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Chessed 2 page





Alles schoss plötzlich zusammen. Satanische und maurische Riten im Tempel zu Jerusalem, afrikanische Medizinmänner für die Subproletarier aus dem Sertão, die Botschaft aus Provins mit ihren hundertzwanzig Jahren und die hundertzwanzig Jahre der Rosenkreuzer.

War ich ein wandelnder Shaker geworden, nur noch gut zum Vermixen diverser Spirituosen, oder hatte ich einen Kurzschluss ausgelöst, indem ich über ein Knäuel bunter Drähte gestolpert war, die sich ganz von alleine verhedderten, und das schon seit langer Zeit? Ich kaufte mir das Buch über die Rosenkreuzer. Dann sagte ich mir, wenn ich noch ein paar Stunden länger in diesen Buchläden geblieben wäre, hätte ich von Obersten Ardenti und übersinnlichen Mädchen mindestens ein Dutzend getroffen.

Ich ging nach Hause und teilte Amparo offiziell mit, dass die Welt voll Denaturierter sei. Sie versprach mir Trost, und wir beendeten den Tag naturaliter.

Gegen Ende 1975 beschloss ich, mir die Ähnlichkeiten aus dem Kopf zu schlagen und alle Kraft meiner Arbeit zu widmen. Schließlich sollte ich italienische Kultur lehren und nicht die Rosenkreuzer.

Ich vertiefte mich in die Philosophie des Humanismus und entdeckte, dass die Menschen der nüchternen Neuzeit, kaum aus dem finsteren Mittelalter getreten, nichts Besseres zu tun wussten, als sich in Kabbala und Magie zu vertiefen.

Nach zwei Jahren Beschäftigung mit Humanisten, die Formeln rezitiert hatten, um die Natur zu bewegen, Dinge zu tun, die sie nicht tun wollte, erhielt ich Nachrichten aus Italien. Meine einstigen Genossen, oder jedenfalls einige von ihnen, erledigten Andersgesinnte mit Genickschüssen, um die Leute zu bewegen, Dinge zu tun, die sie nicht tun wollten.

Ich begriff nicht. Beschloss, mich nunmehr als Teil der Dritten Welt zu betrachten, und entschied mich, nach Bahia zu fahren. Ich fuhr los mit einer Geschichte der Renaissance‑Kultur unterm Arm – und mit dem Buch über die Rosenkreuzer, das unaufgeschnitten im Regal geblieben war.

 

26

 

 

Alle Traditionen der Erde sind zu betrachten als Traditionen einer grundlegenden Mutter‑Tradition, die von Anfang an dem schuldigen Adam und seinen ersten Sprößlingen anvertraut worden war.

Louis‑Claude de Saint Martin, De l’esprit des choses, Paris, Laran, 1800, II,»De l’esprit des traditions en général«

 

Und ich sah Salvador, Salvador da Bahia de Todos os Santos, das»schwarze Rom«mit seinen dreihundertfünfundsechzig Kirchen, die sich hoch auf der Hügellinie erheben oder sanft in die Bucht schmiegen und in denen die Götter des afrikanischen Pantheons verehrt werden.

Amparo kannte einen naiven Maler, der große Holztafeln voll biblischer und apokalyptischer Visionen malte, leuchtend wie mittelalterliche Miniaturen, mit koptischen und byzantinischen Elementen. Er war natürlich Marxist, sprach von der baldigen Revolution und verbrachte die Tage träumend in den Sakristeien des Heiligtums von Nosso Senhor do Bomfim, einem Triumph des Horror vacui, vollgestopft mit Votivgaben, die in Trauben von der Decke herabhingen und die Wände pflasterten, eine mystische Assemblage aus silbernen Herzen, hölzernen Prothesen, Beinen und Armen, vermischt mit Bildern von dramatischen Rettungen aus tosenden Seestürmen, Hurrikanen und Mahlströmen. Er führte uns in die Sakristei einer anderen Kirche voll großer nach Jacaranda riechender Möbel.»Wer ist das auf dem Bild da?«, fragte Amparo den Küster.»Sankt Georg?«

Der Küster sah uns komplizenhaft an:»Wir nennen ihn São Jorge, und es ist besser, ihn so zu nennen, weil sonst der Herr Pfarrer böse wird, aber es ist Oxossi.«

