. Allmählich glitt mein Blick von den goldenen Ornamenten ab und blieb immer länger haften auf der fettglänzenden Fläche der Steinkohle selbst. Da ging es mir ähnlich – so will es mir jetzt nachträglich scheinen – wie damals, als ich in Lipotins florentinischen Spiegel blickte und unmerklich zu träumen begann, ich stünde auf dem Bahnhof und erwartete meinen Freund Gärtner.

 

Ich kam jedenfalls nach einiger Zeit von dem Hinstarren auf die schwarzspiegelnde Kristallfläche der Kohle nicht mehr los. Dann sah ich dies: oder, vielmehr, ich sah es nicht so sehr als: ich war mittendrin; – mitten unter einer Schar in rasender Eile galoppierender fahler Pferde, die über einen grünschwarz wogenden Grund einherbrausten. Zuerst dachte ich – übrigens vollkommen geordnet und mit klarem Urteil: aha, das grüne Meer meiner Johanna! –, aber nach kurzer Zeit nahm ich deutlicher die Einzelheiten wahr und bemerkte, daß die ledige Roßherde über Wälder und wechselnde nächtliche Ackerbreiten hinwegfegte wie das wilde Heer Wotans. Und zugleich begriff ich: es sind die Seelen der Abermilliarden von Menschen, die auf ihren Lagerstätten schlafen, derweilen ihre Seelen herren- und reiterlos, von dunklen Instinkten getrieben, eine ferne unbekannte Heimat suchen, von der sie nicht wissen, wo sie liegt – von der sie nur ahnen, daß sie sie verloren haben und nicht mehr finden können.

 

Ich selbst war ein Reiter auf schneeweißem Pferd, das gleichsam wirklicher und körperhafter war als die andern, die fahlen.

Die wildentfesselten, schnaubenden Mustangs – wie Schaumwogen waren sie auf einer stürmischen See – überquerten alsbald ein wellig unter uns hinziehendes Waldgebirge. Fern zitterte das feine Silberband eines vielfach gewundenen Flusses hin. – – –

 

Ein weiterer Landkessel öffnet sich, von niedrigeren Höhenzügen durchwirkt. Der rasende Ritt geht auf den Stromlauf zu. Fern türmt sich eine Stadt. Es ist, als lösen sich die galoppierenden Umrisse der Pferde um mich her in graue Nebelschwaden auf. – –

 

 

Dann reite ich plötzlich in der hellen Sonne eines strahlenden Augustmorgens über eine breit gewölbte steinerne Brücke, auf deren Brüstung die hohen Statuen von Heiligen und Königen stehen. Am Flußufer vor mir drängt sich ein altes, bescheidenes Häusergewirr, von einigen prunkvollen Palästen überragt und wie beiseite gedrängt, aber auch diese stolzen Bauten sind erdrückt von dem gewaltigen Rücken eines hoch oben auf baumbestandenem Hügel ragenden Mauerwerks, das finster gezackt ist von Türmen, Dächern, Wehrgängen und Domspitzen: "Der Hradschin!" – sagt eine Stimme in mir.

 

 

So bin ich also in Prag?! – Wer ist in Prag? – Wer bin ich? – Was begibt sich rings um mich her? –: Ich sehe mich reiten in gutem Schritt, kaum beachtet von dem gleich mir die steinerne Moldaubrücke überquerenden Bürger- und Landvolk, an dem Standbild des heiligen Nepomuk vorbei zur Kleinseite hinüber. Ich weiß, ich bin zur Audienz empfohlen zu Kaiser Rudolf, dem Habsburger, im Belvedere. Neben mir reitet noch einer, mein Begleiter, auf einer Isabellstute, in einen Pelzmantel von ein wenig verschlissener Pracht gehüllt, obschon der Morgen blau ist und die Sonne empfindlich zu stechen beginnt. Der Pelzmantel ist offenbar das Paradestück aus seiner Garderobe, und er hat es angelegt, um vor den Augen der Majestät einigermaßen Figur zu machen. "Landstreichereleganz" – fährt es mir durch den Sinn. Ich wundere mich nicht, daß ich selbst Kleider altertümlichen Schnittes trage. Wie könnte es anders sein! Schreiben wir doch den Tag Laurenzii, den zehnten August um Jahre unseres Herrn Geburt, das man als das fünfzehnhundertundvierundachtzigste zählt! Ich bin in die Vergangenheit hineingeritten, sage ich mir vor, und ich finde nichts Wunderbares daran.


