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Rückblick 4 page





 

"Das Geheimnis des 'Es werde Licht' entfaltet sich bei Ihnen wie in den Urzeiten der Schöpfung stufenweise!" rief ich Lipotin zu; "wie einfältig und gemein ist doch nach solch dreifach sich steigernder Offenbarung des heiligen Feuers das poesielose Knipsen am elektrischen Knopf unserer Zeit!"

Aus der Ecke, in der Lipotin sich zu schaffen machte, kam trocken, fast krächzend seine Stimme:

 

"Ganz recht, Verehrtester! Wer allzu jäh aus dem wohltätigen Dunkel ins Helle strebt, verdirbt sich die Augen. Da habt ihr euer ganzes Schicksal, ihr Europäer!"

Ich mußte lachen. Das war wieder der asiatische Hochmut, der er verstand, aus der armseligen Notdurft einer Vorstadthöhle kurzerhand einen Vorzug und eine Überlegenheit zu machen! Ich fühlte Lust, den widersinnigen Streit über Segen oder Unsegen der so beliebten Elektrizitätsindustrie aufzunehmen, denn ich weiß, daß bei solchen Gelegenheiten immer ein paar sonderbar geistreiche, wenn auch bissige Bemerkungen Lipotins zum Vorschein kommen, da wurde mein umherschweifender Blick gefesselt von dem mattgolden aufschimmernden Umriß eines sehr schön geschnitzten, altflorentinischen Rahmens, der um einen fleckigen und vielfach erblindeten Spiegel gelegt war. Ich trat darauf zu und erkannte im nächsten Augenblick die vorzügliche Arbeit einer sehr sorgfältigen und feinfühligen Hand des siebzehnten Jahrhunderts. Der Rahmen gefiel mir ausnehmend, und sogleich stieg der lebhafte Wunsch in mir auf, das Stück zu besitzen.

 

"Da haben Sie bereits etwas in der Hand von den Sachen, die gestern bei mir angekommen sind", sagte Lipotin und trat herzu, "aber das Schlechteste. Das Ding ist wertlos."

"Der Spiegel, meinen Sie? – Der allerdings."

 

"Auch der Rahmen drum", sagte Lipotin. Sein von der Lampe grünlich bestrahltes Gesicht wurde überzuckt von einem gelbroten Feuerschein aus der heftig angesaugten Zigarre in seinem Mundwinkel.

"Der Rahmen?" – ich zögerte. Lipotin hielt ihn für unecht. Seine Sache! – Aber sofort schämte ich mich dieser kunsthandelsüblichen Anwandlung einem armen Teufel gegenüber wie Lipotin. Er beobachtete mich scharf. Hatte er gemerkt, daß ich mich schämte? Sonderbar: etwas wie Enttäuschung huschte über sein Gesicht. Mich überschlich ein unheimliches Gefühl im Herzen. Mit einigem Trotz vollendete ich meinen Satz: "– ist meiner Ansicht nach gut."

 

 

"Gut? Gewiß! Aber Kopie. Petersburger Kopie. Das Original verkaufte ich vor Jahren an den Fürsten Jussupoff."

Ich drehte zögernd den Spiegel im Lichte der Lampe hin und her. Ich kenne durchaus die Qualität von Petersburger Fälschungen. Die Russen wetteifern an Geschicklichkeit darin mit den Chinesen. Dennoch: dieser Spiegelrahmen war echt! – – Da entdeckte ich, vollkommen zufällig, tief versteckt in dem Unterschnitt einer prächtig hervorgeschwungenen Volute, die von altem Bolus halbüberschmierte Florentiner Werkstattmarke. Der Liebhaber- und Jägerinstinkt in mir wehrte sich heftig dagegen, Lipotin meine Beobachtung mitzuteilen. Ich tat das Meinige zur Genüge, wenn ich bei meinem Urteil blieb. Ich sage also ehrlich und offen: "Der Rahmen ist für die beste Kopie zu gut. Er ist meiner Ansicht nach echt."

