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Tifereth 14 page





So war nun klar, dass der Große Plan dort entstanden war, ja dort entstanden sein musste: von den Männern aus Alamut hatten die Templer über die tellurischen Strömungen erfahren, mit den Männern aus Alamut hatten sie sich in Provins vereint und das geheime Komplott der Sechsunddreißig Unsichtbaren ausgeheckt; darum war Christian Rosencreutz nach Fez und in andere arabische Orte gereist, darum hatte sich Guillaume Postel in den Orient begeben, darum hatten die Magier der Renaissance aus dem Orient, aus Ägypten, dem Sitz der fatimidischen Ismaeliten, die namengebende Gottheit des Großen Plans importiert, Hermes, Hermes‑Thot oder Hermes Trismegistos, und darum hatte der Intrigant Cagliostro seine Riten für ägyptische Figuren ersonnen. Und die Jesuiten, ja die Jesuiten, die hatten sich, weniger dumm, als wir dachten, mit Pater Kircher sofort auf die Hieroglyphen gestürzt, und auf das Koptische und auf die andern orientalischen Sprachen, wobei das Hebräische nur eine Tarnung war, eine Konzession an den Zeitgeist.

 

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Diese Texte sind nicht für gewöhnliche Sterbliche... Die gnostische Wahrnehmungsweise ist einer Elite vorbehalten... Denn wie die Bibel sagt: Werft eure Perlen nicht vor die Säue.

Karnal Jumblatt, Interview in Le Jour, 31.3.1967

 

Arcana publicata vilescunt: et gratiam propha‑nata amittunt. Ergo: ne margaritas objice porcis, seu asino substerne rosas.

(Aufgedeckte Geheimnisse werden alt, und profaniert verlieren sie ihren Reiz. Also wirf deine Perlen nicht vor die Säue, noch unterbreite dem Esel Rosen.)

 

Johann Valentin Andreae, Die Chymische Hochzeit Christiani Rosencreutz, Straßburg 1616, Frontispiz

 

Und wo übrigens wäre sonst jemand zu finden gewesen, der sechs Jahrhunderte lang auf dem Stein zu warten imstande war und tatsächlich so lange gewartet hätte? Sicher, Alamut war schließlich unter dem Ansturm der Mongolen gefallen, aber die Sekte der Ismaeliten hatte im ganzen Orient überlebt. Einerseits hatte sie sich mit den nicht‑schiitischen Sufis vermischt, andererseits hat sie die furchtbare Sekte der Drusen erzeugt, und drittens schließlich lebt sie noch heute unter den indischen Khojas, den Anhängern Aga Khans, unweit der Stätte von Agarttha.

Doch ich hatte noch mehr entdeckt: Unter der Fatimiden‑Dynastie waren die hermetischen Kenntnisse der alten Ägypter wiederentdeckt worden, und zwar durch die Akademie von Heliopolis in Kairo, wo man ein Haus der Wissenschaften gegründet hatte. Ein Haus der Wissenschaften! Woher hatte Francis Bacon die Inspiration für sein Salomonisches Haus genommen, nach dessen Muster dann ja das Conservatoire des Arts et Metiers in Paris gebaut worden war?

»So ist es, so ist es, da gibt's gar keine Zweifel mehr«, sagte Belbo, inzwischen schon ziemlich betrunken. Und dann:»Aber was ist jetzt mit den Kabbalisten?«

»Das ist nur eine parallele Geschichte. Die Rabbiner in Jerusalem ahnen, dass etwas zwischen Templern und Assassinen passiert sein muß, und auch die Rabbiner in Spanien, die sich unter dem Vorwand, sie wollten Geld für Wucherzinsen verleihen, in den europäischen Komtureien herumtreiben, haben etwas gerochen. Sie sehen sich ausgeschlossen von dem Geheimnis, und in einem Akt nationalen Stolzes beschließen sie, es allein herauszubekommen: Was? Wir, das Auserwählte Volk, wir sollen keinen Zutritt zum Geheimnis der Geheimnisse haben? Und zack, beginnt die kabbalistische Tradition, das heroische Unterfangen der in die Diaspora Verstreuten und an die Ränder Gedrängten, es den großen Herren zu zeigen, den Herrschenden, die immer alles zu wissen meinen.«

