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Die zweite Schau 4 page





Jane erklärte sofort eifrigst, sie sei dankbar und bereit; man müsse die Liebenswürdigkeit der Fürstin annehmen und den schönen Tag genießen. Was hätte ich einwenden wollen!?

 

Mir war der Eintritt des unheimlichen Chauffeurs wie kalter Schreck in die Glieder gefahren; trübe Gedanken, gestaltlos flattrige Ahnungen legten sich mir mit Gewichten auf die Brust. Ich hätte nicht zu sagen gewußt, warum ich Jane bei der Hand nahm und nur langsam und schwer die Worte hervorbrachte:

"Falls es nicht dein aufrichtiger Wille sein sollte, Jane..."

Sie unterbrach mich mit festem Händedruck und merkwürdig durchstrahltem Gesicht:

"Es ist mein aufrichtiger Wille!"

Das klang wie eine Abrede; denn Sinn verstand ich nicht.

Rasch trat Jane an den Schreibtisch und ergriff den fremdartigen Dolch. Steckte ihn, ohne ein Wort zu sprechen, in ihre Handtasche. Stumm schaute ich ihr zu. Endlich riß ich mir gewaltsam die Frage von den Lippen:

"Wozu das, Jane? Was willst du mit der Waffe?"

 

"Der Fürstin schenken! Ich hab mirs so überlegt."

"Der... der Fürstin?"

Jane lächelte kindlich:

"Wollen wir doch die liebenswürdige Herrin des Wagens nicht länger warten lassen!"

Lipotin stand stumm hinter seinem Stuhl und ließ mit auffallend müdem Blick sein Auge unschlüssig von einem zum andern gleiten. Von Zeit zu Zeit schüttelte er still und wie in eine Ast stumpfen Staunens versunken den Kopf.

Es wurde nicht mehr viel gesprochen. Wir nahmen unsere Mäntel und Hüte und machten uns fertig zur Ausfahrt mit einer die Seele wie die körperlichen Gebärden lähmenden Betroffenheit.

 

 

So begaben wir uns hinab; vor uns her huschte geschmeidig und lautlos der baumlange Chauffeur.

Wir sahen die Fürstin aus dem Fond des Wagens winken. Es war eine merkwürdig hölzerne Begrüßung.

 

 

Wir stiegen ein.

Mir sträubte sich jedes Härchen auf der Haut, und jede Zelle meines Leibes schien mir zuzuflüstern: Nicht fahren! Nicht fahren!

 

Dann rückten wir uns alle, willenlos geworden wie gelenkte Puppen, im Wagen zurecht, erstorbenen Herzens und gelähmten Mundes, zu unserer Vergnügungsfahrt nach Elsbethstein.

 

 

Was ich erleben mußte auf jener Fahrt nach Elsbethstein, ist unbewegliche, erstarrte Gegenwart geworden in meiner Seele: Weinberghänge huschen vorbei, deren Kulissen den Strom drunten zu engen, von uns wild umflogenen Halbkreisen zwingen, – sanftgrün wie glattes Tuch dazwischen gelagert: Wiesen, Wiesen in Staub und flitzendem Licht verwehend, hingehastete Dörfer, abflatternd von sausender Fahrt, matte Gedanken wie fortgerissene Schleier; zerfetzte Bangigkeit, in saugenden Wirbeln verschwindend gleich jagendem Herbstlaub, unhörbare Warnungsschreie der Seele; verständnisloses müdes Staunen willensschwach gewordener Sinne.

 

 

Das Automobil rast den schrägen Strebemauern der Ruine Elsbethstein zu, dreht sich in verrückt ausschweifender Kurve, die uns alle in den Abgrund des Stromlaufs hinaus zu schleudern droht, und hält mit motorbebenden Flanken vor dem tiefgeschnittenen Portal des äußern Mauernrings.