Lipotin zuckte ärgerlich die Achseln:

"Dann hätte der Fürst Jussupoff die Kopie erhalten, wenn dies da das Original wäre. – – Übrigens gleichgültig, denn ich erhielt den Preis für das Original; und der Fürst, sein Haus und seine Sammlungen sind vom Erdboden vertilgt. Der Streit ist also geschlichtet, und jeder hat das Seine."

 

"Und das alte, offenbar englische Spiegelglas?" fragte ich.

"Ist, wenn Sie wollen, echt. Es ist das Originalglas des Spiegels. Jussupoff ließ sich ein neues venezianisches Glas in den Rahmen legen, da er sich den Spiegel zum eigenen Gebrauch kaufte. Überdies war er abergläubisch; er sagte, in dies Spiegelglas hier hätten zu viele Menschen hineingeschaut. So etwas könnte Unglück bringen."

"Somit –?"

"Somit können Sie das Ding behalten, wenn es Ihnen Spaß macht, verehrter Gönner. Es lohnt nicht, über einen Preis zu sprechen."

"Und wenn der Rahmen dennoch echt wäre?"

 

"Er ist bezahlt. Echt oder unecht – erlauben Sie mir, Ihnen mit diesem Gruß aus meiner ehemaligen Heimat ein Geschenk zu machen."

Ich kenne die hartnäckige Art der Russen. Er war, wie er sagte: echt oder unecht; ich mußte sein Geschenk annehmen. Ich hätte mir seine Verstimmung andernfalls zugezogen. Also besser: bei "unecht" bleiben, damit er sich nicht doch noch nachträglich kränkt über seinen Irrtum, wenn er einsehen sollte, er hätte sich geirrt.

Und so kam ich zu einem wirklich wundervollen Florentiner Meisterstück von Frühbarockrahmen!

 

Ich beschloß im stillen, den großzügigen Geber wenn möglich irgendwie schadlos zu halten, indem ich ihm etwas anderes abkaufte zu einem für ihn günstigen Preis. Aber was er mir zeigte, bot kein Interesse für mich. So geht es meist: die Gelegenheit, eine gute Absicht in die Tat umzusetzen, bietet sich seltener als die, einem egoistischen Trieb zu folgen; und so zog ich denn einigermaßen beschämt eine halbe Stunde darauf mit dem Geschenk Lipotins ab, ohne etwas anderes als mein Versprechen zu hinterlassen, ihn bei nächstem Anlaß durch einige Ankäufe zu entschädigen.

 

 

Gegen acht Uhr kam ich nach Hause und fand auf meinem Schreibtisch nichts vor als eine letzte kurze Nachricht meiner Haushälterin, daß die Vertreterin ihres Amtes kurz nach sechs dagewesen sei mit der Bitte, ihren Eintritt auf acht Uhr abends verschieben zu dürfen, da sie noch einige Angelegenheiten zuvor ordnen möchte. Um sieben war meine alte Hausdame weggegangen; ich hatte also die kurze Zeit meines Interregnums bei Lipotin nicht ohne Nutzen verbracht und konnte in den nächsten Minuten mit dem Eintritt meiner neuen Stütze rechnen, falls diese "Frau Doktor Fromm" Wort hielt.

 

 

Verdrossen, daß mein Freund Gärtner so wenig pünktlich gewesen war, beschloß ich, mich zu trösten, indem ich das Geschenk des Russen auswickelte, das ich noch immer unterm Arm trug.

Der alte Spiegel verlor in dem unbarmherzigen Licht der elektrischen Birnen nichts von seiner vollkommenen Schönheit. Selbst das tiefgrüne, teilweise opalig angefleckte Glas schien mir von hohem altertümlichen Reiz; und in der Tat leuchtete er aus seinem Rahmen eher wie der vollendete Schliff eines wolkigen Moosachats – teilweise fast wie der eines riesigen Smaragdes – hervor, als wie die getrübte Fläche eines erblindeten Spiegels.