»Aber so bringen sie die Christen auf den Gedanken, sie, die Juden, wüssten tatsächlich immer alles.«

»Und irgendwann begeht dann einer den Kardinalfehler: er verwechselt zwischen Israel und Ismael.«

»Also Barruel, die Protokolle der Weisen von Zion, der ganze Antisemitismus – alles nur das Ergebnis einer Konsonantenverwechslung!«

»Sechs Millionen Juden umgebracht wegen eines Fehlers von Pico della Mirandola.«

»Nun, vielleicht gab's da noch einen anderen Grund. Das Auserwählte Volk hatte die Pflicht zur Auslegung des Heiligen Buches übernommen. Es hat eine Obsession verbreitet. Und die andern haben sich, als sie nichts im Heiligen Buch finden konnten, dafür gerächt. Die Leute fürchten sich vor denen, die uns von Angesicht zu Angesicht mit dem Gesetz konfrontieren... Aber sagen Sie, Casaubon, wieso haben sich diese Assassinen nicht schon früher gemeldet?«

»Überlegen Sie doch mal, Belbo, wie elend es der Gegend dort unten ergangen ist seit der Schlacht von Lepanto! Ihr Sebottendorff hatte ja noch kapiert, dass da etwas gesucht werden musste unter den türkischen Derwischen, aber Alamut existiert nicht mehr, und seine Bewohner sind irgendwo untergetaucht. Sie warten ab. Und jetzt ist ihre Stunde gekommen, im Zuge des neuen islamischen Selbstbewusstseins heben sie wieder das Haupt... Indem wir Hitler in den Großen Plan einbauten, hatten wir einen guten Grund für den Zweiten Weltkrieg gefunden. Indem wir jetzt die Assassinen aus Alamut einbauen, erklären wir alles, was seit Jahren im Nahen Osten geschieht. Und hier finden wir nun auch den Ort und die Kollokation für die Gruppe Tres, die Templi Resurgentes Equites Synarchici, eine Geheimgesellschaft mit dem Ziel, die Kontakte zwischen den spirituellen Ritterschaften unterschiedlichen Glaubens wiederherzustellen.«

»Oder die Konflikte zwischen ihnen zu schüren, um alles zu blockieren und im trüben zu fischen. Damit wäre nun alles klar. Wir sind am Ende unserer Arbeit, unserer Reparatur der Geschichte angelangt. Was meinen Sie, sollte das Pendel uns etwa im höchsten Moment enthüllen, dass der Umbilicus Mundi in Alamut ist?«

»Übertreiben wir's nicht. Ich würde diesen letzten Punkt in der Schwebe lassen.«

»Wie das Pendel.«

»Ja, wenn Sie so wollen. Man kann nicht einfach alles sagen, was einem durch den Kopf geht.«

»Gewiss, gewiss. Strenge vor allem.«

An jenem Abend war ich nur stolz, eine schöne Geschichte erdacht zu haben. Ich war ein Ästhet, der das Fleisch und das Blut der Welt benutzt, um Schönheit daraus zu machen. Belbo war mittlerweile ein Adept. Wie alle Adepten: nicht aus Erleuchtung, sondern faute de mieux.

 

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Claudicat ingenium, delirat lingua, labat mens.

Lukrez, De rerum natura, III,453

 

Es muß in diesen Tagen gewesen sein, dass Belbo sich klarzumachen suchte, was mit ihm geschah. Ohne dass jedoch die Strenge, mit der er sich selbst zu analysieren verstand, ihn vor dem Übel bewahren konnte, an das er sich langsam gewöhnte.

Filename: Und wenn es so wäre?

 

Einen Plan erfinden: der Plan spricht einen so frei von jeder Schuld, dass man nicht mal mehr für den Plan selbst verantwortlich ist. Man braucht nur den Stein zu werfen und die Hand zu verbergen. Es gäbe kein Scheitern, wenn da wirklich ein Großer Plan wäre.

