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Êàê ñäåëàòü ðàçãîâîð ïîëåçíûì è ïðèÿòíûì Êàê ñäåëàòü îáúåìíóþ çâåçäó ñâîèìè ðóêàìè Êàê ñäåëàòü òî, ÷òî äåëàòü íå õî÷åòñÿ? Êàê ñäåëàòü ïîãðåìóøêó Êàê ñäåëàòü òàê ÷òîáû æåíùèíû ñàìè çíàêîìèëèñü ñ âàìè Êàê ñäåëàòü èäåþ êîììåð÷åñêîé Êàê ñäåëàòü õîðîøóþ ðàñòÿæêó íîã? Êàê ñäåëàòü íàø ðàçóì çäîðîâûì? Êàê ñäåëàòü, ÷òîáû ëþäè îáìàíûâàëè ìåíüøå Âîïðîñ 4. Êàê ñäåëàòü òàê, ÷òîáû âàñ óâàæàëè è öåíèëè? Êàê ñäåëàòü ëó÷øå ñåáå è äðóãèì ëþäÿì Êàê ñäåëàòü ñâèäàíèå èíòåðåñíûì?


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Der silberne Schuh des Bartlett Green. In unsern vom ersten Morgenschein schwach erhellten Kerker trat, ganz allein, ein schwarzer Mann





 

"In unsern vom ersten Morgenschein schwach erhellten Kerker trat, ganz allein, ein schwarzer Mann, kaum von Mittelgröße und, trotz seiner Beleibtheit, von ungemein beweglichem Gang und Körper. Sofort fiel mir ein scharfer Geruch auf, der von dem rasch hin und her geworfenen, schwarzen Priesterrocke des Mannes ausging. Es roch in der tat nach Raubtier. Dieser Seelsorger mit rundem Gesicht und angenehm geröteten Wangen, – ein behagliches Weinfaß von einem Mönch, wie man hätte vermuten mögen, wäre nicht der eigentümlich starre, halb herrische, halb lauernde Blick seiner gelben Augen gewesen, – dieser Mann, ohne jede besondere Auszeichnung an seinem Gewand und ohne alle Begleitung – denn war sie vorhanden, so blieb sie jedenfalls unsichtbar – war, das wußte ich sofort, Seine Lordschaft, Sir Bonner, der Blutige Bischof von London, in Person. Bartlett Green hockte lautlos mir gegenüber. Seine langsam und ruhig rollenden Augäpfel verfolgten jede Bewegung des Besuchers mit Aufmerksamkeit. Indem ich darauf achtete, schwand seltsamerweise jede Furcht von mir und auch ich verharrte, dem Beispiel des gemarterten Rabenhäuptlings folgend, still auf meinem Sitz, als achtete ich nicht im geringsten auf unsern sachte auf und ab schreitenden Gast.

 

Dieser trat plötzlich mit scharfer Wendung auf Bartlett zu, stieß ihn leicht mit dem Fuß an und brüllte unvermittelt mit harter Kommandostimme:

"Aufstehen!"

Bartlett hob kaum die Augenbrauen. Sein schiefer Blick lachte zu dem Peiniger seines Leibes empor, wobei seine Stimme, aus breitem Brustkasten tief hervorgeholt, mit spöttisch nachahmendem Grollen erwiderte:

"Zu früh, Posaunenengel des Gerichts! Es ist noch nicht die Stunde der Auferstehung der Toten. Denn siehe, wir leben noch!"

 

"Das sehe ich mit Ekel, Scheusal der Hölle!" gab der Bischof mit merkwürdig sanfter, priesterlich wohlmeinender Stimme zur Antwort, was ebenso wunderlich gegen den Sinn seiner Worte, wie gegen den vorigen pantherhaft brüllenden Ansprung abstach.

Und in gleichem mildem Tone fuhr seine Lordschaft fort:

"Höre, Bartlett, die unerforschliche Barmherzigkeit hat unter ihren Ratschlüssen auch den Fall deiner Besinnung und – Beichte vorgesehen. Leg ein umfassendes Geständnis ab: und der Antritt deiner Höllenfahrt ins brennende Pech ist aufgeschoben, vielleicht – vermeidbar. Dir soll die Zeit der irdischen Reue mit nichten verkürzt sein."

 

Ein halbunterdrücktes, eigentümlich kollerndes Gelächter Bartlett Greens war die einzige Antwort. Ich sah, wie es dem Bischof durchbebte von zurückgehaltenem Grimm, aber er hatte sich wunderbar in der Gewalt. Er trat einen Schritt näher auf den jämmerlichen Klumpen Menschenfleisch zu, der da auf der faulen Schütte vor stillem Lachen zuckte, und fuhr fort:

 

"Auch sehe ich, Bartlett, daß ihr von guter Konstitution seid. Die Wahrheitserforschung durch die Folter hat Euch nur um ein weniges zu krümmen vermocht, wo Andere mit ihrer stinkenden Seele schon längst aus der Haut gefahren wären. Ist somit zu Gott zu hoffen, daß tüchtige Barbiere, ja selbst Ärzte, wo es not tut, Euch wieder zusammenzuflicken vermögen werden. – Trauet also meiner Gnade, wie meiner Strenge. Ihr seid noch zur Stunde aus diesem Loch, samt –" des Bischofs Stimme ging völlig in das vertrauliche, liebenswürdige Schnurren über – "samt Eurem Leidens- und Schicksalsgefährten hier, dem Junker Dee, Eurem trauten Freunde."

 

Es war hier das erstemal, daß der Bischof meiner achtete. Nun er mich so plötzlich beim Namen nannte, gab es mir einen Stich, gleich einem, der aus gleichgiltigem Traum in die Wirklichkeit aufschreckt. Denn es war mir eine Zeit her schier so gewesen, als schaute ich aus weiter Ferne einem Traumspiel oder possierlicher Komödie zu, so mich bei Leib und Leben das allergeringste nichts anginge. Nun aber war es aus damit und ich war so sanft wie grausam durch des Bischofs Anrede in die Zahl der Aktores in diesem peinlichen Schauspiel mit einbezogen. Wenn jetzt der Bartlett eingestand, daß er mich kannte, dann war ich verloren!

Kaum aber fand das jähe Entsetzen, das mich zur Besinnung meiner Lage brachte, die Zeit, mir das Blut vom Herzen in die stechenden Adern zu jagen, als der Bartlett mit unbeschreiblicher Fassung und Unerschütterlichkeit den Kopf gegen mich wandte und gröhlte:


"Ein Junker, hier bei mir auf der Streu?! – Dank für die Ehre, Bruder Bischof. – Dachte schon, einen Schneider habt Ihr mir zur Gesellschaft geben wollen, Einen, der in Eurer guten Schule lernen soll, wie ihm vor Angst die Seele zur Hosen hinausfährt?"

 

Diese beleidigende Rede Bartletts, da sie so unerwartet kam, traf mich jählings in meinem vormaligen Stolz, so daß mein Aufspringen, Abstandnehmen und Zorn recht natürlich und ächt zum Ausdruck kam, was dem starr beobachtenden Auge Bischof Bonners keineswegs entging. Gleich darauf erfaßte ich mit meinen geschärften Sinnen die Absicht des wackeren Bartlett und eine große und sichere Ruhe kam davon in mein Gemüt, also, daß ich hinfort trefflich in die Komödie einstimmte und dem Bartlett, wie dem Bischof, jedem auf die ihm zukommende Weise, in allerwege die Stange hielt.

 

Inzwischen verbarg Sir Bonner seine Enttäuschung über den schon zum andernmal fehlgeschlagenen Panthersprung auf seine beiden Opfer hinter einem gähnenden Geknurre, das in der Tat nicht übel an den greulichen Unmutslaut einer großen Katze gemahnte.

"Du willst also diesen da nicht kennen, nicht von Person und von Namen, mein guter Meister Bartlett?" – schmeichelte der Bischof nach seiner Art aufs neue. Aber Bartlett Green brummte nur unwirsch dagegen:

"Wollte, ich kennete den Hasenfuß, den Ihr mir da, naß aus den Windeln, ins Nest gelegt habt, Meister Kuckuck! Wär mir ums Leben recht, einen solchen greinenden jungen Hund vor meinen Augen durch Eure pechschwarze Himmelstür vorauszuspazieren zu sehen; bin aber darum nicht jeder Dreckseele von Junker Freund und Milchbruder, wie Euch, Gevatter Bonner!"

