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Tifereth 18 page





Mein Gott, die Armeen zogen mordend und sengend durch die Ebenen Europas, die Päpste schleuderten Bannstrahlen, die Kaiser trafen sich hämophilitisch und inzestuös im Jagdschlösschen der Palatinischen Gärten, alles nur, um eine Tarnung zu liefern, eine Prunkfassade für die Arbeit derer, die im Salomonischen Hause auf die schwachen Signale des Umbilicus Mundi lauschten.

Jawohl, sie waren hergekommen, um diese Maschinen in Gang zu setzen, diese pseudothermischen hexatetragrammatischen Elektrokapillatoren – wie Garamond sie genannt hätte –, und zwischendurch erfindet jemand, was weiß ich, ein Vakzin, oder eine Glühbirne, um das wunderbare Abenteuer der Metalle zu rechtfertigen, aber die Aufgabe war eine andere, sie alle versammelten sich hier um Mitternacht, um diese statische Maschine von Ducretet in Gang zu setzen, ein transparentes Rad, das aussieht wie ein Wehrgehänge, dahinter zwei tanzende Bällchen an zwei gebogenen Stäbchen, vielleicht, wenn man sie berührte, sprühten Funken heraus, Frankenstein hoffte, auf diese Weise seinen Golem beleben zu können, aber nein, das Signal, auf das er wartete, war ein anderes: such weiter, forsche, kombiniere, grab, grab, alter Maulwurf...

... hier eine Nähmaschine (so eine wie in der Stahlstich‑Reklame, neben der Pille zur Entwicklung des Busens und dem großen Adler, der durch die Berge fliegt, in den Krallen den aufmöbelnden Magenbitter, Robur le Conquérant, R.C.), aber wenn sie in Gang gesetzt wird, dreht sie ein Rad, und das Rad dreht einen Ring, und der Ring... was tut der, wer gehorcht dem Ring? Die Beischrift sagte es:»Les courants induits par le champ terrestre«, die vom Magnetfeld der Erde induzierten Ströme! Schamlos, in aller Offenheit, auch die Kinder können es lesen bei ihren nachmittäglichen Besuchen, glaubte die Menschheit doch sowieso, in eine andere Richtung zu gehen, man konnte alles versuchen, sogar das höchste, äußerste Experiment, wenn man nur sagte, es diene der Technik. Die Herren der Welt haben uns Jahrhunderte lang getäuscht. Wir waren umgeben, umschlossen, umgarnt vom Großen Komplott, und wir schrieben Gedichte zum Lob der Lokomotive!

Ich lief ziellos umher. Ich konnte mir vorstellen, kleiner zu sein, mikroskopisch klein, und schon wäre ich als bestürzter Passant durch die Straßen einer mechanischen Stadt gewandert, zwischen metallischen Wolkenkratzern. Zylinder, Batterien, Leidener Flaschen übereinandergetürmt, kleine Karusselle, kaum zwanzig Zentimeter hoch, Tourniquet électrique à attraction et répulsion. Talisman, um die Sympathie‑Ströme zu stimulieren. Colonnade étincelante formée de neuf tubes, Electroaimant, eine Guillotine, im Zentrum – und es sah aus wie eine Druckpresse – hingen Haken an schweren Ketten. Eine Presse, in die man eine Hand hineinstecken kann, einen Kopf zum Zermalmen. Gläserne Glocke, bewegt von einer Luftpumpe mit zwei Zylindern, eine Art Destillierkolben, darunter eine Schale und rechts eine kupferne Kugel. Saint‑Germain hat darin seine Tinkturen für den Landgrafen von Hessen gemischt.

Ein Pfeifenständer mit vielen kleinen Sanduhren, die Einschnürungen lang gezogen wie die Taillen bei den Frauen von Modigliani, gefüllt mit einem undefinierbaren Material, aufgestellt in zwei Reihen von jeweils zehn, und bei jeder bläht sich die obere Erweiterung auf einer anderen Höhe, wie lauter kleine Mongolfieren, die sich in die Luft erheben wollen und nur durch einen Sandsack am Boden gehalten werden. Ein Apparat zur Erzeugung des Rebis, sichtbar vor aller Augen.

