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Die zweite Schau 3 page





 

Haß birst in mir auf; glühender Haß wie Lavaglut schießt mir zum Halse hinaus:

 

"Her mit dem Dolch, Betrüger!"

Kaum um Haaresbreite weicht der Laborant vor meinem ungestümen Griff zurück.

"Den Dolch gib her, Dieb! Dieb! Du letzter Betrüger, letzter Feind auf Erden! Tod... feind!"

 

Das Wort erstickt; mein Atem bricht. Deutlich spüre ich in mir die Nerven wie abgenutzte Stricke aufschwirren, rucken, reißen. Ich fühle mit unheimlicher Hellsicht: es geht mit mir zu Ende.

 

Ein sanftes Lachen weckt mich aus den Nebeln der Ohnmacht, die dem Zusammenbruch des bebenden Körpers nachfolgt:

"Gott sei Dank, John Dee, daß du nun allen deinen Freunden mißtraust; auch mir! – Endlich hast du zu dir selber zurückgefunden. Endlich, John Dee, sehe ich, daß du zu dir allein Vertrauen hast! Daß du endlich mit Wucht das Deine willst!"

Ich sinke zurück. Wunderlich fühle ich mich besiegt. Ich atme leise und leicht und stammle:

 

"Gib mir, Freund, mein Eigentum wieder."

"Nimm!" sagt Gardener und streckt mir den Dolch hin.

Hastig greife ich danach, wie – nun, wie ein Sterbender nach dem Sakrament. Greife ins Leere. Gardener steht vor mir. Der Dolch in seiner Hand funkelt in dem klaren Morgenlicht so wirklich, wie meine eigene blutleere zitternde Hand totenbleich aufschimmert in dem Sonnenband vor mir,... aber ich kann den Dolch nicht fassen. Leise sagt Gardener:

"Du siehst: dein Dolch ist nicht von dieser Welt!"

"Wann... wo... kann ich ihn... greifen?"

 

"Drüben, wenn du ihn dort suchst. Drüben, wenn du ihn dann nicht vergessen haben wirst!"

"So hilf, Freund, daß ich... nicht... ver... gesse!"

 

 

Ich will nicht sterben mit meinem Urahn John Dee, schreit etwas in mir auf, und mit einem heftigen Ruck reiße ich mich empor und sehe im nächsten Augenblick mein Schreibzimmer wieder um mich her; bin wieder der, der ich war, als ich begonnen hatte, den Kohlenspiegel zu befragen. Aber noch will ich in nicht aus der Hand legen. Will weiter erfahren, was mit John Dee geschah.

 

 

Und sofort bin ich abermals in die zerfallene Küche in Mortlakecastle entrückt. Doch diesmal bin ich nur ein unsichtbarer Zeuge dort und nicht mehr selber John Dee.

Ich sehe meinen Ahnherrn, oder die Larve, der man vierundachtzig Jahre vor seiner Geburt den Namen gab: John Dee, Baronet of Gladhill, auf seinem Lehnstuhl aufrecht gebettet am Backsteinkamin, mit erloschenem Blick nach Osten gewandt wie einen, der jahrhundertelang Zeit hat, zu warten. Ich sehe, wie wieder die Morgenröte aufsteigt über dem vermorschten und gänzlich in sich zusammengebrochenen Notdach über der Ruine jenes einst stattlichen Edelsitzes; sehe, wie die ersten Strahlen der Frühsonne über das heimlich lauschende, kaum tot zu nennende Gesicht huschen, und den Morgenwind mit den silberklaren Haarsträhnen des zurückgelehnten Hauptes spielen. Ich meine, ich spüre ein Aufhorchen; ich meine, ich sehe ein erwartungsvolles Leben in den gebrochenen Augen des Greises, und deutlich scheint mir mit einemmal die gesunkene Brust sich zu einem erlösten Seufzer zu heben. – Wer möchte da sagen: "Ich täusche mich"?