Der Maler führte uns zwei Tage lang durch Kirchenschiffe und Kreuzgänge, verborgen hinter überreich dekorierten Fassaden von einer Schwärze wie abgegriffene Silberteller. Wir wurden begleitet von runzligen und hinkenden Kirchendienern, die Sakristeien waren krank von Gold und Silbermetallen, von schweren Kassettendecken und kostbaren Rahmen. In kristallenen Schreinen längs der Wände thronten Heiligenstatuen in Naturgröße, triefend von Blut, die offenen Wunden gespickt mit Rubintropfen, und leidverzerrte Christusfiguren mit hämorrhagieroten Beinen. In einem spätbarocken Goldgeflimmer sah ich Engel mit etruskischen Gesichtern, romanische Greife und orientalische Sirenen, die aus Säulenkapitellen hervorlugten.

Wir gingen durch alte Gassen, verzaubert von Namen, die wie Lieder klangen, Rua da Agonia, Avenida dos Amores, Travessa de Chico Diabo... Es war zu der Zeit, als die Regierung oder wer immer in ihrem Auftrag gerade dabei war, die Altstadt zu sanieren, um die zahllosen Bordelle zu schließen, aber man war erst auf halbem Wege angelangt. Zu Füßen jener verwaisten und leprösen, mit ihrem Prunk vollgestopften Kirchen erstreckten sich damals noch übel riechende Gassen, in denen es von minderjährigen schwarzen Prostituierten wimmelte, am Bordstein hockende Weiblein boten über offenem Feuer brutzelnde afrikanische Süßwaren feil, Schwärme von Zuhältern tanzten zwischen den Abwasserrinnsalen zu den Transistorklängen aus der nächsten Bar. Die alten Paläste der Kolonialherren, überragt von längst unleserlich gewordenen Wappen, waren Puffs geworden.

Am dritten Tag begleiteten wir unseren Führer in die Bar eines Hotels in der Oberstadt, im bereits sanierten Teil, an einer Straße voll teurer Antiquitätenläden. Er musste sich dort mit einem reichen Herrn aus Italien treffen, hatte er uns gesagt, der ein Bild von ihm zu kaufen gedachte, ohne über den Preis zu diskutieren, ein drei mal zwei Meter großes Gemälde, auf dem es von himmlischen Heerscharen wimmelte, die in einem Letzten Gefecht mit den anderen Legionen begriffen waren.

So machten wir Bekanntschaft mit Signor Agliè. Korrekt gekleidet in nadelgestreiftem Zweireiher, trotz der Hitze, Brille mit Goldrand, rosiger Teint, Silberhaar. Er küsste Amparo die Hand wie einer, der keine andere Begrüßung einer Dame kennt, und bestellte Champagner. Unser Malerfreund musste gehen, Agliè überreichte ihm ein Bündel Reiseschecks und sagte, er solle ihm das Werk ins Hotel schicken. Wir blieben noch auf einen Plausch, Agliè sprach fließend portugiesisch, aber wie einer, der es in Lissabon gelernt hat, was ihm noch mehr das Flair eines Gentleman aus anderen Zeiten verlieh. Er fragte uns, woher wir seien, machte ein paar Bemerkungen über die mögliche Genfer Herkunft meines Namens, interessierte sich für die Familiengeschichte Amparos, aber irgendwie hatte er gleich geahnt, dass sie aus Recife stammte. Was seine eigene Herkunft betraf, erklärte er sich nicht näher.»Ich bin wie einer von hier«, sagte er,»in meinen Genen haben sich zahllose Rassen akkumuliert... Der Name ist italienisch, nach dem alten Besitz eines Vorfahren. Ja, vielleicht adelig, aber wer achtet schon heutzutage noch darauf. In Brasilien bin ich aus Neugierde. Ich interessiere mich für alle Formen der Tradition.«

Er habe zu Hause eine schöne Bibliothek über Religionswissenschaften, sagte er mir, in Mailand, wo er seit einigen Jahren lebe.»Kommen Sie mich doch einmal besuchen, wenn ich wieder dort bin, ich habe viele interessante Sachen, von den afro‑brasilianischen Riten bis zu den Isiskulten im spätrömischen Reich.«

»Ich schwärme für die Isiskulte«, sagte Amparo, die sich aus Stolz gerne seicht gab.»Sicherlich wissen Sie alles über die Isiskulte.«

Agliè antwortete bescheiden:»Nur das wenige, was ich davon gesehen habe.«

Amparo versuchte Terrain zurückzugewinnen:»Aber war das nicht vor zweitausend Jahren?«

»Ich bin nicht so jung wie Sie«, lächelte Agliè.