Abteilung Glasarbeiten. Ich war im Kreis gelaufen. Grüne Fläschchen, ein sadistischer Wirt bot mir Gifte in Quintessenz an. Eiserne Maschinen zur Flaschenherstellung, sie öffneten und schlossen sich mit zwei Griffen, aber wenn man nun statt der Flasche die Hand hineinhielt? Zack, so muß es gegangen sein mit jenen Zangen, jenen Scheren, jenen Bistouris mit gebogenem Schnabel, die in den After eingeführt werden konnten, in die Ohren, in den Uterus, um den noch lebenden Fötus herauszuziehen und ihn mit Honig und Pfeffer anzurichten für die blutgierige Astarte... Der Saal, den ich jetzt durchquerte, hatte breite Vitrinen, ich sah Druckknöpfe, mit denen man große Korkenzieher in Gang setzen konnte, die sich unaufhaltsam dem Auge des Opfers entgegenschraubten, Die Grube und das Pendel, hier waren wir schon fast bei der Karikatur, bei den unnützen Maschinen von Goldberg, bei den Foltergeräten, an die Mickey Mouse von Big Pete gefesselt wurde, l'engrenage extérieur à trois pignons, äußeres Zahnradgetriebe mit drei Ritzeln, Triumph der Mechanik zur Zeit der Renaissance, Branca, Ramelli, Zonca kannten diese Getriebe, ich hatte sie abgebildet in unserem wunderbaren Abenteuer der Metalle, aber hierhin waren sie später verbracht worden, im letzten Jahrhundert, jawohl, hier standen sie schon bereit, um die Aufrührer zu bändigen nach der Eroberung der Welt, die Templer hatten von den Assassinen gelernt, wie man Noffo Dei zum Schweigen bringt, sobald man ihn einmal gefangen hat, Sebottendorffs Hakenkreuz würde die ächzenden Glieder der Feinde der Herren der Welt in Richtung der Sonne verdrehen, alles stand bereit und wartete nur noch auf einen Wink, alles vor aller Augen, der Große Plan war öffentlich, aber niemand hätte ihn erraten können, knirschende Kiefern hätten ihren Eroberungshymnus gesungen, eine Orgie von Mäulern, allesamt nur noch reines Gebiss, die sich ineinander verbolzten mit einem spastischen Ticken, als fielen alle Zähne auf einmal zu Boden.


Und schließlich stand ich vor jenem Emetteur à étincelles soufflées, der für den Eiffelturm geplant worden war, zum Austausch von stündlichen Signalen zwischen Frankreich, Tunesien und Russland (Templer von Provins, Paulizianer und Assassinen aus Fez – Fez liegt nicht in Tunesien, und die Assassinen waren in Persien, aber was soll's, man kann nicht subtilisieren, wenn man in den Windungen der Subtilen Zeit lebt). Diese immense Maschine hatte ich doch schon mal irgendwo gesehen: übermannsgroß, die Wände durchbohrt von einer Reihe Luken und Luftlöcher, wer wollte mir einreden, das sei ein Funkapparat? Natürlich, das kannte ich, daran war ich am Nachmittag vorbeigekommen. Das war das Centre Beaubourg!

Vor unser aller Augen. Und in der Tat, wozu sollte diese Riesenschachtel im Zentrum von Lutetia dienen (Lutetia Parisiorum, die Luke zu einem unterirdischen Meer von Schlamm), dort, wo früher der Bauch von Paris war, mit diesen Saugrüsseln zum Einsaugen der Luft, dieser krankhaften Wucherung von Röhren und Leitungen, diesem Ohr des Dionysius, das sich so weit nach außen öffnet, um Töne, Botschaften, Signale aufzufangen und hineinzusenden ins Zentrum der Erde und sie zurückzugeben als ausgekotzte Informationen der Hölle? Erst das Conservatoire als Laboratorium, dann der Eiffelturm als Sonde, schließlich das Cent‑re Beaubourg als globale Sendeempfangsstation. Hatten sie diesen Riesenschröpfkopf da etwa hingestellt, bloß um ein paar langhaarige, ungewaschene Jugendliche zu unterhalten, die sich den neuesten Hit mit japanischen Walkmen reinziehen? Vor unser aller Augen. Das Centre Beaubourg als das Tor zum unterirdischen Reich von Agarttha, als Monument der Equites Synarchici Resurgentes. Und die anderen, all die anderen, zwei, drei, vier Milliarden Andere, sie ignorierten es oder bemühten sich, es zu ignorieren. Trottel und Hyliker. Und die Pneumatiker zielstrebig, sechs Jahrhunderte lang.