Seltsam fasziniert von dieser köstlichen Zufallsschönheit einer alten Spiegelscheibe mit oxydiertem Silberbelag, stellte ich das Ding vor mich auf und versenkte mich in die grüne Unergründlichkeit seiner geheimnisvoll mit schillernden Reflexen überzuckten Tiefe. – – –

War mir da nicht plötzlich zumute, als stünde ich nicht in meinem Zimmer, sondern auf dem Nordbahnhof und sei umwogt vom Gedränge der vor der Schranke Wartenden und mit dem Schnellzug angekommenen Reisenden? Und mitten aus dem Gewühl grüßt mich Doktor Gärtner mit geschwenktem Hut!? Ich drückte mich durch die Menge und erreichte nicht ohne Mühe meinen Freund, der lachend auf mich zukam. Einen Augenblick schoß es mir durch den Kopf: seltsam, daß er gar kein Gepäck mithat. Er wird es eben aufgegeben haben, dachte ich, und vergaß hernach diesen Umstand völlig.

Wir begrüßten uns mit aller Herzlichkeit; kaum wurde der Tatsache überhaupt Erwähnung getan, daß wir uns seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hatten.

Draußen vor dem Bahnhof nahmen wir einen Wagen und erreichten in eigentümlich geräuschlos gleitender Fahrt sehr bald meine Wohnung. Unterwegs sowohl wie auf der Treppe sprachen wir zueinander lebhaft und fortgesetzt über die gemeinsame Vergangenheit; und das verhinderte, daß ich im einzelnen viel auf nebensächliche Umstände achtete, wie zum Beispiel, auf welche Weise die Entlohnung des Kutschers und anderes vor sich gegangen sein mochte. Es erledigte sich alles wie gewissermaßen von selbst sehr rasch und war bereits im nächsten Augenblick wieder vergessen. Daher reichte es bei mir auch nur zu einem flüchtigen, gleichsam zerstreuten und nebensächlichem Staunen, als ich zu bemerken glaubte, daß einiges in meinem Zimmer nicht ganz so stand, wie ich es gewohnt bin. Das erste, was mir in dieser Art auffiel, war, daß ich bei einem kurzen Blick durch eines der Fenster nicht auf die Villenstraße hinaussah, sondern in einem weiten Wiesengrund mit fremden Baumsilhouetten und mir ganz ungewohnten Horizontlinien.

Sonderbar! – dachte ich; mehr nicht, – denn andererseits kam mir diese Aussicht wieder vertraut und selbstverständlich vor, teils nahm mich Freund Gärtner mit lebhaft gestellten Fragen und Aufforderungen in Anspruch, mein Gedächtnis auf diesen oder jenen Vorfall aus der Studienzeit richtend.

Als wir uns aber dann in meinem Arbeitszimmer bequem zurechtgesetzt hatten, wäre ich am liebsten wieder aus dem altertümlichen, hochlehnigen und mit gewaltigen gepolsterten Ruhebacken versehenen Stuhl aufgesprungen, auf dem ich mich niedergelassen hatte und der bestimmt nicht zu der Einrichtung meines Wohnzimmers gehörte –: so fremd erschien mir mit einem Male die sonst so vertraute Umgebung; und dennoch, auch hier wieder das Gefühl: beruhigend bekannt ist mir alles! Merkwürdigerweise spielten sich alle diese Beobachtungen, Überlegungen und Gefühle stumm in meinem Innern ab; mit keinem Wort erwähnte ich meinem Freund gegenüber etwas von diesen Erregungen meines Herzens, während nach außen hin alles wie ganz selbstverständlich geschah und verharrte und unser Gespräch nicht einen Augenblick stockte.

 

Die Veränderungen, die mit den Gegenständen um mich her vorgegangen waren, betrafen durchaus nicht nur das Mobiliar; auch die Fenster, die Türen, ja Wände standen anders und ließen auf dickere Mauern, mächtigere architektonische Verhältnisse schließen, als die waren, die ein modernes Großstadthaus zu haben pflegt und die mir in meiner Villa vertraut sind. Hingegen war das, was ich zum täglichen Gebrauch benötige, unberührt von der Veränderung geblieben. So strahlte denn auch der sechsflammige elektrische Lüster unvermindert hell auf die sonderbar durcheinandergerückte Umgebung dieser Dinge herab, und die Zigarrenkiste, die Zigarettendose und der dampfende russische Tee – mir von Lipotin zu märchenhaft günstigen Preisen verschafft – sandte sein kräftiges Aroma in gekräuselten Wolken zu uns empor.