Du hast Cecilia nie gekriegt, weil es den Archonten gefiel, Annibale Cantalamessa und Pio Bo zu blöd für das simpelste Blasinstrument zu machen. Du bist vor der Bande vom Canaletto geflohen, weil die Dekane dich für ein anderes Brandopfer aufheben wollten. Und der Mann mit der Narbe hat einen besseren Talisman als du.

Ein Plan hinter allem: ein Schuldiger. Traum der Menschheit. Tun, als gäbe es Gott. An Deus sit Wenn es ihn gibt, ist es seine Schuld.

Das Etwas, dessen Adresse ich verloren habe, ist nicht das Ende, sondern der Anfang. Nicht das Objekt, das ich besitzen will, sondern das Subjekt, das mich besitzt. Geteiltes Leid ist halbe Freud, was sagt der Mythos andres? Siebenfüßiger Jambus.

Wer hat diesen Gedanken notiert, den beruhigendsten, der je gedacht worden ist: Nichts wird mich davon abbringen können, dass diese Weit die Frucht eines dunklen Gottes ist, dessen Schatten ich verlängere. Der Glaube führt zum Absoluten Optimismus.

Ja, mein Fleisch hat gesündigt (oder gerade nicht). Aber es war Gott, der mit dem Problem des Bösen nicht zurande gekommen ist. Wohlan, lasst uns den Fötus im Mörser zerstampfen, mit Honig und Pfeffer. Gott will es.

Wenn du partout einen Glauben brauchst, glaub an eine Religion, die dir kein Schuldgefühl macht. Eine lose, dampfende, unterirdische Religion, die nie endet. Wie ein Roman, nicht wie eine Theologie.

Fünf Wege für ein einziges Ziel? Weiche Verschwendung! Besser ein Labyrinth, das überall und nirgendwohin führt. Um stilvoll zu sterben, muß man barock leben.

Nur ein schlechter Demiurg macht uns ein gutes Gewissen.

Und wenn es den Kosmischen Plan nicht gäbe?

Ein übler Witz: im Exil zu leben, wenn dich niemand verbannt hat. Noch dazu aus einem Ort, den es nicht gibt.

Und wenn es den Plan zwar gäbe, aber er sich uns auf immer entzöge?

Wenn die Religion versagt, tut's auch die Kunst. Den Plan kannst du erfinden, als Metapher für den Unerkennbaren. Auch ein menschliches Komplott kann die Leere füllen. Kein Verlag hat mein Tot und Lehben angenommen, weil ich nicht zur Templerclique gehöre.

Leben, als ob es einen Plan gäbe: der Stein der Weisen.

If you cannot beat them, join them. Wenn der Plan existiert, brauchst du dich nur anzupassen...

Lorenza stellt mich auf die Probe. Demut. Wenn ich die Demut hätte, zu den Engeln zu beten, auch ohne an sie zu glauben, und den richtigen Kreis zu ziehen, hätte ich Ruhe. Vielleicht.

Glaub an ein Geheimnis, und du fühlst dich eingeweiht. Kostet nichts.

Eine immense Hoffnung erzeugen, die nie entwurzelt werden kann, weil keine Wurzel da ist. Vorfahren, die man nie hatte, werden nie kommen und sagen, man hätte sie verraten. Eine Religion, die man befolgen kann, indem man sie ununterbrochen verrät.

Wie Andreae: aus Jux die größte Enthüllung der Weltgeschichte ersinnen, und während die anderen sich darin verlieren, dein ganzes übriges Leben lang schwören, dass du's nicht gewesen bist.

Eine Wahrheit mit unbestimmten Rändern erfinden: sobald jemand sie zu definieren versucht, wird er exkommuniziert. Immer nur denen recht geben, die unbestimmter sind als du. Jamais d'ennemis à droite.

Wozu Romane schreiben? Die Geschichte neu schreiben. Die Geschichte, die du dann wirst.