»Wie Cagliostro«, scherzte ich.»War's nicht er, den man einmal, als er an einem Kruzifix vorbeikam, zu seinem Diener murmeln hörte: ›Ich hatte es ihm doch gesagt, diesem Juden, dass er aufpassen sollte, an jenem Abend damals, aber er wollte ja nicht hören?‹«

Agliè erstarrte, ich fürchtete schon, dass der Scherz zu grob gewesen war, und setzte zu einer Entschuldigung an, aber da unterbrach er mich mit einem konzilianten Lächeln:»Cagliostro war ein Intrigant. Man weiß sehr gut, wann und wo er geboren ist, und er hat nicht einmal besonders lange gelebt. Er prahlte bloß.«

»Das glaube ich gern.«

»Cagliostro war ein Intrigant«, wiederholte Agliè.»Aber das heißt nicht, dass es nicht privilegierte Personen gegeben hat, und gibt, die viele Leben durchgemacht haben. Die moderne Wissenschaft weiß noch so wenig über die Alterungsprozesse, wer weiß, ob die Sterblichkeit nicht einfach nur ein Ergebnis schlechter Erziehung ist. Cagliostro war ein Intrigant, aber der Graf von Saint‑Germain war keiner, und wenn er sagte, er habe einige seiner chemischen Geheimnisse von den alten Ägyptern gelernt, hat er vielleicht nicht bloß geprahlt. Doch da ihm ohnehin niemand glaubte, wenn er diese Episoden erwähnte, tat er aus Höflichkeit gegenüber seinen Zuhörern so, als ob er scherzte.«

»Aber Sie tun, als ob Sie scherzten, um uns fühlen zu lassen, dass Sie die Wahrheit sagen«, sagte Amparo.

»Sie sind nicht nur schön, Sie sind auch außergewöhnlich scharfsinnig«, sagte Agliè.»Aber ich beschwöre Sie, mir nicht zu glauben. Denn wenn ich Ihnen im staubigen Glanz meiner Jahrhunderte erschiene, würde Ihre Schönheit mit einem Schlage verwelken, und das könnte ich mir nicht verzeihen.«

Amparo war erobert, und mich durchzuckte ein Anflug von Eifersucht. So brachte ich das Gespräch auf die Kirchen und auf den Sankt Georg‑Oxossi, den wir gesehen hatten. Agliè sagte, wir müssten unbedingt einen Candomblé erleben.»Aber gehen Sie nicht dahin, wo man Ihnen Geld abverlangt. Die echten Orte sind die, wo man Sie empfängt, ohne irgendetwas von Ihnen zu verlangen, nicht einmal, dass Sie glauben. Respektvoll zuzuhören, das ja, mit der gleichen Toleranz für alle Glaubensformen, mit der man auch Ihren Unglauben akzeptiert. Einige Pais oder Mães‑de‑santo sehen aus, als wären sie direkt aus Onkel Toms Hütte entsprungen, aber sie haben die Bildung eines Theologen der Gregoriana.«

Amparo legte ihre Hand auf die seine.»Bringen Sie uns hin! Ich bin vor vielen Jahren einmal in einem Umbanda‑Zelt gewesen, aber ich habe nur vage Erinnerungen, ich erinnere mich nur an eine große Verwirrung...«

Die Berührung schien Agliè verlegen zu machen, aber er zog seine Hand nicht weg. Nur zog er, wie ich es ihn später in nachdenklichen Momenten tun sah, mit der anderen Hand aus der Westentasche eine kleine Dose aus Gold und Silber, vielleicht eine Tabatiere oder Pillendose, mit einem Achat auf dem Deckel. Auf dem Bartisch brannte eine Kerze, und als Agliè das Döschen wie zufällig in ihre Nähe brachte, sah ich, dass der Achat im Licht nicht mehr zu erkennen war, statt dessen erschien eine winzige Miniatur, in Blaugrün und Gold, die ein Hirtenmädchen mit einem Blumenkorb zeigte. Agliè drehte das Döschen mit zerstreuter Andacht zwischen den Fingern wie einen Rosenkranz. Dann bemerkte er mein Interesse, lächelte und steckte es wieder weg.

