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Andere Stilklassifikationen in der deutschen Stilistik
Das Kriterium der Wortarten als Grundlage der Stilklassifikation. – Die Begriffe „Nominalsül“ und „Verbalstil“ – Die inhaltlich-stilistische Leistung der beiden Stiltypen. – Die allgemeinsprachliche Tendenz zur Nominalisierung. Neben der funktional begründeten Stilklassifikation sind in der deutshen Stilistik auch andere Versuche der Stiltypenbestimmung bekannt, vor allem die Klassifikation, die auf dem Kriterium der Wortarten aufgebaut wird. Als Hauptmerkmal des Stils betrachten die Stilforscher das vorwiegende Auftreten einer der drei Hauptwortarten: des Substantivs, des Verbs, des Adjektivs. Sie begründen auf solche Weise drei Stiltypen: den substantivischen Stil (den Substantivstil), den verbalen Stil (den Verbalstil), den adjektivischen Stil (den Adjektivstil). Die Bedeutung und die stilistische Leistung der Wortarten, nach welchen diese Stiltypen bestimmt sind, ist verschieden: a) das Substantiv verkörpert Gegenstände, die im allgemeinen als Realien der Wirklichkeit aufgefaßt werden können; b) das Verb drückt Tätigkeiten, Vorgänge aus und trägt somit die Idee des Prozesses, der Bewegung (Expression); c) das Adjektiv ist Träger der Eigenschaften, Merkmale, wodurch verschiedene Eindrücke (Impressionen) bewirkt werden. In Abhängigkeit von dieser inhaltlichen Leistung bekommen die drei genannten Stile noch andere Bezeichnungen, die in der deutschen Stilistik bekannt sind: der Substantivstil heißt „realistischer Stil“, der Verbalstil ist „expressionistischer Stil“, der Adjektivstil gilt als „impressionistischer Stil“. Die Klassifikation nach dem Kriterium der Hauptwortarten weist hauptsächlich auf die Bevorzugung bestimmter Wörter im Text oder im Gebrauch, sie sagt nur wenig über das Wesen des Stils und noch weniger über seine funktionale kommunikative Aufgabe aus. Deshalb kann diese Klassifikation nur als eine zusätzliche gelten, die in keinem Widerspruch zu der funktional begründeten Stilklassifikation steht oder stehen kann. Im Gegenteil, sie behält ihre Gültigkeit auch im Rahmen der Funktionalstile. Als Beispiele seien konkrete Textauszüge gegeben: — Substantivstil: „Damals lebte sein Herz; Sehnsucht war darin und schwermütiger Neid und ein klein wenig Verachtung und eine ganze keusche Seligkeit“ (Th. Mann, Tonio Kröger.) „...Salzwind, der... einen gelinden Schwindel, eine gedämpfte Betäubung hervorrief, in der die Erinnerung an alles Böse, an Qual und Irrsal, an Wollen und Mühen träge und selig unterging“ (Ebenda) – Verbalstil: „Tonio sprach nicht. Er empfand Schmerz. Indem er seine etwas schrägstehenden Brauen zusammenzog und die Lippen zum Pfeifen gerundet hielt, blickte er seitwärts ins Weite“ (Ebenda.) – Adjektivstil: „Man sah von dort, von einem moränenartigen Wall aus, auf drei kleine Seen hinunter, deren zwei nie gänzlich auftauten,... die aber eine köstliche Art kräftiger Forellen führten mit rosigem Fleisch; und man sah den ansteigenden Talkessel hinauf mit seiner geschwungenen Wendung...“ [30] Weiter folgen die Bestimmungen: eine sanfte Rosenglut, die nachtblauen Klippenwände, rotes Gold, bräunliche Schatten, himbeerrote Schneehänge usw. [30, S. 129—130]. In dieser Beschreibung herrschen Adjektive vor, sie wirken beeindruckend (impressiv): es ist ein typischer Adjektivstil. Noch eine Begründung der Stiltypen ist in der deutschen Stilistik als das Problem Nominalstil – Verbalstil bekannt. Das Kriterium der Unterscheidung bildet hier einerseits die äußere (formale) Seite –das Vorhandensein verhältnismäßig vieler Nomina oder Verbformen im Gebrauch, im Text – und andererseits der Gestaltungstyp der Sätze. Das äußert sich beim Vergleich in folgender Gegenüberstellung:
Mit diesen beiden Gestaltungstypen der Aussage sind bestimmte inhaltliche Differenzen verbunden: der Nominalstil verkörpert immer eine starke Komprimierung des Inhalts, dank vielen Substantiven, besonders ihren bestimmten Typen: den deverbativen suffixlosen und abgeleiteten Wörtern auf -ung, deadjektivischen auf -heit, -keit, substantivierten Infinitiven und anderen gruppensetzenden Wörtern, d. h. solchen, die imstande sind, erweiterte Gruppen um sich zu entfalten. Weit ausgebaute Substantivgruppen sind Träger eines stark komprimierten Inhalts, z. B.: der weitere Aufschwung der Wirtschaft jedes Mitgliedlandes der sozialistischen Gemeinschaft; die Bewertung der Leistungen auf der Grundlage der gültigen Prüfungsordnung; das Ergebnis der großartigen Leistungen des sozialistischen deutschen Staates in allen Bereichen der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Die Aussage irn Verbalstil trägt dagegen einen gewöhnlichen, oft einmaligen Inhalt, zeigt den Sachverhalt im Wechsel, in einer Nacheinanderfolge von Ereignissen oder Handlungen: ,,Eines Tages, es war erst 6 Uhr, wachte Peter auf. Er gähnte und ging zum Fenster. Er sah einen Fuchs. Er dachte, er träume und rieb sich die Augen. Aber da war doch ein Fuchs“ [30] G. Möller charakterisiert die beiden Stiltypen folgenderweise: Nominalstil strebt danach, die im Verb vorhandene Tätigkeit in ein Substantiv zu überführen, also Tätigkeiten und Prozesse nicht durch Verben, wie im Verbalstil, sondern hauptsächlich durch Substantive wiederzugeben. Dabei gehen Nebensätze verloren, statt der Satzgefüge erscheinen vielgliedrige Einfachsätze. Ein solcher Einfachsatz enthält bei einer finiten Verbform viele substantivische Glieder mit stark konzentriertem Inhalt [48, S. 71]. Vom kommunikativen Standpunkt aus bestimmt die Spezifik beider Stiltypen G. Schreinert: Nominaler Stil entsteht, wenn der Mitteilende bestrebt ist, eine ganze Reihe von Sachverhalten mit einem Mal, d. h. simultan auszudrücken – in einem erweiterten Einfachsatz mit nur einer finiten Verbform. Verbaler Stil entsteht, wenn der Mitteilende bestrebt ist, die Sachverhalte nacheinander, d. h. sukzessiv mitzuteilen – durch mehrere Sätze, jeder mit seiner eigenen finiten Verbform [60, S. 27—28]. Wenn das Merkmal des Nominalstils lange, vielgliedrige Finfachsätze (große Schritte der Information) sind, bevorzugt der Verbalstil kürzere und kurze Sätze mit eigenen Verbprädikaten (kleine Schritte der Information). Auch im Bereich der russischen Sprache zieht diese Erscheinung die Aufmerksamkeit der Forscher auf sich. Die Forscher erklären den Unterschied so: der Text kann nach dem Prinzip einer Kleindosierung des Informationsgehalts aufgebaut werden, d. h. der Inhalt zerfällt in kleine Portionen, und jede von ihnen gruppiert sich um ihren eigenen verbalen Kern (finite Verbform). Die ganze Information besteht also aus Mikroetappen. Das bewirkt den Eindruck eines schnellen Wechsels von Sachverhalten und steigert auf solche Weise die Expressivität der Darstellung [19, S. 305]. Vgl. folgendes Beispiel: „Das