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Die zweite Schau 2 page





 

 

Die Küche ist der besterhaltene Raum in dem Gemäuer. Ich habe ihn mit eigener Hand notdürftig hergerichtet, daß er mit Eulen und Fledermäusen zur Wohnung dient.

 

Ich sehe mich selbst: verwahrlost bis zum Äußersten. Wirre schneeweiße Haarsträhne über der Stirn, wirrer silberfarbener Bart, der ungepflegt aus Nase und Ohren hervorwächst. Zerfallen... zerfallen das Haus, das steinerne wie das aus Fleisch und Knochen. – – Und keine Krone von Engelland und kein Thron von Grönland – und keine Königin zur Seite auf dem Stuhl und kein Karfunkel über dem Haupte! Froh muß ich sein, meinen Sohn Arthur geborgen zu wissen fern oben in Schottland bei den Verwandten meiner toten Jane. – – Gehorsam war ich dem Engel vom Westlichen Fenster. Gehorsam dem Ruf und gehorsam dem Urteil... der Verwerfung?

Mich friert, obschon mein alter Freund Price mich in mitgebrachte Decken hüllt. Tief von innen heraus friert mich vor Alter. Immer wühlt ein Schmerz tief drinnen in meinem morschen Leib: ein nagendes Etwas, das sich abmüht, die Kanäle des Lebens zu verschütten.

 

Price beugt sich über mich, horcht mit ärztlich sachtem Andruck seines Ohres an meinem gebeugten Rücken und murmelt:

"Gesund. Reiner Atem. Wohlgemischte Säfte, – – ein ehernes Herz."

Mich schüttelt ein kicherndes Lachen:

"Ja, ein ehernes Herz!"

 

Und Königin Elisabeth ist lange, lange tot! Die Liebliche, die Mutige, die Schneidende, die Lockende, die Königliche, die Zerstörende, die Gnädige und die Ungnädige, sie ist tot... tot... lange tot. Keine Kunde hat sie mir hinterlassen, keine Kunde geschickt, wo ich sie suchen soll. Kein Zeichen, daß sie mich sieht! An meinem Platz am Backsteinherd sitze ich unter dem Bretterdach, von dem polternd von Zeit zu Zeit der Schnee abrutscht, und wühle in Vergangenheit.

Price erscheint auf der Hühnertreppe, der alte Price, mein Arzt und mein letzter Freund. Ich spreche mit ihm von Königin Elisabeth. Immer nur von Königin Elisabeth...

 

Nach langem Zögern sagt er mir Seltsames: Er war an ihrem Krankenbett, als sie im Sterben lag. Sie wollte ihn nicht missen, den Landarzt von Windsor, der ihr in vergangenen Tagen so manchen guten Doktorsrat gegeben hatte. – Sie lag in Fieberphantasien. Er wachte allein bei ihr in der Nacht. Sie sprach von ihrem Aufbruch in ein anderes Land. In ein Land jenseits des Meeres, dort, woher sie den Bräutigam ihr Leben lang erwartet habe, – dort, wo die Burg rage mit den Brunnen und dem Wasser des ewigen Lebens! Dorthin wolle sie nun übersiedeln und dort wolle sie wohnen in der Stille eines süß duftenden Gartens und dort erwarten sie den Bräutigam. Dort werde kein Warten sie grämen und keine Zeit ihr zu lang dünken. Dort werde kein Alter und kein Tod sie berühren. Dort sei doch der Brunnen mit dem Lebenswasser; davon werde sie trinken; das Wasser werde sie jung erhalten – jung, so jung, wie sie nie gewesen sei seit König Edwards Tagen. Und dort werde sie Königin sein in den Gärten der Seligkeit, bis der Gärtner dem Bräutigam winkte, daß er sie herabhole aus der verwunschenen Burg der geduldig wartenden Liebe... – – so erzählte mir Price.

 

Wieder das öde Gemach. Ich bin allein. Price ist nicht mehr bei mir; ich weiß nicht: sinds Tage her oder Wochen, daß er fortgegangen ist?