 

Wir steigen aus und betreten in Gruppen zu zweien den innern Schloßhof. Ich gehe mit Lipotin voraus, und langsam in wachsendem Abstand kommen die beiden Frauen hinter uns drein. Ich blicke zurück und sehe Jane in lebhaftem Gespräch mit der Fürstin begriffen, deren eigentümlich perlendes Lächeln ich höre. Es beruhigt mich, daß sie harmlos miteinander plaudern und kein Zwist unter ihnen herrscht.

Wenig mehr ist von rauchenden Quellen zu sehen; sie sind gefaßt, und häßliche Bretterbuden hocken über ihnen. Schläfrig hantieren die Arbeiter im Hof herum. Wir interessieren uns für all das, aber ich empfinde eine tiefverdeckte Stimme in meinem Innern, die mir sagen möchte, unser geheucheltes Interesse sei nur ein dürftiger Vorwand für ganz andere Dinge, die uns hierher gelockt haben und auf deren Zutagetreten wir mit heimlich gespannten Nerven warten. Wie auf stillschweigende Verabredung lenken wir unsere Schritte hinüber zu dem Bergfried, an dem, wie neulich, die feste Pforte nur angelehnt steht. Im Geiste eile ich voraus und sehe mich die morsche, steile, finstere Treppe zur Küche des alten schwachsinnigen Gärtners emporklimmen; weiß auch, warum ich hinauf will; ich will ihn fragen, den sonderbaren Alten... Da bleibt Lipotin stehen, ergreift mich beim Arm:

 

 

"Sehen Sie, Verehrtester, dort! Wir können den Besuch sparen. Soeben tritt unser verrückter Ugolino aus seinem Turm. Der Herr des Dolches hat uns bereits gesehen."

Im selben Augenblick höre ich einen leisen Schrei der Fürstin hinter mir; rasch wenden wir uns beide. Mit halb lachender Abwehr ruft sie uns zu:

 

"Nein, nicht jetzt zu dem irrsinnigen Alten!" – Sie dreht sich um mit Jane. Unwillkürlich gehen wir den beiden Damen nach; holen sie ein. Jane blickt ernst drein; die Fürstin lacht und sagt:

 

 

"Ich will ihm nicht wieder begegnen. Geisteskranke sind mir unheimlich. Und schenken wird er mir ja auch nichts wollen von seinem verwahrlosten – Küchengerät. Nicht wahr?"... Das sollte scherzhaft klingen, aber ich glaubte den Unterton beleidigter Eitelkeit oder einer gewissen Eifersucht auf Jane daraus zu hören.

Dann steht der alte Gärtner vor der kleinen Turmtür und scheint uns von fern zu beobachten. Er hebt die Hand auf. Es ist, als winke er uns. Die Fürstin sieht es und zieht ihren Staubmantel dichter um den Leib mit der Gebärde, als wolle sie sich gegen einen Kälteschauer schützen. Eine unverständliche Bewegung in dieser spätsommerlichen Wärme!

 

"Warum sind wir eigentlich wieder in diese unheimliche Ruine heraufgefahren? Es ist ein feindseliges Gemäuer!" fragt sie halblaut und vor sich hin.

"Sie haben es neulich doch selber gewünscht!" entgegnete ich arglos. "Die Gelegenheit wäre jetzt günstig, ihn auszuhorchen, woher er jene Waffe hat."

 

Fast brüsk wendet sich die Fürstin zu mir:

 

"Was soll uns das Geschwätz eines alten Narren! – Ich schlage vor, liebe Jane, wir überlassen es den Herren, ihre Neugier zu befriedigen, und betrachten uns indessen die malerischen Reize dieses Spuknestes von angenehmeren Aussichtspunkten her." – Dabei hängt sich die Fürstin vertraulich in Jane ein und trifft Anstalten, dem Ausgang des Burghofs zuzuschreiten.

 

"Sie wollen schon wieder gehen?" frage ich erstaunt, und auch Lipotin macht ein verblüfftes Gesicht.

 

Die Fürstin nickt lebhaft. Jane wendet den Kopf und lächelt mir sonderbar zu:

"Wir haben es so verabredet. Wir wollen zusammen eine Rundfahrt machen. – Eine Rundfahrt, verstehst du, endet immer, wo sie begonnen hat. Also auf..." – Der Wind verschlingt das letzte Wort.