 

 

Da stehen urplötzlich in der elenden Küchenhöhle vier Gestalten. Ich glaube gesehen zu haben: sie sind aus den vier Himmelsrichtungen her zugleich aus der Wand getreten. Hochgewachsen, fast über Menschenmaß, kaum irdischen Wesen vergleichbar. Mag sein: die Gewandung macht den Anblick so gespenstig; sie tragen blauschwarze Mäntel, breite Umhänge verbergen Hals und Schultern. Maskenartige Kapuzen bedecken Gesicht und Haupt. Mittelalterliche Totengräber; verlarvt, wie die beginnende Verwesung.

 

Sie tragen einen seltsam geformten Sarg. Kreuzesform hat er. Aus blind welkendem Metall ist er. Zinn oder Blei, so muß ich denken.

 

Sie heben den Toten aus dem Sessel und legen ihn auf die Erde. Strecken ihn aus. Breiten seine Arme zur Kreuzform.

Dann steht Gardener zu Häupten des Toten.

Er trägt den weißen Mantel. Die goldene Rose auf seiner Brust leuchtet. In seiner ausgestreckten Hand liegt der Dolch der Dees mit der Speerspitze des Hoël Dhat. Die seltsame Waffe glänzt im Sonnenlicht; langsam neigt sich Gardener über den Toten und legt sie in die ausgebreitete Hand John Dees. Einen Augenblick scheint es mir, als zuckten die gelben Totenfinger und krümmten sich um den Dolchgriff.

Da – nicht zu sagen, wie jäh – schießt aus dem Boden auf die riesige Gestalt des Bartlett Green; sein breites Gebiß lacht aus dem rotflammenden Bart.

 

 

Mit feistem Behagen beschaut sich der spukhafte Häuptling der Ravenheads seinen toten ehemaligen Kerkergenossen.

Ein abschätzender Metzgerblick, mit dem er sein Schlachtopfer gleichsam auf den Fleischwert prüft.

 

So oft das weißblinde Birkauge des Bartlett zum Haupte des Toten vorwärts schweift, zwinkert er, als blende ihn unangenehmes Licht. Die Gestalt des weißgewandeten Adepten nimmt er nicht wahr. Lautlos, wie die Gespräche in Träumen sind, sagt der Bartlett Green zum toten John Dee – und ich selber fühle mich dabei angeredet:

"Ist es nun endlich vorbei mit dem Warten, alter Gesell? Hast dir die Seele aus dem Leib geharrt und gehofft, du Narr? Bist du jetzt fertig zur Fahrt nach – Grönland? So komm!"

 

Der Tote rührt sich nicht. Der Bartlett Green stößt mit seinem silbernen Schuh – der schiefrige Aussatz scheint noch dichter geworden zu seine – roh gegen die geschlossen ausgestreckten Beine des vor ihm Liegenden, und ein unsicherer Ausdruck überläuft sein Gesicht.

"Verkriech dich nicht in der baufälligen Hütte deines Kadavers, werter Baron! Gib Laut! Wo bist du?"

 

 

"Hier bin ich!" antwortet die Stimme Gardeners.

Der Bartlett Green führt zusammen. Seine zuvor noch geduckte Gestalt richtet sich ruckhaft auf zu ihrer ganzen wuchtigen Größe. Es ist, wie wenn eine mißtrauische Bulldogge, die einen verdächtigen Laut gehört hat, sich mit bösem Blick aufrichtet; knurrend ist die Stimme:

 

"Wer spricht da?"

"Ich", antwortets von jenseits des Leichnams.

"Das bist nicht du, Bruder Dee!" murrt der Bartlett. "Jag den Türhüter von deiner Schwelle, den du dir nicht bestellt hast; du nicht, Bruder Dee, das weiß ich."

 

"Was willst du von einem, den du nicht siehst?"