»Verwirrung? Ich hoffe nicht, mein schönes Fräulein, dass Sie außer scharfsinnig auch übertrieben empfindsam sind. Eine erlesene Qualität, wenn sie sich mit Anmut und Intelligenz verbindet, aber gefährlich für Leute, die sich an gewisse Orte begeben, ohne zu wissen, was sie dort suchen und was sie dort finden werden... Und außerdem, bitte verwechseln Sie nicht den Umbanda mit dem Candomblé. Dieser ist ganz und gar autochthon, afro‑brasilianisch, wie man zu sagen pflegt – jener ist eine späte Blüte, entstanden aus einer Kreuzung von eingeborenen Riten mit der esoterischen Kultur aus Europa, geprägt von einer Mystik, die ich templerisch nennen würde...«

Die Templer hatten mich wieder. Ich sagte Agliè, dass ich über sie gearbeitet hatte. Er sah mich interessiert an.»Kurioser Zufall, mein junger Freund, hier unter dem Kreuz des Südens einen jungen Templer zu finden...«

»Ich hoffe nicht, dass Sie in mir einen Adepten sehen...«

»Um Gottes willen, Signor Casaubon! Wenn Sie wüssten, was für Gesindel es unter denen gibt.«

»Ich weiß, ich weiß.«

»Nun denn. Ich muss jetzt gehen. Aber wir müssen uns wiedersehen, bevor Sie abreisen.«Wir verabredeten uns für den nächsten Tag: wir wollten alle drei den überdachten Markt am Hafen besuchen.

Dort trafen wir uns in der Tat am folgenden Morgen wieder, und es war ein Fischmarkt, ein arabischer Suk, ein Basar, der krebsartig zu wuchern begonnen hatte, ein Lourdes, überschwemmt von den Kräften des Bösen, wo Regenzauberer mit ekstatischen stigmatisierten Kapuzinern zusammenleben konnten, zwischen Medizinbeuteln mit eingenähten Gebeten, Händchen aus Jade, die obszöne Gesten machten, Korallenamuletten gegen den bösen Blick, Kruzifixen, Davidssternen, Sexualsymbolen vorjüdischer Religionen, Hängematten, Teppichen, Börsen, Sphingen, heiligen Herzen, Bororo‑Köchern, Muschelketten. Die degenerierte Mystik der Europäer verschmolz mit der qualifizierenden Wissenschaft der Sklaven, genauso wie die Haut jedes Anwesenden eine Geschichte verlorener Genealogien erzählte.

»Hier sehen Sie ein Inbild dessen«, sagte Agliè,»was die Ethnologen den brasilianischen Synkretismus nennen. Hässliches Wort, im Verständnis der offiziellen Wissenschaft. Aber in seinem höchsten Sinn ist der Synkretismus die Anerkennung einer einzigen Tradition, die alle Religionen durchzieht und nährt, alle Glaubens‑ und Wissensformen und alle Philosophien. Der Weise ist nicht derjenige, der diskriminierend unterscheidet, sondern der die Funken des Lichtes zusammen sieht, woher sie auch kommen mögen... Und folglich sind diese Sklaven oder Abkömmlinge von Sklaven weiser als die Ethnologen der Sorbonne. Verstehen Sie, was ich meine, wenigstens Sie, mein schönes Fräulein?«

»Nicht mit dem Verstand«, sagte Amparo.»Mit dem Uterus. Verzeihen Sie, ich kann mir vorstellen, dass sich der Graf von Saint‑Germain nicht so ausgedrückt hätte. Ich meine, ich bin in diesem Land geboren, und auch das, was ich nicht weiß, spricht von irgendwoher zu mir, ich glaube, von hier.«Sie berührte ihre Brust.

»Wie sagte an jenem Abend der Kardinal Lambertini zu der schönen Dame mit dem herrlichen Diamantkreuz auf dem Dekolleté? Welche Freude muss es sein, auf diesem Kalvarienberg zu sterben! Genauso gerne würde ich jene Stimmen hören. Aber jetzt muss ich mich entschuldigen, und zwar bei Ihnen beiden. Ich komme aus einer Epoche, in der man seine Seele verkauft hätte, um der Anmut Reverenz zu erweisen. Sie wollen gewiss allein sein. Wir bleiben in Kontakt.«

»Er könnte dein Vater sein«, sagte ich zu Amparo, während ich sie an den Ständen vorbeizog.