Endlich hatte ich die Treppe gefunden und war hinabgestiegen, immer vorsichtiger. Mitternacht nahte. Ich musste mich in meinem Observatorium verstecken, ehe sie kamen.

Ich glaube, es war schon elf, vielleicht noch nicht ganz. Ich ging durch den Saal Lavoisier, ohne die Taschenlampe anzuknipsen, eingedenk der Halluzinationen am Nachmittag, ich eilte durch den Gang mit den Modelleisenbahnen.

Im Kirchenschiff war bereits jemand. Ich sah Lichter, huschende, flackernde. Ich hörte Scharren, als würden Möbel über den Boden geschoben.

Würde ich noch rechtzeitig in den Sockel der Freiheitsstatue kommen? Ich schlich gebückt an den Vitrinen mit den Zügen entlang und war gleich darauf im Seitenschiff neben der Statue von Gramme. Auf einem hölzernen Podest in Kubusform (der kubische Stein von Hesod!) erhob sie sich, wie um den Eingang zum Chor zu bewachen. Von hier war es nur noch ein Katzensprung bis zu meinem Versteck.

Die Vorderseite des Podests war aufgeklappt, so dass eine Türöffnung entstand, die den Ausgang eines geheimen Ganges darstellen mochte. Und tatsächlich kam dort jemand mit einer Laterne heraus – vielleicht einer Gaslaterne, mit bunten Scheiben, die sein Gesicht in rötlichen Flammenschein tauchten. Ich drückte mich in einen Winkel, und er sah mich nicht. Ein anderer kam aus dem Chor auf ihn zu.»Schnell«, sagte er leise,»in einer Stunde sind sie da.«

Das war also die Vorhut, die etwas für den Ritus vorbereiten sollte. Wenn es nicht viele waren, konnte ich unbemerkt die Freiheitsstatue erreichen, ehe die anderen kamen, wer weiß woher und zu wie vielen. Ich blieb lange in meinem Winkel und verfolgte die Bewegungen der Laternen in der Kirche, den periodischen Wechsel der Lichter, die Momente der größeren und geringeren Helligkeit. Ich kalkulierte, wie weit sie sich von der Freiheitsstatue entfernten und wie lange diese im Dunkeln bleiben mochte. Schließlich setzte ich alles auf eine Karte, huschte links unter die Statue von Gramme – an die Wand gepresst mit eingezogenem Bauch, zum Glück war ich dünn wie ein Nagel. Lia... Und schlüpfte in den Sockel der Freiheitsstatue.

Um mich noch unsichtbarer zu machen, kauerte ich mich am Boden zusammen, in einer fast embryonalen Position. Mein Herz pochte schneller, meine Zähne klapperten.

Ich musste mich entspannen. Ich atmete rhythmisch durch die Nase und steigerte langsam die Intensität der Atemzüge. So kann man, glaube ich, unter der Folter beschließen, ohnmächtig zu werden, um sich dem Schmerz zu entziehen. Tatsächlich fühlte ich mich langsam in die Arme der Unterirdischen Welt versinken.


 

113

 

 

Unsere Sache ist ein Geheimnis in einem Geheimnis, das Geheimnis von etwas, das verhüllt bleibt, ein Geheimnis, das nur ein anderes Geheimnis erklären kann, ein Geheimnis über ein Geheimnis, das sich mit einem Geheimnis befriedigt.