"Ich will nichts zu schaffen haben mit Unsichtbaren! Geh du deiner Wege und laß uns die unsrigen gehen!"

 

"Gut. So geh!"

"Auf da!" schreit der Bartlett und rüttelt den Toten, "auf, im Namen der Herrin, der wir verpflichtet sind, Kamerad! – Auf doch, verdammter Feigling! Es nützt nichts, sich tot zu stellen, wenn man tot ist, mein Liebling. Die Nacht ist vorbei. Der Traum ist ausgeträumt. Die Reise ist befohlen, marsch!" –

 

Mit Gorillaarmen beugt sich der riesige Bartlett Green über den Toten und will ihn vom Estrich aufheben. Es gelingt ihm nicht. Keuchend bellt er ins Leere:

"Albgespenst, laß los! Das ist falsches Spiel!"

Gardener steht regungslos zu Häupten des Leichnams und rührt keinen Finger:

"Nimm ihn. Ich hindere dich nicht."

Wie ein apokalyptisches Tier stürzt sich der Bartlett über den Toten: er kann ihn nicht heben.

"Teufel, Bursche, was bist du schwer; schwerer als befluchtes Blei! Hast dir größere Mühe gegeben, Sündenlast zu häufen, als ich dir zugetraut hätte. – Also: auf damit!"

 

 

Aber es ist, als sei der Leichnam mit dem Erdboden verwachsen.

"Schwer von Verbrechen bist du, John Dee!" stöhnt der Rote.

"Schwer von Verdiensten des Leidens ist er!" kommt ein Echo von der andern Seite des Toten herüber.

Graugrüne Wut verzerrt das Gesicht des Bartlett Green:

"Unsichtbarer Betrüger! Albtrud, steig ab, so heb ich ihn leicht."

"Nicht ich," klingts zurück – "nicht ich; ihr habt ihn so schwer gemacht, und jetzt wunderst du dich?"

 

Giftiger Triumph sprüht plötzlich aus dem fahlen Birkauge des Bartlett:

"So bleib liegen, bis du verfault bist, feige Kanaille! – Kommst schon von selber dann zum angebrannten Speck, kleine Maus. Haben den Speck, wie du weißt, in gutem Verwahr, mein mutiges Mäuschen. Komm, hol dir die Lanze des Hoël Dhat, hol dir den Dolch, hol dir den Brieföffner, dein Spielzeug, kleiner John Dee!"

 

"Er hat die Lanze!"

"Wo?" – – Es ist nicht, als werde erst jetzt der Dolch in der Rechten des Toten dem Metzger sichtbar. Er stürzt sich darauf wie ein Habicht.

 

Deutlich bewegt sich die Hand des Toten. Sie krallt sich um die Waffe und hält sie fest.

Tierische Laute der rasend in ihr Opfer verbissenen Bulldoggenwut...

Der weiße Adept dreht mit halber Wendung die Brust der steigenden Sonne entgegen; ein Strahl spiegelt und bricht sich in der goldenen Stickerei der Rose; Helle funkelt hinüber auf den gespenstischen Bartlett Green. Lichtwellen spülen ihn fort.

Wieder sind die verstummten Männer da. Sie heben den Toten auf und legen ihn sanft in den Kreuzsarg. Der Adept winkt mit der Hand, geht voraus, dem Glanz der warm hereindringenden Sonne zu. Seine Gestalt gerinnt zu kristallenem Licht, er winkt den Trägern des Sarges; so schreiten sie – ein schwebender stummer Zug – hinaus durch die östliche Wand der elenden Küche.