 

Voll Verwunderung bleiben Lipotin und ich wie gebannt stehen. Die kurze Zeit hatte genügt, daß die beiden Frauen einen Vorsprung gewannen, so daß unsere Einwände von ihnen nicht mehr gehört wurden.

 

Wir eilen ihnen nach, aber die Fürstin sitzt bereits im Wagen. Jane ist im Begriff, einzusteigen. Von unerklärlicher Angst plötzlich ergriffen, rufe ich zu ihr hinüber:

"Wohin, Jane? Er hat uns gewinkt. Wir müssen ihn doch fragen!" In aller Hast schreie ich die Worte hervor, um Jane aufzuhalten; weiß selbst nicht, wie sie sich mir auf die Lippen drängen.

Jane scheint einen Augenblick zu zögern; wendet das Gesicht mir zu und sagt etwas, aber ich verstehe es nicht: der Chauffeur gibt unbegreiflicherweise, noch während der Wagen steht, Vollgas bei Leerlauf, und der Motor brüllt los, wie ein zu Tode getroffenes Ungeheuer der Urwelt; der satanische Lärm verschlingt jedes Wort. Dann startet der Wagen mit einem Ruck so jäh, daß Jane auf den Sitz zurückgeschleudert wird. Mit eigener Hand zieht die Fürstin den Schlag zu. Nochmals schreie ich in das Heulen des Motors hinüber:

"Jane! Nicht fahren! – Was willst du..." – es ist wie ein wilder Schrei aus meinem tiefsten Herzen heraus. Aber wie unsinnig tobt die Maschine fort; die weit zurückgebeugt lehnende Gestalt des Chauffeurs ist das letzte, was ich sehe.

Rasch verdonnert das Knallen der Auspuffgase in der Ferne, und der Wagen fegt den Steilhang des Berges hinab wie ein Fokker im Gleitflug.

 

Ich wende mich mit stummer Frage zu Lipotin. Der steht und schaut mit hochgezogenen Augenbrauen dem entschwindenden Automobil nach. Sein gelbes Gesicht erscheint mir geisterhaft erstarrt: eine verblichene Maske, aus vergangenen Jahrhunderten ausgegraben, – eingeklemmt zwischen Ledermütze und Pelzmantel eines Motorsportlers.

 

Wortlos, in stummem Einverständnis kehren wir in den Schloßhof zurück. Kaum haben wir ihn durchquert, tritt der Alte auf uns zu mit irrem Blick.

 

"Will Ihnen den Garten zeigen!" flüstert er und schaut über unsere Köpfe hinweg, als sähe er uns nicht. "Alter Garten! Ein schöner Garten. Und groß. Viel Arbeit, ihn umzugraben!"

Seine Worte werden unverständlich zwischen den fort und fort sich bewegenden Lippen.

Er geht uns voraus, und wir folgen ihm wie von selbst; gleichfalls stumm.

Er führt uns durch Mauerlücken und zwischen Wehrgängen hin, bleibt bisweilen bei dieser oder jener Baumgruppe stehen und murmelt undeutlich vor sich hin. Dann berichtet er mit leerem Wortschwall, wann er die Bäume gepflanzt oder die Rabatten angelegt habe, die plötzlich vor uns auftauchen, herrlich gepflegt, aber umgeben von Schutzhaufen und niedergebrochenem Gemäuer, auf dem schillernde Eidechsen spielen. Es kommt ihm nicht darauf an, vor einer Gruppe mehrhundertjähriger Eiben uns flüsternd anzuvertrauen, er habe sie in einem harten Winter als junge fingerdicke Stecklinge eingesetzt; er habe sie von "dort drüben" geholt! – Dabei deutete er mit unbestimmter Handbewegung hinaus in die Weite – "von drüben", um das Grab zu schmücken.

 

 

"Welches Grab?" fahre ich auf.

Nach langem Kopfschütteln versteht er endlich die oft wiederholte Frage. Er winkt uns. Wir treten auf die mattrötlichen Stämme der Eiben zu.

