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Rückblick 9 page





 

 

Seit einer Stunde sitze ich nun an meinem Schreibtisch und halte das letzte Blatt aus John Dees Diarium in der Hand. – Ich habe das Schloß in Mortlake brennen sehen, als hätte ich davor gestanden. So lebendig kann nicht ein Bild sein, das beim Lesen entsteht!

 

Mehrmals, einem jähen Wunschantrieb gehorsam, habe ich in die Schublade gegriffen, in der die Bündel aus Vetter Rogers Nachlaß liegen, immer wieder ist dabei mein Arm wie gelähmt herabgefallen, und ich finde den Entschluß nicht, nach neuen Papieren zu fassen, die mir weitere Aufklärungen versprechen. Neue Aufklärung? Wozu? Neue Moderwolken soll ich aufrühren? Vergangenheit ausgraben? Wo doch alles in hellste Gegenwart für mich gerückt ist? In eine blendende Helle, die mich fast betäubt! – Viel besser, ich nütze diese seltsame, diese ungeheure Stille der Stunde, die mich umfängt; mir ist, als säße ich, abgeschieden von aller Welt und doch nicht allein, in meiner Arbeitsstube, – als säße ich irgendwo im leeren Weltraum und außerhalb der menschlichen Zeit – –.

 

 

Es gibt keinen Zweifel mehr für mich: John Dee, mein ferner Ahnherr, lebt! Er ist gegenwärtig, er ist hier, hier in diesem Zimmer, hier neben meinem Stuhl, neben mir – – vielleicht in mir! – Ich will es hart und unzweideutig aussprechen: es ist sehr wahrscheinlich, daß – daß ich John Dee bin!... Vielleicht immer gewesen bin! Gewesen bin seit je, ohne es gewußt zu haben! – – Wie das möglich ist, was kümmert es mich?! Genügt es nicht, daß ich es mit unbeschreiblicher Klarheit und Schärfe fühle?! Übrigens gibt es doch beliebig viele Gründe und Beispiele aus allen möglichen Gebieten der Wissenschaft unserer Tage, die das, was ich erlebe, belegen, erklären, rubrizieren, mit gelehrten Namen bezeichnen. Man spricht von Persönlichkeitsspaltung, von Doppelbewußtsein, von Schizophrenie, von parapsychologischen Phänomenen aller Art – einerlei, was sonst noch! Lächerlicherweise bemühen sich um solche Dinge besonders die Irrenärzte, die unbelehrbar für verrückt halten, was nicht im dürren Felder ihrer Ignoranz wächst.

 

 

Ich stelle zur Vorsicht vor mir selber fest, daß ich mich geistig vollkommen gesund fühle. Aber genug mit solchen Verwahrungen vor mir selbst und den abwesenden, mir übrigens höllisch gleichgültigen Psychiatern und siebengescheiten menschlichen Maulwürfen.

Also: John Dee ist keineswegs tot; er ist eine – sagen wir der Kürze wegen: eine jenseitige Persönlichkeit, die mit deutlich gesetzten Wünschen und Zielen weiter wirkt und weiter sich zu verwirklichen strebt. Die geheimnisvollen Bahnen des Blutes mögen die "guten Leiter" dieser Lebenskraft sein; immerhin: das ist Nebensache. – Nehme ich an, der unsterbliche Teil John Dees kreise in dieser Bahn wie der elektrische Strom im Metalldraht, dann bin ich eben das Ende dieses Kupferdrahtes, und der elektrische Strom "John Dee" staut sich an der Mündung dieses Drahtes mit seinem ganzen Jenseitsbewußtsein. – Ach, wie gleichgültig das alles ist! Tausend Erklärungen sind möglich, und doch ersetzt mir keine die furchtbare Klarheit meines Erlebens! – – Mein ist die Mission. Mein ist das Ziel und die Krone und die Verwirklichung des Baphomet! Wenn ich – würdig bin! Wenn ich standhalte! Wenn ich reif bin. – – Auf mir, dem Letzten, ruht Erfüllung oder Scheitern in Ewigkeit!