 

"Tu dein Lästermaul zu, verworfener Galgenvogel!" – schrie der Bischof mit einemmal los, denn mit seiner Fassung wars zu Ende. Auch klirrte es nun vor dem Eingang zum Kerkerloch bedenklich von Waffen. – "Holz und Pech ist zuwenig für dich, du Erstgeborener Beelzebubs! Dir soll ein Scheiterhaufen aus Schwefelbrot errichtet sein, daß dir ein Vorgeschmack werde auf die Freuden, die deiner in deines Vaters Hause harren!" – schrie der Bischof, dunkelrot im Gesicht vor knirschender Wut und fletschte, da ihm die Worte fast erstickten, die Zähne.

 

Aber Bartlett Green lachte gellend und schwang sich auf seinen haltlosen Gliedmaßen immer heftiger hin und her, daß mich bei dem Anblick das Grausen schüttelte.

 

"Bruder Bonner, du irrst!" blökte er von unten herauf. "Mit Schwefel ist da nichts getan, wie du hoffest, mein Liebling. Schwefelbäder sind für die Franzosen gut. Will darum nicht sagen, daß du eines solchen Gesundbrunnen unbedürftig seist, ho ho, – aber höre, mein Bürschchen, wo du wirst hocken, wenn deine Zeit erfüllt ist, da gilt Schwefelgeruch für Moschus und persinischen Balsam!"


 

 

"Gestehe, schweinsköpfiger Dämon", brüllte Bischof Bonner mit Löwenstimme dagegen, "daß dieser Junker John Dee hier dein Räuber- und Mordbruder ist, oder – – –"

"– oder?" echote der Bartlett Green höhnisch dawider.

"Die Daumenschrauben her!" – keuchte der Bischof, und Knechte, mit Gewappneten zusammen, drangen herein.

Da hob der verstümmelte Bartlett seine rechte Hand mit heulendem Gelächter gegen den Bischof auf, streckte den ausgespreizten Daumen tief zwischen seine gewaltigen Kiefer, bis sich mit einem einzigen malmenden Kinnladenschnapp das Daumenglied an der Wurzel ab und spie es mit erneutem Hohngelächter dem Bischof ins Gesicht, daß Blut und Geifer über des entsetzten Priesters Wange und Soutane spritzte. "Da!" – brüllte ein fürchterliches Gelächter hinterdrein, "da, schraub dir meinen Daumen in – – –" und jetzt sprudelte Bartlett mit so rascher Zunge eine solche Menge von unaussprechlichen Beschimpfungen und Verhöhnungen gegen den Bischof hervor, daß es unmöglich schiene, sie wiederzugeben, auch wenn davon meine Erinnerung nur einen kleinen Teil aufzubewahren imstande gewesen wäre. In der Hauptsache lief es aber darauf hinaus, daß Bartlett dem Bischof die greulichsten Versprechungen und Zusicherungen tat, wie er sich seiner von "drüben" her brüderlich annehmen wolle, wenn er, Bartlett, nur erst das jenseitige Land, das "Grüne" nannte er's, aus den Flammen des Scheiterhaufens hervor erflogen haben werde. Weder mit Pech noch mit Schwefel wolle er ihn dann zwacken und heimsuchen, o nein, mit Gutem wolle er Böses vergelten und ihm – seinem lieben Kinde – Teufelinnen senden von der wohlriechendsten und unwiderstehlichsten Art, daran ein Kaiser gern zum Franzosen werden möchte. Und höllensüß und höllenbitter sollte ihm so schon hienieden jede Stunde gewürzt sein, denn drüben –"

"– drüben, mein Büble," so etwa schloß der Bartlett seine ungeheuerliche Predigt, – "drüben, da wird du in deiner Hölle heulen und wehklagen und aus deinem Pfuhl emporstinken zu uns, den Fürsten vom schwarzen Stein, zu uns Gekrönten von der vollkommenen Schmerzlosigkeit!"

Unmöglich wärs, das Spiel des furchtbaren Gedanken, die Jagd der tobenden Leidenschaften, oder auch nur die Schatten des furchtbaren Grauens zu schildern, die während dieser Springflut von Schmähungen über Bischof Bonners breites Gesicht liefen. Der starke Mann stand wie angewurzelt; hinter ihm verkroch sich der Troß der Henkersknechte und Söldner in die dunkelsten Ecken, denn ein jeder von ihnen fürchtete in abergläubischer Angst den bösen Blick des weißen Birkenauges, daß ihnen davon ein Schaden zustieße, deswegen sie elend werden möchten auf Lebenszeit.


Endlich erraffte sich Sir Bonner und wischte sich langsam mit seinem seidenen Ärmel den Schweiß. Dann sagte er ganz ruhig, fast leise, aber mit heißer, belegter Stimme:

"Du lehrst mich keine neue Tonart des Bösen Feindes und Erzlügners, du Hexenbalg. Aber du mahnest mich, zu eilen, daß solch ein schierer Teufel von der Himmelssonne nicht länger beschienen werde."

 

 

"Geh eilends", entgegnete der Bartlett kurz und unwirsch: "geh mir von der Nase, Aasfresser, man muß die Luft räuchern, in der du geatmet hast!"

 

Der Bischof winkte mit herrischer Hand und die Knechte drangen herzu, den Bartlett zu greifen. Der aber kugelte sich bei ihrem Ansturm zusammen, wälzte sich hintüber auf seinen breiten Rücken und streckte ihnen zugleich mit seiner Kehrseite seinen entblößten Fuß entgegen, daß sie allesamt jäh zurückprallten. "Schaut her!" rief er, "da seht ihr den Silbernen Schuh, den mir die große Mutter Isaïs geschenkt hat. Solang ich ihn trage, was können mir Furcht oder Schmerz anhaben?! Ich bin entworden solchem Zwergengebreste!" – – – Mit Grauen sah ich, daß seinem Fuß die Zehen fehlten; der nackte Stummel sah aus wie ein plumper metallener Schuh: die silberne Lepra, der glitzernde Aussatz hatte ihn zerfressen. Bartlett war wie der Aussätzige in der Bibel, von dem geschrieben steht: weiß war er wie schimmernder Schnee. – – –

"Pest und Aussatz!" kreischten die Knechte, warfen Spieße und Handschellen von sich und entrannen in kopfloser Flucht durch das Türloch des Kerkers. Auch Sir Bonner stand, graugelb im Gesicht vor Entsetzen und Abscheu schwankend zwischen Stolz und Furcht, denn die silbergraue Lepra gilt selbst bei Kundigen und Gelehrten für ein greulich ansteckendes Unheil. Langsam wich der Bischof, der gekommen war, seine Gewalt und Wollust an uns elenden Gefangenen zu büßen, Schritt um Schritt vor dem vorwärts rutschenden Bartlett zurück, der immer, mit dem aussätzigen Fuß vorwärtsstoßend, unausdrückbare Hohnreden und Lästerungen gegen den Kirchenfürsten spie. Dem machte Sir Bonner mit nur geringer Tapferkeit ein Ende, indem er eilends zur Tür gewandt, hervorkeuchte:

"Noch heute soll diese Pest ausgebrannt sein, in siebenfachem Feuer. Du aber, Spießgeselle der untersten Hölle" – und diese Anrede galt mir – "sollst die Flammen schmecken, die uns von jenem Scheusal befreien, daß du dich fleißig prüfen mögest, ob sie deine verworfene Seele noch zu läutern imstande sind. Eine Gnade ist's dann, wenn wir dich dem Scheiterhaufen der Ketzer überantworten!"

 

Dies waren die letzten Segenswünsche für mich, die ich aus dem Munde des Blutigen Bischofs vernahm. Ich gestehe, daß sie mich in wenigen Augenblicken durch alle Abgründe und Folterhöllen der Angst und der entsetzensvollsten Vorstellungen jagten; denn, wenn man Sir Bonner nachsagt, daß er die Kunst verstehe, seine Opfer dreimal zu töten: das erstemal durch sein Lächeln, das anderemal durch seine Worte und das drittemal durch seine Henker, so muß wahr sein, daß er an mir die qualvollste Hinrichtung vollzogen hat, bevor das unbegreifliche Wunder meiner Rettung mir den dritten Tod von der Hand dieses Mannes ersparte. – – –

 

 

Kaum war ich mit Bartlett Green wieder allein, als dieser die eingetretene Stille mit seinem kollernden Gelächter unterbrach und fast gutmütig sich also zu mir wandte:

 

"Bruder Dee, laß dich laufen. Die Angst kribbelt dir wie tausend Flöhe und Zecken unter den Haaren, das sehe ich dir an. Aber, so wahr ich das Meine getan habe, dich herauszuhauen aus der Gemeinschaft mit mir – gut, ich sehe, daß du es anerkennst – nun; ebenso wahr ist, daß du aus dieser Falle noch einmal wirst heil hervorgehen, höchstens, daß dir meine Himmelfahrt ein wenig wird den Bart absengen. Das mußt du leiden wie ein Mann."

