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Die zweite Schau 5 page





Jane ist nicht gekommen, aber... Assja Chotokalungin! Jetzt, wo ich aufgewacht bin aus der Lethargie – wie es mir jetzt scheinen mag – aus der Lethargie der Vergessenheit, jetzt weiß ich plötzlich: Assja Chotokalungin ist immer da, ist immer da...

 

 

Anfangs, ja, anfangs, da ist sie durch die Tür gekommen, und ich habe sofort gewußt, es ist vergeblich, die Tür vor ihr abzuschließen. Wo kein Riegel des Grabes wehrt, wo sollte da ein Zimmerschlüssel von Wirkung sein?!

Wenn ich jetzt daran denke, wie mir zumute war, als sie kam, da kann ich mir nicht verhehlen: ihr Besuch war mir – willkommen! Diese Schuld, – du ewiges Gesicht, das du mich anschaust, seit ich so träume, mit doppeltem Antlitz Tag und Nacht, mit dem leuchtenden Karfunkel über dir, daß mich die Augen schmerzen, wenn ich deinen Blick zu erwidern wage – – diese Schuld will ich als Schuld bekennen vor dir und vor mir selbst. Meine einzige Verteidigung ist: ich habe geglaubt, Assja sei eine Botin Janes aus dem Reiche der Toten. Ein unsinniger Tor war ich, daß ich glauben konnte, sie brächte mir Botschaft der Liebe, Botschaften der Seele...

 

Täglich kommt Assja zu mir, das weiß ich jetzt, wo die Erinnerung wieder erwacht ist. Lange schon braucht sie die Tür nicht mehr, um zu mir zu kommen: sie ist einfach da!

Meistens sitzt sie auf dem Sessel an meinem Schreibtisch und... ach Gott, mein Gott, wie nutzlos es ist, die Wahrheit vor mir selbst verschweigen zu wollen: sie kam, sie kommt immer in demselben Kleid aus Schwarz und Silber, und es gleicht, mit den fließenden Wellenornamenten darauf – dem chinesischen Ewigkeitssymbol auf dem Tulakästchen –, ganz diesem Kleinod der russischen Schmiedekunst.

Beständig muß ich es anschauen, dieses Kleid, und unter meinem begehrlichen Blick ist es alt, uralt und immer – durchsichtiger geworden, so, als wolle es zerfallen, so, als vermorschte es unter der Glut meiner Augen. Immer lockerer ist das Kleid der toten Fürstin geworden, immer schemenhafter wird sein Gewebe zusammengehalten, und seit einiger Zeit zerfällt es, und die Fürstin, oder vielmehr die pontische Isaïs, sitzt nackt und leuchtend in Schönheit vor mir in meinem Stuhl. – – –

 

 

In all der Zeit habe ich stundenlang nur den modrigen Zerfall des Gewandes beobachtet. So wenigstens will ich es mir jetzt einreden. Vielleicht habe ich ihn doch ersehnt! Oder belüge ich mich doch nicht? Es mag sein, denn ich weiß: wir haben über Leidenschaft nicht gesprochen.

 

 

Haben wir überhaupt miteinander gesprochen? Nein! Wie hätte ich auch sprechen können beim Anblick dieser langsamen stundendauernden Entblößung der Fürstin!?...

 

Und doch, du doppeltes Antlitz über mir, du schrecklicher Wächter meiner Träume, du Baphomet über mir, sei du mein Zeuge vor Gott: kam mir unreines Begehren zu Sinn, oder war es nicht vielmehr eine Zeit des Staunens, des Willens zum Kampf und der haßgeladenen Neugier? Habe ich aufgehört, Jane, die Heilige, aufzurufen wider die Botin der schwarzen Isaïs, die Gesellin des Bartlett Green, die Zerstörerin John Rogers und meines eigenen Blutes?!

 

 

Aber, je heißer ich Jane rief, desto rascher, desto sicherer, blühender und triumphierender in ihrer goldbraunen Leibesschönheit kam Assja. Kam sie – – kommt sie noch immer...