Ga'far al‑Sadiq, sechster Imam

 

Langsam kam ich wieder zu mir. Ich hörte Geräusche, ein helleres Licht schreckte mich auf. Meine Füße waren steif geworden. Ich versuchte mich langsam aufzurichten, ohne Lärm zu machen, und es kam mir vor, als stünde ich auf einem Teppich aus Seeigeln. Die kleine Seejungfrau. Ich machte ein paar lautlose Bewegungen, beugte mich nach rechts und nach links, und als ich feststellte, dass mein Versteck weitgehend im Dunkeln geblieben war, gelang es mir allmählich, wieder Herr der Lage zu werden.

Das Kirchenschiff war hell erleuchtet. Es waren die Laternen, aber nun waren es Dutzende und Aberdutzende, getragen von den Zusammengeströmten, die sich hinter mir drängten. Sicherlich aus dem Geheimgang gekommen, strömten sie links von mir in den Chor und ins Kirchenschiff. Mein Gott, sagte ich mir, die Nacht auf dem Kahlen Berge, Version Walt Disney.

Sie lärmten nicht, sie murmelten nur, aber alle zusammen produzierten ein lautes Brummen und Rauschen, wie die Komparsen in der Oper: Rhabarber, Rhabarber.

Links von mir waren die Laternen im Halbrund auf den Boden gestellt, so dass sie mit einem abgeflachten Halbkreis das östliche Halbrund des Chores vervollständigten und am südlichsten Punkt dieses Pseudo‑Halbkreises die Statue von Pascal berührten. Dort drüben hatte man ein brennendes Kohlebecken hingestellt, auf das jemand Kräuter und Essenzen warf. Der Rauch drang bis in mein Versteck, legte sich mir auf die Kehle und verursachte mir ein Gefühl von überreizter Betäubung.

Im Schwanken der Laternen bemerkte ich, dass sich im Zentrum des Chors etwas regte, ein schmaler und schwirrender Schatten.

Das Pendel! Das Pendel schwang nicht mehr an seinem gewohnten Ort auf halber Höhe des Kreuzgewölbes. Es hing jetzt, größer als sonst, am Schlussstein in der Mitte des Chors. Die Kugel war größer, der Faden war dicker, er schien mir jetzt ein Seil oder eine Drahttrosse zu sein.

Das Pendel war jetzt so groß, wie es einst im Pantheon gewesen sein musste. Wie wenn man den Mond durch ein Fernrohr vergrößert sieht.

Sie hatten es so wiederherstellen wollen, wie die Templer es beim ersten Mal erprobt haben mussten, ein halbes Jahrtausend vor Leon Foucault. Damit es frei schwingen konnte, hatten sie einiges wegräumen müssen und dem Amphitheater des Chors jene grob‑symmetrische Antistrophe geschaffen, die von den Laternen dargestellt wurde.

Ich fragte mich, wie es dem Pendel gelingen mochte, so gleichmäßig zu schwingen, jetzt, wo unter dem Boden nicht mehr der magnetische Regulator sein konnte. Dann begriff ich. Im Chorumgang, bei den Dieselmotoren, stand einer, der – geschmeidig wie eine Katze den Veränderungen der Schwingungsebene folgend – der Kugel jedes Mal, wenn sie zu ihm geschwungen kam, einen leichten Stoß versetzte, mit einer präzisen Handbewegung.

Er war im Frack, wie Mandrake. Später, als ich seine Gefährten sah, begriff ich, dass er ein Taschenspieler war, ein Zauberer aus dem Petit Cirque der Madame Olcott, ein Profi, der den Stoß seiner Fingerspitzen sehr genau zu dosieren vermochte, mit sicherer Hand, geschickt bei der Arbeit mit infinitesimalen Veränderungen. Vielleicht war er sogar fähig, durch die dünnen Sohlen seiner Lackschuhe die Vibrationen der innerirdischen Strömungen zu erspüren und die Hände gemäß der Logik der Kugel zu bewegen, und gemäß der Logik der Erde, auf welche die Kugel antwortete.

Seine Gefährten. Nun sah ich auch sie. Sie bewegten sich zwischen den Automobilen im Kirchenschiff, huschten an den draisiennes und Motorrädern vorbei, wälzten sich fast im Schatten, die einen trugen einen Lehnstuhl und einen mit rotem Tuch verhangenen Tisch in den breiten hinteren Chorumgang, die anderen verteilten weitere Laternen. Klein, dunkel und täppisch, wirkten sie wie rachitische Kinder, und als einer von ihnen dicht an mir vorbeikam, sah ich seine mongoloiden Züge und seinen Kahlkopf. Les Freaks Mignons de Madame Olcott, die scheußlichen kleinen Monster, die ich auf dem Plakat in der Librairie Sloane gesehen hatte.