Ich sitze mit dem Gesicht zum Herd und stochere mit zittrigen Händen in der erloschenen Glut. Schräge Sonnenblitze flimmern durch die Lattenritze im Dach über meinem Haupt. Ist also der Schnee verschwunden? Es ist mit einerlei.

An Kelley muß ich plötzlich denken. Das einzige, was ich von ihm weiß, ist: er habe ein schreckliches Ende genommen in Prag; vielleicht war es nur ein Gerücht? Es ist mir einerlei.

Da: ein Geräusch auf der morschen Treppe? Ich wende mich langsam: aus der Tiefe herauf hakt sich mühsam, Schritt vor Schritt, ein keuchender Mensch!... Warum muß ich an den Höhlenkeller mit der eisernen Leiter in Doktor Hajeks Haus in Prag so deutlich denken? So, ganz so bin ich selbst einmal aus der Tiefe emporgeklommen, die Sprossen der Leiter ertastend, mit zitternden Knien, weil Jane...! Und oben, am Ende des Abgrunds, hatte Kelley mich erwartet.

Da! Da: hebt Kelley, wirklich und wahrhaftig Kelley, den Kopf über die Treppenluke zu mir in die Küche. Er taucht empor, schiebt Kopf, Brust, Beine herauf, wankt... steht, an den Türpfosten gelehnt, vor mir... Nein: er steht nicht; ich sehe genauer: er schwebt ein wenig, vielleicht handbreit über dem Boden. – – Er könnte auch gar nicht stehen, denn seine beiden Beine sind gebrochen, mehrfach am Oberschenkel gebrochen und an den Waden. Die Knochen dringen da und dort wie Spieße blutig durch die erdbeklebte Hose aus Brabanter Tuch.

 

Reich gekleidet immer noch ist der Mann mit den abgeschnittenen Ohren! Aber seine Gesichtszüge sind verwüstet, sein Edelmannskind hängt ihm in Fetzen vom Leib. – Der Mann ist tot. Erloschene Augen stieren mich an. Blaue Lippen bewegen sich lautlos. Ruhig klopft mein Herz. Nichts reißt mich aus der tiefen Ruhe meiner Sinne; ich sehe Kelley an... Dann:

 

Bilder, windgewirbelte, wie farbiger Nebel. Wälder gerinnen daraus. Die Wälder Böhmens. Über Wipfeln ein Turmdach mit der schwarzen Wetterfahne, dem Habsburger Doppeladler: Karls Teyn. Hoch im Wehrturm, der nach Nordwesten auf glattriffigem Braunerzfelsen aufgemauert ist, ein aufgebrochenes Kerkerfenster. Und an der schwindeltief abstürzenden Kalkwand kratzt und fingert sich ein Menschenleib zu Tal wie eine kleine schwarze Spinne;... unsäglich dünn ist der Faden, an dem sie hängt,... mühsam wickelt sich das schwache Seil übers Fensterkreuz ab,... weh dem Krabbelwesen, das dort hinab will! – Bald baumelt es frei in der Luft, denn die Mauer ist mit sanfter Schweifung nach einwärts errichtet; sorgfältig hat der Baumeister dieses ewigen Kerkers an jede Möglichkeit des Entfliehens gedacht! Da ist kein Entkommen, arme Menschenspinne, an deinem dünnen Faden! – Rückwärts nun klimmt der dort hängende, in freier Luft langsam sich drehende Mensch. Da: ein leises Sichneigen des Fensterstocks droben, ein wirbelnder Ablauf des Seiles, ein kaum sichtbarer Ruck. Der bleiche Gast an meiner Türschwelle stöhnt geisterhaft auf, als müsse er wieder, immer wieder und wieder den Augenblick seines einstigen Sturzes von neuem durchleben, des Sturzes in die grüne Tiefe unten bei Karls Teyn, der Feste eines unberechenbar launischen Kaisers.