 

 

Ungläubig hob ich den müden Kopf, darinnen mirs allmählich schmerzhaft klopfte von aller der ausgestandenen Mühsal und Schreckung. Auch war mir mit einemmal wieder – wie es zu gehen pflegt, wenn ein Übermaß von Aufregungen und Widerwärtigkeiten die Seele erschöpft hat – schier gleichgültigen Sinnes und gleichsam aller Sorgen ledig zumute; dachte darum gar mit wohlgefälligem Lachen der feigen Angst des Bischofs und seiner Gesellen, da sie den "Silbernen Schuh" des Aussatzes an meinem Kerkergenossen wahrgenommen, und rückte nur desto trotziger im Geist recht dicht an den Gezeichneten heran.

Der Bartlett merkte das gar wohl und er grunzte auf eine recht sonderbare Art, wobei ich aus dem Ton doch, – mit der guten Witterung Eines, der gemeinsame Leiden gekostet hat, – entnahm, daß den wilden Burschen etwas überkam, das bei einem Menschen von himmelanderer Beschaffenheit vielleicht gar hätte als ein Tönlein menschlichen Rührens könnte gedeutet werden.

 

 

Langsam nestelte er am Lederwams, darinnen hemdlos seine haarige Brust stak, indessen er kurzerdings sagte:

"Rück auch guten Muts heran, Bruder Dee; die Gabe meiner freundlichen Herrin ist von der Art, daß sie sich ein jeder selbst verdienen muß. Ich kann sie dir nicht vererben, ob ich auch möchte."

Wieder kollerte sein halbverschlucktes Gelächter hervor, daß es mich kalt überlief. Alsbald aber fuhr er fort:

"Und so auch tat ich wohl das Meine, um dem Pfaffen die Lust an der Aufdeckung unserer Gemeinschaft zu versalzen; aber ich tats nicht aus Liebe zu dir, mein guter Geselle, sondern, weil ich mußte, aus dem, was ich weiß und nicht ändern kann. – Denn du, Junker Dee, bis der königliche Jüngling dieser Zeit und verheißen ist dir die Kröne im Grünen Land und die Herrin der Drei Reiche harrt deiner."

Es durchschlug mich mit Blitzesgewalt, als ich diese Worte aus dem Munde des Straßenräubers vernahm, und nur mit Mühe bewahrte ich die Fassung. Rasch aber füge ich in Gedanken Mögliches zu Wahrscheinlichem und glaubte, mit einem Schlag die Verbindung des Bartlett, als eines geborenen Landstreichers und Schwarzkünstlers, mit der Hexe aus dem Moorwald von Uxbridge, oder auch mit dem Mascee, zu durchschauen.

Als habe der Bartlett meine Gedanken erraten, fuhr er fort:

"Die Schwester Zeire von Uxbridge kenne ich wohl und auch den Magister des Moskowitischen Zaren. Hüt dich! Er ist ein Gelegenheitsmacher; du aber, Bruder, sollst mit deinem wissenden Willen herrschen! Die rote und die weiße Kugel, die du in deinem Haus aus dem Fenster geschmissen – – –"

Ich lachte trotzig:

"Hast gute Kundschaft, Bartlett, so ist also der Mascee auch vom Fähnlein der Rabenhäupter?"

"Ob ich sage: 'du irrst', oder ob ich sage: 'kann sein', das macht dich nicht klüger. Ich sage dir aber – –- –" und nun nannte mir der Straßenräuber bei der Stunde und Minute all mein Tun in der Nacht, da mich des Bischofs Häscher fanden und griffen, und nannte mir Ort und Art des Verstecks, darin ich allerlei geheimes Geschreibsel, Stück um Stück bei allergrößter Vorsicht und Heimlichkeit getan hatte, also, daß ich es selbst hier dem Tagebuch nicht mag anvertrauen. Und wies mir das alles mit Lachen so genau, als sei er ich selbsten oder als Geist bei allem mit dabei gewesen, was ich getan, so ein Mensch auf Erden gar keine andere Weise wissen noch auskundschaften mag.

 

War also meines Erstaunens und auch meines heimlichen Grauens vor dem verstümmelten Rabenhäuptling und armen Sünder, so doch über die seltsamsten Gaben, Künste und Kräfte mit Lachen gebot, nicht länger mehr Herr, sondern starrte ihm nur wortlos ins Gesicht und stammelte: "Der du den Schmerz nicht kennst und den äußersten Qualen des Leibes obsiegst, – der du, nach deinen Worten, die mächtige Hilfe deiner Herrin und Abgöttin, der schwarzen Isaïs, zur Seite hast und alles, auch das Verborgenste zu schauen vermagst –: was liegst du da dann hier, elend in Banden und mit zerrissenen Gliedmaßen, gar bald ein Fraß der Flammen, – und gehest nicht heil hinaus aus diesen Mauern durch Wunderkraft?!"

 

 

Inmittels hatte der Bartlett von seiner Brust einen kleinen ledernen Beutel abgenestelt, den er nun in loser Hand hielt und wie ein Pendel vor meinem Gesicht hin und her schwingen ließ. Dazu sprach er mit Lachen:

"Sagt ich dir nicht, Bruder Dee, daß meine Zeit um ist nach unserm Gesetz? Ich habe die Katzen ins Feuer geweiht, so muß ich mich selbst nicht anders dem Feuer weihen, weil heute der dreiundreißigste Jahrestag meines Lebens anhebt. Heute bin ich noch der Bartlett Green, den sie auf dieser erbärmlichen Streu zwacken, reißen und brennen mögen, und spreche als einer Hure und eines Pfaffen Sohn zu dir; aber morgen ist das abgetan und des Menschen Sohn ist Bräutigam im Hause der großen Mutter. Dann ist die Zeit meiner Herrschaft gekommen – und ihr alle zusammen, Bruder Dee, werdet schon zu spüren bekommen, wie ich regiere im Ewigen Leben! – – – Damit du aber gedenkest dieser Worte von mir allezeit und meine Straße findest, nimm hier meinen irdischen Reichtum zum Erbe und – – –"

Absichtliche Zerstörungen des Textes im Tagebuch unterbrechen wieder den Zusammenhang. Es sieht so aus, als stamme diese Textvernichtung von John Dees eigener Hand. Welcher Art aber das Geschenk des Bartlett Green an Junker Dee war, das geht deutlich aus den ersten Sätzen des wieder wohlerhaltenen Tagebuchs hervor.

(Brandfleck) – – – daß also gegen die vierte Stunde des Nachmittags alle Vorbereitungen, so sich des Blutigen Bischofs Rachephantasie nur ausdenken mochte, getroffen waren.

 

Da sie nun den Bartlett Green abgeholt hatten und ich, John Dee, schon über eine halbe Stunde allein im Kerker saß, nahm ich zu wiederholten Malen die unscheinbare Gabe hervor und betrachtete das faustgroße, nach der Form eines Oktaëders ziemlich gut und regelmäßig geglättete Stücklein schwarzer Steinkohle genau, ob nicht nach Weisung und Zusage des schwarzkünstlerischen Vorbesitzers, des Bartlett, auf den glänzenden Flächen etwa ein Bild gegenwärtiger Geschehnisse an entfernten Orten, oder gar die Darstellung künftiger Begebenheiten meines Schicksals möchte sichtbar, als wie in einem Spiegel, hervortreten. Geschah aber nichts dergleichen, – wie zu vermuten, wegen der unruhigen Trübung meines Gemüts, wie solche der Bartlett selbst als diesem Fürnehmen durchaus zuwider und verwerflich genannt hatte.

Endlich ließ mich ein Geräusch an den Riegeln meines Kerkers aufhorchen und rasch barg ich die geheimnisvolle Kohle in des Bartletts altem Lederbeutel und diesen im innersten Futter meines Wamses.

Alsbald trat eine Eskorte schwerbewaffneter Knechte des Bischofs herein und ich dachte im ersten Schrecken nicht anders, als daß sie mich holen wollten zum Tode, kurzerhand und ohne Gericht. Es war aber anders beschlossen und ich sollte nur, zur bessern Vorbereitung und Lockerung meiner verstockten Seele, vor den Scheiterhaufen geführt werden so nahe, daß es mir die Haare dürfe sengen und ich den Bartlett Green brennen sehen. Wohl möglich, daß der Satan dem Bischof eingab, solches sei ein Mittel, um bei Sterbenot des Bartlett und zu schauender Angstverwirrung meiner selbst, selbigem oder mir noch ein Eingeständnis unserer Kumpanschaft abzupressen oder sonst einen Verrat zu erzielen. War aber auf falsche Rechnung gewettet. Ich mag nicht mit vielen Worten niederschreiben, was mir ohnedem für alle Zeit meines Lebens unauslöschbar als ein Brandmal in die Erinnerung meiner Seele eingegraben ist. Will mich darum kurz fassen und nur vermerken, daß Bischof Bonner ganz anders von Bartlett Greens Verbrennung auszukosten bekam, als er sich zuvor wohl in der Lüsternheit seiner grausamen Neugier ausgedacht hatte.