Der Zirkus war komplett gekommen: Staff, Ordner und Choreografen des Ritus. Ich sah Alex und Denys, die Riesen von Avalon, eingezwängt in eine Rüstung aus nietenbeschlagenem Leder, wahrhaft gigantische Kerle mit blondem Haar, an die große Masse der Obéissante gelehnt mit abwartend gekreuzten Armen.

Ich hatte keine Zeit, mir weitere Fragen zu stellen. Jemand war feierlich eingetreten, mit ausgestreckter Hand Ruhe gebietend. Ich erkannte Bramanti nur deshalb, weil er dasselbe scharlachrote Gewand mit weißem Umhang und Mitra trug, in dem ich ihn an jenem Abend auf dem Schloss in Piemont gesehen hatte. Er näherte sich dem Kohlebecken, warf etwas hinein, so dass eine Flamme aufloderte, gefolgt von einem dicken weißen Rauch, dessen Duft sich langsam durch den Saal verbreitete. Wie damals in Rio, dachte ich, und wie auf dem alchimistischen Fest. Und ich hatte kein Agogõ. Ich hielt mir das Taschentuch wie einen Filter vor Nase und Mund. Aber schon glaubte ich zwei Bramantis zu sehen, und das Pendel schwang vor mir in mehrere Richtungen gleichzeitig, wie ein Karussell.

Bramanti begann zu psalmodieren:»Aleph Beth Gimel Daleth He Waw Zajin Herb Teth Jod Kaf Lamed Mem Nun Samech Ajin Pe Sade Qof Resch Schin Tau!«

Die Menge respondierte:»Pamersiel, Padiel, Chamuel, Aseliel, Barmiel, Gediel, Asyriel, Meseriel, Dorchtiel, Usiel, Cabariel, Raysiel, Symiel, Armadiel...«

Bramanti winkte, jemand trat aus der Menge hervor und sank vor ihm auf die Knie. Nur für einen Augenblick sah ich sein Gesicht. Es war Riccardo, der Maler, der Mann mit der Narbe.

Bramanti befragte ihn, und der andere antwortete, die Formeln des Rituals auswendig rezitierend.

»Wer bist du?«

»Ich bin ein Adept, noch nicht zugelassen zu den höheren Mysterien der Tres. Ich habe mich in der Stille vorbereitet, in der analogischen Meditation über das Geheimnis des Baphomet, im Bewusstsein, dass es sechs unversehrte Siegel sind, um die das Große Werk kreist, und dass wir erst am Ende das Geheimnis des siebenten kennen werden.«

»Wie bist du empfangen worden?«

»Durch die perpendikuläre Passage zum Pendel.«

»Wer hat dich empfangen?«

»Ein Mystischer Legat.«

»Würdest du ihn wiedererkennen?«

»Nein, denn er war maskiert. Ich kenne nur den Ritter des nächsten Grades über mir, und dieser kennt nur den Naometer des nächsten Grades über sich, und ein jeder kennt immer nur einen. Und so soll es sein.«

»Quid facit Sator Arepo?«

»Tenet Opera Rotas.«

»Quid facit Satan Adama?«

»Tabat Amata Natas. Mandabas Data Amata, Nata Sata.«

»Hast du die Frau mitgebracht?«

»Ja, sie ist hier. Ich habe sie übergeben, wie man mir befahl. Sie ist bereit.«

»Geh, aber halte dich gleichfalls bereit.«

Der Dialog war in einem rudimentären Französisch geführt worden, von beiden. Dann sagte Bramanti auf Italienisch:»Brüder, wir sind hier versammelt im Namen des Einzigen Ordens, des Unbekannten Ordens, von dem ihr noch gestern nichts wusstet und dem ihr doch seit jeher angehörtet. Schwören wir: Fluch allen, die das Geheimnis entweihen. Fluch den Sykophanten des Okkulten, Fluch denen, die aus Riten und Mysterien ein Spektakel gemacht haben!«