Warum verlegst du's nicht nach Dänemark, William S.? Surabaya‑Jim Johann Valentin Andreae Lukas‑Matthäus Skywalker kreuzt durch den Archipel der Sunda‑Inseln zwischen Patmos und Avalon, vom Weißen Berg nach Mindanao, von Atlantis nach Thessalonich... Auf dem Konzil zu Nikäa schneidet sich Origenes die Hoden ab und zeigt sie blutend den Vätern der Sonnenstadt, Hiram knurrt filioque filioque, und Konstantin schlägt die gierigen Nägel in die leeren Augenhöhlen von Robert Fludd. Tod, Tod den Juden im Ghetto von Antiochia, Dieu et mon droit, das Beauceant geschwenkt, auf sie mit Gebrüll, zerstampft die Ophiten und Borboriten und giftigen Borborigmanten! Trompeten schmettern, und es erscheinen die Chevaliers Bienfaisants de la Cité Sainte, den Mohrenkopf auf die Pike gespießt, der Rebis, der Rebis! Magnetsturm in der Stratosphäre, der Eiffelturm knickt zusammen. Grinsend beugt sich Ratschkowski über die verschmorte Leiche von Jacques de Molay.

Ich habe dich nicht gekriegt aber ich kann die Geschichte hochgehen lassen.

Wenn das Problem diese Seinsabwesenheit ist, wenn Sein das ist, was sich auf vielerlei Weise sagen lässt, dann gibt es um so mehr Sein, je mehr wir reden.

Traum der Wissenschaft: dass es wenig Sein gäbe, konzentriert und sagbar, E = mc2. Irrtum. Um sich zu retten, seit Anbeginn der Ewigkeit, muß man wollen, dass es ein planloses Sein gibt, ein Wild‑Drauflos‑Sein, verschlungen wie eine von einem betrunkenen Seemann verknotete Schlange. Unentwirrbar.

Erfinden, wie besessen erfinden, ohne auf Zusammenhänge zu achten, so dass man's nicht mehr resümieren kann. Ein simples Staffettenspiel zwischen Symbolen, eins ergibt das andere, pausenlos immer weiter. Die Welt zerlegen in eine Sarabande aneinandergereihter Anagramme. Und dann an das Unsagbare glauben. Wäre das nicht die wahre Lektüre der Torah? Die Wahrheit ist das Anagramm eines Anagramms. Anagrams = ars magna.

 

So muß es gewesen sein in diesen Tagen. Belbo beschloss, das Universum der Diaboliker ernst zu nehmen, aber nicht aus Übermaß, sondern aus Mangel an Glauben.

Gedemütigt von seiner Unfähigkeit zur Kreation (und sein ganzes Leben lang hatte er die frustrierten Wünsche und die nie geschriebenen Bücher als Metaphern füreinander benutzt, immer im Zeichen seiner vermeintlichen Feigheit), wurde ihm jetzt auf einmal bewusst, dass er, indem er den Großen Plan erfand, tatsächlich etwas erschaffen hatte. Er war dabei, sich in seinen Golem zu verlieben, und fand darin einen Trost. Das Leben – sein Leben und das der Menschheit – als Kunst, und in Ermangelung von Kunst die Kunst als Lüge. Le monde est fait pour aboutir à un livre (faux). (Die Welt ist gemacht, um in ein Buch zu münden (ein falsches). (Mallarmé)) Aber an diese Lüge, an dieses falsche Buch versuchte er nun zu glauben, denn, wie er geschrieben hatte, wenn es eine Verschwörung gäbe, wäre er nicht mehr feige, besiegt und verächtlich.

So erklärt sich, was dann geschah. Er benutzte den Plan, dessen Irrealität ihm bewusst war, um einen Rivalen zu schlagen, den er für real hielt. Und als er dann merkte, dass der Plan ihn erfasste und nicht mehr losließ, als ob er tatsächlich existierte, oder als ob Belbo aus demselben Stoff gemacht wäre wie sein Plan, da fuhr er nach Paris wie zu einer Enthüllung, einer Revanche.

Jahrelang bedrückt von seinem täglichen Selbstvorwurf, immer nur mit den eigenen Gespenstern Umgang gepflogen zu haben, erleichterte ihn nun der Anblick von Gespenstern, die objektiv zu werden drohten, bekannt auch einem anderen, und sei es dem Feind. Stürzte er sich in den Rachen des Löwen? Sicher, denn der Löwe, der da Gestalt annahm, war realer als Surabaya‑Jim, realer vielleicht als Cecilia, vielleicht sogar als Lorenza Pellegrini.