 

Es betrat nämlich zur fünften Stunde der Bartlett den Scheiterhaufen so behende, als stiege er in das tatsächliche Brautbett, und es kommen mir mit solcher Wendung meiner Feder des Bartletts eigene Worte wieder zu Sinn, da er zu mir sagte, er hoffe noch heute der Bräutigam seiner großen Mutter zu sein, mit welcher lästerlichen Rede er ohne allen Zweifel die Heimkehr zu seiner schwarzen Mutter Isaïs vermeinte.

Und nachdem er das Gerüst erklommen, rief er laut lachend dem Bischof zu: "Habet wohl acht, Herr Pfaff, wenn ich nun anstimme das Lied der Heimfahrt, daß Ihr Eure Glatze wahret, ansonsten ich Euch mit einem Tropfen Pech und feurigem Schwefel zu beträufeln willens bin, davon Euch das Hirn brenne bis zu Eurer eigenen Höllenreise!"

 

Es war aber in der Tat der Scheiterhaufen mit Tücke und ausgeklügelter Grausamkeit aufgerichtet so unerhört als nie zuvor, und, wolle Gott, nie wieder ein solcher war noch sein wird in dieser jammervollen Welt. Nämlich es war auf dem Stoß von feuchtem, schlechtbrennenden Kiefernholz eine Stange errichtet, daran sie den Bartlett festbanden mit eisernen Klammern. Dieser Marterbaum aber war umwunden mit Schwefelfaden bis oben und hing ob dem Haupte des armen Sünders ein Pech- und Schwefelkranz von sehr ansehnlicher Dicke.

Als nun der Henker die Fackel allerorten in das Holz stieß, brannte zuerst lichterloh, gleich einer Lunte, der Schwefelfaden und leitete die öligen Flammen zuerst hinauf in die Kränze zu den Häuptern des Delinquenten, so daß ein langsamer Regen von brennendem Schwefel und Pech auf diesen hernieder zu träufeln begann.

Aber es war alles trotz des grauenerregenden Anblicks, als sei es nur ein erquickender Frühlingsregen und Manna für den wunderbaren Mann an dem Pfahl. Viele schändende und ätzende Scherzreden führte er unterweilen gegen den Bischof, so daß dieser auf seinem Sammetstuhl bald viel eher wie am Pranger saß, als sein Opfer auf dem Scheiterhaufen. Und hätte Sir Bonner mit guter Art von dem Orte seiner öffentlichen Sündenansage, die sein Geheimstes wußte und nicht schonte, weichen können, er hätte es mit tausend Freuden getan und gerne auf die Wollust an dieser Hinrichtung verzichtet! So aber schien er unter einem unbegreiflichen Bann zu stehen und es blieb ihm nichts anderes übrig, als schweigend in die Qualen der Wut und der Scham zu beten und schäumenden Mundes Befehl über Befehl an seine Knechte zu geben, daß sie nun mit allen Mitteln das Werk beschleunigten, so er zuvor auf das Schrecklichste hinauszuzögern gedacht hatte. Es war jedoch wunderbar zu sehen, wie keines von den Geschossen, die zuletzt hageldicht auf den Bartlett gesandt wurden, ihn zum Verstummen brachten, als sei er fest und gefeit an seinem ganzen Leibe. Endlich brachte trocken aufgeschüttetes Holz und Reisigwerk, mit viel Werg untermischt, den Holzstoß zum Auflodern und der Bartlett verschwand in Flammen und Rauch. Da aber begann er zu singen, dröhnend und jubelnd, wie kaum im Kerker zuvor, als er sich an der Mauer gewiegt hatte, und ins Geprassel des Holzes klang schauerlich und fröhlich zugleich sein wildes Lied:

 

"Hoë ho! Der Starmatz vom Ast
Nach der Mauser im Mai.
Hoë ho!
Wir singen und schwingen vom obersten Mast: Hij, Mutter Isaï!
Hoë ho!"

 

Es war totenstill auf dem Richtplatz ringsum und die Angst und das Entsetzen kroch den Henkern und Knechten und Richtern, Pfaffen und Herren, über alle Glieder und zum Halse heraus, daß es schier lächerlich anzuschauen war. Vor allen Andern aber saß Seine Lordschaft, der Bischof Bonner, als wie ein graues Gespenst in seinem Stuhl, dessen Lehnen seine Hände wie erstarrt umkrampft hielten. Stieren Auges sah er in die Flammen. Als dann der letzte Ton des Liedes verklungen war im Munde des brennenden Bartlett Green, da sah ich den Bischof mit einem Schrei auftaumeln wie einen Gerichteten. Mochte nun ein Windstoß in den Scheiterhaufen gefahren sein, oder waren dämonische Mächte in Wahrheit gegenwärtig und am Werk: es hob sich mit einemmal vom obersten Scheiterhaufen ein Geflock von Flammen, gleich rotgelben Zungen, und flatterte, stob und wirbelte schräg aufwärts in den Abendhimmel just in die Richtung des bischöflichen Thronsitzes und über das Haupt Sir Bonners hinweg. Ob dieses Haupt dabei von einem der höllischen Schwefeltropfen berührt und versengt wurde, wie der Bartlett noch kurz vorher prophezeit hatte, kann ich nicht sagen. Es wäre aber aus dem angstverzerrten Gesicht des Blutigen Bischofs fast zu schließen gewesen, und ob er nicht laut aufgeschrien hat, war nur nicht in dem Getümmel der Menschen und Waffen zu hören, das den stinkenden Hof erfüllte.

Zum letzten sei auch noch dies um der Treue willen meiner Nachschrift gesagt, daß mir, als ich wieder zur Besinnung meiner selber kam, eine Schläfenlocke, abgesengt von meinem eigenen Haupte, zu Füßen fiel, als ich mir die Verwirrung jener Stunde mit der Hand gleichsam von der Stirn streifen wollte. Die auf die schrecklichen Erlebnisse dieses Tages folgende Nacht verbrachte ich in meinem einsamen Kerker unter den merkwürdigsten Umständen, davon ich nur einiges meinem Buche anvertrauen kann; was aber umsoweniger besagen will, als mir jene Nacht gewiß ebenso unvergeßlich bleiben wird, als wie alles, was mir in des Blutigen Bischofs Gefängnis zu London zustieß.

Den Abend und den ersten Teil der Nacht verbrachte ich in fortwährender Erwartung neuer Untersuchung, wenn nicht gar der Folter durch das Gericht Bischof Bonners. Ich gestehe, daß meine Zuversicht wegen der prophetischen Worte des Bartlett nur gering war, trotzdem ich immer wieder nach seiner schwarzen Kohle griff, um zu versuchen, auf den polierten Flächen des unscheinbaren Minerals ein Bild meiner Zukunft zu erspähen. Es war aber dazu sehr bald zu dunkel in dem Kerkerloch geworden; und wie in der vorigen Nacht, so hielten es auch in dieser die Gefängnisknechte nicht für nötig – oder folgten gar ausdrücklichem Verbot – mir ein Licht in die Zelle zu geben.

Nachdem ich so, ich weiß nicht, wie lange in die Nacht hinein, gesessen, mein und des Bartletts Schicksal überdacht und dabei mehrmals seufzend den Straßenräuber beneidet hatte, der nun jedenfalls aller weitern Not und Bande entrückt schien, verfiel ich wohl gegen Mitternacht in den bleiernen Halbschlaf der Erschöpfung.

Da schien es mir, als öffnete sich auf eine ganz unerklärliche Weise die schwere Eisentür zu meinem Kerkerloch und der Bartlett Green träte herein ohne alle Umstände und besondere Vorkehrung, und zwar gesund, aufrecht und schier gewaltig anzuschauen von Körperbau, recht fröhlich und strotzend an allen seinen Sinnen, darob mich höchstes Staunen befiel, zumal ich freilich, als ob ich zugleich wach wäre, nicht einen Augenblick außer acht hatte, daß er vor einigen Stunden war gerichtet und verbrannt worden. Sagte ihm solches auch alsbald in ruhigem Tone und frug ihn im Namen der Dreifaltigkeit, ob er sich als ein Gespenst bekenne, oder als Bartlett Green in eigener Person, wenn auch auf nicht auszudrückende Weise hereinversetzt aus einer andern Welt.