 

Zwischen den mächtigen Bäumen erhebt sich ein kleiner Erdhügel, wie man sie ähnlich sieht in alten versonnenen Parks mit Rundtempeln oder bemoosten Denksäulen. Der grüne Hügel trägt keine solche Bekrönung, dafür ist er bestanden mit einem Gewölbe tiefrot in Blüten brennender Rosen. Dahinter schimmert grau die verfallene Wehrmauer hervor, und über einem Riß im Steinwerk hinweg öffnet sich weiter Blick hinaus ins Land und hinab zu dem Silbertal des Stromes.

 

Wo habe ich diese Landschaft nur gesehen? –

 

Und auf einmal erlebe ich, was uns Menschen so oft befällt: ich meine, das alles längst zu kennen: die Bäume, die Rosen, die Mauerlücke, den Blick auf den silbernen Fluß! Vertraut ist mir Ort und Stunde, als kehrte ich wieder, wo ich seit je längst zu Hause war. Dann wills mich bedünken, es sei eine Erinnerung an ein Wappenbild; dann: als sei es dieser Ort gewesen, den ich vor kurzem noch als die Ruine in Mortlake gesehen im Spiegel der Deeschen Kohle. Vielleicht wars Mortlake gar nicht, sage ich mir; vielleicht wars dieser Ort hier, den ich im Halbtraum erraten habe und für das Stammschloß meines Ahnen hielt?!

 

Der greise Gärtner biegt die Rosenhänge auseinander und weist auf eine mit Moos und Farnkraut bedeckte Vertiefung in der Erde. Er lächelt unsicher und murmelt:

"Das Grab. Ja, ja, das Grab! Da drunten ruht jetzt wieder das stille Gesicht mit offenen Augen und mit den ausgestreckten Armen. Ich hab ihm den Dolch aus der Hand genommen. Nur den Dolch, meine Herren! Sie dürfen mirs glauben! Nur den Dolch! – Ich hab doch gewußt, ich muß ihn der schönen Frau geben, der guten jungen Frau, die Ausschau mit mir hält nach der Herrin!"

Ic

h muß mich an einer der Eiben festhalten, um nicht zu stürzen; ich will Lipotin ein Wort zurufen, aber meine Zunge versagt. Ich kann nur stammeln:

 

 

"Der Dolch? – Hier? – Ein Grab?" –

Der Greis versteht mich auf einmal recht gut. Er nickt eifrig, und ein Lächeln hellt seine zerstörten Züge auf. Rasch, einer plötzlichen Eingebung folgend, frage ich ihn:

"Sag uns, Alter, wem gehört die Burg?"

 

Der Greis zögert: "Die Burg Elsbethstein? Wem?" – er fällt wieder in sich zusammen, und das von seinen Lippen abgelesene Wort erstirbt, bevor es verständlicher Hauch geworden ist. Irr schüttelt er den Kopf und winkt uns, ihm zu folgen.

 

Nur wenige Schritte gehen wir, da öffnet sich eine hohe Mauerpforte, von Holundersträuchen und wuchernden Rosen überhangen und verdeckt. Über dem gewölbten Torbogen erkenne ich die untersten Ranken uralter Steinmetzarbeit. Der Greis deutet eifrig hinauf. Mit einem aufgelesenen, halbvermorschten Ast schiebe ich die üppigen Zweige und Blütengehänge beiseite und erblicke ein bemoostes Wappen über dem Türsturz in Stein gehauen. Es ist ein Werk aus dem sechzehnten Jahrhundert und trägt ein schwach gelegtes Kreuz, aus dessen Arm eine Rosenranke emporwächst, besetzt mit drei Blüten: die eine als Knospe, die zweite halbgeöffnet, die dritte voll und prangend mit einem schon zum Fall gelösten Blatt.