 

 

Der Mann mit den Mausaugen, der fliehenden Stirn und dem weichenden Kinn ist Edward Kelley, den ich nur mit Mühe abgehalten habe, in der Herberge "Zur Letzten Latern" abzusteigen gleich den hochmögenden und sternhagelreichen Landbaronen und Erzherzögen, wenn sie zu Hofe kommen. – Er führt unsern gemeinsamen Säckel und ist immer wieder obenauf wie ein richtiger Jahrmarktsdoktor! Immer wieder bringt er's fertig, den Beutel zu füllen, schamlos und erfolgreich, wo unsereins lieber die Hand sich abhauen möchte und hinter dem nächsten Zaun sich niederlegen und in Gottes Namen verrecken. Ich weiß: ich bin John Dee, mein eigener Ahnherr, wie könnte ich sonst so deutlich vor meinem Gedächtnis sehen, was sich seit meiner Flucht aus der Heimat und aus Mortlake mit mir begeben hat! – Ich sehe unser gebrechliches Segelboot auf dem Kanal im Sturm, lebe nochmals die Todesangst meiner Gattin Jane mit, die sich furchtverzehrt an mich klammert und wimmert: "Mit dir, John, sterbe ich gern. Mit dir sterben, oh, wie gern! Nur laß mich nicht allein ertrinken, – nicht in die grüne Tiefe gehen, aus der es kein Wiederkommen mehr gibt!" – Und dann die elende Fahrt durch Holland: Rasten und Nächtigen in den elendsten Spelunken, um das knappe Reisegeld zu sparen. Hunger und jämmerliches Frieren, ein erbärmlicher Landstreicherzug mit Weib und Kind und dem straßenfindigen Apothekerkrämer, ohne dessen Jahrmarktsgaukeleien wir doch niemals durch den harten frühen Schneewinter des 1583. Jahres da droben in der deutschen Tiefebene hindurchgekommen wären.

 

Dann haben wir uns in grimmiger Kälte nach Polen durchgeschlagen. In Warschau ist es dem Kelley gelungen, mit einer Spur von dem weißen Pulver des Heiligen Dunstan, aufgelöst in einem Glase süßen Weins, einen Wojwoden von der fallenden Sucht in drei Tagen zu heilen, so daß wir mit herrlich neugefüllter Tasche weiterziehen konnten zu dem Fürsten Laski. Der nahm uns auf mit großen Ehren und verschwenderischer Gastfreundschaft. Wohl ein Jahr lang fraß sich Kelley dort fett und rund, und er konnte sich nicht genugtun, mit verstellter Geisterstimme dem eitlen Polen sämtliche Kronen Europas zu versprechen, bis ich dem Schwindel ein Ende machte und auf Abreise nach Prag drängte. – So zogen wir denn, nachdem Kelley so ziemlich alles, was wir – oder er – ergaunert, verpraßt hatten, nach Prag von Krakau aus, wohin mir Briefe der Königin Elizabeth mit Empfehlungsschreiben an Rudolf den Habsburger geworden waren. – In Prag wohnte ich jetzt mit Weib, Kind und Kelley bei dem hochgelehrten Leibarzt der Majestät, Herrn Doktor Thadäus Hajek, in dessen stattlichem Haus am Altstädter Ring.