»Sogar mein Urgroßvater. Er hat uns angedeutet, dass er mindestens tausend Jahre alt ist. Bist du eifersüchtig auf Pharaos Mumie?«

»Ich bin eifersüchtig auf jeden, der dir ein Licht im Kopf ansteckt.«

»Wie schön, das ist wahre Liebe.«

 

27

 

 

Als er einmal erzählte, daß er Pontius Pilatus in Jerusalem gut gekannt habe, beschrieb er minuziös das Haus des Statthalters und nannte die Speisen, die serviert worden seien, als er eines Abends mit ihm diniert habe. Der Kardinal de Rohan, der Phantasiegespinste zu hören meinte, wandte sich an den Kammerdiener des Grafen von Saint‑Germain, einen Alten mit weißem Haar und ehrlicher Miene:»Mein Freund«, sagte er,»es fällt mir schwer zu glauben, was Euer Herr da erzählt. Daß er ein Bauchredner sei, meinetwegen; daß er Gold mache, wohlan; aber daß er zweitausend Jahre alt sein und Pontius Pilatus gekannt haben soll, das ist zuviel. Wart Ihr dabei?«–»O nein, Monseigneur«, antwortete treuherzig der Kammerdiener,»ich bin erst seit vierhundert Jahren im Dienst des Herrn Grafen.«

Collin de Plancy, Dictionnaire infernal, Paris, Mellier, 1844, p. 434

 

In den folgenden Tagen wurde ich von Salvador gepackt und verbrachte nur wenig Zeit im Hotel. Beim Blättern im Register des Buches über die Rosenkreuzer fand ich einen Hinweis auf den Grafen von Saint‑Germain. Schau, schau, sagte ich mir, tout se tient.

Voltaire schrieb über ihn, er sei »un homme qui ne meurt jamais et qui sait tout (ein Mann, der niemals stirbt und der alles weiß)«, aber Friedrich der Große antwortete ihm, er sei bloß »un comte pour rire (ein Graf zum Lachen)«. Horace Walpole sprach von ihm als von einem Italiener oder Spanier oder Polen, der angeblich ein großes Vermögen in Mexiko erworben hatte und dann nach Konstantinopel geflohen war, mit den Juwelen seiner Frau. Die sichersten Auskünfte über ihn finden sich in den Memoiren der Madame de Hausset, einer Hofdame der Pompadour (schöne Empfehlung, meinte Amparo intolerant). Er war unter diversen Namen aufgetreten, als Surmont in Brüssel, als Welldone in Leipzig, als Marquis von Aymar, von Bedmar oder von Belmar, als Graf Soltikoff. In London, wo er als Geiger und Cembalist in den Salons brillierte, wurde er 1745 verhaftet; drei Jahre später erscheint er in Paris und bietet Ludwig XV. seine Dienste als Experte für Tinkturen an, im Tausch gegen eine Suite im Château de Chambord. Der König verwendet ihn für diplomatische Missionen in Holland, wo er irgendetwas anstellt und daraufhin erneut nach London flieht 1762 finden wir ihn in Russland wieder, dann erneut in Belgien. Dort begegnet er Casanova, der berichtet, wie er eine Münze in Gold verwandelt habe. 1776 ist er in Potsdam am Hofe Friedrichs des Großen, dem er verschiedene chemische Projekte vorlegt, acht Jahre später stirbt er in Schleswig, im Dienst des Landgrafen von Hessen, für den er im Begriff war, eine Farbenfabrik zu errichten.

Nichts Außergewöhnliches, die typische Karriere eines Abenteurers im achtzehnten Jahrhundert, mit weniger Liebesaffären als Casanova und weniger theatralisch inszenierten Betrügereien als Cagliostro. Im Grunde, abgesehen von ein paar Zwischenfällen, genoss er ein gewisses Ansehen bei den Mächtigen, denen er die Wunder der Alchimie versprach, aber mit industrieller Verve. Nur dass sich um ihn, und sicher von ihm genährt, das Gerede von seiner Unsterblichkeit bildete. In den Salons erzählte er mit unbefangener Miene von Abenteuern aus fernen Zeiten, als wäre er Augenzeuge gewesen, und pflegte seine Legende mit Anmut, quasi con sordino.