 

Ich sehe, wie Kelley, das Gespenst an der Türschwelle, vergeblich sich abmüht, zu mir zu sprechen. Er hat keine Zunge mehr; sie ist ihm in der Erde verfault. Beschwörend hebt er die Hände gegen mich. Ich fühle, er will mich warnen. Wovor? Was hätte ich noch zu fürchten! – Kelleys Mühe ist umsonst. Er kann nicht. Die Augenlider zittern ihm; sie fallen zu. Das Scheinleben der Larve erlischt. Langsam verblaßt das Phantom.

Es ist Sommer in der alten Küche zu Mortlake. Nicht zu sagen, der wievielte seit meiner Heimkehr aus der Verbannung... Ja, aus der Verbannung! Denn die Verbannung hierher, die der Engel mir auferlegt hat – oh, ich fange an, heimlich zu lachen über die finsteren Befehle des Grünen – die Verbannung hierher, das ist meine Heimkehr gewesen! Hier ist der Boden... oh, hätte ich ihn doch nie verlassen!... der Boden, der aus seiner mütterlichen Tiefe Heilkräfte aufsteigen läßt in meinen verbrauchten Leib. Heilkräfte, die vielleicht mir den Weg noch weisen können zu mir selbst. Hier wandelt mein Fuß die Spuren meiner Königin; hier meint meine Seele den verwehten Atem einstiger Hoffnung auf höchstes Glück in dem sanften Hauchen des Abendwindes über Mortlakecastle wieder zu spüren. Hier ist das Grab meines zerstörten Lebens, aber auch der Ort meiner Auferstehung, mag sie so spät kommen wie sie will. So sitze ich Tag für Tag am kalten Herd und warte. Nichts ist ja mehr zu versäumen, denn Elisabeth hat "Grönland" erreicht, und keine lärmenden Staatsgeschäfte, keine dummen Schnitzeljagden nach den lächerlichen Phantomen der Eitelkeit entführen sie mir mehr.

Wieder Geräusch auf der Treppe! Dann steht ein königlicher Kurier vor mir. Seine Verbeugung ist steif, nachdem er sich befremdet umgesehen hat:

"Ist dies Mortlakecastle?"

"Ja, mein Freund."

"Und ich stehe vor Sir John Dee, Baronet of Gladhill?"

"So ist es, mein Freund."

Lächerlich: dies Grausen im Gesicht des Kuriers. Der Tropf kann sich einen englischen Baron nur in Samt und Seide vorstellen. Der Rock macht doch den Adel nicht aus und Lumpen nicht den Proleten.

 

Hastig übergibt der Kurier ein versiegeltes Paket, verneigt sich nochmals mit der Grazie einer Holzpuppe, der die Gelenke fehlen, und turnt die wacklige Holzstiege, die zu meinem "Empfangssalon" führt, wieder hinab.

In Händen halte ich das Paket, gesiegelt mit dem Wappen des Fürsten Rosenberg, des Burggrafen zu Prag: der Nachlaß des unseligen Kelley rollt mir daraus entgegen und ein kleineres, sorgfältig verschnürtes Gebinde, mit dem Petschaft des Kaisers gesiegelt.

Die zähe schwarzgelbe Schnur widersteht meinem Zerren.

Kein Messer zur Hand? – Unwillkürlich greife ich an meine linke Seite: wo ist mein Brieföffner? durchzuckt es mich; die Stelle, an der ich vor Zeiten den Dolch, das Erbstück der Dees, getragen habe, ist leer. – – Jetzt weiß ich wieder, daß ihn mir das gespenstische Phantom der Elisabeth aus der Hand genommen hat, damals, als sie, von mir beschworen nach der Anweisung Bartlett Greens, zu mir nachts in den Park von Mortlake gekommen war! Und daß ich seitdem, gleichsam zum Trotz, eine damals genau nachgebildete Kopie des Kleinods stets bei mir zu tragen pflegte, um das Ding als Brieföffner zu benützen. – – Damals", so fährt es mir durch den Sinn, "damals trug ich ihn beständig bei mir, den Brieföffner, statt des verlorenen Dolches. Es muß mir das Falzmesser verlorengegangen sein. Auch die Kopie also! Es ist nicht schade darum."