 

Heute ist also der Tag der ersten, für mich so ungeheuer wichtigen Audienz bei dem Fürsten unter den Adepten, dem Adepten unter den Königen, bei Kaiser Rudolf, dem Geheimnisvollen, Gefürchteten, Verhaßten und Bewunderten! Neben mir der zuversichtliche Edward Kelley; er läßt sein Rößlein tänzeln, als gehe es wieder zu einem Bankett wie jahrszuvor im Holzschloß des Polen Laski. – Mir aber ist das Herz schwer von Ahnungen wenig besonnter Art, und die finstere Natur Kaiser Rudolphs droht mit einem schwarzen Wolkenschatten, der soeben über die glänzende Fassade der Burg da droben hinstreicht. – Die Hufe unserer Pferde dröhnen, wie wir durch den gähnenden Rachen eines düsteren Turmtores reiten am Ende der Brücke; fern hinter uns liegt, abgeschlossen wie durch Mauerwände, die heitere Welt des Alltagstreibens fröhlicher Menschen. Freudlos schweigende Gassen hingeduckter, furchterfüllter, hochgeklebter Häuser steigen bergan. Schwarze Paläste wie Torhüter der drohenden Geheimnisse, die um den Hradschin lagern, schieben sich in den Weg. – Breit öffnet sich die majestätische Schloßauffahrt, die Kaiser Rudolfs kühne Baumeister in den Berg gesprengt und dem engen Waldtal abgerungen haben. Vor uns, fern auf der Höhe, ragen die trotzigen Türme eines Klosters: "Strahov!" sagt eine Stimme in mir: Strahov, das hinter seinen schweigenden Mauern so manch lebendigen Toten birgt, den der Blitz des Verhängnisses aus den düsteren Augen des Kaisers traf und der noch von Glück sagen darf, daß sein Weg dort geendet hat und er nicht jene andere schmale Gasse hinab von der Burg zur Daliborka schreiten mußte nächtlicherweise, wo er dann für diese Lebenszeit das Licht der Sterne zum letztenmal gesehen hätte. – Doppelt, dreifach stehen die Hausbauten der kaiserlichen Dienstleute übereinander gleich Schwalbennestern am Felsen befestigt, jede auf dem Dache des andern fußend: die Habsburger wollen um jeden Preis eng umgeben sein von ihrer deutschen Leibwache; sie trauen nicht dem Wellenschlag des fremden Volkes da drunten über der Moldau. Zusammengerafft steht der Hradschin in gesträubter Rüstung über der Stadt; aus allen Torgängen hier droben raschelts und klirrts von immer bereitem Zaumzeug und Waffen. Wir reiten langsam bergan; aus den kleinen Fenstern über uns betasten mich fortwährend mißtrauische Blicke; schon zum drittenmal sind wir unversehens von vortretenden Wachen angehalten und nach Weg und Ziel gefragt worden; der Audienzbrief des Kaisers wird immer wieder und wieder geprüft. – Wir reiten hinaus auf die prächtige Rampe, und tief unter uns liegt das hingebreitete Prag. – Wie der Blick eines Gefangenen in die Freiheit hinaus, so ist meine Umschau. Hier oben drosselt eine würgende unsichtbare Hand; hier oben ist der Gipfel des Berges ein Kerker! – Silberner Duft liegt über der Stadt da unten. Die Sonne unter uns glostet aus dunstigen Schleiern. Da blitzen mit einemmal im lichtstaubigen Graublau des Himmels dort drüben silbrige Striche auf: Taubenschwärme kreisen, spiegeln sich in der stillen Luft und verschwinden hinter den Türmen der Teynkirche. – Lautlos – unwirklich. – Aber ich nehme die Tauben über Prag für ein gutes Omen. Der hochgewölbte Bau des Niklasdoms dicht unter uns verkündet mit dem Glockenschlag die zehnte Morgenstunde; ein scharfer befehlender Uhrklang irgendwoher aus dem Gemäuer der Burg vor uns wiederholt mit bestimmter und schneller Glockentrommel das Zeichen der Stunde; es ist hohe Zeit! Der uhrenfanatische Monarch ist gewohnt, auf die Sekunde genau seine Zeit einzuhalten. Weh dem, der unpünktlich vor ihn treten wollte! Noch fünfzehn Minuten – denke ich –: dann werde ich vor Rudolf stehen.