Belbo, krank von so vielen verpassten Treffen, fühlte sich jetzt zu einem realen Treffen gerufen. Zu einem, vor dem er nicht einmal mehr aus Feigheit weglaufen konnte, denn er stand bereits mit dem Rücken zur Wand. Seine Angst zwang ihn, mutig zu sein. Erfindend hatte er das Realitätsprinzip geschaffen.

 

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Die Liste Nr. 5 – sechs Unterhemden, sechs Unterhosen, sechs Taschentücher – hat den Forschern seit je zu denken gegeben, besonders wegen des völligen Fehlens von Socken.

Woody Allen, Getting even, New York, Random House, 1966,»The Metterling List«

 

Zu der Zeit, es ist gerade erst einen Monat her, beschloss Lia, dass mir ein paar Wochen Urlaub guttun würden. Du siehst müde aus, sagte sie. Vielleicht hatte der Große Plan mich erschöpft. Außerdem brauchte das Kind, wie die Großeltern sagten, gute Luft. Freunde hatten uns ein kleines Haus in den Bergen überlassen.

Wir fuhren nicht sofort los. Es gab noch ein paar Dinge in Mailand zu erledigen, und dann meinte Lia, es gebe nichts Erholsameres als einen Urlaub in der Stadt, wenn man weiß, dass man hinterher wegfahren wird.

In den Tagen habe ich Lia zum ersten Mal von dem Großen Plan erzählt. Vorher war sie zu sehr mit dem Kind beschäftigt gewesen; sie wusste nur vage, dass ich mit Belbo und Diotallevi an einer Art Puzzle saß, das uns ganze Tage und Nächte lang in Beschlag nahm, aber ich hatte ihr nichts mehr gesagt, seit sie mir damals ihre Predigt über die Psychose der Analogien gehalten hatte. Vielleicht schämte ich mich.

Jetzt aber, wo er fertig war, erzählte ich ihr den ganzen Plan bis in alle Einzelheiten. Sie wusste von Diotallevis Erkrankung, und ich fühlte mich irgendwie schuldig, als ob ich etwas getan hätte, was ich nicht durfte, und daher versuchte ich, das Ganze als das hinzustellen, was es war: nur ein bravouröses Spiel.

Und Lia sagte:»Pim, deine Geschichte gefällt mir nicht.«

»Ist sie nicht schön?«

»Auch die Sirenen waren schön. Hör zu: was weißt du über dein Unbewusstes?«

»Nichts, ich weiß nicht mal, ob es existiert.«

»Siehst du. Nun stell dir vor, so ein Wiener Spaßvogel hat sich, um seine Freunde zu unterhalten, aus Jux und Dollerei die ganze Geschichte mit dem Es und dem Ich und dem Über‑Ich ausgedacht, und das mit dem Ödipus, und Träume, die er nie geträumt hat, und den kleinen Hans, den er nie gesehen hat... Na, und was ist dann passiert? Millionen von Menschen waren bereit, im Ernst neurotisch zu werden. Und Tausende anderer bereit, sie auszubeuten.«

»Lia, du bist paranoisch.«

»Ich? Du!«

»Na gut, wir sind also paranoisch, aber eins musst du uns wenigstens zugestehen: wir sind von einem real existierenden Text ausgegangen, von der Botschaft, die Ingolf in Provins gefunden hatte. Entschuldige, aber wenn du plötzlich vor einer geheimen Botschaft der Templer stehst, willst du sie doch entziffern. Kann sein, dass du dabei übertreibst, um dich über die Entzifferer von geheimen Botschaften lustig zu machen, aber die Botschaft selber, die war doch real.«

»Also erst mal weißt du nur das, was euch dieser Ardenti erzählt hat, der nach deiner Beschreibung ein ganz besonders erlesener Armleuchter gewesen sein muß. Und dann würde ich diese Botschaft ja gerne mal sehen.«

Kein Problem, ich hatte sie unter meinen Papieren.