 

Ein Garten ist da. Gemäuer schimmert durch hohe Zypressen und breitschattende Eichen. Ist das der Park von Mortlake? – Fast möchte ich es glauben, denn Brandruinen trauern zwischen den leuchtenden Beeten und Rabatten, bepflanzt mit allerlei blühendem Gesträuch und flammenden Sommerblumen; aber in Mortlake sind nie solch trotzige Türme und Wehrmauern gewesen, wie sie hier überall durch das Baumwerk lugen... Und durch zerbröckelte Mauerzinnen öffnet sich ein Blick in blaue Taltiefe, gezeichnet vom Band eines Flusses. Ein Beet in Ruinen. Ein Grab ist aufgeworfen. Der Kreuzsarg senkt sich hinab.

 

 

Indessen die dunklen Träger die Gruft mit Erde zuschaufeln, beugt sich der Adept im weißen Mantel hierhin und dorthin zu seltsamem Tun. Er scheint an den Blattsträuchern und Blumen wie ein Gärtner pflegerische Verrichtungen vorzunehmen: er schneidet, er bindet auf, gräbt und begießt, ruhig, stet, als habe er die Zeremonie der Bestattung hinter sich lang schon vergessen.

 

Das Grab ist gewölbt. Die blauschwarzen Larven sind fort. Gardener, der seltsame Laborant, hat einen starken, jungen Rosenstamm an neuem, zierlich geschnittenem Pfahl aufgerichtet. Blutrot leuchten die Rosen aus den üppigen Zweigen...

Mir schwebt eine Frage mit quälendem Verlangen immer deutlicher, immer drängender auf den Lippen. Ehe mein Mund sich zu Worten bequemt, wendet sich der Adept mit halber Drehung des Kopfes mir zu: es ist Theodor Gärtner, mein im pazifischen Ozean ertrunkener Freund.

 

Ich ließ den Kohlekristall aus der Hand fallen; wütender Kopfschmerz quälte mich. Klar bewußt kam die Überzeugung über mich, daß ich nie mehr etwas in dem schwarzen Spiegel würde sehen können. Eine Wandlung war in mir vorgegangen, daran kann ich nicht zweifeln, und doch wärs mir unmöglich gewesen, genau zu sagen, worin sie bestand. "Ich habe John Dee geerbt mit seinem ganzen Wesen", so wärs noch am treffendsten ausgedrückt. Ich bin mit ihm verschmolzen; er ist verlöscht nunmehr, und ich bin da statt seiner. Er ist ich und ich bin er für immer.

 

 

Ich riß ein Fenster auf; der kalte Gestank, der aus der Onyxschale drang, war unerträglich. Es roch nach Verwesung...

Ich hatte kaum meine Sinne ein wenig an der Luft erfrischt und den widerwärtigen Geruch aus meinem Zimmer samt der Räucherschale entfernt, da kam Lipotin.

Als er eintrat, schnüffelte seine Nase so verstohlen wie möglich ein paarmal ins Ungewisse hinein. Doch sagte er nichts.

Dann wurde seine Begrüßung auf einmal sehr laut und beflissen, und sein sonst so langsames und bedachtes Wesen veränderte sich ins Nervöse, Flackrige. Er lachte hier und da grundlos auf, sagte "ja, ja" und setzte sich umständlich. Mit viel zuviel Aufwand an Bewegung setzte er ein Bein übers andere, zündete hastig eine Zigarette an und fuhr los:

 

"Ich komme natürlich im Auftrag."

"In wessen Auftrag?" fragte ich mit überflüssiger Höflichkeit.

 

Er verbeugte sich:

"Natürlich im Auftrag der Fürstin, Verehrtester."

 

 

Ohne es selbst zu wollen, verharrte ich in der komischen Grandezza, mit der dieses Gespräch begonnen hatte, und das sich anließ wie die Verwandlung zweier Theaterdiplomaten.

"Ja, im Auftrag meiner... meiner Gönnerin."

"Nun?"

"Ich bin beauftragt, wenn möglich, diesen... sagen wir: diese stilettartige Waffe Ihnen abzukaufen. Sie gestatten doch?" – Er griff mit spitzen Fingern nach dem Dolch, der vor ihm auf dem Schreibtisch lag, und betrachtete ihn scheinbar eingehend mit den gekniffenen Mienen des Kritikers:

"Es ist eigentlich nicht schwer, die Ware ein wenig schlecht zu machen. Sehen Sie doch, welche Stümperarbeit! Stückelei!"