 

Endlich lockert sich die Schnur mit Zuhilfenahme eines alten Nagels, der schließlich noch denselben Dienst tut wie eine Lanzenspitze des Hoël Dhat, und vor mir liegt: der Kohlekristall, den Kaiser Rudolf mir wortlos zurückschickt.

 

 

Erinnerungen schleichen trüb vorbei: die letzten Quadratfuß Landes um die Ruine von Mortlakecastle her hat der Amman versteigert. Schnee weht wieder zu den Ritzen und Löchern meiner Küche herein. Braunes erfrorenes Farnkraut, Bocksklee, Winde und Ackerdistel rings zwischen den Steinfliesen meines Eulenpalastes.

Immer seltener kommt Price, der letzte Freund, von Windsor herüber. Selbst ein zerfahrener, mürrischer Greis, hockt er bei mir am Herd, stundenlang stumm und mit wackelig auf den derben Landarztstock gestütztem Schädel. Immer, wenn er kommt, muß ich die umständlichen Vorbereitungen zu einer Geistersitzung treffen: lange Gebete, auf die der fromm und schon kindisch gewordene Price den allergrößten Wert legt, – verwickelte und sinnlose Zeremonien. Und inzwischen schläft Price ein, und auch ich dämmere in Vergessenheit hinüber..., und wenn wir erwachen, ist alles vergessen, was wir wollten, oder der Abend schwebt kalt herein. Dann erhebt sich Price zitternd und murmelt:

 

 

"Das nächste Mal also, John; das nächste Mal!"

 

 

Price, den ich erwartet habe, ist ausgeblieben; dafür ist ein furchtbares Wetter am Himmel aufgezogen. Trotz der frühen Abendstunde herrscht fast Dunkelheit im Raum: das Gewitter verfinstert den Himmel. Jetzt ein flackernder Blitz. In seinem gelben Schein lebt mein Herdkamin mit phantastischen Schatten auf. knatternde Donnerschläge, erneute, nicht enden wollende Blitzesfahnen über Mortlake. – – Wohlige Erbitterung ergreift mein Herz: so soll es mich treffen und erschlagen! Was könnt ich mir Besseres wünschen?! Ich bete um einen Blitz.

 

 

Ich bete – – kommt es mir nicht plötzlich zu Sinn: ich bete zu "Il", dem Grünen Engel vom westlichen Fenster?!

Und wie mir das zu Bewußtsein kommt, flammt plötzlich greller als ein Blitz die Wucht eines maßlosen Zornes in mir auf. Auf einmal wird mir klar: seit jener grauenvollen Sitzung im Höhlenkeller des Doktors Hajek in Prag hat sich der Grüne nicht mehr vor mir blicken lassen, und nichts von allem hat sich erfüllt als das Wunder meiner unbegreiflichen übermenschlichen Geduld! – Jetzt, im Sprühen eines Blitzstrahls, ist mirs, als grinse aus der rußigen Nacht des alten Kamins das steinerne Angesicht des Engels!

 

Ich bin aufgesprungen. Verworren fallen mir alte, lang vergessene Beschwörungsformeln ein, die mir der Bartlett Green hinterließ, als er zum Scheiterhaufen des Bischofs Bonner hinwegschritt, Formeln, zu gebrauchen in der dringendsten Gefahr, wenn man die Hilfe der andern Welt verlangt, der man Opfer dargebracht hat, Formeln, die aber auch den Tod bringen können!

 

 

Ob ich nun etwas geopfert habe im Leben? Ich dächte: genug! Und von meinen Lippen fallen die lang vergessenen Worte auswendig, automatisch wie Hammerschläge. Meine Seele versteht auch jetzt den Sinn nicht, aber "drüben" werden sie aufgefangen, die Silben, die Worte, von unsichtbar lauschenden Ohren, und ich fühle es deutlich: die da drüben gehorchen den toten Worten, denn mit Totem zwingt man die Toten! Aus den rohen Verkröpfungen und Simsen des Kamins hervor dämmert da das fahle Gesicht, die Gestalt Edward Kelleys.