 

Wir haben die Höhe erreicht und könnten die Rößlein traben lassen, aber auf Schritt und Tritt strecken sich uns die Hellebarden in den Weg: des Revidierens ist kein Ende. – Endlich donnert unter unsern Pferden die Hirschgrabenbrücke, und wir umreiten den stillen Park des einsiedlerischen Monarchen.

Das grünkupferig, wie von einem unförmigen Schiffskiel bedachte, luftige Bauwerk des Belvederes taucht aus alten Eichen vor uns auf. Wir springen aus den Sätteln.

Mein erster Blick fällt auf die Steinreliefs, die am Sockel der zierlichen, von säulengetragenen Bögen ringsum gebildeten Loggia eingelassen sind. – Simsons Kampf mit dem Löwen ist da abgebildet, und gegenüber: Herakles, der den nemeischen Löwen erwürgt. Das sind die Symbole, mit denen Kaiser Rudolf sich den Eingang in sein allerletztes Refugium wie ein Abwehrzeichen flankiert. Es ist ja bekannt, daß der Löwe sein Lieblingstier ist, und daß er sich in einen mächtigen Berberlöwen als wie seinen Begleithund gezähmt hat, mit dem er selbst seine Vertrauten zu erschrecken liebt. – –

 

 

Öd und still ists ringsumher. Niemand da, uns zu empfangen? Soeben klirrt ein gläserner Ton zum Zeichen des ersten Viertels der elften Stunde. Auch hier die Uhren!

Und mit dem Schlag öffnet sich die schlichte Holztür. Ein eisgrauer Diener lädt uns wortlos zum Eintritt. Plötzlich sind Stallknechte da, um unsere Pferde entgegenzunehmen. Wir stehen in der langen, kühlen Halle des Belvederes. Es riecht nach Kampfer zum Ersticken: der ganze Raum ein vollgestopftes Naturalienkabinett. Glaskasten an Glaskasten mit seltsamem, exotischen Inhalt. Lebensgroße Puppen von wilden Menschen in den seltsamsten Stellungen und Verrichtungen; Waffen; riesige Tiere; Geräte aller Art, Fahnen der Indianer und Chinesen; Kuriositäten der beiden Welten in unabsehbarer Fülle. – Wir bleiben auf den Wink unseres Führers vor dem Schreckphantom eines mächtigen, zottig behaarten Waldmenschen mit satanisch grinsendem Schädel stehen. Kelleys kecker Mut hat sich in die innersten Falten seines Pelzmantels verkrochen. Er flüstert etwas von bösen Geistern. – Ich muß lächeln über den Marktschreier, der sich vor seinem Gewissen nicht fürchtet, wohl aber vor einem ausgestopften Gorilla.

 

 

Aber im selben Augenblick erschrecke ich selbst bis in die Nieren: ein schwarzes Gespenst biegt lautlos um die Ecke des Affenkastens und vor uns steht eine hagere Gestalt; gelbe Hände raffen einen schäbigen schwarzen Tuchmantel und spielen unruhig unter den Falten mit einer deutlich sich abzeichnenden Waffe, wohl einem kurzen Dolch; darüber ein bleicher Vogelkopf, in dem gelbe Adleraugen lodern –: der Kaiser!

 

Sein fast schon zahnloser Mund ist dünn gefaltet. Nur die schwere Unterlippe hängt schlaff und bläulich über dem harten Kinn. – Sein Raubvogelblick überfliegt uns. Er schweigt.

 

Mein Kniefall scheint ihn eine Sekunde zu spät zu kommen. Dann aber, als wir geneigten Hauptes vor ihm in den Knien verharren, macht er eine wegwerfende Handbewegung:

"Dummes Zeug. Steht auf, wenn Ihr was Rechtes seid. Andernfalls schert euch und bestehlt mich nicht um meine Zeit!"

Das sind die Begrüßungsworte des erhabenen Rudolfs.