 

"Ich habe gleichfalls den Eindruck, daß das Stück keinen allzu großen Altertumswert darstellt", gab ich zu.

 

Fast ängstlich unterbrach mich Lipotin. Er fürchtete ein voreilig entscheidendes Wort. Er rekelte sich in seinem Stuhl und fand mühsam in seinen alten Ton zurück:

 

 

"Wie gesagt, ich möchte Ihnen das Ding abschmusen. Warum soll ich nicht offen sein? Sie sind ja kein Sammler von dergleichen Dingen. Wohl aber die Fürstin. Und denken Sie bloß: sie ist der Ansicht... natürlich teile ich diese Ansicht durchaus nicht... sie ist der Ansicht..."

 

"... es sei das fehlende Stück aus der Sammlung ihres Vaters", ergänzte ich kühl.

 

"Erraten!... Erraten!" – Lipotin fuhr aus seinem Stuhl auf und tat, als freue er sich riesig über meinen Scharfsinn.

"Ich bin derselben Ansicht wie die Fürstin!" bemerkte ich.

Lipotin lehnte sich befriedigt zurück:

 

"Ja? – Nun, dann ist alles gut." – Er machte ein Gesicht, als sei der Handel bereits abgeschlossen.

Ruhig wie zuvor sagte ich:

"Eben darum ist mir der Dolch sehr wertvoll."

 

 

"Ich verstehe", unterbrach Lipotin, eifrig zustimmend. "Man muß seine Chancen stets wahrnehmen; ganz meine Ansicht in solchen Dingen!"

 

Ich überhörte die vielleicht beleidigende Unterstellung:

 

 

"Ich wünsche keine Geschäfte zu machen."

Lipotin rückte unruhig auf seinem Sessel:

"Sehr gut. – Ich soll auch gar keine Angebote machen. Hm. Es wäre nur sehr taktlos von mir, Ihre Gedanken erraten zu wollen. Natürlich, die Fürstin ist nun mal kapriziert. Kapricen einer schönen Frau sind immer aussichtsreich. Ich dächte, das Opfer wäre zu bringen. – Ich dächte... kurz: ich bin beauftragt, ein sehr weitgehendes... ich bitte, mich nicht mißzuverstehen: die Fürstin bietet selbstverständlich kein Geld. Sie überläßt es Ihnen, selbst zu bestimmen. Sie wissen, Verehrtester, wie ungewöhnlich hoch Sie in der Wertschätzung der Fürstin stehen, dieser wahrhaft großgesinnten, wirklich entzückenden Frau! – Ich glaube, sie bietet Ihnen unendlich mehr für das Geschenk dieser Kuriosität... für das großmütige Erfüllen einer Laune."

 

 

Noch nie hatte ich Lipotin so geschwätzig gefunden. Unruhig suchten seine Augen beständig in meinem Gesicht zu lesen, jeden Moment bereit, vorsichtig sich neuer Situation anzupassen. Ich konnte angesichts dieses Spiels ein flüchtiges Lächeln nicht unterdrücken:

 

"Leider sind die so verlockenden Angebote der auch von mir überaus verehrten Fürstin verschwendet, denn der Dolch gehört nicht mir."

 

 

"Ge... hört nicht...?" – Lipotins Verblüffung war zu komisch.

"Er ist doch meiner Braut geschenkt worden."

"Ach sooo..." machte Lipotin.

"So ist es."

Mit neuer Vorsicht begann der Moskowiter:

"Geschenke tragen die Neigung in sich, Geschenke zu bleiben. Mir scheint es fast so, als sei das Geschenk schon... oder, als könne es jeden Augenblick, wenn gewünscht, in Ihre umworbene Hand..."