 

Wilder Triumph packt mein Herz an: hab ich dich also gezwungen, alter Kamerad? Mußt du um meinetwillen den fühllos unruhigen Schattenschlaf der Gespenster ein wenig unterbrechen, Teuerster?! Es tut mir leid, aber ich bin genötigt, mich deiner zu bedienen, Herzensbruder!... Wie lange ich wohl diese grimmigen, halb blöden Ansprachen an den toten Scharlatan fortgesetzt haben mag? – Endlos schleppende Zeiten zogen vorbei.

Endlich erraffe ich mich wieder, und ich befehle dem Kelley im Namen des getauschten Blutes. Da, zum erstenmal, sehe ich das Phantom sich bewegen: es ist, als durchliefe seine Gestalt ein kalter, lang anhaltender Schauer... im Namen des getauschten Blutes verlange ich von ihm die unverzügliche Beschwörung des Grünen Engels.

Vergeblich Kelleys erschrockene Abwehr, vergebens die Versuche, meinem Bann zu entkommen, vergebens die stummen Ausflüchte, die darauf hinauslaufen, mich auf gelegenere Zeiten zu vertrösten!... Ich beginne, die Formeln des Bartlett Green mit der ingrimmigen Energie eines Henkers, der vom Drang nach Geständnis des Opfers wie von Blutrausch betrunken ist, dem Kelley gleichsam wie Stricke um den Phantomleib zu drehen, daß ihm der Gespensteratem ausgeht. Dabei schwindet, mit dem Ausdruck grausamster Qual, sein Gesicht, und langsam ergreift die steinerne Gestalt des großen Grünen von ihm Besitz.

 

Es ist, als fresse der Engel den wehrlosen Kelley auf bei lebendiger Gestalt.

 

Dann steht der Grüne allein im Halbdunkel des Kaminfangs.

Wieder fühle ich den Blick, der erstarren macht. Wieder beginne ich mit jener Abwehr, die das Herzblut als Schutzwall vortreiben möchte, um der Kälte zu begegnen, die den Leib von außen nach innen gefrieren läßt, aber ich fühle mit Staunen, daß diese vom Engel ausstrahlende Kälte auf die Lederhaut meines Greisenkörpers keinen Eindruck mehr zu machen scheint. – Jetzt erst weiß ich, wie kalt ich selber schon geworden bin.

 

Und eine wohlklingende Stimme vernehme ich, mir lange vertraut, eine Stimme, wie die eines frohen fühllosen Kindes:

"Was willst du?"

"Ich will, daß du Wort hältst!"

"Glaubst du, mich kümmert ein Wort?"

 

"Was hier auf Erden nach Gottes Satzungen gilt: Treue gegen Treue, Wort gegen Wort, das muß auch drüben gelten, oder die Hand stürzt mit der Hölle in ein Chaos zusammen!"

 

"So nimmst du mich also beim Wort!"

"Ich nehme dich beim Wort!"

Draußen tobt das Gewitter mit unverminderter Heftigkeit fort, aber das betäubende Prasseln der Blitze, wie sie einschlagen rings ums Schloß, das ununterbrochene Knallen und Fortpoltern der Donnerwellen dringt zu meinen Ohren nur wie gedämpfte Begleitmusik zu den schneidend scharfen und klaren Sätzen, die der Engel spricht:

"Ich habe dir immer wohlgewollt, mein Sohn."

"So gib mir den Schlüssel und den Stein!"

"Das Buch Sankt Dunstans ist verloren. Was nützt dir der Schlüssel dazu?!"

"Ja: Kelley, dein Werkzeug, hat es verloren! Ist der Schlüssel ein unnütz Ding geworden, so wirst du wissen, was mir not tut!"

 

"Das weiß ich, mein Sohn. Wie aber soll wiedergefunden werden, was für immer verloren ist?"

"Durch den Griff dessen, der weiß!"