 

 

Ich fühle die Verheißung auf meinen Scheitel niederbrennen, genau so wie den Fluch. Ich weiß alles und bin bereit. Ich habe viel gelernt, John Dee, aus den geweihten und gefeiten Büchern, die du dir zu deiner eigenen Wiedererinnerung niedergeschrieben hast! ich bestätige dir, edler Geist meines Blutes, daß ich wieder erinnere! – Somit liegt deine Sache in guter Hand, John, und du bist "ich" mit meinem freien Entschluß! – – –

 

Bartlett Green hat es kaum mehr erwarten können, mich zu mir selbst erwacht zu finden! Er hat schon neulich hinter meinem Schreibtisch gestanden in dem Glauben, die mystische Einung zwischen seinem Opfer John Dee und mir bereits vollzogen. Das war dumm von dir, Bartlett Green! Du hast das Böse gewollt und fürs Gute gearbeitet, wie ihr immer tut, ihr dummen Teufel von der linken Hand! – Du hast mein Erwachen nur beschleunigt, Bartlett Green, und meine Augen geöffnet und geschärft für den Anblick deiner uralten Herrin aus Schottland und dem Abgrund des schwarzen Kosmos! – Die Katzengöttin, die schwarze Isaïs, die Lady Sissy, die edle Fürstin Assja Chotokalungin – sie, die ewig Gleiche, sei mir willkommen! Ich kenne sie. Ich kenne ihren Weg durch die Zeitlosigkeit der Stunde, da sie sich zum Sukkubus meines unglücklichen Ahnherrn machte, bis zu dem Tag, wo sie hier neben mir saß und mich um die Lanzenspitze bat. – Es war eine magische Suggestion von ihr, die ich nicht verstehen sollte, eben weil sie mir geheim blieb. Das Weibliche in mir, das noch schlummernde Ferne, die königliche "Elisabeth", kann sie nicht zerstören, weil die magische Kraft nicht vernichtet werden kann, solange sie nicht Gegenwart geworden ist, aber das wirkend verkörperte Männliche, das möchte sie an sich reißen, um die kommende "Chymische Hochzeit" zu hintertreiben! – Wir werden, so denk ich, abrechnen miteinander! – –


 

 

Freund Lipotin hat sich bereit erklärt, als ich ihn noch nicht verstand. Er nannte sich den Abkömmling des "Magisters des Zaren". Er nannte sich, wenn auch verschleiert: Mascee. Gut, ich will ihm einstweilen glauben, er sei Mascee.

Und mein ertrunkener Freund Gärtner? Ich werde den grünen Spiegel befragen, der da als Geschenk Lipotins vor mir steht, und ich weiß, Theodor Gärtner wird lächeln aus dem Spiegel und sich eine Zigarre in den Mund stecken, die Beine gemütlich übereinanderschlagen und sagen: "Kennst du mich denn gar nicht mehr, old John? Mich, deinen Freund Gardener, deinen Laboranten? Deinen Warner? Ach, leider deinen vergeblichen Warner? Aber, nicht wahr, heute kennen wir uns, und jetzt wirst du besser auf meine Ratschläge hören?!"

 

 

Fehlt nur noch Edward Kelley, der Scharlatan mit den abgeschnittenen Ohren, der Verführer, das Medium, – jener Mensch aus John Dees Tagen, der heute in unserm Jahrhundert zum tausendfältigen Krebsgeschwür geworden ist, das wächst und wächst, trotzdem es kein Ich mehr hat. Das Medium! die Brücke zum Jenseits der schwarzen Isaïs! –

 

 

Ich bin gespannt, wann dieser Kelley in mein Leben tritt und mir seine Reverenz macht, damit ich ihm die Zeitmaske vom Gesicht reißen kann! – Ich bin auf alles gefaßt, Edward, erscheinst du mir nun als Gespenst auf Spiritistenart oder als Volksprophet und Landstreicher heute noch drunten auf der Gasse!