 

 

Lange betrachtete ich sinnend dies geheimnisvolle Wappenbild. Aus dem Grau des alten Torsteins, aus dem verwitterten Grün des flechtendurchzogenen Mooses, aus dem seltsam schwermütigen Anblick des Rosenzweiges mit den drei in ihrer Blüte abgestuften Blumen sprechen mich Erinnerung und ahnendes Gefühl an so stark, daß ich nicht bemerke: meine Gefährten haben mich allein gelassen. Immer deutlicher drängt sich mir ein Traumbild auf und ringt sich zu mählicher Klarheit aus meiner Seele: die Grablegung meines Vorfahren, John Dee, in dem Wundergarten des Adepten Gardener! Mehr und mehr decken sich die Umrisse der einstigen Vision mit den Dingen meiner Umgebung.

 

Noch stehe ich in wunderlichen Zweifeln und gebe mir Mühe, die Verzauberung mir von der Stirn und Augen zu streichen, da erschrecke ich vor einer Erscheinung, die unerwartet aus dem Dunkel des Torgangs rasch auf mich zutritt. Jane ists, es kann kein Zweifel sein. Aber ihr Gang ist lautlos und schwebend und – wie soll ich mirs deuten?: sie trieft vor Nässe, ihr leichtes Sommerkleid klebt ihr eng und streifig am Leibe. Der Ausdruck ihres Gesichtes ist starr und ernst, fast furchterregend, so durchdringend strahlt aus ihren Zügen eine stumme Mahnung auf mich über.

 

 

Fernwirken einer Toten! – so will etwas in mir aufschreien. Dann höre ich Worte, die aus ihrem Munde zu dringen scheinen:

"Vollbracht. – Frei. – Hilf dir! – Sei stark! –"

 

"Jane!" rufe ich. Betäubung überfällt mich und – da ist es nicht mehr Jane: vor mir steht eine unirdisch mich anblickende Frau von majestätischem Wuchs, eine Krone auf dem Haupt, und ihr Blick durchdringt mich, als komme er aus Jahrhundertferne her und gehe durch mich hindurch und suche mich weit hinter mir in einem gefühlten Äon meiner Zeit und meiner errungenen Vollendung. – –

"Das also bist du, Königin und Herrin im Garten des Adepten!..." – mehr wissen meine Lippen nicht zu flüstern.

Auge in Auge, unlösbar verbunden, stehe ich der wunderbaren Frau gegenüber, und Stürme von Gedanken, nicht zu schildern, – Erkenntnisse und wütende Entschlüsse stoßen an meinem äußern Sein vorbei in eine geistige Welt, bilden ungeheure Wirbel drüben, rufen Verheerung und Umsturz dort hervor – –, da höre ich mit leiblichem Ohr deutlich, wie Lipotin und der alte verrückte Gärtner wieder zurückkehren. Und mit meinen leiblichen Augen sehe ich: der Greis stutzt, erhebt die Hände und sinkt in die Knie. Dicht neben mir mit verklärtem Gesicht kniet er und unter Weinen und schluchzendem Lachen hebt er den Kopf zu der königlichen Frau empor und stammelt:

 

 

"Lob und Dank, Herrin, daß du gekommen bist! In deine Hände lege ich mein müdes Haupt und meinen langen Dienst. Siehe du, ob ich getreu war!"

 

Freundlich nickt die frauenhafte Erscheinung dem Alten zu. Er aber fällt vornüber aufs Gesicht und verstummt.

Noch einmal wendet sich das königliche Bild mir zu, und ich glaube eine Stimme zu hören wie Glockenton aus Turmesferne:

"Gegrüßt. – Erwählt. – Erhofft. – Noch nicht erprobt!" – und als vermischten sich im Klingen die Laute mit der irdischen Stimme meiner Jane und als kehre nochmals ihr angstvoll mahnender Ruf zurück:

"– – hilf dir selbst. – Sei stark!"...

Urplötzlich verblaßt die Vision in einem heulenden Lärm, der von jenseits der Mauer, aus dem Bereich des Schloßhofes, herüberschallt.

Ich fahre auf und sehe Lipotin, wie er verständnislos bald mich, bald den regungslos hingestreckten alten Gärtner anstarrt. Wenige Worte genügen mir: er hat nichts gesehen, nichts wahrgenommen von dem, was sich begeben hat! – Ihn beunruhigt scheinbar nur das seltsame Betragen des Greises.