Geräusch des Regens drang stärker herein. Er lärmte förmlich. Alles rauschte, plätscherte, rieselte und schäumte. Der Wind war wieder aufgekommen und fuhr lustig in den dichten Wasserschleier, zerriß ihn und trieb ihn umher. Jede Minute brachte neue Kühlung“ [60]. Einen ganz anderen Charakter bekommt der Text, wenn er nach dem Prinzip einer Großdosierung des Informationsgehalts aufgebaut wird: er besteht aus vielumfassenden Sätzen, die Darstellung erfolgt in großen Schritten, der Inhalt ist stärk komprimiert und erfordert vom Empfänger (Leser) eine stärkere geistige Konzentration. Das sehen wir ganz deutlich im folgenden Beispiel: „Das sind Maßnahmen, die auf die Verwirklichung der Idee zur Schaffung stabiler Verhältnisse für die Gewährleistung des Friedens und der Zusammenarbeit durch gemeinsame Anstrengungen der Völker und Staaten Asiens gerichtet sind“ (Neues Deutschland). Die stilistische Leistung der beiden Stile hängt von ihrer inhaltlich-kommunikativen Spezifik ab und läßt sich auf folgende Weise bestimmen: der Vorzug des Verbalstils besteht darin, daß er durch eine relativ hohe Zahl von Verben Dynamik und Bewegung verkörpert und dadurch expressiver wirkt als nominaler Stil. Der Vorzug des Nominalstils besteht aber darin, daß man mit ihm eine verhältnismäßig große Zahl von Sachverhalten, die miteinander in enger Beziehung stehen, auf einmal, in einer Aussage mitteilen kann. Der Nominalstil verkörpert Gegenständlichkeit und Begrifflichkeit, deshalb erfordert er eine stärkere geistige Konzentration als der Verbalstil [60, S. 83]. Die Verwendungspotenzen der beiden Stiltypen in verschiedenen Funktionalstilen sind unterschiedlich. Im allgemeinen lassen sich folgende Gebrauchstendenzen feststellen: für die Funktionalstile, die zur Sachprosa gehören, also für die Texte der Presse, Publizistik, Wissenschaft, Technik, Wirtschaft, Verwaltung, diplomatische Dokumente ist der Nominalstil als Gestaltungstyp sehr charakteristisch. Er bedeutet die Realisation der allgemeinsprachlichen Tendenz zur Nominalisierung, die gerade in diesen Funktionalstilen sehr produktiv wirkt. In der schönen Literatur können beide Stiltypen auftreten. Inhalt und Zweck der Mitteilung entscheiden darüber, welcher Typ – Nominal- oder Verbalstil – bevorzugt werden muß. Einige Verfasser zeigen sogar Vorliebe entweder für den Nominalstil, wie z. B. Th. Mann, oder für den Verbalstil, wie z. B. B. Kellermann usw. Aber gewöhnlich findet man in ein und demselben Werk Textstellen in dem einen oder anderen Stil. Vgl. einige Textproben aus dem Roman „Der 9. November“ von B. Kellermann: „Und das Feuer rollte... Der Himmel stand voller Schrapnellwolken, Schwärme von Fliegern brausten im Frühlicht. Die Geschütze stampften, pochten, knackten... Ein Hagelsturm von zerfetzten Leibern fegte über die Erde. Millionen Herzen verkrampften sich in Todesangst“. Diese Schilderung hat alle Merkmale des Verbalstils, schafft das Bild höchster Dynamik, wirkt sehr expressiv. Noch ein Auszug aus demselben Roman: „Verbrechen, Habgier, Heuchelei, Schamlosigkeit, das war Europa, nichts sonst. Die europäischen Großstaaten hatten das Raubritterwesen ins Gigantische gesteigert. Gestützt auf ihre Heere und Flotten...“ In dieser zweiten Schilderung herrscht der Nominalstil vor, die Träger der Information sind hier Substantive, der Inhalt ist stärker komprimiert. Date: 2015-09-26; view: 1882; Нарушение авторских прав |