Wozu der Bartlett in seiner gewohnten Weise aus tiefster Brust hervor lachte und erwiderte: daß er allerdings kein Gespenst, sondern der gesunde und vollkommene Bartlett Green sei und auch aus keiner andern Welt komme, sondern aus dieser gegenwärtigen, die er nunmehr von ihrer Kehrseite her bewohne, da ja kein "Jenseits" sei, sondern überall im Leben nur diese einige Welt, obschon sie mehrere, ja unzählige Ansichten oder Durchdringungen habe, davon die Seine nun freilich um ein Weniges verschieden sei von der Meinigen.

Sind dies aber nur gestammelte Hinterdreinreden, mit denen ich auf keine Weise die große Klarheit, Einfachheit, ja Selbstverständlichkeit zu beschreiben vermag, die ich in jenen Augenblicken einer halbschlafenden Geistesgewandtheit zu besitzen vermeinte, denn die Einsicht in die Wahrheit von dem, was der Bartlett da zu mir sprach, war wie in eine sonnenhafte Helle getaucht, so daß die Geheimnisse des Raums, der Zeit und des Seins aller Dinge ganz durchsichtig und offen vor meinem Geiste lagen. Der Bartlett tat mir in dieser Stunde sehr großes Wissen meiner Selbst und meiner Zukunft kund, daß alles bei mir wohlverwahrt und bis ins Kleinste unvergessen ist.

 

Und mochte ich in jener Nacht auch noch zweifeln und wähnen, es möchte mich ein Irrtraum necken, so bin ich schon in so vielem, durch das wunderbarste und gleichsam verstandeswidrigste Eintreffen seiner Prophezeiungen, belehrt, daß es umgekehrt bald nur töricht von mir wäre, dem heute noch Künftigen minder zu vertrauen. Ist mir dabei nur Eines wunderlich: was der Bartlett wohl Grund gehabt haben möchte, so treulich meiner zu gedenken und mich gleichsam unter seine wohltätige Führung zu nehmen, sintemalen er mir bis dato in nichts und auf keinerlei Weise Unrechtes zugemutet oder den höllischen Verführer hervorgekehrt hat, denn da wäre ich Manns genug, ihm allestund ein kräftiges und wirksames " apage Satanas " zuzurufen, daß ihn die Hölle verschlucken müßte unverweilt, in die mich zu ziehen er sich vermessen möchte.

Sein Weg ist in alle Ewigkeit nicht mein Weg; und so ich je merke, daß er es nicht im Guten mit mir vorhat, ist ihm allezeit der Daumen gewiesen! –

Auf dringliches Befragen eröffnete mir damals in der Nacht der Bartlett, daß ich noch am Morgen des folgenden Tages frei sein werde. Und als ich ihn, völlig ungläubig um dieser nach allen Umständen zu urteilen, unmöglichen Behauptung willen, dringender befrug und ihm gleichzeitig beweisen wollte, daß er das Widersinnigste und Allerunwahrscheinlichste verspreche, kollerte sein Lachen so unheimlich, als nur je in seinem Leben aus ihm hervor und er sagte:

"Bruder Dee, du bist ein Narr. Siehest in die Sonne und leugnest das Auge! – Da du aber ein Anfänger in der Kunst bist, so gilt dir vielleicht ein Stück Erde mehr, als ein lebendiges Wort. Nimm darum, wenn du erwacht bist, mein Geschenk und schaue, was dein Gewissen nicht erfliegt."

 

Unsäglich wichtige Weisungen wegen der Eroberung Grönlands und wegen der Dringlichkeit und kaum abzusehenden Bedeutung dieses Unternehmens für mein ganzes künftiges Schicksal machten den Hauptteil seiner obigen Belehrungen aus. Es sei denn auch nicht verschwiegen, daß Bartlett Green bei seinen späteren Besuchen – und er besucht mich nun öfters – immer wieder mit großer Treue und Festigkeit mir diesen Weg, mein höchstes und heißerstrebtes Ziel zu erlangen, gewiesen hat, denn es sei mir die Krone gewiß über Grönland zuvörderst; und ich fange an, den Wink zu verstehen! – –

Danach erwachte ich und der abnehmende Mond stand hoch und hell am Himmel, so daß ein weißblaues Lichtquadrat von dem schmalen Fenster herab mir zu Füßen fiel. In diesem Lichtbalken des Mondes trat ich nun, holte mit großer Begier den Kohlekristall hervor und hielt eine seiner dunkelspiegelnden Flächen gegen den Schein des Gestirnes. Die Reflexe gingen davon bläulich, schier schwarzviolett aus, und längere Zeit vermochte ich außer dieser Beobachtung nichts weiter darauf zu entdecken. Aber zugleich wuchs eine wunderbare, körperhaft spürbare Ruhe in mir empor und der schwarze Kristall in meiner Hand hörte auf zu beben, denn meine Finger wurden fest und sicher wie alles an mir.

Da fing das Mondlicht auf dem Kohlenspiegel an zu irisieren; es hoben sich milchig opalene Wolkenschleier darauf und glätteten sich wieder. Endlich trat lichtscharf eine bilderartige Kontur aus der Spiegelfläche hervor, zuerst ganz winzig klein, als wie das Spiel von Gnomen in klarem Mondschein, gleichsam durch ein Guckloch belauscht. Bald aber schienen die Bilder zu wachsen in die Breite wie in die Ferne, und das Geschaute wurde – raumlos, aber dennoch so leibhaftig, als sei ich selbst mitten darunter gewesen. Und ich sah – – – (Brandfleck)

 

Zum andern Male findet sich hier im Diarium eine sehr sorgfältig vorgenommene Löschung des Textes von übrigens nicht allzu großem Umfang. Soweit ich urteilen kann, hat wiederum meines Urahns eigene Hand die Stelle unleserlich gemacht. Es scheint ihm bald, nachdem er sie niedergeschrieben, der Gedanke gekommen zu sein, nicht vor unerwünschten Lesern ein Geheimnis preiszugeben, das ihn nach seinen Erlebnissen im Tower gefährlich dünken mußte. Es findet sich aber an dieser Stelle des Tagebuchs ein Brieffragment eingelegt. Offenbar hat es mein Vetter Roger von irgendwoher beigebracht und im Laufe seiner eigenen Vorstudien hier eingefügt, denn der Brief trägt den entsprechenden Vermerk von seiner Hand:

"Einziger Rest einer Urkunde zum Geheimnis von John Dees Befreiung aus dem Tower."

 

Der Adressat dieses Briefes ist aus dem gegenwärtigen Zustande des Fragments nicht mehr zu erschließen, was übrigens gleichgültig ist, denn der Einblick in John Dees Leben wird durch das Brieffragment nur noch klarer. Es zeigt sich darin, daß durch Prinzessin Elisabeths Eingreifen John Dee aus der Haft befreit wurde.

Ich setze vollinhaltlich das Brieffragment hierher:

"– – – bestimmt mich (John Dee), daß ich Euch, als dem einzigen Menschen auf Erden, dies Geheimnis offenbare, das zugleich das stolzeste und gefährlichste in meinem Leben ist. Und wenn nichts anderes, so mag dieses mich rechtfertigen in allem, was ich tat und noch tun werde zur Ehre und zum zeitlichen Ruhm unserer allergnädigsten Herrin, der jungfräulichen Majestät Elizabeths, meiner großen Königin.

Also in kürzester Kürze:

Da die königliche Princessin durch gewisse Kundschaft von meiner verzweifelten Lage Kenntnis bekommen hatte, ließ sie insgeheim – mit dem Mut und der Umsicht, wie keinem Kinde ihres Alters sonst wohl zuzutrauen – unseren gemeinsamen Freund Leicester vor sich kommen und befrug ihn auf Ritterwort um seinen Mut, seine Liebe und Treue zu mir. Da sie ihn vollkommen bereit und entschlossen fand, sich, falls es not tue, selber zu opfern, schritt sie mit unerhörtem Mute zu meiner Rettung. Und ich möchte nur, als wie zur Minderung meiner eigenen, sonst den Untergrund nicht mehr findenden Bewunderung, eher annehmen, als daß ich es könnte beglaubigt finden: daß ein die Gefahr nicht abschätzender, völlig kindlicher Übermut, ja die Tollheit ihres Wesens, von der sie manchmal ergriffen worden ist, sie dazu angetrieben hatte, das zu tun, was gleichermaßen unmöglich und doch die einzige Möglichkeit zu meiner Rettung schien:

Sie stahl sich bei Nacht mit Hilfe ächter und falscher Schlüssel – der Himmel weiß, wer sie in ihre Hände gespielt hat! – in die Staatskanzlei König Edwards, der eben in jenen Tagen mit dem Bischof Bonner in besonderer Freundschaft und Zusammenarbeit steckte.