Jetzt richtete sich meine Aufmerksamkeit gleichsam zum erstenmal bewußt auf meinen Freund Gärtner. Er saß mir gegenüber, bequem in einen ähnlichen Lehnstuhl geschmiegt wie der, in dem ich saß, hielt die Zigarre lächelnd zwischen den Fingern und schlürfte in einer Pause des Gesprächs – es schien mir die erste, seit wir uns auf dem Bahnhof getroffen hatten, zu sein – ruhevoll seinen Tee. – In raschem Erinnerungsfluge überdachte ich nochmals alles, was wir bisher besprochen hatten, und res wollte mich plötzlich bedünken, als seien die Gespräche tiefer und bedeutungsvoller gewesen, als mir zuvor geschienen hatte. Viel war von unserer Jugend die Rede gewesen, von gemeinsamen Plänen, Entwürfen, die nie zur Ausführung gelangt waren, von vergeblichen Hoffnungen, von Versäumtem, Beiseitegelegtem – –. Dann plötzlich lag eine Schwermut im Raum, die mich auffahren und den Freund wie fremd und aus weiter Ferne anstarren ließ. Es kam mir vor, als sei das ganze Gespräch nur von mir geführt, gleichsam dialogisiert worden. Um dem ein Ende zu machen, fragte ich schnell mit absichtlicher Deutlichkeit, mißtrauisch:

 

"Erzähl mir, wie erging es dir als Chemiker ein Chile?!"

Er hob mit einer Drehung des Halses, die zu den mir altvertrauten Eigentümlichkeiten seiner Art, sich zu geben, gehörte, den Kopf schräg über die Tasse hinweg zu mir und schaute mir mit freundlicher Frage ins Gesicht:

"Nun –? Dich scheint etwas zu beunruhigen?" – –

Ich überwand eine rasch wie Nebel über meine Seele hinhuschende Scheu und brach unvermittelt mit dem hervor, was mich in der Tat seit einigen Minuten zu quälen begonnen hatte:

"Lieber Freund – ich will es nicht leugnen: es ist da etwas Merkwürdiges zwischen uns – freilich, wir haben uns seit sehr langer Zeit nicht mehr gesehen – wie mir plötzlich scheinen will. Dennoch: vieles von dem, was – einstmals war – glaube ich wiederzuerkennen – – und dennoch – dennoch: – – verzeih mir – – bist du wirklich Theodor Gärtner? Ich, ich habe dich anders in der Erinnerung; – nein: du bist nicht der Theodor Gärtner, den ich früher gekannt habe, – das – das sehe ich, das fühle ich deutlich, – ohne daß du mir deswegen weniger bekannt – weniger – wie soll ich sagen: weniger nahe, weniger befreundet wärest –"

 

Theodor Gärtner neigte sich mir noch näher zu, lächelte und sagte:

"Betrachte mich ohne Scheu genauer, vielleicht fällt dir doch wieder ein, wer ich bin!"

Etwas würgte mich in der Kehle. Ich bezwang mich aber und lächelte einigermaßen gezwungen und rief:

 

"Du darfst mich nicht verspotten, wenn ich dir gestehe, daß mich seit deinem Eintritt hier in – in meiner Wohnung" – ich sah mich fast scheu im Raume um – "ein gewisses Befremden befallen hat. Es sieht nämlich hier für gewöhnlich, möchte ich sagen – für gewöhnlich etwas anders aus. Aber du kannst natürlich nicht verstehen, was ich meine - –; kurz, auch du scheinst mir ganz und gar nicht der alte Theodor Gärtner, der Bursche von Anno dazumal – natürlich bist du der nicht mehr, verzeih! – aber auch nicht der älter gewordenen Theodor Gärtner, der Chemiker Gärtner, meinetwegen der chilenische Professor Gärtner zu sein."