 

 

Bleibt nur: Elisabeth! – – –

Ich gestehe, daß mich ein Zittern ergreift und ich nicht niederzuschreiben vermag, was der Kopf zu denken versucht.

Nebel und Aufruhr verdecken mir die Aussicht. Wie ich mich auch anstrenge: meine Gedanken und Vorstellungen verwirren sich in mir auf eine seltsame Weise, wenn ich "Elisabeth" denken will. – – –


 

So weit war ich in meinen teils zuversichtlichen, teils zweifelnden Überlegungen gekommen, da ließ mich ein heftiger Wortwechsel aufschrecken, der sich draußen vor der Flurtür erhoben zu haben schien und bald immer lauter gegen mein Zimmer heranzog.

 

 

Dann erkannte ich die scharf gegeneinander streitenden Stimmen, die kurz und befehlend, wie schneidende Hiebe niederfallender Ausrufe der Fürstin Chotokalungin, und der sanftere Tonfall der darunter nicht minder hartnäckigen Einwände meiner Hausdame: der gewissenhaft nach meinem Auftrag verfahrenden Frau Fromm.

Ich sprang auf: die Fürstin in meiner Wohnung! – Sie, die mich noch vor kurzem durch Lipotin hatte wissen lassen, daß sie endlich meinen Gegenbesuch erwarte. – Was sage ich: Fürstin Chotokalungin! Nein: die Dämonin der grauenvoll nächtlichen Taighearm-Riten, die Feindin von Anbeginn, die "Lady Sissy" meines Vetters John Roger, das Weib aus dem abnehmenden Mond; sie wiederholt den Angriff!

Eine wilde, nervendurchbebende Freude loderte mit greller Flamme in mir hoch: willkommen, willkommen zu deiner nahen, schmählichen Niederlage, Weibsgespenst! – Ich bin in Stimmung! Ich bin bereit! –

 

Und ich eilte mit ein paar raschen Schritten zur Tür, riß sie auf und rief mit zu möglichst freundlichem Vorwurf gebändigter Stimme hinaus:

 

"Nicht doch, Frau Fromm! Lassen Sie die Dame ruhig bei mir eintreten. Ich habe mich anders besonnen! Ich bin sehr gern bereit, sie zu empfangen! Ich bitte..."

 

 

Dicht an der erstarrten Frau Fromm vorüber rauschte die Fürstin auf mich zu, hochatmend und ihrerseits nicht ohne hörbare Miene die erlittene Erregung gewandt umbiegend zu freundlichem spöttischem Willkomm:

 

"Ich bin geradezu erstaunt, lieber Freund, Sie so strenge von der Außenwelt abgeschieden zu sehen! Büßer oder Heiliger, jedenfalls sollten Sie mit einer Freundin eine Ausnahme machen, die Sehnsucht spürt, Sie wiederzusehen! Nicht wahr?"

 

Ich gab Frau Fromm, die immer noch starren Blicks und kaum atmend gegen die Wand des Flurs gelehnt stand, – von innen heraus frierend, wie es schien, denn ich sah das fliegende Beben immer neu über ihrem Körper laufen, – ein beruhigendes Zeichen und ließ die Fürstin mit einladender Gebärde an mir vorbei in mein Studierzimmer eintreten. In dem Augenblick, als ich die Tür hinter mir zuziehen wollte, sah ich noch Frau Fromm die Hände in jäher Bewegung gegen mich erheben. Ich nickte ihr nochmals zu, und mein Lächeln sollte sie verständigen, daß sie unbesorgt bleiben dürfe.

Dann saß ich der Fürstin Chotokalungin gegenüber.


Sie sprudelte ein Gewirr von liebenswürdigen Vorwürfen, daß ich ihre Hartnäckigkeit damals gewiß mißdeutet, sie darum gemieden und mein Versprechen, sie zu besuchen, aus diesem Grunde nicht gehalten hätte, hervor. – Es war schwer, zu Wort zu kommen. Ich wehrte ihren schmeichlerischen Reden mit einer eben noch höflichen, kurz abschneidenden Bewegung der Hand. Einen Augenblick wurde es still im Raum.