Lia nahm das Blatt, besah es von vorn und von hinten, zog die Nase kraus, schob sich die Mähne vor den Augen weg, um den ersten Teil, den chiffrierten, besser sehen zu können. Und sagte dann:»Ist das alles?«

»Genügt dir das nicht?«

»Genügt mir vollauf. Gib mir zwei Tage, um darüber nachzudenken.«Wenn Lia mich um zwei Tage zum Nachdenken bittet, ist es gewöhnlich, um mir zu beweisen, dass ich dumm bin. Ich werfe ihr das immer vor, und sie antwortet immer:»Wenn ich kapiere, dass du dumm bist, bin ich sicher, dass ich dich wirklich liebe. Ich liebe dich auch, wenn du dumm bist. Beruhigt dich das nicht?«

Zwei Tage lang berührten wir das Thema nicht mehr, außerdem war sie die meiste Zeit nicht zu Hause. Abends sah ich sie in einer Ecke hocken und sich Notizen machen, ein Blatt nach dem andern zerreißend.

Dann fuhren wir in die Berge, das Kind kroch den ganzen Nachmittag auf der Wiese herum, Lia kochte zu Abend und sagte, ich sollte essen, ich sei dünn wie ein Nagel. Nach dem Essen bat sie mich um einen doppelten Whisky mit viel Eis und wenig Soda, zündete sich eine Zigarette an, was sie nur in wichtigen Momenten tut, sagte, ich solle mich setzen, und erklärte:

»Pass auf, Pim, ich werde dir zeigen, dass die einfachsten Erklärungen immer die wahrsten sind. Dieser euer Oberst hat euch gesagt, dass dieser Ingolf eine Botschaft in Provins gefunden hatte, und das will ich gar nicht in Zweifel ziehen. Ingolf wird in den Keller runtergestiegen sein und dort wirklich ein Etui mit diesem Text hier gefunden haben.«Sie klopfte mit den Fingern auf das Blatt mit den altfranzösischen Zeilen.»Aber niemand sagt uns, dass Ingolf ein diamantenbesetztes Etui gefunden hat. Das einzige, was euch der Oberst erzählt hat, ist, dass in Ingolfs Kontobuch stand, er hätte ein Etui verkauft – und warum auch nicht, es war eine Antiquität, ein bisschen was wird er schon dafür gekriegt haben, aber niemand sagt uns, dass er von dem Erlös dann gelebt hat. Er hatte vielleicht eine kleine Erbschaft von seinem Vater.«

»Und warum muß das Etui unbedingt ein billiges Etui gewesen sein?«

»Weil diese famose Botschaft hier eine Wäscheliste ist. Komm, lesen wir sie noch mal.«

a la... Saint Jean

 

36 p charrete de fein

 

6 … entiers avec saiel

 

P... les blancs mantiax

 

r... s... chevaliers de Pruins pour la... j. nc.

 

6 foiz 6 en 6 places

 

chascune foiz 20 a.... 120 a....

 

iceste est l'ordonation

 

al donjon li premiers

 

it li secunz joste iceus qu i... pans

 

it al refuge

 

it a Nostre Dame de l'altre part de l'iau

 

it a l'hostel des popelicans

 

it a la pierre

 

3 foiz 6 avant la feste... la Grant Pute.

 

»Na und?«

»Ja Himmelherrgott, ist es euch nie in den Sinn gekommen, euch mal einen Touristenführer von diesem Provins anzusehen, einen kurzen Abriss seiner Geschichte? Ihr hättet sofort entdeckt, dass die Grange‑aux‑Dimes, wo diese Botschaft gefunden wurde, ein Ort war, wo die Händler sich trafen, denn Provins war damals das Handelszentrum der Champagne. Und die Orange befindet sich in der Rue Saint‑Jean. In Provins wurde mit allem möglichen gehandelt, aber besonders mit Tuchen, auf französisch draps oder dras, wie man damals schrieb, und jedes Tuch war mit einer Garantiemarke versehen, oft mit einem Siegel. Das zweite Paradeprodukt von Provins waren Rosen, rote Rosen, die die Kreuzritter aus Syrien mitgebracht hatten. So berühmt, dass Edmond of Lancaster, als er die Blanche d'Artois heiratete und auch den Titel des Grafen von Champagne annahm, die rote Rose von Provins in sein Wappen setzte – und das ist der Grund, warum man später vom Krieg der zwei Rosen sprach, denn die Yorks hatten eine weiße Rose im Wappen.«