 

Nun hatte ichs satt; ich sagte kühl:

"Ganz recht. Die Waffe ist mein. Und sie bleibt mein, denn sie ist sehr wertvoll."

"Wahrhaftig? Warum?" – ein leiser Spott meldete sich in Lipotins Stimme.

">Vieles an dem Dolch ist mir ungemein wertvoll."

"Aber Verehrtester, was wissen denn Sie von dem Dolch!"

"Von außen ist ihm freilich wenig von seinem Wert anzusehen, aber wenn man den Kohlekristall darüber befragt – – –"

 

Lipotin erschrak so sehr, und Blässe überzog so fahl sein Gesicht, daß es zwecklos gewesen wäre, hätte er noch einen Versuch machen wollen, seine Betroffenheit zu verbergen. Er fühlte das offenbar selber, denn er änderte urplötzlich Haltung und Stimme:

 

 

"Wieso? Sie können den Kristall doch gar nicht befragen! Dazu gehört das rote Pulver. – Leider kann ich Ihnen nicht nochmals damit dienen."

 

 

"Unnötig, mein Freund", unterbrach ich. "Ich hatte zum Glück noch einen kleinen Rest davon." – Ich deutete auf die Aschenschale.

 

 

"Und Sie haben... ohne Hilfe...? Das ist unmöglich!" Lipotin war vom Sessel aufgesprungen und starrte mich entgeistert an. Angst und Staunen malten sich in seinem Gesicht so offen, daß es auch mich hinriß, alle Maske fallen zu lassen:

 

"Nun ja; ich habe geräuchert! Ohne die Hilfe des Rotkappenmönchs und ohne die Ihrige."

 

"Wer das gewagt hat und getan hat" – staunte Lipotin, "und lebt noch, der... hat den Tod überwunden."

 

"Mag sein. Jedenfalls kenne ich jetzt den Wert und das Wesen und die Herkunft und die Zukunft des Dolches. Glaube sie wenigstens zu ahnen. – Sagen wir mal: ich wäre ebenso abergläubisch wie die Fürstin oder wie... Sie."

Lipotin setzte sich langsam wieder neben mich. Er war vollkommen ruhig, aber in seinem Wesen wie von Grund aus verändert. Er nahm die erst halb ausgerauchte Zigarette aus dem Mund, drückte sie in den Aschenbecher, als der die Onyxschale nun wieder zur Verfügung stand, und zündete sich umständlich eine neue an, als wolle er damit gleichsam andeuten, das Vergangene sei beiseite gelegt und ein anderes Spiel habe begonnen. Lange sog er stumm an dem scharf duftenden russischen Kraut. Ich störte ihn nicht in dem Genuß und war entschlossen abzuwarten. Als er es bemerkte, senkte er die Augenlider und hub an:

 

"Stimmt. Na also: schön. Die Sachlage ist von Grund aus verändert. Sie kennen den Dolch. Sie behalten den Dolch. Sie haben die erste Chance gewonnen."

"Damit sagen Sie mir nichts Neues", erwiderte ich mit Seelenruhe. "Wer, wie ich, gelernt hat, den Sinn der Zeit zu erkennen und die Dinge in ihr nicht von außen, sondern von innen zu betrachten, wer von Träumen zu Schicksalen und von Schicksalen zur Allgegenwart der bildgewordenen Wirklichkeit vorgedrungen ist, der weiß auch die Namen im richtigen Augenblick der Beschwörung zu nennen, und die gerufenen Dämonen gehorchen ihm."