"Panthergeruch" – stellte ich insgeheim wieder fest. Das Parfüm der Fürstin kitzelte mir die Nerven. Ich strich mir den leise aufsteigenden Taumel von der Stirn; dann begann ich:

 

"Sehr verehrte Fürstin, Ihr Besuch ist mir, ich wiederhole, ungemein willkommen. Ich lüge nicht, wenn ich hinzufüge, daß ich mir noch heute die Ehre gegeben hätte, Sie aufzusuchen, wenn Sie nicht selbst gekommen wären." –

Es macht mir Spaß, eine kurze Pause einzulegen und zu beobachten. Ich sah indes nur, wie die angebliche Fürstin sich koketten Dankes gegen mich verneigte und mit einem Lächeln stumm antwortete. Aus einem plötzlichen Gefühl heraus ergriff mich ein Trieb, sie zu überrumpeln; ich fuhr deshalb rasch fort:

"Es drängt mich nämlich, Ihnen zu sagen, daß ich Ihre Wünsche, die Sie inbetreff meiner Person hegen, inzwischen verstehen gelernt habe, – daß ich Ihre Motive durchschaue..."

 

"Wie mich das freut!" unterbrach mich die Fürstin mit impulsivem Zwischenruf, – "wie außerordentlich mich das freut!"

Ich gab mir alle Mühe, mein Gesicht unbewegt zu zeigen: ich achtete nicht auf den Einwurf, faßte ihr lächelndes, wirklich verführerisch lächelndes Antlitz kalt und scharf ins Auge und sagte:

 

"Ich kenne Sie."

Sie nickte erwartungsvoll, hastig, wie von angenehmstem Staunen erregt.

 

"Sie nennen sich Fürstin Chotokalungin", fuhr ich fort, "Sie besitzen oder besaßen – das ist ja einerlei – ein Schloß in Jekaterinodar."

 

Wieder ein ungeduldiges Nicken.

"Besitzen oder besaßen Sie nicht auch ein Schloß in Schottland? Oder sonstwo in England?!"

 

Die Fürstin schüttelte befremdend den Kopf.

"Wie kommen Sie darauf? Meine Familie hat nicht die geringsten Beziehungen zu England."

Ich lächelte kalt.

"Ist das so gewiß, Lady – – Sissy?"

Nun hatte ich meinen Panthersprung getan und zitterte innerlich vor Erwartung, was sich begeben würde. Aber mein schönes Gegenüber hatte sich offenbar mehr in der Gewalt, als ich erwartet hatte. Sie lachte mir, sichtlich belustigt, ins Gesicht und fragte:

"Wie amüsant! Sehe ich einer englischen Frau Ihrer Bekanntschaft so ähnlich? Man sagt von mir sonst gerne, – ich weiß nicht, ob um mir zu schmeicheln, – meine Gesichtszüge seien unverwechselt und von rein kaukasischem Schnitt! Das sind doch nicht die Züge einer Schottin?"

 

"Möglich, daß die Schmeicheleien meines armen Vetters Rogers so geklungen haben, Gnädigste", – – eigentlich wollte ich sie anreden: "gnädigste Herrin der schwarzen Katzen", aber beim Aussprechen schob sich mir ein Widerstand dagegen unter meine Zunge und so ließ ich es bei dem andern Sinn des Wortes "Gnädigste" bewenden – "ich meinerseits gestatte mir, Ihre Gesichtszüge nicht so sehr kaukasisch als satanisch zu finden. Hoffentlich kränkt Sie das nicht?"

 

Die Fürstin kippte fast hintenüber vor Heiterkeit, und ihre geschmeidige Stimme perlte ganze Kadenzen von Lachtrillern heraus. Dann aber hielt sie inne, wie von plötzlicher Neugier ergriffen, ein und beugte sich mit der Frage vor:

"Nun bin ich aber wirklich gespannt zu hören, mein Freund, wozu mir alle diese kapriziösen Komplimente gemacht werden."