Ehe er Zeit findet, ihn anzurühren, kommen Männer aus dem Schloßhof schreiend auf uns zu. Rasch eilen wir ihnen entgegen. Wie Brandung schlagen Reden an mein Ohr, und gleich darauf erspähen meine Augen: drunten im Strom und mitten darin auf einer Untiefe, – dort, wo eine jähe Kurve der Landstraße hoch über gesprengte Felsen geführt ist, dem Ufer folgend, zeichnet sich, vom hellen Schaumstreifen strömenden Wassers umschimmert, das zertrümmerte Automobil der Fürstin ab. – – –

 

Langsam kommt mir zu Sinnen, was das Gezeter der Leute bedeutet: "Alle drei tot! Wie in die Luft hinein ist er gefahren, der Chauffeur! Mitten in die leere Luft hinein. Er hat den Verstand verloren, oder der Teufel hat ihn geblendet!"...

 

 

Jane! Jane! – mein eigener Schrei weckt mich auf! Ich will Lipotin rufen: er kniet neben dem immer noch regungslos im Grase liegenden alten Gärtner. Er hebt ihm den Kopf und schaut mich mit Augen an, in denen die Seele erblindet ist. Seinen stützenden Händen entgleitet, halb auf die Seite sinkend, der Körper des Greises. Der Alte ist tot.

 

 

Geistesabwesend stiert Lipotin mich an. Ich kann nicht reden. Deute nur stumm über die Mauerbrüstung hinab auf den Strom. Er blickt lang ins Tal hinunter, fährt sich gelassen über die Stirn: "Also wieder im grünen Wasser versunken! Steile Ufer. Ich bin müde.... Da: hören Sie nicht? Man ruft nach mir!"

 

 

Eine Hilfskolonne birgt die Toten aus dem flachhinspülenden Fluß. – – Nur die beiden Frauen; den Chauffeur hat es stromabwärts fortgerissen. "Noch nie hat man Leichen wiedergefunden, die das Wasser mitgenommen hat", sagt man mir; "sie treiben hinab, ohne aufzutauchen, ins ferne Meer." – Mir graut bei dem Gedanken, ich hätte meines Vetters John Roger entstellte Totenmaske aus den Fluten mich anstarren sehen müssen...

 

Und dann das Entsetzlichste: wars ein Unglücksfall? – Was? Was?... eine Frage brennt mir in der Brust: Was hat das zu bedeuten?: Janes Dolch steckt tief in der Brust der Fürstin. Das Herz ist tödlich getroffen!

Die Lanzenspitze hat sich ihr von selbst in den Leib gerannt beim Sturz des Wagens, so will ich mir einreden...

Lange, lange betrachte ich, selbst fast eine Leiche, die beiden toten Frauen: Janes Antlitz schlummert in einem Ausdruck unsagbarer Zufriedenheit und Ruhe. Ihre stille, verschlossene Schönheit blüht aus der erloschenen Gestalt hervor mit so rührender Gewalt, daß mir die Tränen versiegen und ich beten möchte:

 

 

"Heiliger Schutzengel meines Lebens, bitte du für mich, daß ich es tragen kann..."

Auf der Stirn der Fürstin steht eine harte Falte. Ihre streng und schmerzlich geschlossenen Lippen scheinen einen Ausruf zu unterdrücken. Fast ist es, als lebe sie noch und wolle jeden Augenblick wiedererwachen. Schmale Schatten von den Zweigen der Bäume, tanzend im Wind, huschen über ihre Lider. – – Oder hat sie plötzlich aufgeschlagen und schnell wieder geschlossen, als sie bemerkte, ich könne es sehen? Nein, nein: sie ist tot! Es steckt doch der Dolch in ihrem Herzen!! Dann, wie die Stunden verrinnen, löst sich die Spannung in den Zügen der Toten, und ein katzenhafter, abstoßender Zug verzerrt das Angesicht.