"Ge... hor... chen?" – dehnte Lipotin das Wort. "Darf ich mir einen Rat erlauben? Gerufene Dämonen sind die gefährlichsten. Glauben Sie das einem alten, ach ja, schon sehr alten und gewitzten Kenner der Zwischenwelten, die sich so gern an die... Altertümer heften! Kurz und aufrichtig: Sie sind, wertgeschätzter Gönner, berufen, denn Sie haben sich zum Herrn über den Tod gemacht; so viel kann ich sehen und ich erkenne in Ihnen mit Staunen einen Sieger über mancherlei Anfechtung; aber auserwählt sind Sie darum noch lange nicht. Der ärgste Feind des Siegers ist der Hochmut."

 

"Ich danke Ihnen, Lipotin, für dies anständige Wort. Offen gesagt, ich habe Sie bei der Gegenpartei vermutet."

Lipotin hob die schweren Augenlider mit gewohnter Trägheit:

"Ich, werter Gönner, bin auf gar keiner Seite, denn ich... mein Gott... ich bin nur ein... Mascee: Ich gehe mit dem Stärkeren."

Unbeschreiblich war der Ausdruck von verzerrter Ironie, Skepsis und unausschöpflicher Trauer, ja von Ekel, in den ausgedörrten Zügen des alten Antiquars.

 

"Und für den Stärkeren halten Sie...?" – triumphierte ich.

"... Augenblicklich halte ich für den Stärkeren Sie. Und darum bin ich bereit, Ihnen zu dienen."

 

Ich starrte vor mich hin und rührte mich nicht.

Jäh neigte er sich auf:

"Sie wollen also der Fürstin Chotokalungin den Garaus machen! Sie verstehen, wie ich es meine. – Aber das geht nicht, Verehrtester! Zugegeben: sie ist eine Besessene; aber sind Sie vielleicht kein... Besessener? Wenn Sie's selber nicht wissen, um so schlimmer für Sie. Aus Kolchis stammt sie ohnehin, und ihre Ahnfrau mag Medea geheißen haben."

 

"Oder: Isaïs", unterbrach ich mit Sachlichkeit.

"Isaïs ist ihre geistige Mutter", antwortete Lipotin ebenso rasch und ebenso unpathetisch. "Sie müssen das gut unterscheiden, wenn Sie hoffen wollen, Herr zu werden."

 

"Verlassen Sie sich darauf: ich werde Herr werden!"

"Überschätzen Sie sich nicht, Verehrtester! Seit die Welt steht, hat das Weib noch immer gewonnen."

 

"Wo ist das geschrieben?"

"Wärs nicht so, die Welt stünde nicht."

 

"Was kümmert mich die Welt? Ich bin der Herr der Lanze?"

"Wer die Lanze verweigert, der verschmäht erst die Hälfte der Welt; und das Fatalste dabei, werter Gönner, ist: die Hälfte der Welt ist immer die ganze Welt, mit halbem Willen ergriffen."

 

"Was wissen Sie von meinem Willen!"

"Sehr, sehr viel, mein Verehrter. – Haben Sie denn die pontische Isaïs nicht gesehen?"

Es überlief mich heiß unter dem spöttisch lauernden Blick des Russen. Ich vermochte nicht, diesen beißenden Hohn abzuwehren; ich wußte auf einmal mit unentrinnlicher Gewißheit: Lipotin las in meinen Gedanken. Hatte er doch auch in meinem Gehirn gelesen damals im Hause der Fürstin und auf der Fahrt nach Elsbethstein. Ich errötete wie ein ertappter Schuljunge.

 

"Nicht wahr?" sagte Lipotin mit ärztlichem Wohlwollen. Ich wandte den Kopf ab und schämte mich.

 

 

"Dem ist noch keiner entgangen, mein Freund", fuhr Lipotin halblaut fort, "und so leicht wird ihm auch keiner entgehen. Nur Geheimnisse pflegt man zu verhüllen. Das Weib, die allgegenwärtige Wirklichkeit, brennt sich uns nackt ins Blut, und wo wir mit ihr kämpfen müssen, da ziehen wir sie am besten erst recht nackt aus, in der Tat oder Vorstellung, so gut wir eben können. Anders hat noch kein Held die Welt besiegt."