"Komplimente?"

"Aber ja! Es sind doch Schmeicheleien von ganz besonderer Wahl! Englische Lady! Satanische Physiognomie! Alles das sind interessante Details, deren ich mich nie für würdig erachtet hätte."

 

 

Es wurde mir langweilig, dieses Wortgeplänkel. Die Spannung riß in mir wie ein überstraffendes Seil. Ich brach los:

 

"Genug, Fürstin, oder wie Sie sich sonst genannt wünschen! Fürstin der Hölle auf jeden Fall! Ich habe Ihnen gesagt, daß ich Sie kenne, hören Sie? Daß ich Sie kenne! – Die schwarze Isaïs kann Kleid und Namen tauschen, wie sie mag; mir, mir, John Dee, hat sie keine Maske mehr zu bieten!" – ich sprang auf – "die 'Chymische Hochzeit' werden Sie nicht hintertreiben!"

 

 

Die Fürstin war langsam aufgestanden; ich lehnte ihr gegenüber am Schreibtisch und blickte ihr fest ins Gesicht.

Aber nichts von dem, was ich erwartet hatte, trat ein.

Mein beschwörender Blick vermochte den Dämon nicht zu bannen oder ihn zum Weichen zu bringen, ihn in Rauch aufzulösen oder wie immer ich mir die Wirkung meiner Rede in der Hitze des Augenblicks vorgestellt hatte. Nichts von alledem geschah; die Fürstin maß mich vielmehr mit einem unsagbar hoheitsvollen und abweisendem Blick, in dem doch der kaum versteckte Spott lauerte, und sagte nach einigem Zögern:

 

"Ich bin nicht ganz vertraut mit den seltsamsten Umgangsformen, die hierzulande uns russischen Vertriebenen gegenüber beliebt sind; ich bin darum ein wenig unsicher, ob Ihre sehr sonderbaren Worte nicht dem Ausdruck einer mir nicht erklärlichen Gestörtheit Ihres seelischen Wohlbefindens entspringen. Bei uns, wo die Sitten oft rauh scheinen, empfangen die Männer Damen nicht, wenn – – sie zuviel getrunken haben."

 

 

Ich stand da wie mit Wasser übergossen und keines Wortes mächtig. Mein Gesicht wurde heiß. Wider meinen Willen zwang mich gleichsam die Gewohnheit der anerzogenen Höflichkeit gegen das andere Geschlecht, daß ich stammelte:

"Ich möchte, Sie verstünden mich..."

"Ungezogenheiten sind immer schwer zu verstehen, mein Herr!"

Ein verrückter Gedanke durchzuckte mich. Blitzschnell beugte ich mich vor und faßte nach der schmalen, aber energisch auf den Schreibtischrand gestützten Hand der Fürstin. Ich riß sie an mich, spürte unter meinem Zugriff die nervige Beschaffenheit dieser Zügel und Sportgeräte gewöhnten Hand und rührte sie dann, wie Verzeihung erbittend, zum Mund. Sie war geschmeidig und von normaler Wärme, duftete zart nach dem unbegreiflich animalisch erregenden Parfüm, das die Fürstin an sich hat; aber sonst war an ihr weder etwas Gespenstisches noch etwas Dämonisches wahrzunehmen. Die Fürstin entzog sie mir, um eine Sekunde verzögert, und hob sie, wie in halber Drohung und halbem Ernst, gegen mich.

"Es wäre angebracht, diese Hand zu anderem zu gebrauchen, als sie einem so launenhaften Gönner zu nichtssagenden Schmeicheleien zu überlassen", wetterleuchtete sie; der Schlag, den sie mir an die Wange gab, war auch von Fleisch und Sehnen, wenn auch noch so feinrassigen, erteilt.