 

Seit der Bestattung der beiden Frauen habe ich Lipotin nicht mehr wiedergesehen. Aber ich erwarte stündlich seinen Besuch, denn er hat mir beim Abschied vor dem Friedhofsportal gesagt:

"Jetzt fängt es an, Verehrtester! Jetzt wird sich erweisen, wer der Herr des Dolches sein wird. Verlassen Sie sich auf gar nichts als auf sich selbst, wenn Sie das vermögen. – Übrigens bleibe ich Ihr gehorsamer Diener und werde mich erkundigen kommen, wenn es Zeit ist, ob Sie meiner bedürfen. Die roten Dugpas haben mir, nebenbei bemerkt, gekündigt.... Das bedeutet..."

 

"Nun?" fragte ich zerstreut, denn die Trauer um Jane erfüllt mich bis zum Ersticken. "Nun?"

 

"Nun, das bedeutet..." Lipotin sprach den Satz nicht aus. Machte nur die Geste des Halsabschneidens.

Als ich ihn erschrocken fragen wollte, was er damit meine, war er im Gewühl der Leute, die eine an- und abfahrende Straßenbahn stürmten, verschwunden.

Oft seitdem wiederhole ich mir innerlich das, was er gesagt und getan hat, aber immer muß ich zweifeln: war es Wirklichkeit? Oder bilde ich es mir nur ein? – Die Vorgänge haften anders in meinem Gedächtnis als die, die ich gleichzeitig erlebte...

 

 

Wie lang ists her, daß ich Jane begraben habe und Seite an Seite neben ihr Assja Chotokalungin? – Wie kann ich es wissen! Ich habe die Tage nicht gezählt, nicht die Wochen und Monate; – oder sind es Jahre, die seitdem verflossen sind? Fingerdick liegt der Staub auf all den Dingen und Papieren um mich her; die Fenster sind blind, das ist gut, denn ich will nicht wissen: bin ich in der Stadt meiner Geburt, oder bin ich John Dee, mein Ahnherr, in Mortlake geworden, eingefangen wie eine Fliege in einem Netz stillstehender Zeit? Bisweilen kommt der seltsame Gedanke über mich: bin ich vielleicht längst gestorben und liege, ohne mir dessen bewußt zu sein, im Grab neben den beiden Frauen? Wodurch könnte ich mir Gewißheit verschaffen, daß es nicht so ist? Wohl schaut mir aus dem trüben Spiegel an der Wand Einer entgegen, der Ich sein könnte und dem ein langer Bart gewachsen ist und wirre Haarsträhnen, aber sehen sich Tote vielleicht nicht auch im Spiegel und wähnen, sie seien noch am Leben? Wissen wir, ob sie ihrerseits nicht die Lebendigen für Tote halten?! – Nein: Beweise, daß ich wirklich am Leben bin, habe ich nicht. Wenn ich mein Hirn anstrenge und zurückwandern will in die Zeit, wo ich am Grabe der beiden Frauen stand, da will es mir scheinen, als wäre ich gleich darauf hier in mein Haus zurückgekehrt und hätte meine Dienerschaft entlassen und meiner alten beurlaubten Haushälterin geschrieben, sie brauchte nicht mehr zu kommen, und ich hätte ihr durch meine Bank eine Lebensrente ausgesetzt. – Kann sein, daß ich all das nur träume; es kann aber auch sein: ich bin gestorben, und mein Haus ist leer.

 

Sicher ist eins: alle meine Uhren stehen still, die eine auf halb zehn, die andere auf zwölf und andere auf Stunden, die mir noch gleichgültiger sind. Und: Spinnweben überall, überall. – Woher die Spinnen zu Tausenden hergekommen sein mögen in dieser kurzen Zeit eines – – sagen wir: eines Jahrhunderts? Oder ist es ein einziges Jahr gewesen im Leben der Menschen da draußen? Ich will es nicht wissen; was geht es mich an!