 

 

Hat es mir Lipotin nicht vorausgesagt? Vorausgesagt, daß der Kampf erst beginnt?

Ich bin gefaßt und bin gerüstet. Aber ich weiß nicht, wie der Kampf begonnen hat; sein feinster Anfang liegt in einer Zeit, die ich vergessen habe. Ich weiß nicht, wie der Kampf geführt wird und wie er gewonnen werden soll. Mir graut vor dem ersten Angriff, den ich tun soll, denn ich will nicht ins Leere stoßen und dabei das Gleichgewicht verlieren! – –

 

Mir graut vor dieser stummen tage- und tagelang lautlos mir Gegenübersitzenden und dem Tauschen von Blicken und Nervenfluiden...

 

Mir graut, unsäglich graut mir. Ich fühle: jede Minute kann die Fürstin mir wieder sichtbar werden.

 

 

Abermals schrillt eine Glocke. Ich lausche: nein, nicht in meinem Ohr, wie ich das erstemal geglaubt, klingt ein Läuten! Die Hausglocke ists, die banale Glocke unten im Flur – – und doch packt mich wieder das Grauen. Jetzt reißt mich das Schrillen vom Stuhl; ich drücke auf den elektrischen Türöffner, eile zum Fenster und spähe hinab: unten auf der Gasse zwei dumme Lausbuben suchen eilends das Weite, als sie sich ertappt sehen bei ihrem kindlichen Streich. Lappalie!


 

Und dennoch läßt mich das Grauen nicht los.

Die Haustür unten steht jetzt offen, sage ich mir, und ein Unbehagen ergreift mich, der frechen Welt preisgegeben zu sein, als habe mit einemmal alle Torheit und Zudringlichkeit der Straße Zutritt in mein sorgfältig verwahrtes Leben und Geheimnis. Ich will hinuntergehen und die Türe verschließen für immer, da höre ich Schritte auf der Treppe, bekannte Schritte, flüchtige, leis und elastisch aufgesetzte:

 

 

Lipotin steht vor mir!

Er begrüßt mich mit dem ironischen Zwinkern seiner von den immer müde überschatteten Lidern halb versteckten Augen.

Es werden nur wenige Begrüßungsworte gewechselt, als hätten wir uns erst gestern zum letztenmal gesehen. Er bleibt auf der Schwelle meines Studierzimmers stehen und wittert in die Luft wie ein Fuchs, der die Röhre seines Baus von fremden Spuren beschlieft findet.

Ich sage nichts; bin meinerseits beschäftigt, ihn zu betrachten.

Er macht mir einen veränderten Eindruck, schwer zu beschreiben, in welcher Art verändert. Beinahe so, als ob er gar nicht er selber, sondern gewissermaßen sein eigener Doppelgänger sei: wesenlos, schattenhaft und sonderbar eintönig in allen seinen Äußerungen. Sind wir vielleicht beide Tote? durchzuckt mich ein kurioser Gedanke. Wer weiß denn, daß es nicht viel anders ist als bei Lebenden! Um den Hals trägt er ein rotes Tuch, wie ich das noch nie früher bei ihm bemerkt habe.

Er wendet sich halb nach mir um und flüstert seltsam heiser:

 

"Es nähert sich an. – Fast schon sind wir hier in der Küche John Dees."

Mich befällt es kalt vor dieser fremden Stimme, die klingt, als pfeife sie mißtönig durch eine silberne Kanüle. Es ist wie das quälend anzuhörende Sprechen eines Kehlkopfkranken, bevor es mit ihm zu Ende geht.

 

Lipotin wiederholt mit spöttischer Zufriedenheit:

 

"Es nähert sich an"...

Ich höre nicht darauf. Verstehe nicht. Mich hält ein unbeschreibliches Entsetzen in Bann, und ohne zu überlegen, ohne meine eigenen Worte zu wissen, bevor ich sie fremd im Raume höre, stoße ich hervor:

 

 

"Sie sind ein Gespenst, Lipotin?"