Ich beginne meine lang zuvor sorgfältig bedachte, wohlgefaßte Rede. Ich komme kaum bis zur Erwähnung der gnädigen Fürbitte meiner mächtigen Monarchin, da unterbricht der Kaiser schon wieder mit Ungeduld:

 

"Lasset sehen, was ihr könnt! Grüße der Potentaten bestellen mir meine Gesandten bis zum Überdruß. – Ihr behauptet, die Tinktur zu besitzen?"

 

"Mehr als dies, Majestät."

"Was: mehr?" faucht Rudolf. "Frechheiten bewirken bei mir nichts!"

"Ergebenheit, nicht Übermut, laßt uns unsere Zuflucht zu der Weisheit des Hohen Adepten nehmen..."

"Einiges nur ist mir vertraut. Genug, um euch vor Betrug zu warnen!"

 

"Ich suche nicht um den Vorteil, Majestät! Ich suche die Wahrheit."

"Wahrheit?!" – der Kaiser hüstelt ein böses Greisenlachen. – "Bin ich ein Schwachkopf wie Pilatus, um euch nach Wahrheit zu fragen? Ich will wissen: habt ihr die Tinktur?"

 

"Ja, Majestät."

"Her damit!"

Kelley drängt vor. Er trägt die weiße Kugel aus Sankt Dunstans Grab in einem Lederbeutel tief in seinem Wams verborgen:

"Euer allmächtige Majestät wolle uns doch nur versuchen!" – beteuert er gröblich.

"Wer ist das? Euer Laborant wohl und Geisterseher?"

"Mein Mitarbeiter und Freund: Magister Kelley", antwortete ich, im Innersten spürend, wie Gereiztheit in mir aufkeimt.

 

"Quacksalber seines Zeichens, wie ich sehe", zischt der Monarch. Sein uralter, von allzuvielem Durchschauen müde gewordener Geierblick streift kaum den Apotheker. Dieser knickt wie ein gezüchtigter Gassenjunge und schweigt.

 

"Erzeige uns die Majestät die Gnade, mich anzuhören!" beginne ich nochmals.

Fast wieder Erwarten winkt Rudolf. Der graue Diener bringt einen kahlen Feldstuhl herbei. Der Kaiser setzt sich und gibt mir kurz nickend Erlaubnis.

"Euer Majestät fragen nach der Tinktur der Goldmacher. Wir besitzen die Tinktur; aber wir besitzen und – wir hoffen zu Gott, wir sind dessen würdig – wir erstreben mehr."

"Was wäre wohl mehr als der Stein der Weisen?" – der Kaiser schnippt mit den Fingern.

 

"Die Weisheit, Majestät."

"Seid ihr Pfaffen?"

"Wir ringen um die Würde der Adepten, in deren Zahl wir die Majestät Kaiser Rudolfs wissen."

 

 

"Mit wem ringt ihr da?" spöttelt der Kaiser.

 

"Mit dem Engel, der uns befiehlt."

"Was ist das für ein Engel?"

"Es ist der Engel... des westlichen Tores."

Der Geisterblick Rudolfs erlischt hinter gesenkten Lidern:

"Was befielt euch der Engel?"

"Die Alchemie beider Naturen: die Transmutation des Sterblichen in das Unsterbliche. Den Eliasweg."

"Wollt ihr auch wie der alte Jude auf dem feurigen Wagen in den Himmel fahren? Das hat mir schon mal einer vorgemacht. Er hat sich dabei den Hals gebrochen."

 

"Der Engel lehrt uns keine Gauklerstücke, Majestät. Er lehrt uns die Bewahrung des Leibes übers Grab hinaus. Hierfür kann ich der Adeptschaft der kaiserlichen Majestät Beweis und Zeugnis anbieten."

 

 

"Ist das alles, was ihr könnt?" – der Kaiser scheint einzuschlafen.

Kelley wird unruhig.

"Wir könne noch mehr. Der Stein, den wir besitzen, tingiert jegliches Metall – – –"

Der Kaiser schnellt vor:

"Beweis!"