 

 

Wovon nur habe ich gelebt seitdem? Der Gedanke rüttelt mich auf. – Vielleicht: wenn ich mich daran erinnern könnte, hätte ich einen Beweis, ob ich tot bin oder nicht! Ich sinne nach, und da taucht es wie Traumgedächtnis in mir auf, als sei ich oft des Nachts durch die stillen Gassen der Stadt gewandert und habe gegessen in Schenken und öden Spelunken, als sei ich auch Bekannten und Freunden begegnet, die mich angesprochen haben. Ob und was ich ihnen geantwortet habe, weiß ich nicht mehr. Ich glaube, ich bin stumm an ihnen vorbeigegangen, um nicht zu Bewußtsein und zu dem Schmerz um Jane zurückzukommen. – – Ja, ja, so wird es sein: ich habe mich ins Totenreich, in ein einsames Totenreich hineingelebt, oder – mich hineingestorben. Aber, was kümmerts mich, ob ich tot bin oder lebendig! – – –

 

Ob Lipotin auch schon gestorben ist? – Aber was denke ich da wieder?! Es ist doch gar kein Unterschied, ob man tot ist oder lebt.

Zu mir gekommen, ob so oder so, ist Lipotin seitdem nicht, das ist wohl sicher. Sonst könnte das Bild, in dem ich ihn vor mir sehe, nicht das letzte in meinem Gedächtnis sein: er verlor sich im Gewühl vor dem Friedhof, nachdem er mir kurz vorher etwas von den tibetischen Dugpas gesagt hatte, das ich vergessen habe; und er machte dabei die Geste des Halsabschneidens. Oder war das alles das auf Elsbethstein gewesen? – – Was kümmerts mich! Vielleicht ist er nach Asien gegangen und hat sich wieder in den Magister des Zaren, in den Mascee John Dees verwandelt. Bin ja auch aus der Welt gegangen seitdem, sozusagen. Ich weiß nicht, wohin es weiter ist: nach Asien, oder in das Land der Träume, in das ich mich verkrochen habe! – – Möglich, daß ich jetzt erst so halb und halb aufgewacht bin und meine Umgebung so verwahrlost finde, als ob sich ein Jahrhundert draußen an den Fenstern vorübergeträumt habe.

Mißbehagen ergreift mich mit einemmal, daß mir meine Wohnung vorkommt wie eine innerlich zerfressene Nuß, von stäubendem Schimmel befallen, in der ich, einem gedankenleeren Wurme gleich, eine Mottenzeit verschlafen habe. Woher so plötzlich kommt dies Mißbehagen? frage ich, und eine jähe Erinnerung quält mich: hat es nicht soeben schrill geläutet? – Im Haus? Nein: nicht im Haus! Wer sollte die Klingel ziehen an einem Haus, das verödet steht? So wird es ein Läuten in meinem Ohr gewesen sein! Der Gehörsinn erwacht erst bei einem, der scheintot gelegen hat und wieder ins Leben zurückkehrt, so habe ich einmal irgendwann gelesen. Plötzlich fällt mir ein, und ich kann es auch zu mir selbst aussprechen: ich habe gewartet, gewartet, gewartet, ich weiß nicht wie unsäglich lange Zeit auf eine Wiederkehr der toten Jane. Ich bin in den Tagen und Nächten hier in meinen Stuben von Ort zu Ort gekrochen und habe auf Knien und Zehenspitzen zum Himmel gebetet um ein Zeichen von ihr, so lange, bis ich darüber den Gang der zeit zu spüren verlor.

 

Es gibt kein Ding aus dem Besitz der Geliebten, das ich mir nicht zum Fetisch gemacht, dem ich mich nicht in irrsinnigem Flehen anvertraut hätte: es möchte mir helfen, Jane zu mir herabzuzwingen, Jane aus dem Grabe zu rufen – Jane zu meiner Rettung vor dem drohenden Henkerbeil des Schmerzes, das beständig über mir schwebt, zu senden. Ach wie vergebens war das alles: Jane hat sich nicht mehr blicken noch spüren lassen vor mir, der ich seit drei Jahrhunderten ihr rechtmäßiger Gatte bin.

Date: 2015-09-05; view: 255; Нарушение авторских прав; Помощь в написании работы --> СЮДА...



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