Er dreht sich scharf um; seine Augen funkeln grünlich zu mir herüber. Er röchelt:

"Sie sind ein Gespenst, Verehrtester, soviel ich sehe. Ich, ich bin immer von derselben Wirklichkeit, die mir angemessen ist. Unter 'Gespenst' versteht man zumeist einen wiedergekehrten Toten oder einen Teil von ihm. Da jeder Lebendige nichts anderes als ein durch die Geburt wieder auf die Erde Zurückgekehrter, so ist also jeder solcher ein Gespenst. Oder? Durch den Tod geschieht nichts Wesentliches: leider nur durch die Geburt. Das ist das Malheur. – Aber wollen wir nicht von etwas Wichtigerem sprechen als von Leben oder Tod?"


 

"Sind Sie halsleidend, Lipotin? Seit wann?"

 

"Ach so; hm, das bedeutet..." – ein entsetzliches Hüsteln unterbricht seine Rede; dann fährt er fort, sichtlich erschöpft: "Das bedeutet wenig. Sie erinnern sich doch meiner Freunde in Tibet? Nun, dann wissen Sie auch, was ich Ihnen damals sagte!" – wieder macht er, wie damals vor der Friedhofspforte, die unverkennbare Bewegung mit der Hand über den Hals.

Das rote Halsstuch! – schießt es mir durch den Sinn.

 

 

"Wer hat Ihnen den Hals durchgeschnitten?" stottere ich.

"Wer sonst als der rote Metzgermeister? Ein rüchsichtsloser Fallott, das! Wollte mich im Auftrag seiner weitverzweigten Brotgeber umbringen. Hat aber im Rausch seines allzu gering bemessenen Denkvermögens vergessen, daß ich niemals Blut in den Adern gehabt habe. Hat sich darum vergebens, wenn auch nicht umsonst um Anerkennung bemüht. Hat mir lediglich einen Schönheitsfehler zugefügt. Pfffiii –" – trocken pfeift der Atem Lipotins durch die Kanüle und macht den Rest seiner Ansprache unverständlich. "Sie entschuldigen diesen Fehlgriff in der Melodie", sagt er, als er wieder zu Atem gekommen ist, und verneigt sich höflich gegen mich.

 

Ich bin unfähig zu antworten. Zu all dem ist mir, als sähe ich draußen hinter den blind angelaufenen Fensterscheiben das bleiche Antlitz der Fürstin hereinlauschen, und das eiskalte Entsetzen, das mich von hinten herauf beschleicht, will kaum der gewaltsamen aufgebotenen Ruhe und Besonnenheit meiner Nerven gehorchen. Rasch bitte ich Lipotin, in dem Sessel Platz zu nehmen, in dem ich sonst die Fürstin sitzen zu sehen gewohnt bin, und im stillen klammere ich mich an die lächerliche Hoffnung, daß der Besuch Assjas ausbleiben werde, wenn ihr Stuhl besetzt sei. Es scheint mir unmöglich, den Anblick von zwei Gespenstern zu gleicher Zeit auszuhalten zu können. Nur der Gedanke beruhigt mich ein wenig: also ich wenigstens bin nicht tot, sonst könnte ich nicht so genau unterscheiden, daß diese beiden da keine Lebendigen sind. – Aber Lipotin scheint zu erraten, was ich mir denke, denn er sagt unvermittelt:

"Können Sie wirklich nicht einsehen, Verehrtester, daß weder Sie noch so weit fortgeschritten sind, um zu wissen, ob wir gestorben sind oder nicht? Niemand in unserer Lage kann das wissen. Beweise dafür gibt es überhaupt nicht! – Daß wir die Umwelt sehen so wie früher, ist das ein Beweis? Es kann doch Einbildung sein! Woher wissen Sie, daß Sie in früheren Zeiten sich die gleiche Umwelt nicht auch eingebildet haben? Wissen Sie wirklich ganz genau, daß Sie und ich nicht ebenfalls im Automobil in Elsbethstein mitverunglückt sind, und daß Sie sich nur eingebildet haben, Sie hätten Ihre Braut im Friedhof bestattet? Könnte doch so sein! Oder? Was wissen wir, wer der Urheber einer Einbildung ist? Vielleicht ist die Einbildung der Urheber und der Mensch das Opfer! Nein, nein, das mit dem 'Leben nach dem Tod' ist ein wenig anders, als die sagen, die zwar nichts wissen, aber, wenn man ihnen widerspricht, es sogleich 'besser' wissen." –