Kelley nestelt seinen Beutel los.

"Der großmächtige Herr kann befehlen. Ich bin bereit."

"Du scheinst mir ein recht waghalsiger Bursche, du! Aber offenbar von hellerem Verstand als der da!" – der Kaiser deutet auf mich.

 

Würgende Kränkung droht mich zu ersticken. Kaiser Rudolf ist kein Adept! Er will Gold machen sehen! Der Anblick eines Engels und seiner Zeugnisse, das Geheimnis der Unverweslichkeit ist seiner Seele fremd oder ein Gespött. Geht er den Weg der linken Hand? – – Da sagt der Kaiser plötzlich:

 

"Wer mir unedles Metall in edles verwandelt, daß ich es mit Händen greifen kann, der mag mir nachher von Engeln erzählen. Den Projektenmachern sucht weder Gott noch der Teufel heim!"

Mir gibts einen Stich, ich weiß nicht warum. – Jetzt hebt sich der Kaiser rascher und straffer, als der kränklichen Greisengestalt zuzutrauen schien. Der Hals reckt sich vor. Der Geierkopf wendet sich beutesichtend, ruckartig nach allen Seiten und nickt der Wand zu.

 

 

Eine Tapetentür öffnet sich plötzlich vor uns.

 

Wenige Augenblicke darauf stehen wir in der kleinen Versuchsküche Kaiser Rudolfs. Sie ist mit allem Gerät wohl versehen. Der Tiegel harrt beim gut unterhaltenen Kohlenfeuer. Rasch ist alles bereit. Der Kaiser selbst tut mit werkgewohnter Hand den Dienst des Laboranten. Er wehrt mit heftiger Drohung jedem helfenden Zugriff. Sein Mißtrauen ist grenzenlos. Die Maßregeln, die er mit aller Umsicht trifft, müssen einen Betrüger zur Verzweiflung bringen. Es ist unmöglich, gegen den Kaiser falsch zu spielen. Plötzlich wird leiser Waffenlärm hörbar. Vor der Tapetentür, ich fühl es, lauert der Tod... Rudolf macht kurzen Prozeß mit landfahrenden Adepten, die ihm Schwindeleien aufzutischen wagen. –

 

 

Kelley erbleicht, schaut mich hilfesuchend an und zittert heftig. Ich fühle, er denkt: Was, wenn jetzt das Pulver versagt?! Ihn packt die Landstreicherangst...

 

 

Blei zischt im Tiegel. Kelley schraubt die Kugel auf. Argwöhnisch beobachtet ihn der Kaiser. Er befielt die Kugel in seine Hand. Kelley zögert; ein Schnabelhieb des Adlers trifft ihn:

 

"Ich bin kein Dieb, Tabulettkrämer! Gib her!"

 

Rudolf prüft, sehr lang, sehr genau, das graue Pulver in der Kugelhälfte. Sein höhnisch gekniffener Mund lockert sich langsam. Die bläuliche Unterlippe fällt aufs Kinn. Der Geierkopf bekommt einen nachdenklichen Ausdruck. Kelley bezeichnet die Menge der Dosis. Der Kaiser befolgt jede Weisung gewissenhaft und pünktlich wie ein an Gehorsam gewohnter Laborant; er stellt seine Bedingungen gerecht. – –

 

Das Blei fließt. Nun tingiert der Kaiser. Jetzt ist auch schon die Projektion kunstgerecht vollendet: das Metall fängt an zu brodeln. Der Kaiser gießt die "Mutter" ins kalte Wasserbad. Er hebt mit eigener Hand den Klumpen ans Licht: rein schimmert das Silber.

 

Heiße Nachmittagssonne flirrt über den Baumgarten, durch den wir fröhlichen, fast übermütigen Sinnes reiten, Kelley und ich. Kelley klimpert mit der silbernen Gnadenkette, die ihm Kaiser Rudolf heute vormittag umgelegt hat. Die Worte des Kaisers waren gewesen: "Silber für Silber; Gold für Gold, Herr Quacksalber. Das nächste Mal die Probe, ob ihr das Pulver selbst gemacht habt und wieder machen könnt. Die Krone, merke dir, ist nur für den Adepten: Ketten deuten auf – Ketten!"