 

Mein Freund unterbrach mich mit ruhiger Miene:

"Da hast du freilich recht, mein Lieber! Der chilenische Professor Gärtner ist im Weltmeer – –" hier machte mein Gegenüber eine weitausholende unbestimmte Bewegung mit der Hand, die ich dennoch richtig zu deuten meinte, "schon vor längerer Zeit ertrunken –"

Mir gab es einen Stich ins Herz. Also doch! – fuhr es mir durch den Sinn, und ich muß wohl dem Freund entgeistert ins Gesicht gestarrt haben, denn er lachte plötzlich grell auf, schüttelte scheinbar belustigt den Kopf und entgegnete:

 

"Nicht so, mein Lieber! Ich glaube, Gespenster pflegen nicht Zigarren und Tee – übrigens einen ungewöhnlich guten Tee – zu genießen. – Aber –", sein Gesicht und seine Stimme kehrten in ihren vorigen Ernst zurück – "aber wahr ist allerdings, daß dein Freund Gärtner – – tot ist."

 

"Und wer bist du?" fragte ich leise, aber doch mit einemmal ganz ruhig, denn die Lösung meines rätselhaften Zustandes erschien mir wie willkommene Befreiung, – "nochmals: wer bist du?" –

 

Der "Andere" nahm, wie um recht ausdrücklich zu betonen, daß er wirklich und leibhaftig sei, eine frische Zigarre aus dem Kistchen, befühlte und beroch sie kennerhaft und mit Behagen, schnitt die Spitze ab, entzündete ein Streichholz, ließ es mit den langsam in den Fingern gedrehten Ende der Zigarre in gemeinsamer Flamme aufleuchten und tat die ersten genießerischen Züge mit so schlichtem Wohlbehagen, daß auch einem Ängstlicheren als ich jeder Zweifel an dem sozusagen bürgerlichen Zustande meines Gastes hätte schwinden müssen. Dann streckte er sich in seinem Lehnstuhl aus, schlug ein Bein übers andere und begann:

"Ich habe gesagt, daß Theodor Gärtner tot sei. Zunächst – könntest du denken – ist das eine nicht ungewöhnliche, wenn auch etwas hochtrabende Redensart, wenn einer von sich sagen will, er wünsche, aus welchen Gründen immer, mit seiner Vergangenheit abzubrechen und einen neuen Menschen anzuziehen. Nimm einmal an, es sei so von mir gemeint."

 

Ich unterbrach mit solchem Ungestüm, daß ich mich über mich selbst heimlich wunderte:

"Nein, das ist es nicht! Dein eigenstes innerstes Wesen ist nicht verändert, bewahre! – Es ist mir aber fremd, es ist nicht: Theodor Gärtner! – ist nicht der einst so beflissene Naturforscher, der geschworene Feind aller Wunder, aller Geheimnisse! – nicht der, der von muffigem Aberglauben, von hoffnungsloser Dummheit sofort zu sprechen bereit war, wenn ein Gesprächsgegner auch nur im geringsten das Unberechenbare im Leben der Dinge berührte oder gar das Unerforschliche als das Wesen der Natur zu behaupten wagte. – Der Blick dessen aber, der mir gegenüber sitzt, ist fest und stet auf den Urgrund, jawohl: den Urgrund der Dinge gerichtet, und die Worte, die ich von dir zu hören bekomme, verraten, daß du die Geheimnisse liebst! – Das bist nicht du, Theodor Gärtner, nicht du – und dennoch bist du ein Freund, ein sehr alter guter Freund von mir, –- den ich nur beim Namen zu nennen nicht vermag."