 

 

Dabei zündet sich Lipotin rasch eine neue Zigarette an; heimlich beschiele ich seinen Hals von der Seite her, ob nicht Rauch durch das rote Halstuch dringen werde... Dann krächzt er wieder los:

 

 

"Eigentlich, Verehrtester, müßten Sie mit mir zufrieden sein! Das Übel, das ich mir zugezogen habe, ich denke, ich habe es in Ihren Diensten erworben! – Oder täusche ich mich, daß Sie mit dem Giftpulver der tibetanischen Menschenfreunde fertig geworden sind? Es wäre meine Ordenspflicht gewesen, dem vorzubeugen. Nun, wir haben eben beide Narben davongetragen, mein werter Gönner, die verdammt schlecht heilen. Die Ihrige sitzt zwar nicht am Hals, aber in dem Nervenzentrum, in dem der Gott des Schlafes wohnt. Das Ventil schließt nicht mehr recht, darum wissen Sie nicht, ob Sie tot sind oder nicht. Machen Sie sich nichts daraus: es ist nicht nur ein Defekt, sondern auch ein Loch ins Freie."

 

 

Ich habe mir ebenfalls eine Zigarette angezündet; es ist eine Wohltat, Tabak zwischen den Zähnen zu fühlen, wenn man das Fieber des Grauens meistern muß... Ich höre mich fragen:

 

"Sagen Sie doch unumwunden, Lipotin, ich bin ein Gespenst, oder nicht?"

Er legt den Kopf schief; seine schweren Augenlider fallen ihm fast zu; dann hebt er den Oberkörper wieder ruckartig:

 

"Ein Gespenst ist nur der nicht, der das ewige Leben hat. Haben Sie das ewige Leben? Nein, Sie haben nur, wie alle Menschen, das unendliche Leben; das ist doch ganz etwas anderes! – Aber fragen Sie mich lieber nicht Dinge, die Sie nicht verstehen können, bevor Sie sie nicht besitzen. Verstehen kann man nur etwas, was man bereits hat. Durch Fragen ist noch nie einer reich geworden. Das, worauf Sie abzielen, ist doch: Sie wollen wissen, wieso Sie mit Phantomen verkehren!" – dabei schielt er über die Schulter zum Fenster hin, machte eine im Kreis herumfahrende Armbewegung. Ein Luftzug entsteht davon, und eine Wolke von Staub erhebt sich aus den Papieren meines Schreibtisches und mit ihr ein uralt dumpfer Hauch, daß mir wird, als höre ich das Krächzen aufgescheuchter Krähen und das Knappen von eisgrauen Turmkäuzchen.

"Ja, es ist wahr, Lipotin", fahre ich auf, "Sie wissen es ohnehin: ich verkehre mit Gespenstern... das heißt: – ich sehe... hier... in diesem Stuhl, in dem Sie jetzt sitzen,... täglich sehe ich da eine Gestalt... ich sehe die Fürstin! – Sie kommt zu mir! Sie ist da, wann sie will... sie verfolgt mich mit ihren Augen, mit ihrem Leib, mit ihrem ganzen, ganzen unentrinnbaren Wesen. Sie wird mich einfangen, wie die tausend Spinnen hier die Stubenfliegen. – Helfen Sie, Lipotin! Helfen Sie mir, helfen Sie mir, daß ich nicht... daß ich nicht..."

 

 

Der Ausbruch, so plötzlich, wie er über mich gekommen ist, einem unvorhergeahnten, ungewollten Dammbruch gleich, erschüttert mich derart, daß ich neben Lipotins Stuhl am Schreibtisch niedersinke und den alten Antiquar mit tränenverdunkeltem Blick anstarre wie einen geheimnisvollen märchenmächtigen Zauberer.