 

Mit dieser überaus deutlichen Drohung waren wir für diesmal aus dem Belvedere entlassen, ohne der klirrenden Schergen ansichtig geworden zu sein.

 

Aus dem Fenster der behaglichen Stube, die ich in Herrn Hajeks Haus am Altstädter Ring bewohne mit Weib und Kind, genieße ich einen schönen Ausblick auf den breiten Markt, der rechts von der spitzgetürmten und wunderlich gezackten Teynkirche, links von dem prunkvollen Stadthaus der trotzigen Prager Bürgerschaft flankiert wird. Hier ist immer ein bewegtes Kommen und Gehen von kaiserlichen Boten. Sind sie in Tuch und Sammet gekleidet, so bedeutet es, daß der Herr auf dem Hradschin Geld braucht. Leihweise um hohen Tageszins. – Kommen sie in Rüstung und Wehr, so bedeutet das: der Kaiser ist gesonnen, sich die ausbedungene Schätzung selber holen zu lassen – im guten oder bösen. Es geht immer um Geld zwischen Habsburg und Böhmen.

Ein sonderbarer Aufzug kommt heran: ein seidener Bote, aber gefolgt von einem Fähnlein Reisiger. Welche Verlegenheiten gedenken sie dem Bürgermeister zu bereiten? – Was ist das? Warum wendet der Zug nicht hinüber zum breiten Tor des Stadthauses? – Er kommt quer über den Ring auf Herrn Hajeks Haus zu!

 

>Des Kaisers Abgesandter, Geheimrat Curtius, steht mir gegenüber. Es handelt sich um die Auslieferung der "Beweise", der Zeugnisse des Engels: der Protokolle, des Buches aus dem Grabe des Heiligen Dunstan, an den Kaiser! Ich weigere mich entschieden:

"Die Majestät hat mein Beweisangebot verworfen. Er verlangt zuvor das Zeugnis meiner Goldmacherkunst. Er will von mir das Rezept, wie der Stein zu bereiten sei. Seine Majestät wird begreifen, daß ich diesem Begehren ohne alle Sicherheiten und sonstige Zusagen an mich nicht willfahren kann."

 

 

"Der Kaiser befiehlt!" lautet die Entgegnung.

"Ich bedaure. Auch ich darf Bedingungen stellen."

"– – – befiehlt. Bei Ungnade der Majestät." – Waffengeklirr im steinernen Flur des Hauses.

"Ich mache aufmerksam: ich bin großbritannischer Untertan! Baronet der Krone von England! Der Brief meiner Königin ist in der Hand des Kaisers!"

 

Geheimrat Curtius lenkt ein. Die Schwerter und Hellebarden draußen verstummen.

Jämmerlicher Handel! Wann ich dann bereit sei?

"Nach einer ferneren Audienz beim Kaiser, um die ich wiederholt ersuche... Von ihrem Ausgang hängt alles ab. Nur das Wort des Kaisers in Person vermag mich zu bestimmen."

Der Geheimrat droht, feilscht, bittet. Es geht um seine Reputation. Er hat dem Kaiser versprochen, den Hasen bei den Ohren in die Küche zu liefern. Er findet statt des Hasen einen knurrenden Wolf.

 

Gut, daß der feige Kelley nicht anwesend ist.

 

Der halb seidene, halb eiserne Aufzug biegt um die Rathausecke, zieht an der weltberühmten Kunstuhr vorüber, verschwindet.

Kelley stelzt wie ein Reiher, der sich in die Luft abstoßen will, über den Ring. Aus der Richtung her, wo die Gassen der Freudenhäuser liegen. Er flattert die Treppe herauf, stürzt herein:

 

 

"Der Kaiser hat uns eingeladen?"