 

 

"Wenn du es so meinst, ist es mir auch recht", erwiderte mein Gast mit Ruhe. Sein Blick bohrte sich auf eine unbeschreibliche Weise in den meinen, und in mir stieg mit langsamer Qual die tastende Erinnerung an eine längst und tief vergessene Vergangenheit empor, von der ich nicht hätte sagen können, ob sie einem Traum der gestrigen Nacht oder dem Wiedererwachen einer hundertjährigen Erlebniskette entstammte. Indessen fuhr Gärtner unbeirrt fort:

 

 

"Da du selbst bemüht bist, mir bei der nun einmal nötig gewordenen Erklärung deiner Zweifel behilflich zu sein, so darf ich vielleicht manches einfacher und kürzer sagen, als es sonst tunlich wäre. – Wir sind alte Freunde! Das stimmt. – Nur der 'Doktor Theodor Gärtner', dein ehemaliger Studienfreund, der Kamerad deiner gleichgültigen Studentenjahre, hat damit wenig zu tun. Mit Recht dürfen wir daher von ihm sagen: er ist tot. Mit Recht erkennst du: ich bin ein anderer. – Wer ich bin? Ich bin Gärtner."

"Du hast deinen Beruf gewechselt?" wollte ich einfallen, aber ich unterdrückte noch rechtzeitig die alberne Frage. Jener fuhr fort, ohne auf meine Bewegung zu achten:

 

"Mein Gärnterberuf hat mich den Umgang mit Rosen gelehrt, mit den Rosen und ihrer Veredelung. Meine Kunst ist das Okulieren. Dein Freund war ein gesunder Stämmling; der, den du vor dir siehst, ist das Propfreis. Die Wildblüte des Stämmlings ist dahin. Der, den meine Mutter gebar, ist längst im Meer des Wechsels ertrunken. – Der Stämmling, – das Kleid – das mich trägt, das gebar die Mutter eines anderen – eines einstmaligen Studenten der Chemie, Theodor Gärtner mit Namen, den du gekannt hast und dessen unreife Seele das Grab durchmessen hat."

 

Mich überlief ein Schauer. Rätselhaft wie seine Rede saß vor mir die ruhige Gestalt meines Gastes. Wie von selbst formten meine Lippen die Frage:

"Und warum bist du nun hier?" –

"Weil es Zeit ist", antwortete mit einer Miene der Selbstverständlichkeit mein Gegenüber. Lächelnd fügte er hinzu:

"Ich melde mich gern, wenn man mich braucht!"

"Und du", – so sagte ich, ohne auf den Zusammenhang meiner Worte mit den seinen zu achten, – "du bist also – – nicht mehr Chemiker und nicht mehr – – –?"

"Ich bin es immer gewesen, auch als dein Freund Theodor auf die Geheimnisse der königlichen Kunst geringschätzig wie eben ein Ignorant herabsah. Ich bin und war, soweit mein Gedächtnis zurückreicht: Al-chimiker."

"Wie ist das möglich? – Alchimist?" fuhr es mir heraus, "du, der ehemals –?"

"Der ich ehemals –?"

Da fiel mir ein, daß doch der Theodor Gärtner von ehedem tot war.

 

Der "Andere" aber fuhr fort:

 

"Vielleicht erinnerst du dich, einmal gehört zu haben, daß es zu allen Zeiten Stümper und Meister gegeben hat. – Du denkst an etwas Stümperhaftes, wenn du an die Alchimie der mittelalterlichen Quacksalber und Panscher denkst, aus ihrer Afterkunst hat sich allerdings die gepriesene Chemie dieser Zeit entfaltet, auf deren Fortschritte dein Freund Theodor so kindisch stolz war. – Die Quacksalber des finsteren Mittelalters sind jetzt zu hochgeschätzten Professoren der Chemie an den Hohen Schulen avanciert. – Wir aber von der 'Goldenen Rose' haben uns nie damit befaßt, die Materie zu zerlegen, den Tod hinauszuschieben und den Hunger nach dem verfluchten Spielzeug Gold zu vermehren. Wir sind geblieben, was wir waren: Laboranten des ewigen Lebens."