"Das steht nicht in meiner Macht. Auch wir gehorchen der Schrift des Schicksals."

"Und was steht in der Schrift des Schicksals geschrieben?"

"Das weiß ich nicht: der Brief des Schicksals ist versiegelt."

"So öffne den Brief!"

"Gern, mein Sohn! Wo hast du den Brieföffner?"

Blitze der Vernichtung, Donnerschläge der Erkenntnis und der Verzweiflung hauen auf mich ein. Ich breche vor dem Herd in die Knie, als sei er der Altar mit dem Allerheiligsten darüber. Ich flehe den Steinernen an. Unsinniges Beginnen! – Und doch?! Er lächelt. Dann belebt, beseelt ein mildes, gütiges Lächeln sein blaßgrünes Neprithgesicht: "Wo hast du den Speerdolch des Hoël Dhat?"

"Verloren..."

"Und dennoch nimmst du mich beim Wort?"

Aufs neue flackert die Flamme unsinniger Empörung in mir hoch; in knirschender Wut schreie ich:

"Ja, ich nehme dich beim Wort!"

"Mit welchem Mut? Mit welchem Recht?"

"Mit dem Mut des Gemarterten. Mit dem Recht des Geopferten!"

"Und was willst du von mir?"

"Die Erfüllung jahrzehntelanger Verheißung!"

"Du verlangst den Stein?"

"Ich verlange den – Stein!"

"In drei Tagen sollst du ihn haben. Bis dahin: Rüste dich zum Aufbruch und zur neuen Reise. Die Zeit deiner Prüfungen ist um. Du bist gerufen!"

 

Ich bin allein in der Dunkelheit. Der Schein der hereinzuckenden Blitze zeigt mir das schwarz und leer gähnende Loch des Kamins.

 

Tag bricht an. Mühsam, unsagbar mühsam schleppe ich mich durch die verkohlten Ruinenräume, in denen untergebracht ist, was vom Wohlstand der Dees hier und da noch umherliegt. Mein Rücken, meine Glieder schmerzen, so oft ich mich bücke, als schnitten mir glühende Messer in die Lenden. – Ich packe meine Lumpen in ein Bündel zur befohlenen Reise...

 

Price ist auf einmal wieder da. Stumm schaut er meinem Treiben zu:

"Wohin?"

"Weiß nicht. Vielleicht nach Prag."

"War Er da? Bei dir? Hat er befohlen?"

"Ja. Er war da. Er h... hat befohlen!" – Ich fühle, wie mir die Sinne schwinden.

 

Rossewiehern. Das Rollen und Rattern einer Reisekutsche. Ein seltsamer Fuhrmann tritt über meine Küchenschwelle und schaut mich fragend an. – Das ist nicht der Nachbar, der sich zur Fahrt nach Gravesend erboten hat! Gegen ein volles Drittel meines Reisevermögens. Den Mann kenn ich nicht.

Einerlei! Ich versuche mich zu erheben. Es geht nicht. Schwer wirds sein – zu Fuß – nach Prag zu wandern! Ich winke dem Mann zu, suche mich verständlich zu machen:

"Morgen... morgen vielleicht, mein Freund..."

Ich kann doch gar nicht reisen. Ich kann mich kaum von dem Strohlager erheben, auf das sie mich gebettet haben. Dazu sind die Schmerzen in meinen Lenden... viel... viel zu... groß.

Gut, daß Price, der Arzt, bei mir ist. Er beugt sich über mich und flüstert:

"Nur Mut, Johnny, das geht vorüber. Es ist nur die Hinfälligkeit der Kreatur, old boy, nicht wahr? Kranke Galle, kranke Nieren! Es ist der verdammte Stein. Der Stein, guter Freund. Der Stein in dir, der dir solche Schmerzen bereitet!"

 

"Der Stein –?!" stöhne ich auf und falle zurück.

 

 

"Ja, Johnny, der Stein! Mancher muß sehr leiden am Stein, Johnny, und wir Ärzte haben kein Mittel, wenn wir nicht schneiden dürfen."