 

Ich fühlte mich enttäuscht, leer, widerstandslos durch das Phantom eines eingebildeten Gegners hindurchgefahren und merkwürdig erschlafft von diesem vergeblichen Hieb in die Luft. Unsicherheit befiel und verwirrte mich vollends. Zugleich bebte in mir ein unerklärliches Gefühl nach, das mit der Berührung meiner Lippen und dem Handrücken der Fürstin irgendwie zusammenhing. Ein Schauer rätselhafter Anziehung – plötzlicher Angst: eine feiner, edler organisierte Natur als die meine gekränkt zu haben, überprickelte mir die Haut. Mit einem Male kam ich mir unsäglich albern vor, – konnte meinen vorigen Verdacht nicht mehr begreifen, fand ihn überspannt, ja geisteskrank, – verstand mich selber nicht mehr, kurz, ich muß eine ziemlich traurige und komische Figur in diesem mich überfallenden Zustand der Ratlosigkeit gemacht haben, denn die Fürstin lachte auf einmal spöttisch, doch nicht ohne hörbares Mitleid im Ton, sah mich von oben bis unten prüfend an und sagte:

 

 

"Ich bin bestraft für meine Zudringlichkeit. Das sehe ich ein. Also wollten wir uns gegenseitig keine weiteren Vorwürfe machen! Die Rechnung ist bezahlt, und in einem solchen Falle ist es angebracht, das Hotel zu verlassen."

Sie machte eine rasche, nicht mißzuverstehende Bewegung zur Tür. – Ich fuhr aus meiner Bewegung auf:

"Ich flehe Sie an, Fürstin! – Nur nicht so! Gehen Sie nicht im Zorn, nicht mit solcher Meinung von mir – von meinen Manieren!"

"Ein wenig verletzte Kavalierseitelkeit, mein werter Freund?" – sie lachte im Weiterschreiten – "das geht vorüber. Leben Sie wohl!"

 

Jetzt hielt ich mich nicht länger:

"Nur eine Sache noch, Fürstin, um Ihnen zu sagen, daß ich ein Tölpel, ein Unzurechnungsfähiger, kurz, ein kompletter Narr bin! Aber... Sie bemerken, nicht wahr, ich bin weder ein Trinker noch ein berufsmäßiger Flegel... Sie wissen ja nicht, was mit mir in den letzten Stunden vorgegangen ist,... womit ich mich beschäftigt habe, – was alles in meinem Kopf zugemutet wird..."

 

"Ich dachte es mir sogleich", antwortete die Fürstin mit echter Teilnahme, aus der gar kein Spott mehr herauszuhören war, –"es sind wirklich keine falschen und übertriebenen Vorstellungen, die man sich in der Welt von den deutschen Dichtern macht; sie erfüllen sich den Kopf mit weltfernen Gedanken und mit oft unverständlichen Träumereien! Sie sollten mehr an die Luft, teurer Freund! Reisen Sie! Zerstreuen Sie sich!..."

 

"Schmerzlichste Einsicht zwingt mich, zuzugestehen, wie sehr Sie recht haben, Fürstin", fiel ich ein, und ich konnte meine Zunge nicht mehr im Zaum halten, – "ich wäre glücklich, wenn ich meinen ersten Erholungsurlaub von den Schreibtischgeschäften, die mir in der Tat über den Kopf zu wachsen drohen, dorthin lenken könnte, wo ich – vielleicht durch die schon einmal angebotene Vermittlung Lipotins – Gelegenheit und Gunst erhoffen dürfe, Sie wiederzusehen und Verzeihung für mein heutiges Betragen von Ihnen zu erlangen."

Die Fürstin hatte die Türklinke ergriffen, wandte sich mit einem langen Blick gegen mich, schien einen Moment zu zögern und seufzte dann mit einem gedehnten Scherzton, der aber irgendwie an das Gähnen einer großen Katze gemahnte:

 

"Meinetwegen also, und abgemacht. Und hoffentlich sehen Sie nun auch ein, daß Sie verpflichtet sind, einiges wieder gutzumachen..."