»Fluch ihnen!«

»Fluch dem Unsichtbaren Kollegium, den Bastarden Hirams und der Witwe, den operativen und spekulativen Meistern der Lüge, sei es des Orients oder des Okzidents, der Alten und Angenommenen oder Rektifizierten, Fluch über Memphis und Misraim, über Philalethes und die Neun Schwestern, Fluch der Strikten Observanz und dem Ordo Templi Orientes, Fluch den Illuminaten aus Bayern und denen aus Avignon, den Rittern Kadosch, den Erwählten Cohens, der Vollkommenen Freundschaft, den Rittern des Schwarzen Adlers und der Heiligen Stadt, Fluch den Rosenkreuzern in Anglia, den Kabbalisten vom Goldenen Rosen+Kreuz, den Satanisten vom Golden Dawn, Fluch dem Katholischen Rosen‑Kreuz des Tempels und des Grals, der Stella Matutina, dem Astrum Argentinum und der Thelema, Fluch dem Vril und der Thule‑Gesellschaft und jedem alten und mystischen Usurpator des Namens der Großen Weißen Brüderschaft, Fluch den Wächtern des Tempels und jedem anderen Kollegium oder Priorat von Zion oder von Gallien!«

»Fluch ihnen!«

»Wer immer aus Einfalt, auf Befehl, als Proselyt, aus Berechnung oder bösem Willen initiiert worden ist in eine Loge, ein Kollegium, ein Priorat, ein Kapitel, einen Orden, der, die oder das sich unerlaubterweise auf den Gehorsam gegenüber den Unbekannten Oberen und den Herren der Welt beruft, der schwöre in dieser Nacht ab und erflehe exklusive Aufnahme in den Geist und den Körper der einzigen wahren Observanz, der TRES, der Templi Resurgentes Equites Synarchici, der dreieinen und trinosophischen, mystischen und allergeheimsten Ordensgemeinschaft der Synarchischen Ritter der Templerischen Wiedergeburt!«

»Sub umbra alarum tuarum!«

»Es mögen nun eintreten die Würdenträger der sechsunddreißig höchsten und allergeheimsten Grade.«

Und während Bramanti die Erwählten einen nach dem anderen aufrief, traten diese in liturgischen Gewändern herein, jeder mit dem Wappen des Goldenen Vlieses auf der Brust.

»Ritter des Baphomet, Ritter der Sechs Unversehrten Siegel, Ritter des Siebenten Siegels, Ritter des Tetragrammatons, Ritter Scharfrichter von Florian und Dei, Ritter des Athanor... Ehrwürdiger Naometer des Turms zu Babel, Ehrwürdiger Naometer der Großen Pyramide, Ehrwürdiger Naometer der Kathedralen, Ehrwürdiger Naometer des Salomonischen Tempels, Ehrwürdiger Naometer des Hortus Palatinus, Ehrwürdiger Naometer des Tempels von Heliopolis... «

Bramanti rezitierte die Dignitäten, und die Genannten erschienen in Gruppen, so dass ich nicht erkennen konnte, wer welchen Titel trug, aber mit Sicherheit erkannte ich unter den ersten zwölf den Commendator De Gubernatis, den alten Buchhändler aus der Librairie Sloane, den Professor Camestres und andere, denen ich an dem Abend auf dem Schloss in Piemont begegnet war. Und ich sah, ich glaube als Ritter des Tetragrammatons, Signor Garamond, gefasst und hieratisch, ergriffen von seiner neuen Rolle, wie er sich mit zitternder Hand an das Vlies auf seiner Brust fasste. Unterdessen fuhr Bramanti fort:»Mystischer Legat von Karnak, Mystischer Legat von Bayern, Mystischer Legat der Barbelognostiker, Mystischer Legat von Camelot, Mystischer Legat von Montségur, Mystischer Legat des Verborgenen Imam... Höchster Patriarch von Tomar, Höchster Patriarch von Kilwinning, Höchster Patriarch von Saint‑Martin‑des‑Champs, Höchster Patriarch von Marienburg, Höchster Patriarch der Unsichtbaren Ochrana, Höchster Patriarch in partibus der Felsenfestung Alamut... «