Er hebt den linken Augendeckel sehr langsam und holt so tief Rauch in die Lunge, daß ich wieder die Kanüle pfeifen höre. Dann, während Rauchwellen unterm Sprechen sein Gesicht in Nebel hüllen, röchelt er leise:

"Ganz zu Ihren Diensten, Verehrtester, denn" – – sein unruhiger Blick streift mich, – – "denn Sie besitzen ja noch immer den Dolch! Oder?"

Rasch greife ich nach dem Tulakästchen auf meinem Schreibtisch und lasse die verborgene Feder aufschnappen.

"Aha, aha!" brummt Lipotin und grinst, – "schon gut; ich sehe, wie sorgsam Sie das Erbgut des Hoël Dhat zu bewahren trachten. Aber immerhin möchte ich raten: wählen Sie einen anderen Ruheplatz für dieses Familienkleinod! – Ist Ihnen denn nicht selber schon aufgefallen, daß dies Kästchen eine gewisse... sagen wir nicht: Verwandtschaft! – sagen wir bloß; eine gewisse Ähnlichkeit mit dem irdischen Kleid der von mir einst so hoch geschätzten Fürstin besitzt? Es empfiehlt sich nicht, die Symbole zu vermischen; es vermischen sich dadurch sehr leicht auch die Kräfte, die hinter ihnen stehen."

 

Ein Gewitter von halben Erkenntnissen wetterleuchtet mir durch die Seele. Ich reiße den Dolch aus dem Kästchen, als ob ich damit den Bann zerstören könnte, der mich seit Tagen, Wochen – oder Jahren? – gefangenhält. Aber Lipotin zieht die Stirne hoch auf eine Weise, daß mir im selben Augenblick der Mut wieder entsinkt, ihn, das Phantom, niederzustechen.

 

 

"Wir sind immer noch in den Anfängen der Magie, mein Gönner", spöttelt Lipotin und lacht dazu mühsam durch den Hals, obwohl wir sie vernachlässigen; nach Art der ungeübten Bergsteiger, die sich wohl tadellos ausstaffieren, aber die Wetterzeichen nicht beobachten; und inzwischen handelt es sich doch gar nicht um die Besiegung des Gipfels – damit quälen sich Asketen ab –, sondern um Überfliegung der Welt und... des Menschentums."

 

Da gebe ich alle meine versponnenen Heimlichkeiten und Sorgen preis und sage fest:

"Sie werden mir helfen, Lipotin, ich weiß es. Damit Sie es jetzt erfahren: ich habe nach Jane gerufen mit allen Kräften meiner Seele. Aber sie kommt nicht! Statt ihrer ist die Fürstin gekommen!"

"Es kommt in der Magie immer nur das", unterbricht Lipotin, "was uns am nächsten ist. Und das uns Nächste ist stets das, was in uns wohnt. Darum ist die Fürstin gekommen."

 

 

"Aber ich will sie nicht!"

"Hilft nichts! Sie wittert das Erotische in Ihnen und in Ihrem Ruf."

 

"Um Gottes willen, ich hasse sie doch!"

"Gerade damit geben Sie ihr Nahrung."

"Ich verfluche sie ein den untersten Abgrund der Hölle, der ihre Heimat ist! Ich verabscheue, ich würge, ich morde sie, wenn ich nur könnte, wenn ich nur wüßte, wie..."

"In diesem Feuer fühlt sie sich geliebt. Nicht ohne Grund, wie mir scheint."

 

"Sie glauben, Lipotin, ich könnte die Fürstin lieben?!"

"Sie hassen sie ja bereits. Ein hoher Grad von Magnetismus. Oder von Zuneigung, wie die Gelehrten übereinstimmend bezeugen."

 

"Jane!" schreie ich auf.