Sie nickte mir spöttisch zu und war im nächsten Augenblick in einem erneuten Versuch, sie aufzuhalten, entglitten. Vor meiner Nase fiel die Tür ins Schloß, und bis ich mich besann, war es zu spät. Von der Straße herauf tönte ein Hupensignal.

 

Ich riß das Fenster auf und schaute dem Wagen nach.

Wenn schottische Teufelsdämonen, wenn die furchtbare Katzengöttin des Bartlett Green heutzutage in wundervollen modernen Lincolnlimousinen Besorgungen machen, so ist es wahrhaftig schwer, sich ihrem unholden Treiben zu entziehen, verspottete ich mich selbst.

 

 

Als ich das Fenster nachdenklich schloß und mich wieder ins Zimmer zurückwandte, stand Frau Fromm dort, wo vor einer Minute noch die Fürstin am Schreibtisch gelehnt hatte. Im ersten Augenblick erschrak ich beinahe, denn ich erkannte sie erst, nachdem ich einen Schritt auf sie zugetan hatte, so verändert in Ausdruck und Haltung kam sie mir vor. Sie stand da, stumm und regungslos und mit verfallenen Gesichtszügen, aber unverwandten Blicken jede meiner Bewegungen beobachtend und mit einer namenlosen Angst in den Augen bemüht, in meinem Gesicht zu lesen.

Ich unterdrückte rasch mein aufsteigendes Erstaunen über ihr Verhalten, erinnerte mich meiner eigenen widerspruchsvollen Anordnungen und schämte mich zugleich auch ein wenig – ich wußte im Grunde selbst nicht warum – vor dieser merkwürdig sympathischen Frau, in deren Nähe mir die Luft auf einmal wie gereinigt vorkam von... Ich strich mir mit der Hand übers Gesicht: ein ganz leiser, erregender Duft von Wildparfüm – von dem sonderbaren Duft der Fürstin – haftete immer noch an meiner Haut.

Ich gab Frau Fromm eine Erklärung, die scherzhaft klingen sollte:

 

"Sie wundern sich, liebe Frau Fromm, über meine wankelmütigen Weisungen? Nehmen Sie mir das nicht übel. Eben meine Arbeit", – ich wies mit flüchtiger Handbewegung auf meinen Schreibtisch, und Frau Fromm folgte mit übertrieben genauem Blick dieser Bewegung – "meine Gedanken und Einfälle dabei sind die Ursache gewesen, daß mir der Besuch dieser Dame plötzlich willkommen war. Sie verstehen doch?"

 

"Ich verstehe vollkommen."

"Nun also, dann sehen Sie, daß es nicht launisch von mir war..."

"Ich sehe nur das eine, daß Sie in großer Gefahr sind."

"Aber Frau Fromm!" – ich lachte, ein wenig unangenehm berührt von der harten, gar nicht auf meinen kordialen Ton eingehenden Sprache meiner Hausdame – "was bringt Sie auf solche überraschenden Vermutungen?"

"Keine Vermutungen, mein Herr. Es geht... es geht um Ihr Leben!"

Ein Schauer überlief mich. Hatte Frau Fromm einen ihrer "Zustände"? Sah sie mit den Sinnen der Somnambulen? – Ich trat näher. Die Augen der blonden Frau folgten mir hartnäckig und hielten meinen Blick fest. Das war nicht der Gesichtsausdruck einer in Halbtrance befindlichen Person! – Ich nahm den leichten Ton wieder auf:

"Was denken Sie nur, Frau Fromm! Die Dame – es ist übrigens eine Fürstin Chotokalungin, eine landflüchtige kaukasische Russin und sicher mit dem beklagenswerten Schicksal aller dieser von den Bolschewisten Verfolgten und Vertriebenen – diese Dame, Frau Fromm, seien Sie unbesorgt, steht in keinerlei Beziehung zu mir, die – die..."

"– – die sie beherrschen, mein Herr."

"Wieso?"

"Weil Sie die nicht kennen!"

 

 

"Kennen Sie die Fürstin?"

"Ich kenne sie!"