Und zweifelsfrei war der Patriarch der Unsichtbaren Ochrana mein Nachbar Salon, wie immer graugesichtig, aber nun ohne Kittel und strahlend in einer gelben Tunika mit rotem Saum. Ihm folgte Pierre, der Psychopomp der Eglise Luciférienne, doch er trug auf der Brust statt des Goldenen Vlieses einen Dolch in einer vergoldeten Scheide. Unterdessen fuhr Bramanti fort:»Erhabener Hierogam der Chymischen Hochzeit, Erhabener Rhodostaurotischer Psychopomp, Erhabener Referendar der Arcana Arcanissima, Erhabener Steganograph der Monas Ieroglyphica, Erhabener Astraler Connector Utriusque Cosmi, Erhabener Wächter des Grabes Christiani Rosencreutz... Unergründbarer Archont der Strömungen, Unergründbarer Archont der Hohlwelt, Unergründbarer Archont des Mystischen Pols, Unergründbarer Archont der Labyrinthe, Unergründbarer Archont des Pendels der Pendel... «Bramanti machte eine Pause, und mir schien, als brächte er die letzte Formel nur widerwillig über die Lippen:»Und als Unergründbarster der Unergründbaren Archonten, Diener der Diener, Demütigster Sekretär des Ägyptischen Ödipus, Niedrigster Bote der Herren der Welt und Torwächter von Agarttha, Letzter Weihrauchfassträger und Beweihräucherer des Pendels, Claude‑Louis Graf von Saint‑Germain, Fürst Rakoczi, Graf von Saint‑Martin und Marquis von Agliè, Herr von Surmont, Marquis von Welldone, Marquis von Monferrat, von Aymar und Belmar, Graf Soltikoff, Ritter von Schoening, Graf von Tzarogy!«

Während die anderen sich im Chorumgang aufstellten, mit Blick auf das Pendel und auf die Gläubigen im Kirchenschiff, trat Agliè herein, wie immer im nachtblauen nadelgestreiften Zweireiher, bleich und mit versteinerter Miene, und an der Hand führte er, als geleitete er eine arme Seele auf dem Weg zum Hades, sie ebenfalls bleich und wie von einer Droge betäubt, bekleidet nur mit einem weißen, halb durchscheinenden Gewand, das Haar lang auf die Schultern herabfallend, Lorenza Pellegrini. Ich sah sie im Profil, als sie an meinem Versteck vorbeischritt, rein und schmachtend wie eine präraffaelitische Ehebrecherin. Zu durchscheinend, um nicht erneut mein Begehren zu wecken.

Agliè führte Lorenza zu dem Kohlebecken neben der Statue von Pascal, strich ihr sanft über die Wange und winkte die beiden Riesen von Avalon herbei, die sie rechts und links an den Armen fassten und hielten. Dann ging er an den Tisch und setzte sich, das Gesicht zu den Gläubigen gewandt, und ich konnte ihn deutlich sehen, wie er sein Döschen aus der Westentasche zog und es schweigend streichelte, bevor er zu sprechen begann.

»Brüder, Ritter. Ihr seid hierhergekommen, weil euch die Mystischen Legaten in diesen Tagen benachrichtigt haben, und daher wisst ihr nun alle, aus welchem Grunde wir uns hier versammeln. Wir hätten uns bereits in der Nacht des 23. Juni 1945 hier versammeln müssen, und vielleicht waren damals einige von euch noch nicht geboren – zumindest nicht in der gegenwärtigen Form, meine ich. Heute sind wir nun hier zusammengekommen, weil wir nach sechshundert Jahren schmerzlichsten Irrens endlich einen gefunden haben, der weiß. Woher er sein Wissen hat – und wie es kommt, dass er mehr weiß als wir –, ist ein beunruhigendes Geheimnis. Aber ich vertraue darauf, dass unter uns derjenige ist – und nicht wahr, du durftest nicht fehlen, mein Freund, der du schon einmal zu neugierig warst –, derjenige, sagte ich, der es uns sagen kann. Ardenti!«

Der Oberst Ardenti – zweifellos er, noch immer schwarzhaarig, wenn auch vergreist – drängte sich durch die Menge und trat vor das, was sich anschickte, sein Tribunal zu werden, auf Distanz gehalten durch das Pendel, das durch sein Schwingen einen unbetretbaren Raum abgrenzte.

»Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, Bruder«, sagte Agliè lächelnd.»Ich wusste, als ich die Nachricht verbreitete, dass du nicht würdest widerstehen können. Also? Du weißt, was der Gefangene gesagt hat, und er sagt, er habe es von dir erfahren. Mithin hast du gewusst und hast geschwiegen.«

»Graf«, sagte Ardenti,»der Gefangene lügt. Ich schäme mich, es zu gestehen, aber die Ehre geht vor. Die Geschichte, die ich ihm anvertraut habe, ist nicht diejenige, von der die Mystischen Legaten gesprochen haben. Die Interpretation der Botschaft – jawohl, es ist wahr, ich hatte die Hände auf eine Botschaft gelegt, und ich hatte es Euch nicht verheimlicht, damals vor Jahren in Mailand –, die Interpretation der Botschaft ist eine andere... Ich wäre nicht in der Lage gewesen, sie so zu lesen, wie der Gefangene sie gelesen hat, deswegen suchte ich damals Hilfe. Und ich muß sagen, ich bin nicht gerade auf Ermunterung gestoßen, nur auf Misstrauen, Herausforderungen und Drohungen... «Vielleicht wollte er noch etwas anderes sagen, aber indem er Agliè anstarrte, starrte er auch das Pendel an, das zwischen ihnen schwang und wie ein Zauber auf ihn wirkte. Hypnotisiert sank er auf die Knie und stammelte nur:»Vergeht mir, denn ich weiß nichts.«

»Dir sei vergeben, denn du weißt, dass du nichts weißt«, sagte Agliè.»Geh. Doch somit, Brüder, weiß der Gefangene zu viele Dinge, die keiner von uns gewusst hat. Er weiß sogar, wer wir sind, und wir haben es von ihm erfahren. Wir müssen uns sputen, bald wird es hell werden. Während ihr hier in Meditation verharrt, werde ich mich jetzt noch einmal mit ihm zurückziehen, um ihm die Enthüllung zu entreißen.«

»Ah non, Monsieur le Comte!«Pierre war in den Halbkreis getreten, mit geweiteten Pupillen.»Zwei Tage habt Ihr gesprochen mit ihm tête‑à‑tête, ohne uns zu prävenieren, und er nix gesehen, nix gesagt, nix gehört, wie die drei kleine Äffchen. Was wollt Ihr ihn jetzt noch fragen, diese Nacht? Non, ici, hier vor uns allen!«

»Beruhigen Sie sich, lieber Pierre. Ich habe heute Abend diejenige herbringen lassen, die ich für die exquisiteste Inkarnation der Sophia halte, das mystische Band zwischen der Welt des Irrtums und der Höheren Achtheit. Fragen Sie mich nicht, wie und warum, aber vor dieser Mittlerin wird der Gefangene sprechen. Sag ihnen, wer du bist, Sophia.«

Und Lorenza, wie schlafwandelnd, die Worte mühsam hervorstoßend und fast skandierend:»Ich bin... die Heilige und die Hure.«

»Ah, ça c'est bien«, lachte Pierre auf.»Wir haben hier die Creme de l'Initiation und greifen zurück auf la Pute! Nein, der Mann her, sofort, hierher vor das Pendel!«

»Seien wir doch nicht kindisch«, sagte Agliè.»Gebt mir eine Stunde Zeit. Wieso glaubt Ihr, er werde hier sprechen, vor dem Pendel?«

»Er wird sprechen, indem er verblutet. Le sacrifice humain!«schrie Pierre in das Kirchenschiff.

Und laut tönte es zurück»Le sacrifice humain!«

Da trat Salon vor:»Graf, Kindereien beiseite, der Bruder hat recht. Wir sind keine Polizisten... «

»Gerade Sie dürften das nicht sagen«, murmelte Agliè.







Date: 2015-12-13; view: 468; Íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ



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