 

Sie fand und öffnete die Kassette, darinnen des Königs eigene, mit besonderen Zeichen gewässerte Dokumentpapiere lagen, und schrieb mit kühn die Schriftzüge des Königs nachahmender Hand den Befehl meiner sofortigen Freilassung und siegelte mit Sorgfalt das Schreiben mit Edwards unbegreiflich entdecktem, fast immer sorgfältig verschlossen gehaltenem Privatsiegel.

 

 

Sie muß das alles mit so bewunderungswürdiger Umsicht, Klugheit und Kühnheit zugleich ausgeführt haben, daß an dem Dokument nicht der geringste Zweifel sich stoßen konnte, – ja, daß König Edward selbst, als er später das Handschreiben zu Augen bekam, dermaßen betroffen war von diesem gleichsam magisch entstandenen Erzeugnis seiner Feder, – von dem er doch nicht das geringste wußte – daß er stumm das Dokument als sein eigenes hinnahm. Mag auch zweifelhaft sein, ob er die Fälschung durchschaute, aber sie dennoch stillschweigend duldete, nur um nicht bekennen zu müssen, es sei dergleichen Zauberspuk oder ungeheuerliche Frechheit in der nächsten Nähe seiner Person denkbar und zugelassen gewesen, – kurz, den nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang polterte in Bischof Bonners Kanzlei Robert Dudley – der spätere Earl of Leicester – und überbrachte den eiligen Brief, indem er darauf bestand, die Antwort auf den erhaltenen Befehl samt dem Gefangenen selbst aus den Händen des geistlichen Gerichts entgegen zu nehmen. Und es gelang! –

Nie erfuhr ich, oder sonst ein Mensch, was in dem angeblichen Handschreiben König Edwards, – erdacht und verfaßt von einem sechzehnjährigen Kinde! – gestanden hat. – Ich weiß aber, daß der Blutige Bischof, farblos und mit bebenden Gliedern, seinen Leibwächtern vor Dudleys, als dem Gesandten des Königs, Augen Befehl gab, mich auszuliefern. – Dies ist alles, was ich Euch, wertester Freund, anvertrauen darf. Und Ihr möget aus dem nur mit Zögern Euch Mitgeteiltem erkennen, was es für eine Bewandtnis hat mit jener 'ewigen Verbundenheit', von der ich Euch mit Bezug auf unsere allergnädigste und allererhabenste Königin schon zu mehreren Malen gesprochen habe –"

Hier ist das Brieffragment zu Ende.

Im Diarium John Dees hinter den unleserlich gemachten Sätzen stehen noch diese Worte:

 

Bin also in genauester Erfüllung der Prophezeiung des Bartlett Green noch am selbigen Morgen ohne Form und Verzug aus meiner beschwerlichen Lage befreit und von meinem Jugendfreund und old boy Leicester aus dem Tower fortgeführt worden an einen sichern Ort, woselbst es dem Herrn Bischof Bonner sogar schwer geworden wäre, mich zu vermuten oder gar abzuholen, sofern ihm solches etwa nochmals hätte beifallen mögen, indem ihn seine erste Nachgiebigkeit in Ansehung meiner Person vielleicht bei kurzem wieder hätte reuen sollen. Will dazu keine Kommentarien weiter aufstellen und nicht versuchen, die wunderbaren Wege Gottes vorwitzig auf Niet und Nagel zu erklären und secundam rationem auszuweisen. – Merke nur so viel an, daß zu dem überaus merkwürdigen und schier unglaublichen Mut und Geschick meiner Retter, nächst Gottes sichtlichem Beistand, die Seelenverfassung Bischof Bonners nach der Verbrennung des Bartlett Green hinzukam. Es ist mir nämlich von dem Kaplan Sir Bonners über gleichgültige Umwege zugetragen worden, daß der Bischof in selbiger Nacht kein Auge zugetan, sondern anfangs in ruheloser Verwirrung des Gemütes in seinem Kabinett stundenlang auf- und niedergegangen, danach aber in ganz seltsame Delirien verfallen sei, in denen er anscheinend das unbeschreiblichste Entsetzen erlitten habe. Er habe da gleichsam einen unsichtbaren Besucher mit zuweilen fast verzagender, unverständlicher Rede angesprochen und einen stundenlangen, schauerlichen Kampf mit allerlei eingebildeten Dämonen geführt, endlich auf einmal laut geschrieen: "ich bekenne, daß ich deiner nicht mächtig bin und ich bekenne, daß mich Feuer verzehrt – Feuer – Feuer!"; worauf ihn der hereinstürzende Kaplan ohnmächtig auf seinem Lager gefunden. Will aber mehreren Gerüchten hier nicht Raum geben, die hierüber noch zu mir drangen. Was ich da erfuhr, ist so grauenhaft, daß ich glaube, ich verlöre das Bewußtsein in seelischem Entsetzen, wollte ich auch nur mich aufraffen, es zu Papier zu bringen.

Damit schließt John Dees Bericht über den "Silbernen Schuh" des Bartlett Green.

 

Ein paar Tage auf dem Lande und Wanderungen ins Gebirge haben mir wohl getan. Ich ließ, rasch entschlossen, Schreibtisch, Meridianrichtung und Uronkel Dees verstaubte Reliquien hinter mir und brach aus dem Bann von Haus und Arbeit wie aus einem Kerker aus. –

 

Ist es nicht lustig, sagte ich zu mir, als ich die erste Stunde im Vorgebirgsland draußen über die Moorheide stapfte, daß ich nun genauso empfinde, wie wohl John Dee empfunden haben mag, als er nach überstandenem Kerker über die schottische Hochebene lief? Und ich mußte lachen, daß ich mir's in den Kopf setzen wollte: John Dee müßte über ähnliches Heideland gestapft sein, ebenso froh, ebenso aus Herzensgrund gespannt und fast gesprengt von neuem Freiheitsgefühl wie ich, der ich jetzt beinahe dreihundertfünfzig Jahre später als Dee über süddeutsche Moorlandschaft trabte. Und es mußt just in Schottland, etwa in der Gegend der Sidlaw Hills, gewesen sein, von denen ich wohl meinen Großvater gelegentlich erzählen habe hören? Daß sich meine Ideen so verknüpfen, liegt übrigens sehr nahe, denn oft genug bestätigte uns Kindern der englisch-steirische Großvater die verwandte Stimmung und Eigentümlichkeit der schottischen und der dem deutschen Alpenlande vorgelagerten Hochmoore.

Und weiter gingen meine Träumereien:

Ich sah mich zu Hause hocken, nicht wie man sich selbst, in die Vergangenheit blickend, zu sehen pflegt, nein: so, als säße ich noch dort am Schreibtisch in der Stadt wie eine leere Hülse, eine überwinterte, abgestreifte, an ihren Ort des Sterbens geklebte Insektenlarve, aus der ich fröhlich gaukelnder Schmetterling vor wenigen Tagen erst ausgekrochen sei, um meine neue Freiheit hier oben im roten Heidekraut zu genießen. So stark war dies bildhaft vorgestellte Gefühl, daß mir ordentlich graute, als ich nun dich wieder in den Alltag zurück und an die Heimkehr denken mußte. Mich gruselte, als ich mir vorstellte, zu Hause hocke wirklich immer noch am Schreibtisch die leere Haut, in die ich jetzt, wie in einen grauen Doppelgänger, wieder hineinkriechen müßte, um mich mit meiner Vergangenheit wieder zu vereinen. –

Wohl waren alle solchen Spielereien der Phantasie rasch verflogen, als ich dann in Wirklichkeit meine Wohnung betrat, denn auf der Treppe stieß ich mit Lipotin zusammen, der oben in einem vergeblichen Besuch bei mir umgekehrt war. Ich ließ ihn nicht fort, sondern zog ihn, trotzdem meine Glieder von der Reise ermüdet waren, alsbald wieder hinauf in meine Wohnung. Plötzlich stand mir nämlich und lebhafter denn je der Wunsch in der Seele auf, mit ihm wegen der Fürstin zu sprechen, und wegen Stroganoff, und überhaupt wegen so vielem, was – – –

Kurz und gut, Lipotin begleitete mich zurück und blieb den Rest des Abends bei mir.

Ein merkwürdiger Abend! – Oder vielmehr, wenn ich genau sein will, eigentlich nur eine merkwürdig ausgeartete Abendunterhaltung, denn Lipotin war gesprächiger als gewöhnlich, und ein gewisser skurriler Zug, den ich wohl schon bisweilen an ihm bemerkt hatte, trat stärker bei ihm hervor, so daß mir manches wie neu, oder doch anders als sonst, an ihm vorkam.