"Ein gefährlicher Anruf!" – unterbricht mich Lipotin warnend. "Die Fürstin wird ihn abfangen! Wissen Sie denn nicht, Verehrtester, daß die vitale Energie des Erotischen in Ihnen 'Jane' heißt? Ein netter Panzer aus Schießbaumwolle, in den Sie sich da gekleidet haben! Mag sein, er hält warm, aber ziemlich gefährlich ist er auch. Plötzlich kann er lichterloh brennen."

 

 

Ohnmacht flimmert mir vor Augen. Ich greife nach Lipotins Hand:

"Helfen Sie mir, alter Freund! Sie müssen mir helfen!"

Lipotin schielt nach dem Dolch, der zwischen uns auf dem Tisch liegt, und brummt zögernd:

"Ich glaube, ich werde müssen."

Ein unbestimmtes Gefühl des Mißtrauens zuckt durch mein Gehirn, und ich lege die Hand auf die Waffe vor mir. Ich ziehe sie zu mir heran und lasse sie nicht mehr aus den Augen. Lipotin scheint es nicht im geringsten zu beachten und zündet sich eine neue Zigarette an. Aus einer Dampfwolke röchelt er hervor:

"Haben Sie einige Kenntnisse von tibetischer Sexualmagie?"

"Ja, ein bißchen."

"Dann werden Sie vielleicht wissen, daß eine Verwandlung des menschlichen Geschlechtstriebs in eine magische Kraft durch eine asiatische Praxis, die man 'Vajroli Tantra' nennt, möglich ist!"

 

"Vajroli Tantra!" murmle ich vor mich hin. Ich erinnere mich, einmal in einem seltsamen Buche über etwas Derartiges gelesen zu haben; ich weiß nichts Genaues darüber, aber ein inneres Gefühl sagt mir, daß es sich um etwas Schauderhaftes, dem menschlichen Gefühl direkt Entgegenlaufendes handeln müsse. Um ein Geheimnis, das nicht umsonst streng von allen bewahrt wird, die darum wissen.

 

"Ein Austreibungsritus?" frage ich geistesabwesend.

Lipotin schüttelt langsam den Kopf:

"Das Geschlecht austreiben? Was bliebe da vom Menschen übrig? Nicht einmal die äußere Form eines Heiligen. Elemente kann man nicht vernichten! Auch ist es ganz zwecklos, die Fürstin vertreiben zu wollen."

 

"Lipotin, es ist ja gar nicht die Fürstin, muß ich manchmal denken. Es ist..."

Der gespenstische Antiquar meckert:

 

 

"Sie meinen: die pontische Isaïs ists?! Nicht übel! Nicht übel, wertester Freund und Gönner. Gar nicht so weit vom Ziel!"

"Ob pontische Isaïs oder Bartlett Greens schwarze Mutter aus dem schottischen Katzenblut, das gilt mir gleich! – Einmal ist sie ja auch als Lady Sissy zu dem gekommen, der ihr Opfer geworden ist."

 

"Sei dem, wie es sei", lenkt Lipotin ab; "was da vor Ihnen in diesem Lehnstuhl sitzt, den jetzt meine Wenigkeit einnimmt, – das ist mehr als ein Gespenst, mehr als eine lebendige Frau, mehr als eine sonst einst verehrte und nun seit Jahrhunderten vergessene Gottheit: es ist die Herrin des Blutes im Menschen, und wer sie besiegen will, der muß über das Blut hinaus sein!"

Unwillkürlich fasse ich mir mit der Hand an den Hals; deutlich fühle ich, wie die Schlagader stürmisch rast in Fieber, als ob sie mir mit Klopflauten etwas mitteilen wolle; – vielleicht ists ein wildes Frohlocken einer fremden Wesenheit in mir? Dabei blicke ich starr auf das scharlachrote Halstuch meines Gegenübers. Lipotin nickt mir verständnisvoll und freundlich zu.

 

"Sind Sie über das Blut hinaus?" flüstere ich.