Mein Buch zitierte auch eine Stelle aus Gog von Giovanni Papini, in der eine nächtliche Begegnung an Deck eines Überseedampfers geschildert wird: bedrückt von seiner mehrtausendjährigen Vergangenheit, von den zahllosen Erinnerungen, die ihm immerfort durch den Kopf gehen, hat der Graf von Saint‑Germain hier Töne der Verzweiflung, die an Funes»el memorioso«von Borges erinnern, nur dass Papinis Text von 1930 ist.»Glauben Sie nicht, dass unser Los zu beneiden wäre«, sagt der Graf zu Gog.»Nach ein paar Jahrhunderten ergreift ein unheilbarer Überdruss von uns unseligen Unsterblichen Besitz. Die Welt ist monoton, die Menschen lernen nichts und verfallen in jeder Generation wieder in dieselben Fehler und Gräuel, die Geschehnisse wiederholen sich nicht, aber sie ähneln einander... keinerlei Neuheiten mehr, keine Überraschungen, keine Offenbarungen. Ich kann Ihnen gestehen, jetzt, da nur das Rote Meer uns zuhört: Meine Unsterblichkeit hängt mir zum Halse heraus. Die Erde hat keine Geheimnisse mehr für mich, und ich habe keine Hoffnung mehr in meinesgleichen.«

»Kurioser Typ«, kommentierte ich.»Klar, dass unser guter Agliè sich darin gefällt, ihn zu verkörpern. Alter Aristokrat, ein bisschen müde geworden, muss nicht aufs Geld sehen, hat Zeit zum Reisen und eine Neigung zum Übernatürlichen.«

»Ein konsequenter Reaktionär, der den Mut hat, dekadent zu sein. Im Grunde ziehe ich ihn den demokratischen Bourgeois vor«, sagte Amparo.

»Women power, women power, und dann fällst du in Verzückung wegen einem Handkuss!«

»Ihr habt uns so erzogen, jahrhundertelang. Jetzt lasst uns wenigstens die Zeit, uns allmählich zu befreien. Ich hab schließlich nicht gesagt, dass ich ihn heiraten will.«

»Na Gott sei Dank.«

Eine Woche später rief Agliè an. Es sei soweit, heute Abend würde man uns in einem Terreiro de Candomblé empfangen. Man würde uns nicht zum Ritus zulassen, weil die Ialorixá den Touristen misstraue, aber sie selbst würde uns vorher empfangen und die Örtlichkeit zeigen.

Er holte uns im Auto ab, und wir fuhren durch die Favelas hinter den Hügeln. Das Gebäude, vor dem wir hielten, wirkte bescheiden wie eine Mietskaserne, aber am Eingang empfing uns ein alter Neger, der uns mit Weihrauch reinigte. Weiter vorn in einem schmucklosen Garten sahen wir eine Art großen flachen Korb aus Palmwedeln, auf dem einheimische Leckereien ausgebreitet waren, die comidas de santo.

Innen fanden wir einen großen Saal, die Wände bedeckt mit Bildern, vor allem Votivbildern, und afrikanischen Masken. Agliè erklärte uns die Einrichtung: hinten die Bänke für die Nichtinitiierten, an den Seiten das Podium für die Instrumente und die Sessel der Ogãs.»Die Ogãs sind angesehene Personen, nicht unbedingt Gläubige, aber den Kult respektierende Bürger. Hier in Bahia ist der große Jorge Amado Ogã in einem Terreiro. Er wurde von Iansã erwählt, der Herrin des Krieges und der Winde...«

»Aber woher kommen all diese Gottheiten?«, fragte ich.

»Das ist eine komplizierte Geschichte. Zunächst einmal gibt es einen sudanesischen Zweig, der im Nordosten Wurzeln geschlagen hat, schon seit den Anfängen des Sklaventums, und daher kommt der Candomblé der Orixás, das heißt der afrikanischen Gottheiten. In den Staaten des Südens überwiegt der Einfluss der Bantustämme, und hier beginnen Vermischungen in Kettenreaktion. Während die Kulte im Norden den alten afrikanischen Religionen treu bleiben, entwickelt sich im Süden die ursprüngliche Macumba zum Umbanda, beeinflusst vom Katholizismus, vom Spiritismus à la Kardec und ähnlichen europäischen Okkultismen...«