 

Er erzählte mir von Baron Stroganoffs philosophisch anmutendem Tod, auch einiges Gleichgültige über seine eigenen Scherereien als Nachlaßverwalter von ein paar Kleidungsstücken, die an der verödeten Kammerwand herumgehangen hätten wie – Schmetterlingslarven. Es fiel mir auf, daß Lipotin ein ganz ähnliches Bild gebrauchte, wie das war, das mir in den Tagen meiner Wanderungen nicht aus dem Sinn wollte. Und heimlich durchlief mich eine Ameisenschar von eiligen, flüchtigen Gedanken, ob denn das Erlebnis des Sterbens viel anders sein dürfte als das Gefühl, man gehe durch eine Tür ins Freie, indes die leere Puppe hängenbleibt – das abgelegte Kleid – die Haut, die wir auch hier im Leben – wie mich meine eigene jüngste Erfahrung gelehrt – manchmal als etwas uns Fremdes mit dem Gefühl des Grauens hinter uns gelassen finden, wie etwa ein Toter, der imstande ist, auf den Leichnam zurückzuschauen, den er liegengelassen hat. – –

 

 

Dazwischen plauderte Lipotin immer weiter dies und das in seiner abgerissenen, halb ironischen Art; vergebens aber wartete ich darauf, daß er von selbst das Gespräch auf die Fürstin Chotokalungin bringen möchte. Eine sonderbare Scheu hielt mich lange davon ab, meinerseits die Unterhaltung so zu wenden, wie ich wünschte, endlich besiegte mich die Ungeduld, und während ich den Tee herrichtete, fuhr ich denn geradenwegs mit der Frage heraus, was er eigentlich damit bezweckt habe, als er die Fürstin an mich wies, und wie er dazu komme, ihr zu sagen, er habe an mich alte Waffenstücke verkauft.

"Nun, und warum sollte ich nicht dergleichen an Sie verkauft haben?" gab Lipotin mit Seelenruhe zurück. Sein Ton irritierte mich; ich rief lebhafter, als ich selber wollte:

"Aber Lipotin, sie müssen doch wissen, ob Sie mir einmal eine altpersische oder Gott weiß was für eine Lanzenspitze verkauft haben oder nicht?! – Vielmehr: Sie wissen selber ganz genau, daß Sie niemals –"

 

 

Er unterbrach mich mit unverminderter Gleichgültigkeit im Tonfall:

"Selbstverständlich, Verehrtester, werde ich die Lanze an Sie verkauft haben." –

Seine Augendeckel hingen tief herab; seine Finger stopften Tabakfasern in das Mundstück einer Zigarette zurück. Sein Aussehen war gesättigt mit Selbstverständlichkeit.

Ich aber fuhr auf: "Was für Scherze, mein Bester! Niemals habe ich dergleichen Dinge bei Ihnen gekauft. Nicht einmal gesehen habe ich so etwas bei Ihnen! Sie irren auf eine Weise, wie ich es kaum verstehen kann!"

 

"So?" antwortete Lipotin träg. "Nun, dann war es eben früher, daß ich Ihnen die Waffe verkauft habe."

 

"Niemals! Nicht kürzlich und nicht früher! Begreifen Sie doch! – Früher!! Was soll das heißen?! – Seit wann kennen wir uns überhaupt? Seit einem halben Jahr, und für diese Zeitspanne müßte Ihr Gedächtnis wahrhaftig ausreichen!"

Lipotin sah mich schräg von unten herauf an und antwortete: "Wenn ich 'früher' sage, so meine ich wohl: in einem früheren Leben – in einer anderen Inkarnation."

"Wie meinen Sie? In einer – –?"

"In einer früheren Inkarnation", wiederholte Lipotin deutlich. Ich glaubte den Spott herauszuhören; daher nahm ich seinen Ton auf und sagte ironisch: "Ach so!"

Lipotin schwieg.

Da es mir aber darum zu tun war, von ihm zu erfahren, weshalb er mir die Fürstin zugeschickt hatte, so begann ich wieder:

 

"Ich verdanke Ihnen übrigens, auf diese Weise mit einer Dame bekannt geworden zu sein, die – – –"

Er nickte. Ich fuhr fort:

"Leider setzt mich die Mystifikation, die Sie dabei für nötig hielten, in einige Verlegenheit. Ich möchte der Fürstin Chotokalungin, soviel in meinen Kräften steht, zu der gewünschten Waffe verhelfen – –"

 

 

"Aber sie ist doch in Ihrem Besitz!" heuchelte Lipotin mit Ernst.

"Lipotin, mit Ihnen ist heute nicht zu reden!"

 

"Warum nicht?"

"Es ist zu toll! Sie lügen einer Dame vor, in meinem Besitz befinde sich eine Waffe –"

"– die Sie von mir erworben haben."

"Mensch, vorhin – soeben noch haben Sie zugegeben – –"

"– daß es in einer früheren Inkarnation war. – Mag sein!" – Lipotin tat so, als verfalle er in Nachdenken, und brummte:

"Es ist leicht möglich, daß man einmal das Jahrhundert verwechselt."

Ich sah ein, daß eine ernste Unterhaltung mit dem Antiquar heute nicht möglich war. Im stillen ärgerte ich mich ein wenig. Doch ging ich notgedrungen auf seinen Ton ein, lachte trocken und sagte:

"Schade, daß ich die Fürstin Chotokalungin nicht auf eine frühere Inkarnation der von ihr so leidenschaftlich gesuchten Kostbarkeit zurückverweisen kann!"

"Warum nicht?" fragte Lipotin.

"Weil der Fürstin wohl das Verständnis für Ihre ebenso bequeme wie philosophische Ausrede fehlen dürfte."

"Sagen Sie das nicht!" – Lipotin lächelte – "Die Fürstin ist Russin."

"Na und?"

"Rußland ist jung. Sehr jung sogar, meinen einige Ihrer Landsleute. Jünger als wir alle. Rußland ist auch alt. Uralt. Niemand wundert sich über uns. Wir können wie Kinder greinen und wie die drei silberbärtigen Greise auf der Insel im Meer an den Jahrhunderten vorbeidenken –"

 

 

Ich kannte diesen Hochmut. Es war mir unmöglich, meinen Spott zu unterdrücken:

"Ich weiß, die Russen sind das Volk Gottes auf Erden."

Lipotin grinste fatal:

"Vielleicht. Denn sie sind vollkommen des Teufels. – Im übrigen: es ist ja alles nur eine Welt."

Mein Bedürfnis, diese verblasene Tee- und Zigarettenphilosophie, die russische Nationalkrankheit, zu ironisieren, nahm zu.

Ich erwiderte:

"Eine Weisheit, würdig eines Antiquars! Dinge des Altertums, jeder beliebigen Epoche, in unsere heute lebende Hand gelegt, predigen die Nichtigkeit von Raum und Zeit. Nur wir selbst sind an sie gebunden – –" – Es war meine Absicht, noch weiter in raschem Redefluß solche und ähnliche Banalitäten zusammenzuschwatzen, wahllos durcheinander, um den getragenen Ton seiner Philosopheme zu überschwemmen, aber er unterbrach mich lächelnd und mit einem kurz vorstoßenden Ruck seines Vogelkopfes:

 

"Mag sein, daß ich von Antiquitäten gelernt habe. Zumal die älteste der mir bekannten Antiquitäten – ich selbst bin. – Eigentlich heiße ich Mascee."

 

Es gibt keine Worte, den Schreck zu beschreiben, der mich bei dieser Rede Lipotins durchfuhr. Einen Augenblick lang schien es mir, als sei mein Kopf in eine schleiernde Nebelmasse verwandelt. Eine kaum zu beherrschende Aufregung lohte in mir auf, und nur mit äußerster Anstrengung zwang ich mich zu einer Miene blasser Verwunderung und Neugier, als ich ihn fragte:

"Woher wissen Sie denn diesen Namen, Lipotin? Sie können sich kaum denken, wie mich das interessiert! Der Name ist nämlich – auch mir nicht unbekannt."

 

"So?" – sagte Lipotin kurz. Sein Gesicht blieb undurchdringlich.

"Ja. Dieser Name und sein Träger, ich muß gestehen, beschäftigen mich seit einer gewissen Zeit sehr –"

"Seit jüngster Zeit?" höhnte Lipotin.

"Ja! Gewiß!" entgegnete ich eifrig. "Seitdem ich diese – diese – – –" Ich machte unwillkürlich ein paar Schritte auf meinen Schreibtisch zu, wo die Zeugen meiner Arbeit gestapelt lagen; Lipotin sah das wohl, und es war ihm gewiß nicht schwer, zu kombinieren. er unterbrach mich darum mit dem sichtlichen Ausdruck einer gewissen selbstgefälligen Genugtuung:

 

 

"Sie wollen sagen: seitdem Sie diese Akten und Zeugnisse über das Leben eines gewissen John Dee, Schwarzkünstlers und Phantasten aus der Zeit der Queen Elizabeth, in Ihrem Besitz haben? – Es ist richtig. Mascee hat die Herrschaften auch gekannt."