 

 

Mit den rasenden Schmerzen zucken Garben von Licht vor meinen inneren Augen auf:

"O weiser Jude von Prag! Hoher Rabbi Löw!!" – der Aufschrei preßt sich mir zusammen mit dem Angstschweiß aus der kalten Brust. Das ist der Stein? Verächtlichster Spott! Mir ist, als höhne mir die Hölle ins Gesicht: "Den Stein des Todes und nicht den Stein des Lebens hat dir der Engel gegeben. Lange schon. Du hast es nicht gewußt?"

 

 

Mir wird, als rufe mir der Rabbi aus ferner Zeit herüber zu:

"Gib acht auf den Stein, um den du bittest! Gib acht, daß der Pfeil deines Gebetes nicht abgefangen wird!"

 

"Wünschest du sonst noch etwas?" höre ich Price fragen.

 

Allein, in Lumpen und räudiges Pelzwerk verpackt, in meinem alten Lehnstuhl sitze ich. Am Herd. Ich erinnere mich: ich habe Price gebeten, mir den Stuhl so zu rücken, daß ich mit dem Gesicht nach Osten sitze, – daß ich den nächsten Gast, er sei, wer er sei, empfange in der Haltung, die der meines ganzen verflossenen Lebens entgegengesetzt ist: mit dem Rücken gegen den grünen Westen.

So warte ich auf den Tod...

Price hat mir versprochen, am Abend nach mir zu sehen, um mir das Sterben leicht zu machen.

Ich warte.

Price kommt nicht.

So warte ich seit Stunden zwischen Ohnmachten der Qual und Hoffnung auf Erlösung mit dem Erscheinen des Price. Die Nacht vergeht;... auch Price, der letzte Mensch, versagt.

An allen Zusagen der Sterblichen wie der Unsterblichen habe ich Schiffbruch erlitten bis zuletzt.

 

 

Nirgends ist Hilfe, das hab ich gelernt. Nirgends Erbarmen. Der liebe Gott schläft, gut und bequem, wie Price, der Arzt! Sie haben alle zusammen nicht den siebenmalsiebenzigfach messerscharf gekanteten und geschliffenen Stein in den Weichen! – Wo bleibt die Hölle, mich in meinen Qualen zu genießen? Verraten! Verloren! Verlassen!

 

 

Aus halber Ohnmacht tastet meine Hand im Umkreis des Greifbaren auf den Herdsteinen herum. Sie findet ein Skalpell, das der Arzt zurückgelassen hat, um mir damit die Ader zu schlagen. Gebenedeiter Zufall! Gesegnet seist du, Freund Price! Das kleine Messer ist mir jetzt mehr wert als der stumpfe Speer des Hoël Dhat; es macht mich frei... endlich frei!

 

Ich beuge den Kopf zurück und straffe die Kehle. Heb die Klinge zum Hals... Ein erster Morgenstrahl läßt die Schneide purpurrot aufblinken, als überlaufe sie schon der stockende Saft meines greisen Lebens, da grinst hervor aus der leeren Luft des in dämmrigem Licht getauchten Raumes und über die Rasiermesserklinge: das breite Gesicht des Bartlett Green mit dem Birkauge. Er lauert, er nickt, er winkt:

 

 

"Zieh durch. Zieh durch, durch die Kehle! Das hilft! Das vereinigt dich mit Jane, deinem Weib, der Selbstmörderin; das zieht zu uns hinab; das ist gut!"

 

Recht hat der Bartlett Green: zu Jane will ich! – –

Wie friedlich das Messer lockt und der Sonnenschein funkelt zwischen Klinge und Hals!

Da! Ein Druck hinter mir auf meine Schulter! – Nein, ich drehe mich nicht um: kein Blick mehr nach Westen! Der Druck ist warm wie von Menschenhand und durchläuft mich mit heißem Wohlgefühl.