»Dann kommen heute Abend keine Templer mit rein?«

»Die Templer waren eine Metapher. Auf jeden Fall werden sie heute Abend keine Rolle spielen. Aber der Synkretismus hat eine sehr subtile Mechanik. Haben Sie vorhin draußen an der Tür, nahe den comidas de santo, eine kleine Figur aus Eisen gesehen, so eine Art Teufelchen mit Dreizack und mit Votivgaben vor den Füßen? Das ist der Exu, der im Umbanda sehr mächtig ist, aber nicht im Candomblé. Dennoch wird er auch im Candomblé verehrt, man betrachtet ihn als einen Boten, eine Art degenerierten Merkur. Im Umbanda wird man von Exu besessen, hier nicht. Aber man behandelt ihn zuvorkommend, schließlich weiß man ja nie. Sehen Sie dort an der Wand...«, er deutete auf zwei bemalte Figuren, einen nackten Indio und einen alten, weiß gekleideten Negersklaven, der sitzend die Pfeife rauchte:»Das sind ein caboclo und ein preto velbo, Geister Verstorbener, die in den Umbanda‑Riten eine sehr wichtige Rolle spielen. Was tun sie hier? Sie nehmen Ehrbezeigungen entgegen, sie werden nicht angerufen, da der Candomblé nur Beziehungen zu den afrikanischen Orixás unterhält, aber sie werden auch nicht verleugnet.«

»Was ist denn das Gemeinsame all dieser Kirchen?«

»Nun, sagen wir, kennzeichnend für alle afro‑brasilianischen Kulte ist, dass während des Ritus die Initiierten besessen sind, wie in Trance, besessen von höheren Wesen. Im Candomblé von den Orixás, im Umbanda von den Geistern der Verstorbenen...«

»Mein Gott, ich hatte mein Land und meine Rasse schon ganz vergessen«, sagte Amparo.»Ein bisschen Europa und ein bisschen historischer Materialismus haben mir alles ausgetrieben, dabei hatte ich diese Geschichten von meiner Großmutter gehört...«

»Ein bisschen historischer Materialismus«, sagte Agliè lächelnd.»Mir scheint, ich habe davon schon gehört. Ein apokalyptischer Kult, begründet von diesem Trierer, nicht wahr?«

Ich drückte Amparos Arm. »No pasarán (Sie werden nicht siegen [Schlachtruf der Antifaschisten im spanischen Bürgerkrieg]), mi amor.«

»Cristo!«, murmelte sie.

Agliè hatte unseren halblauten Dialog mit angehört, ohne sich einzuschalten.»Die Potenzen des Synkretismus sind unbegrenzt, meine Liebe. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen auch die politische Version dieser Geschichte liefern. Die Gesetze des neunzehnten Jahrhunderts geben den Sklaven die Freiheit wieder, aber im Bemühen, die Stigmata ihrer Sklaverei loszuwerden, verbrennen die Freigelassenen alle Archive des Sklavenhandels. Die Sklaven werden der Form nach frei, haben aber nun keine Vergangenheit mehr. Infolgedessen versuchen sie, eine kollektive Identität wiederzufinden, da sie die familiäre verloren haben. Sie kehren zurück zu den Wurzeln. Das ist ihre Art, sich – wie ihr Jungen heute sagt – den herrschenden Kräften zu widersetzen.«

»Aber eben sagten Sie doch, dass sich diese europäischen Sekten da mit eingemischt haben«, sagte Amparo.

»Meine Liebe, Reinheit ist ein Luxus, und die Sklaven nehmen sich, was sie kriegen. Aber sie rächen sich. Inzwischen haben sie schon mehr Weiße eingefangen, als Sie sich träumen lassen. Die afrikanischen Kulte hatten zu Anfang die gleiche Schwäche wie alle Religionen, sie waren örtlich begrenzt, stammesgebunden und kurzsichtig. Im Kontakt mit den Mythen der Eroberer haben sie ein uraltes Wunder reproduziert: sie haben die antiken Mysterienkulte wieder zum Leben erweckt, die im zweiten und dritten Jahrhundert unserer Ära im Mittelmeerraum grassierten, zwischen einem Rom, das sich langsam zersetzte, und den Fermenten aus Persien, aus Ägypten, aus dem vorjüdischen Palästina...In den Jahrhunderten des spätrömischen Reiches nahm Afrika die Einflüsse der gesamten mediterranen Religiosität in sich auf und bewahrte sie, verdichtete sie. Europa wurde verdorben vom Christentum der Staatsraison, Afrika konservierte ein Wissen, uralte Wissensschätze, wie schon zur Zeit der Ägypter, als es sie den Griechen schenkte, die sie dann verschluderten.«