 

Wieder durchzuckte mich mit fast schmerzhaftem Berührungsgefühl fernste, ungreifbare Erinnerung; ich hätte aber um nichts in der Welt zu sagen vermocht, warum und wohin diese Erinnerung mich rief. Ich unterdrückte eine Frage und nickte nur zustimmend. Mein Gast sah es, und wieder lief das seltsame Lächeln über sein Gesicht. Ich hörte ihn sagen:

"Und du? Was ist in all der langen Zeit aus dir geworden?" – Sein rascher Blick überflog meinen Schreibtisch: "Ich sehe, du bist – – Schriftsteller. Ach ja! Du versündigst dich also gegen die Bibel? Wirst Perlen vor das Publikum. Kramst in alten vermoderten Urkunden – das hat du immer gern getan – und gedenkst die Welt mit den Sonderbarkeiten eines vergangenen seltsamen Jahrhunderts zu unterhalten? Ich glaube, diese Welt und diese Zeit hat nur wenig Sinn – – für den Sinn des Lebens."

 

Er hielt inne, und wieder fühlte ich den Hauch von tiefer Schwermut, der sich über ihn und mich zu lagern begann; ich raffte mich fast gewaltsam auf und suchte den Druck abzuschütteln, indem ich anfing, von meinen Arbeiten an der Erbschaft meines Vetters John Roger zu erzählen. Ich tat es mit zunehmendem Eifer und Vertrauen und spürte es wie eine Wohltat, daß Gärtner mir aufmerksam und ruhig zuhörte. Je länger ich erzählte, desto stärker wurde in mir das Gefühl, er halte Hilfe für mich stets bereit, wenn ich sie von ihm brauchen sollte. Zunächst freilich hörte ich aus seinem Munde nur ein gelegentliches "So, so", bis er plötzlich aufschaute und unvermittelt fragte:

 

"Zuweilen also scheint es dir so, als mischte sich in deinen Chronistenberuf oder in dein Herausgeberamt wie eine Last das eigene Schicksal, das dich mit den toten Dingen der Vergangenheit in gefährlicher Weise zu verstricken droht?"

Ich erzählte ihm mit einer wahren Gier, mein Herz auszuschütten, beginnend mit dem Baphomet-Traum, alles, was ich in den Wochen, seit ich die Erbschaft John Rogers erhalten, erlebt und erlitten hatte; ich vergaß nichts.

"Hätte ich John Rogers Hinterlassenschaft doch nie gesehen!" so schloß ich meine Beichte, "dann säße ich jetzt in Ruhe hier, und mein Ehrgeiz als Schriftsteller – das bitte ich mir zu glauben – wäre dieser Ruhe gern geopfert."

 

 

Mein Gast sah mich durch das Gewölk des Zigarrenrauchs lächelnd an; für einen Augenblick schien es mir fast so, als beginne sein Bild vor meinem Blick zu schwinden und im Nebel sich aufzulösen. Eine brustbeklemmende Angst quoll da plötzlich in mir empor, er könnte mich verlassen wollen auf irgendeine Weise – und dieser Gedanke erfüllte mich mit solch schmerzhaftem Schreck, daß ich unwillkürlich die Hände hob. Er schien es zu bemerken, und indem die Rauchwolke sich verzog, hörte ich ihn lachen und sagen:

"Danke dir für deine Aufrichtigkeit! – Willst du so gern meinen Besuch wieder los sein? Denn bedenke immerhin, daß ich hier kaum bei dir säße, wenn dein Vetter John Roger die Erbschaft – behalten hätte."

 

Ich fuhr auf:

"Du weißt also mehr von John Roger! – Du weißt, wie John Roger starb!"

"Sei ruhig", war die Antwort. "Er starb, wie er mußte."

"Er starb an dieser verfluchten Erbschaft des John Dee?!"

"Nicht so, wie du wohl meinst. Es liegt kein Fluch darauf."

 

"Warum hat nicht er diese Arbeit – diese sinnlose, überflüssige Arbeit vollendet, die nun mir über den Hals gekommen ist? – –

 

"Und die du freiwillig auf dich genommen hast, mein Freund! – Denn: bewahre oder verbrenne, hieß es doch wohl?!"

Alles, alles wußte dieser Mann da vor mir im Sessel!

"Ich habe nicht verbrannt", sagte ich.

"Du hast wohl daran getan!" – Er hatte also meine Gedanken erraten.

"Und warum hat John Roger nicht verbrannt?" fragte ich leise.