 

Lipotin sinkt in sich zusammen, grau, uralt, hinfällig mit einemmal, und hüstelt mühsam:

 

 

"Über das Blut hinaus, Verehrtester, das ist beinahe dasselbe wie unter dem Blut hindurch. Über dem Leben und nie gelebt zu haben: sagen Sie selbst, wo ist da zuletzt der Unterschied? Es ist keiner, nicht wahr, – es ist keiner?"

Das klang wie ein Aufschrei, wie eine Frage aus kaum verhüllter Verzweiflung, wie Angst, die mit kalter Greisenfaust nach mir griff. – Aber, bevor ich diese unerwartete Frage mit Lipotins sonstiger Art zusammenzureimen vermag, streicht er sich schon durchs Haar, richtet sich in seinem Sessel wieder hoch, und sein unheimliches Lachen aus dem roten Halstuch hervor verwischt alsbald den seltsamen Eindruck in mir. – Er neigt sich zu mir herüber und keucht mit Nachdruck:

 

"Lassen Sie sich gesagt sein: im Reich der Isaïs und der Assja Chotokalungin ist man mitten im Leben des Blutes, aus dem es kein Entrinnen gibt, hier nicht und drüben nicht, weder bei dem werten Magister John Dee, noch bei John Roger, Esquire, noch auch bei – Ihnen, verehrter Gönner; richten Sie sich, bitte, danach."

 

 

"Und die Rettung?!" rufe ich und springe auf.

"Vajroli Tantra", antwortet mir, in Zigarettendampf gehüllt, ruhig mein Gast. Mir fällt auf, daß er jedesmal sein Gesicht auf diese Weise verbirgt, wenn er das Wort ausspricht.

 

"Was ist Vajroli Tantra?" frage ich brüsk.

"Die Gnostiker des Altertums haben es das 'Aufwärtsfließenmachen des Jordans' genannt. Was damit gemeint ist, können Sie leicht erraten. Aber es betrifft das nur die äußere Handlung, die obszön genug ist. Wenn Sie das dahinter verborgene Geheimnis nicht selber herausfinden können, bekommen Sie nur eine leere Nuß, falls ich es Ihnen mitzuteilen versuchen würde. – Die äußerliche Handlung ohne die innere ist eine Praktik der roten Magie; sie erzeugt nur ein Feuer, das man nicht löschen kann. Die Menschheit hat auch davon keine Ahnung; sie faselt nur bisweilen etwas von weißer und schwarzer Magie. Und das innere Geheimnis..." –

 

plötzlich, fast mitten im Satz geht die Rede Lipotins in ein rasches Gebet über, das, ohne Bedeutung hervorgestoßen, wie die Gebetsformel eines lamaistischen Mönches klingt. Es mutet mich an, als sprechen mit einemmal nicht Lipotin, sondern ein ferner Unsichtbarer aus seinem Halstuch hervor:

 

 

"Lösung des Verbundenen. Zusammenfügen des Getrennten durch Liebe. Liebe besiegt durch Haß. Haß besiegt durch Vorstellung. Vorstellung besiegt durch Wissen. Wissen besiegt durch Nichtmehrwissen: das ist der Stein der demantenen Leere."

Die Worte rauschten an mir vorüber; ich kann sie nicht haschen und nicht erfassen. Einen Augenblick ist mir, als lausche der Baphomet über mir. Ich senke das Haupt und will hören mit ihm, worauf er lauscht. Aber mein Ohr bleibt taub.

 

 

Als ich den Kopf wieder erhebe – mutlos –, da ist Lipotin aus meinem Zimmer verschwunden.

Ob er in Wirklichkeit bei mir gewesen ist?

 

 

Wieder ist "Zeit" vergangen, die ich nicht gemessen habe. Wohl habe ich alle meine Uhren aufgezogen, und ich höre sie emsig ticken, aber jede weist eine andere Stunde, denn ich wollte ihre Zeiger nicht richten, und es scheint mir für meinen seltsamen Seelenzustand ganz angemessen, daß jede mir eine andere Zeit zuteilt. – Tage und Nächte wechseln mir seit langem nur noch mit hell und dunkel, und daß ich geschlafen habe, weiß ich immer erst nach dem Aufwachen in irgendeinem Stuhl meiner Wohnung. Dann kann es ebensowohl sein, daß Nacht um mich her ist oder eine trübe, kalte Sonne durch die blinden Scheiben meiner Fenster hereintastet, die, anstatt Licht zu verbreiten, vielmehr die zahllosen bleichen Schatten in meinem Zimmer zu gespenstischem Leben ruft.