"Der Kaiser hat uns eine Einladungskarte in die Daliborka zugehen lassen! – Oder eine Einladung in den Hirschgraben zu seinen Bären, die von Adeptenfleisch leben."

 

Kelley erbleicht.

"Verrat!?"

"Keineswegs. Der Kaiser will nur... unsere Dokumente."

 

 

Kelley stampft mit den Füßen auf wie ein ungezogener Junge.

"Niemals! – Eher schlucke ich St. Dunstans Buch wie weiland der Apostel Johannes auf Patmos das der Offenbarung!"

"Wie steht es mit der Entzifferung des Buches, Kelley?"

 

"Für übermorgen hat mir der Engel die Erklärung des Schlüssels versprochen."

Übermorgen!... Oh, dieses ewig hirnzerstörende, markaussaugende Übermorgen!!!

Mir ist, ich schlafe.

Und schlafe doch nicht. Ich gehe durch die alten Gassen der Stadt Prag, – gehe über den baumbestandenen Wall, der zum Pulverturm führt. Es herbstelt im Laub der Bäume. Es ist kühl. Es muß ein später Oktobertag sein. Nun biege ich durchs Tor in die Zeltnergasse ein. Ich will über den Altstädter Ring zur Altneusynagoge hinab und zum jüdischen Rathaus. Ich will – nein, ich muß – zu dem "hohen Rabbi" Löw, dem Wundermann. Ich habe vor kurzem durch Vermittlung meines liebenswürdigen Gastwirtes Doktor Hajek seine Bekanntschaft gemacht. Wir haben ein paar Worte gewechselt über die Geheimnisse...

 

 

Wie ich so meinen Weg nehme, wechselt klar und doch wie zwangsläufig das Bild der Straßen. Es ist, als träumte ich, und, doch ist es sicherlich kein Traum; es ist so, wie Johanna Fromm durch Prag gehen kann, wenn sie – – will.

Johanna Fromm? Wer ist das eigentlich? Selbstverständlich meine Hausdame! Wie kann ich mich das nur fragen! Johanna Fromm ist doch meine Haushälterin. – – Aber – – ich bin doch John Dee!?: – John Dee, der soeben den hohen Rabbi Löw besuchen will, den Freund Kaiser Rudolfs!

Da bin ich auch schon in des Rabbis niedriger, kahler Stube und spreche mit ihm. Nur ein Strohsessel und ein rohgehobelter Tisch stehen im Raum. In der Wand ist eine winzige Nische ziemlich hoch angebracht, darin sitzt oder vielmehr lehnt halb stehend der Rabbi – so wie die Mumien in den Katakomben halb stehen, halb lehnen – und sein Blick ist unverwandelt auf die mit Kreide an die Wand ihm gegenüber hingezeichnete geometrische Figur des "kabbalistischen Baumes" gerichtet. Kaum daß er aufblickte, als ich eintrat.

 

Der Rabbi ist gebückt. Zweifelhaft, ob ihn das schneeweiße Alter niederdrückt oder die Wucht der niedrigen, rauchgeschwärtzten Balkendecke seiner Wohnung. Er scheint ein riesengroßer Mann zu sein. Sein gelber, von unentwirrbaren Runzeln durchquerter Raubvogelkopf erinnert an den des Kaisers. Nur noch viel kleiner ist dieser Kopf, noch falkenhaft schärfer geschnitten das Profil. Wirre Haarsträhnen, nicht zu sagen, ob das Haupthaar oder ob als Bart aus Wange und Hals hervorgewachsen, umflattern dies scheinbar kaum mehr als faustgroße Prophetengesicht. Tiefliegende kleine, schier lustig funkelnde Augen unter schweren, weiß gebuschten Brauen. Der übergroße, unheimlich schmale Leib des Rabbis ist in einen sorgfältig rein und gut gehaltenen schwarzseidenen Kaftan gehüllt. Die Schultern sind hochgezogen. Arme und Füße nach Art der Orientalen Jerusalems in ständig redender Bewegung.







Date: 2015-09-05; view: 265; Нарушение авторских прав



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