Ich wurde ungeduldig.

"Nun hören Sie, Lipotin", fuhr ich auf, "Sie haben mich für heute abend lang genug zum besten. Ihre übrigen Geheimnisreden seien Ihnen, oder vielmehr Ihrer guten Abendlaune, zugute gehalten; aber wie kommen Sie – kommen Sie auf diesen Namen: Mascee?"

"Nun ja", sagte Lipotin unverändert träge, "er war, wie ich Ihnen schon verraten zu haben glaube –"

 

"Ein Russe, gewiß. Der 'Magister des Zaren', wie ihn die Urkunden gelegentlich nennen. Aber Sie? Was haben Sie mit ihm zu tun?"

Lipotin erhob sich und zündete sich eine neue Zigarette an:

"Scherze, Verehrtester! Man kennt den Magister des Zaren in – unseren Kreisen. Wäre es denn unmöglich, daß sich eine Archäologen- und Antiquarsfamilie wie die meinige von jenem Mascee herleitete? Nur eine Annahme, natürlich, wertester Freund, nur eine Annahme!" – und er griff nach Mantel und Hut.

 

"Spaßhaft in der Tat", sagte ich. "Sie kennen aus der Geschichte Ihres Landes diese seltsame Figur? Und in alten englischen Schriften und Dokumenten taucht sie wieder auf und – tritt in mein Leben – – sozusagen – –"

 

Die Worte kamen mir absichtslos auf die Lippen.

Aber Lipotin gab mir die Hand und ergriff zugleich mit der Linken die Türklinke:

"– sozusagen in Ihr Leben, verehrtester Gönner. Freilich Sie sind einstweilen bloß unsterblich. Er aber –", Lipotin zögerte kurz, zwinkerte aus den Augenwinkeln und drückte mir nochmals die Hand, – "sagen wir der Einfachheit halber: 'ich' –- ich, müssen Sie wissen, bin ewig. Jedes Wesen ist unsterblich, es weiß es nur nicht oder vergißt es, wenn es auf die Welt kommt oder sie verläßt, deshalb kann man nicht behaupten, es hätte das ewige Leben. Ein andermal vielleicht mehr hierüber. Wir bleiben ja, hoffentlich, noch lange beisammen. Auf Wiedersehen also!"

 

Und damit eilte er die Treppe hinab.

Ich blieb recht beunruhigt und verwirrt zurück. Kopfschüttelnd suchte ich mich zu besinnen. War Lipotin angetrunken gewesen? Es hatte mir manchmal wie Weinlaune geschienen, was aus seinem Blick funkelte. Aber eigentlich betrunken hatte ich ihn nicht gefunden. Eher ein wenig verrückt, aber das ist er, seit ich ihn kenne. Das Schicksal eines Verbannten mit siebzig Jahren auszukosten wie er, kann schon an den Kräften der Seele rütteln!

 

Merkwürdig immerhin, daß auch er etwas von dem "Magister des Zaren" weiß, – am Ende mit ihm verwandt ist, wenn seine Andeutung ernst gemeint war!

 

Wertvoll wärs, von ihm zu erfahren, was er Genaues von diesem Menschen weiß! Aber – verdammt! Mit der Angelegenheit der Fürstin bin ich um keinen Schritt weitergekommen!

Auch hier wird mir Lipotin bei guter Tageszeit und bei nüchterner Gelegenheit besser Rede und Antwort stehen müssen. Nochmals lasse ich mich nicht im Kreise herumführen!

Und nun an die Arbeit!

Ein blinder Griff, wie ich mir vorgenommen, in die Tiefe der Schublade, die John Rogers Sendung birgt, bringt ein in Hadernpapier gebundenes Heft zutage, das sich, als ich es aufschlage, als Mittelstück einer vermutlich längeren Reihe ähnlicher Hefte darstellt, denn es beginnt, ohne Überschrift und ohne Schutzblatt, sofort mit hie und da datierten Aufzeichnungen. Die Handschrift ist gegen die des Diariums zwar stark verändert, aber unverkennbar die John Dees.

Ich beginne mit der Abschrift:

Aufzeichnungen aus dem späteren Leben des John Dee, Esq.

Anno 1578

Heute am Tag des Festes der Auferstehung unseres Herrn, bin ich, John Dee, bei zeitiger Morgenfrühe von meinem Lager aufgestanden und fein leise aus meinem Schlafzimmer geschlichen, auf daß ich mein Weib Jane – meine jetzige, zweite Gattin – und Arthur, mein geliebtes Söhnchen, in seiner Wiege nicht im Schlafe stören möchte.

Es drängt mich, zum Haus und Gehöft hinauszugelangen in den mild und silbrig aufwachenden Frühlingstag, und wüßte doch eigentlich nicht zu sagen, was mich so trieb, wenn es nicht der Gedanke daran war, wie böse mir vor nun achtundzwanzig Jahren dieser selbe Ostermorgen aufging.

Da wäre nun vielleicht mancher Grund, dem unergründlichen Geschick, oder, daß ich es ziemlicher sage: der göttlichen Vorsehung und Erbarmniß einen aufrichtigen und innigen Dank darzubringen dafür, daß ich noch heute in meinem siebenundfünfzigsten Jahr bei guter Gesundheit und hellen Sinnen das liebe Leben und die herrlich den Horizont im Osten überschreitende Sonne schauen und genießen darf.

Die meisten von denen sind lange tot, die mir damals zu Leibe wollten, und von Sir Bonner, dem Blutigen Bischof, ist nichts mehr übrig als ein Abscheu des Volkes, wenn es sich die alten Geschichten erzählt, und ein Ammenschreck für die unartigen Kinder.

Was aber ist aus mir geworden und aus den Prophezeiungen und aus den kühnen Stürmen des Geistes aus den Tagen meiner starken Jugend? – – – Ich mags nicht bedenken, wie mir die Jahre vergingen und die Entwürfe und die Enttäuschungen und die Kräfte.

Unter solchen, mächtiger denn seit langem auf mich eindringenden Gedanken, wandelte ich an dem Ufer des schmalen Gewässers hin, das unserm Geschlecht wohl einstmals den Namen gab: dem Dee-Fluß; und das Dee-Bächlein gemahnte mich in seiner komischen Eile so recht an den allzuraschen Fluß aller unserer menschlichen Dinge. Unterdes gelangte ich an jene Stelle, wo der Bach in mehrfach und eng gewundenen Schleifen den Aussichtshügel von Mortlake umwindet, und da ist eine Stelle, wo sich das Wasser in eine alte Lehmkuhle ausbreitet, so daß eine Art von verschilftem Teich diese Ausbuchtung des Ufers füllt. Hier scheint auf einen ersten Blick der Dee-Bach stehen geblieben und in einen Sumpf ergossen und gleichsam verloren zu sein.

An diesem versumpften Loch hielt ich nun und schaute, ich weiß nicht wie lange, auf das schwachbewegte Schilf, das diesen Unkenteich bedeckt. Nachdenklichkeiten der allerunzufriedensten Art erfüllten mir den Sinn und allzustark pochte die Frage hinter meiner Stirn: ob ich nun hier nicht im Schicksal des Dee-Baches gleichsam das Schicksal des John Dee selbst, der ich davor stand, abspiegele und recht wie ein Symbolum vor Augen stelle? – Ein rascher Lauf und ein früher Sumpf, stehendes Wasser, Kröten, Unken, Frösche und Binsen – und darüber, im laulichen Sonnenschein, das Hin- und Widergaukeln einer schillernden Libelle mit edelsteingeschmückten Schwingen: fängt man aber das trügerische Wunder, so hat man in den Händen einen häßlichen Wurm mit gläsernen Flügeln.

Indem ich solches bedachte, fiel mein Blick auf eine große, graubraune Larve, der sich in der steigenden Wärme des Frühlingsmorgens soeben die junge Wasserjungfer entzog. Nicht allzu lange haftete das zitternde Insect an dem gelben Röhricht nahe an der Stelle, an der die nun verlassene, gespenstische Hülse sich zuvor zu dem todes- und geburtsbangen Akte festgekrallt hatte. Im warmen Sonnenschein trockneten bald die zarten Flügel. Ruckartig hoben sie sich öfters, entfalteten sich zierlich, glätteten sich in träumerischer Bewegung an den emsig striegelnden Hinterbeinen, erzitterten dann inbrünstig – und mit einemmal hob sich schwirrend der kleine Elf und blitzte und irrte im nächsten Augenblick mit zuckendem Flug in der Seligkeit des Luftmeers umher. Tot aber hing die starre Larve am gesto







Date: 2015-09-05; view: 333; Íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ



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