"Vermutlich war er nicht der geeignete Vollstrecker des Testamentes."

Hartnäckigkeit befiel mich wie ein Fieber:

 

"Und warum war er es nicht?"

"Er starb."

Ein Schauer überlief mich. Ich ahnte jetzt, woran mein Vetter John Roger gestorben war: an der schwarzen Isaïs war er gestorben!

Freund Gärtner stieß seine Zigarre in die Aschenschale und drehte sich mit halbem Körper meinem Schreibtisch zu. Mit spielender Hand betastete er die Papiere, die dort flatterten oder in Stößen umherlagen, blätterte darin herum und zog mit gleichgültigem Griff wie zufällig ein Blatt hervor, das mir bisher sonderbarerweise entgangen war; es mochte zwischen den Deckblättern des Deeschen Tagebuchs gesteckt haben oder wo immer. Ich neigte mich gespannt vor.

– "Kennst du das? Es scheint: noch nicht!" sagte er zu mir, nachdem er das Blatt überflogen hatte, und reichte es mir hin. Ich schüttelte den Kopf und las – das Schriftstück trug die steile Handschrift meines Vetters Roger –:

Es kam, wie du es längst geahnt! Ich erwartete es, schon als ich begonnen hatte, mich mit dem verstaubten unheimlichen Nachlaß meines Urahns John Dee zu beschäftigen. Es scheint, ich bin der Erste, dem 'es' begegnet. Ich, Roger Gladhill, der Herr des Wappens, stehe in der Kette, die mein Ahnherr sich schuf. Ich bin beteiligt, sehr wirklich beteiligt an diesen fluchbeladenen Dingen, die ich nun einmal berührt habe. – – Das Erbe ist nicht tot! – – Gestern war 'sie' zum erstenmal bei mir. Sie ist sehr schlank, sehr schön und aus ihren Gewändern kommt ein feiner, kaum zu spürender Raubtiergeruch. Meine Nerven sind seitdem so erregt, daß ich immer an sie denken muß. – Lady Sissy nennt sie sich, aber ich kann kaum glauben, daß das ihr wirklicher Name ist! – Eine Schottin ist sie, so behauptet sie. – Eine rätselhafte Waffe will sie von mir! – Eine Waffe, die schon in meinem alten Wappen der Dees von Gladhill angedeutet sei. – Ich habe ihr beteuert, ich besäße keine solche Waffe, aber sie lächelt nur. – Seitdem habe ich keine ruhige Stunde mehr! Ich bin wie besessen von dem Wunsch, Lady Sissy, oder wie sie wirklich heißen mag, die Waffe zu verschaffen, nach der sie verlangt, und sollte es mich Leben und Seligkeit kosten. – – Oh, ich meine zu wissen, wer 'Lady Sissy' in Wirklichkeit ist – – –!

John Roger Gladhill."

 

Das Blatt entglitt meiner Hand und wirbelte zur Erde. – Ich sah meinen Gast an. Der zuckte die Achseln.

 

 

"Daran starb also mein Vetter Roger?!" fragte ich.

"Ich glaube, er verlor sich an die neue Aufgabe, die ihm die 'fremde Dame' stellte", sagte der, den ich nicht mehr Theodor Gärtner zu nenne wage. Ein wildes Heer von finsteren Gedanken brauste über mich hin: Lady Sissy? Wer ist das?!: die Fürstin Chotokalungin, wer sonst!! Und sie ist?: die schwarze Isaïs, wer sonst!! – Die Isaïs des Bartlett Green!! – Das ist, aufgerissen, die Hinterwelt des Dämonenreiches, dem sich John Dee verschrieb und nach ihm der unbekannte Angstverfolgte, der die Einträge in John Dees Diarium machte, aus denen das Entsetzen schreit – – und nach ihm mein Vetter Roger – und nach ihm: ich – – ich, der ich Lipotin gebeten habe, alles aufzubieten, damit ich der Fürstin ihren sonderbaren Wunsch kann!

Date: 2015-09-05; view: 276; Íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ; Ïîìîùü â íàïèñàíèè ðàáîòû --> ÑÞÄÀ...



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