"Sie... kennen die Fürstin Chotokalungin?! Das ist nun allerdings höchst interessant!"

"Ich kenne sie – nicht von Person – –"

"Sondern?"

"Ich kenne sie... drüben. – Wo es grün ist, wenn ich dort bin. – Nicht wenn es hell ist, so wie sonst..."

"Ich verstehe sie nicht recht, Frau Fromm. Was ist grün – drüben?"

"Ich nenne es das grüne Land. Manchmal bin ich dort. Es ist wie unter Wasser, und mein Atem steht still, wenn ich dort bin. Es ist tief unter Wasser, im Meer, und alles scheint in ein grünes Licht getaucht."

Das grüne Land!! – Ich hörte meine eigene Stimme wie ganz weit weg von mir. Es überschüttete mich mit der Wucht eines Katarakts, dieses Wort. Ich stand betäubt und wiederholte nur mehrmals: "Das grüne Land!" –

"Es kommt nichts Gutes von dort; das weiß ich immer, wenn ich drinnen bin", fuhr Frau Fromm fort, ohne den beinahe gleichgültigen, dennoch eigentümlich harten, fast drohenden Ton ihrer Stimme zu ändern, aus der Schüchternheit und verhaltene Angst zugleich hervorbebten.

 

Mit Gewalt schüttelte ich meine Betäubung ab und fragte wie ein sorgfältig beobachtender Arzt:

 

"Sagen Sie mir, was hat das 'grüne Land', das Sie manchmal sehen, mit der Fürstin Chotokalungin zu tun?"

"Sie hat dort einen anderen Namen."

Meine Spannung wurde unerträglich.

"Was für einen Namen?!"

Frau Fromm stockte, sah mich geistesabwesend an, zögerte:

 

"Ich... ich weiß es jetzt nicht."

"Besinnen Sie sich!" schrie ich beinahe.

Ich fühlte, sie stand unter meinem Befehl; aber sie schüttelte nur, unaussprechlich gequält, den Kopf. – – Wenn der Rapport hergestellt ist, so sage ich mir, so muß jetzt der Name kommen. Jedoch Frau Fromm blieb stumm; ihr Blick irrte zum erstenmal von mir ab. Ich sah, daß sie Widerstand leistete, aber sich zugleich geistig an mich anzuklammern versuchte. Ich bemühte mich, meine Erregung zu meistern und meinen Einfluß von ihr zu lösen, – meinen Willen von ihr abzuwenden, damit sie zu sich selber käme.

 

Sie machte eine ruckartige Bewegung. Ich ahnte nicht, was es bedeuten sollte, daß sie sich plötzlich aufstraffte und ihren Fuß langsam vorsetzte. Dann fing sie an zu gehen, schritt langsam an mir vorbei mit so hilfloser, erschütternd suchender und widerstrebender Gebärde, daß es mir heiß zu Herzen drang und ich von einem unsinnigen Trieb ergriffen wurde, sie an mich zu ziehen, sie zu trösten, mit ihr zu weinen, sie zu küssen, sie zu mir zu nehmen wie eine lange, lange entbehrte Geliebte – wie das zu mir gehörige Weib. Es bedurfte allen Aufwandes an Willenskraft, daß ich nicht tat, was meine Vorstellung eigentlich schon getan hatte.

 

Frau Fromm wandte sich an meinem Lehnstuhl vorbei, in dem ich während der Arbeit zu sitzen pflege, der entgegengesetzten Schmalseite des Schreibtisches zu. Ihre Gebärden hatten etwas seltsam Automatenhaftes; ihr Blick war der einer Leiche. Als sie dann den Mund öffnete, klang mir ihre Stimme vollkommen fremd. Ich hörte nicht alles, was sie sagte, nur dies:

"Bist du wieder da? Geh fort, Tierquäler! Mich täuschst du nicht! – Und dich, dich spüre ich, – sehe deine schwarze und silberne Schlangenhaut – ich fürchte mich nicht, ich habe Befehl – ich – ich..."







Date: 2015-09-05; view: 302; Íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ



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