 

 

Ich weiß, es ist mir kein Beweis, ob ich lebe oder, wie es die Menschen nennen: gestorben bin, wenn ich jetzt niederschreibe, was ich vor kurzem erlebt habe mit dem Phantom "Lipotin", und doch tue ich es und will es weiter so halten. Vielleicht bilde ich mir nur ein, ich schriebe es auf Papier, und in Wirklichkeit ätze ich es nur ein in mein Gedächtnis. Worin besteht da im Grunde ein Unterschied?

 

Unergründlich ist der Begriff "Wirklichkeit", aber unergründlicher noch das "Ich". Wenn ich darüber nachdenke: was für ein Zustand meines Ichs war das, in dem ich mich befand in der Zeit, bevor Lipotin zu mir trat, angekündigt durch das Klingeln zweier Gassenjungen, so kann ich nur sagen: es war Bewußtlosigkeit! Und doch überschleicht mich jetzt das nicht wegzuschiebende Gefühl: Bewußtlosigkeit war es dennoch damals nicht! Ich kann mich nur nicht mehr erinnern, was es gewesen ist und was ich in jenem mir heute so urfremden Zustand erlebt habe. Wäre ich im Zustand des ewigen Lebens gewesen, wie hätte ich da aus der Ewigkeit in die Unendlichkeit des Lebens zurückkehren können? Nein, das ist unmöglich: Ewigkeit ist von Unendlichkeit getrennt, und keines kann über den Abgrund, der sie scheidet, hinüber und herüber fliegen. Vielleicht ist Jane in die Ewigkeit eingegangen und hört darum mein Rufen nicht! Ich rufe sie in der Unendlichkeit, und statt ihrer kommt: – Assja Chotokalungin!

 

 

Was war der Zustand, in dem ich mich befand? so frage ich mich wieder. Immer deutlicher scheint es mir: ich bin darin von jemand, der weit hinausgelangt ist über das Menschentum, unterrichtet worden in einem geheimen Wissen, für das mir irdische Worte fehlen, in Dingen und Geheimnissen und Mysterien, die mir dereinst vielleicht klar zu Bewußtsein kommen werden. Oh, hätte ich doch einen treuen Berater, wie einst mein Urahn John Dee, dessen Sein und Wesen ich geerbt habe, ihn in Gardener, seinem "Laboranten", besessen hat!

 

 

Lipotin ist nicht mehr wiedergekommen. Ich vermisse ihn auch nicht. Was er mir zu bringen hatte, das hat er mir gebracht, treulos und treu zugleich – ein sonderbarer Bote des Unbekannten!

Ich habe lange nachgedacht, was er mir geraten hat, und glaube dumpf zu ahnen, was das "Vajroli Tantra" in der Tiefe der Bedeutung besagt, aber wie finde ich den Weg, es in Praxis umzusetzen? Ich will mir Mühe geben, es herauszugrübeln, nur wollen mir die Worte Lipotins nicht aus dem Sinn, es sei unmöglich, fortzugehen aus dem Reich der Geschlechter...

Weiterschreiben will ich von Tag zu Tag, was mir zustößt, aber kein Datum darübersetzen. Was hätte es für einen Toten für einen Sinn, sich an ein Datum zu halten?! Was geht es mich an, welche Übereinkunft die Menschheit da draußen mit dem Kalender getroffen hat! Ich bin mir in meinem eigenen Hause zum Spuk geworden. – –

Neugier befällt mich und zugleich grenzenlose Müdigkeit. Sind es Vorboten, daß Assja Chotokalungin kommt?







Date: 2015-09-05; view: 276; Нарушение авторских прав



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