 

 

Ich suchte auszuweichen: "Sie wissen viel, Lipotin!"

 

"Sehr viel. Freilich! Sehr viel", antwortete er, wie vorhin fast automatenhaft, fast im Schlaf.

Das Bedürfnis überkam mich, in der aufsteigenden Beklemmung, die mich zu würgen begann, meine eigene Stimme zu hören:

"Sie glauben, Lipotin, ich verschmähte die Fürstin. Das ist unrichtig. Ich verschmähe sie nicht. Ich will sie erkennen, verstehen Sie? Erkennen! Wenn es sein muß: in dem nüchternen und unbarmherzigen Sinn des Bibelwortes, denn ich will fertig mit ihr werden!"

 

"Verehrter Gönner", krächzte Lipotin und zerbiß seine Zigarette mit dem Augenklappen eines alten Papageis, "Sie unterschätzen das Weib. Gar, wenn es in der Hülle einer Zierkassierin verlarvt ist! Ich... ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken." – Er wischte sich ein paar Tabaksfäden vom Mund mit der Miene Chidhers, des ewig Wandernden, der sich den Abschaum des Lebens von den Lippen streicht. Jählings fuhr er los: "Und selbst, wenn Sie sie töten könnten, so schöben Sie damit den Kampf nur auf ein anderes Feld, das noch weit gefährlicher für Sie wäre, weil Sie es noch weniger als das irdische überblicken könnten und noch leichter als hier auf dem schlüpfrigen Boden ausrutschen möchten. Weh Ihnen dann, wenn Sie 'drüben' ausrutschen!"

 

 

"Lipotin!" – rief ich, außer mir vor Ungeduld, da ich spürte, wie mir die Nerven zu versagen begannen, "Lipotin, bei Ihrer Bereitschaft, mir zu dienen: was ist der wahre Weg zum Sieg?"

 

"Es gibt nur einen Weg."

Plötzlich kam mir zu Bewußtsein, daß Lipotins Stimme wieder den eintönigen Klang angenommen hatte, der mir mehrmals schon aufgefallen war. Beherrschte ich ihn wirklich? Unterlag er willenlos meinen Befehlen? War er zum Medium geworden, das mir gehorchen mußte, wie... wie...?

So hatte einst auch Jane vor mir die Augen geschlossen und geantwortet, wenn ich mit der unverständlichen Kraft in mir zu fragen begann! – Ich raffte mich auf und blickte fest zwischen die Augenbrauen des alten Russen:

 

"Wie finde ich den Weg? Ich..."

Zurückgelehnt, bleich, antwortete Lipotin:

 

"Den Weg... bereitet... ein Weib. Nur ein Weib überwindet... unsere Herrin Isaïs... in denen, die... ihre... Geliebtesten... sind."

 

Die Enttäuschung schlug mich zurück:

"Ein Weib??"

"Ein Weib, das die Verdienste des... Dolches hat."

 

Due Dunkelheit seines Ausspruchs betäubte mich fast. Verstört, unsichern Blickes, etwas Unverständliches greisenhaft stotternd und mit verfallener Miene begann Lipotin sein Bewußtsein zurück zu erkämpfen.

 

 

Rasch hatte er sich gefaßt, da schrillte draußen die Flurglocke, und gleich darauf stand Jane in der Tür, und hinter ihr tauchte die riesige Gestalt meines Vetters Roger auf... ich meine natürlich: des Chauffeurs der Fürstin. Es befremdete mich, daß Jane völlig fertig zu einem Ausgang gekleidet war. Sie trat herein und machte dem langen Chauffeur Platz. Er überbrachte Gruß und Auftrag seiner Herrin, uns alle zu der vereinbarten zweiten Fahrt nach Elsbethstein abholen zu dürfen. Der Wagen stehe vor der Tür. Die Fürstin sitze unten und warte.

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