 

Ich brauche mich nicht mehr umzuwenden: vor mir steht Gardener, mein alter vergessener Laborant Gardener, der sich einst im Streit von mir trennte. – Wie kommt der mit einemmal hierher ins Schloß... und in diesem Augenblick, wo ich Mortlakecastle und der ganzen betrügerischen und betrogenen Welt den Rücken kehren will?

 

Sonderbar angetan ist Gardener, mein guter Laborant! Er trägt einen weißen Mantel aus Leinwand, darein in der Höhe der linken Brust eine rotgoldene Rose eingestickt ist. Sie flimmert im Licht des sonnigen Morgens. – Und jung, sehr jung ist das Gesicht Gardeners geblieben! Als seien nicht fünfundzwanzig Jahre vergangen, seit wir uns zum letztenmal gesehen haben.

Lächelnd, mit der Miene des Freundes, des niemals alternden Mannes, tritt er auf mich zu:

"Du bist allein, John Dee? Wo sind deine Freunde?"

Alle Klage quillt in meiner Brust zu einem Strom von Tränen. Aber ich kann nur flüstern, trockenen Tones und matt von Schmerz und Zermürbtheit:

 

"Sie haben mich verlassen."

"Recht hast du, John Dee, daß du an den Sterblichen verzagst. Alles Sterbliche ist zweizüngig und der Zweifelnde muß daran verzweifeln."

 

 

"Auch die Unsterblichen haben mich verraten!"

"Recht hast du, John Dee; auch an den Unsterblichen soll der Mensch zweifeln; sie nähren sich von den Opfern und Gebeten der Irdischen und gieren danach wie die Wölfe."

"So weiß ich nicht mehr, wo Gott ist?!"

"Das geht allen so, die ihn suchen."

"Und die den Weg verloren haben?"

"Der Weg findet dich, nicht du findest den Weg! Den Weg verloren haben wir alle einmal, denn nicht wandern sollen wir, sondern das Kleinod finden, John Dee!"

"Verirrt und allein, wie du mich hier siehst, wie soll ich da nicht verschmachten auf dem verlorenen Weg?"

 

"Bist du allein?"

"Nein, du bist ja bei mir!"...

"Ich bin..." – schattenhaft schwindet die Gestalt Gardeners.

"So bist auch du nur Betrug?!" röchelt es aus mir.

 

Kaum vernehmbar mehr meinem Ohr aus weiter Ferne ein Ruf:

"Wer nennt mich Betrüger?"

"Ich!"

"Wer ist Ich?"

"Ich!"

"Wer ists, der mich mit Gewalt zurückzwingt?"

"Ich!"

Wieder steht deutlich Gardener vor mir. Lächelt mir ins Gesicht:

"Jetzt hast du den gerufen, der dich nie allein läßt, wenn du dich verirrt hast: den unergründlichen Ich. Besinne dich auf den Gestaltlosen vor deinem Blick; auf den Urgestalteten vor deinem Gewissen!"

"Wer bin ich?" stöhnt es aus mir.

 

"Dein Name ist aufgezeichnet, Ungenannter. – Dein Zeichen, Roderichenkel, hast du verloren. Darum bist du jetzt allein!"

"Mein Zeichen...?"

"Dieses!" – Gardener zieht aus seinem Mantel den Brieföffner, den verlorenen Dolch, das Kleinod der Dees, Hoël Dhats Lanze!

"So ist es", höhnt der Laborant, und sein kaltes Lachen schneidet mir ins Herz.

"So ist es, John Dee! – Einst die edelste Männerwaffe des Urahns, dann ein gehegtes, abergläubisch verehrtes Erbkleinod deines Geschlechtes, dann ein schnöder Brieföffner dem herabgekommenen Enkel, und zuletzt ein leichtsinnig mißbrauchtes, leichtsinnig aus der frevelnden Hand verlorenes Werkzeug armseliger Künste der Finsternis! – Götzendienst! Verstehst du, was ich meine? Tief ist der Talisman einer edlen Zeit durch dich herabgekommen; tief, tief bist du gesunken, John Dee!"

Date: 2015-09-05; view: 239; Нарушение авторских прав; Помощь в написании работы --> СЮДА...



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