 

28

 

 

Es gibt einen Leib, der die ganze Welt umspannt, und stellt ihn euch vor in Form eines Kreises, denn dies ist die Form des Alls... Nun stell dir vor, daß unter dem Kreis dieses Leibes die 36 Dekane sind, im Zentrum zwischen dem ganzen Kreis und dem Tierkreis, die beiden Kreise trennend und gleichsam den Tierkreis begrenzend, zum Tierkreis hinaufversetzt mitsamt den Planeten... Der Wechsel der Könige, die Erhebung der Städte, die Hungersnöte, die Pest, der Rückfluß des Meeres, die Erdbeben, nichts von alledem findet statt ohne den Einfluß der Dekane...

Corpus Hermeticum, Stobaeus, excerptum VI

 

»Aber was für ein Wissen?«

»Ist Ihnen klar, wie groß die Epoche zwischen dem zweiten und dritten Jahrhundert nach Christus war? Nicht wegen der Prunkentfaltung des Reiches, das sich schon im Niedergang befand, sondern wegen dessen, was derweilen im Mittelmeerraum florierte. In Rom schlachteten die Prätorianer ihre Kaiser ab, und im Mittelmeerraum blühte die Epoche des Apuleius, der Isis‑Mysterien, jener großen Rückkehr der Spiritualität, die der Neuplatonismus und die Gnosis waren. Selige Zeiten, als die Christen noch nicht die Macht ergriffen hatten, um die Häretiker in den Tod zu schicken. Glänzende Epoche, beseelt vom nous, durchzuckt von Ekstasen, bevölkert von Präsenzen, Emanationen, Dämonen und Engelsscharen... Es ist ein diffuses Wissen, unzusammenhängend, uralt wie die Welt, ein Wissen, das weit zurückreicht hinter Pythagoras, hinter die Brahmanen Indiens, die Juden, die Magier, die Gymnosophen und sogar hinter die Barbaren des äußersten Nordens, die Druiden Galliens und der Britannischen Inseln. Den Griechen galten die Barbaren als solche, weil sie sich nicht auszudrücken vermochten, mit diesen Sprachen, die in ihren überzüchteten Ohren wie Gebell klangen. Tatsächlich aber zeigte sich gerade in dieser Epoche, dass die Barbaren weit mehr wussten als die Hellenen, und zwar eben deshalb, weil ihre Sprache undurchdringlich war. Glauben Sie, dass diejenigen, die heute Abend tanzen werden, den Sinn all der Zauberformeln und magischen Namen kennen, die sie aussprechen werden? Zum Glück nicht, denn der unbekannte Name fungiert als Atemübung, als mystische Vokalisierung. Ah, die Epoche der Antonine... Die Welt war voll von wunderbaren Entsprechungen und subtilen Ähnlichkeiten, man musste sie durchdringen, sich von ihnen durchdringen lassen, durch den Traum, das Orakel, die Magie, die es ermöglicht, auf die Natur einzuwirken und auf ihre Kräfte, indem man das Ähnliche mit dem Ähnlichen bewegt. Die Weisheit ist unfassbar, flüchtig, sie entzieht sich jedem Maß. Deshalb war der dominante Gott in jener Epoche Hermes, der Erfinder aller Listen und Kniffe, der Gott der Kreuzwege und der Diebe, aber auch der Schöpfer der Schrift, einer Kunst des Ausweichens und des Differenzierens, der Seefahrt, die es zum Ende aller Grenzen zieht, wo alles am Horizont verschwimmt, der Kräne, die Steine vom Boden heben, und der Waffen, die das Leben in Tod verwandeln, und der Wasserpumpen, die schwere Materie leicht werden lassen, und der Philosophie, die vorspiegelt und täuscht... Und wissen Sie, wo Hermes heute ist? Hier, Sie haben ihn an der Tür gesehen, die Leute hier nennen ihn Exu, diesen Boten der Götter, diesen Vermittler, diesen Händler, der den Unterschied zwischen Gut und Böse nicht kennt.«

Date: 2015-12-13; view: 328; Íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ; Ïîìîùü â íàïèñàíèè ðàáîòû --> ÑÞÄÀ...



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