»Und woher weißt du das?«

»Aus einem Büchlein von knapp zweihundert Seiten, herausgegeben vom Bureau de Tourisme de la Ville de Provins, das ich hier im französischen Kulturinstitut gefunden habe. Aber das ist noch nicht alles. In Provins gibt es eine Burg, die Le Donjon genannt wird, es gibt eine Porte‑aux‑Pains, also ein»Tor zu den Broten«, es gab eine Eglise du Refuge, es gab selbstverständlich mehrere Kirchen Unserer Lieben Frau, hüben und drüben, es gab oder gibt immer noch eine Rue de la Pierre Ronde, wo ein pierre de cens war, ein»Zinsstein«, auf den die Untertanen des Grafen das Geld für den Zehnten zu legen hatten. Und es gab schließlich auch eine Rue des Blancs Manteaux und eine Straße, die Rue de la Grande Putte Muce genannt wurde, aus Gründen, die ich dich raten lasse, beziehungsweise weil sie die Bordellstraße war.«

»Und die Popelicans?«

»In Provins hatte es Katharer gegeben, die dann ordnungsgemäß verbrannt worden sind, und der Großinquisitor war ein reuiger Ketzer und wurde Robert le Bougre genannt. Also war's nichts Besonderes, wenn es da auch eine Straße oder eine Gegend gab, die weiterhin als Sitz der Ketzer bezeichnet wurde, auch als es die Katharer nicht mehr gab.«

»Auch noch 1344...«

»Wer sagt dir denn, dass dieses Dokument von 1344 stammt? Dein Oberst hat hier 36 Jahre nach dem Heuwagen gelesen, und tatsächlich war damals ein p, das in einer bestimmten Weise gemacht war, mit einer Art Apostroph, die normale Abkürzung für post, aber ein anderes p ohne Apostroph bedeutete pro. Der Verfasser dieses Textes ist ein friedlicher Händler, der sich ein paar Notizen gemacht hat über seine Geschäfte in der Grange‑aux‑Dimes, also in der Rue Saint‑Jean, nicht in der Johannisnacht, und er hat sich einen Preis notiert: sechsunddreißig Sous oder Deniers oder was für Münzen die damals hatten, für eine oder für jede Fuhre Heu.«

»Und die hundertzwanzig Jahre?«

»Wer spricht von Jahren? Ingolf hat etwas gesehen, das er als 120 a... abgeschrieben hat. Wer sagt dir, dass es ein a war? Ich habe nachgeschaut in einer Tabelle der damals üblichen Abkürzungen und hab gefunden, dass man für denier oder denarius seltsame Zeichen benutzte – eins, das wie ein Delta aussieht, und ein anderes wie ein Theta, eine Art links angeknabberter Kreis. Kritzel das eilig hin, als kleiner Händler, der sich Notizen macht, und schon kann es so ein Eiferer wie dein Oberst mit einem a verwechseln, weil er die Sache mit den 120 Jahren schon irgendwo gelesen hat, du weißt besser als ich, dass er sie in jeder beliebigen Rosenkreuzergeschichte lesen konnte, er wollte etwas finden, das so ähnlich klang wie post 120 annos patebo! Und was macht er dann? Er findet eine Reihe von it und liest sie als iterum. Aber iterum wurde mit itm abgekürzt, und it bedeutete item, desgleichen, ebenso, ein Ausdruck, der speziell für repetitive Listen benutzt wurde. Unser Händler kalkuliert, was ihm bestimmte Aufträge einbringen werden, die er bekommen hat, und listet auf, was er wohin liefern muß. Er muß Rosen liefern, Kreuzritter‑Rosen von Provins, das ist es, was r... s... Chevaliers de Pruins heißt. Und da, wo der Oberst vainjance gelesen hat (weil ihm der Ritter Kadosch im Kopf herumspukte), muß man jonchée lesen, Blumenschmuck. Die Rosen wurden benutzt, um Kränze oder Teppiche daraus zu flechten, für die verschiedenen Feste. Und so ist deine Botschaft aus Provins nun zu lesen:

In der Rue Saint‑Jean

 

36 pro Karren Heu.

 

6 neue Tücher mit Siegel

 

in die Straße der Weißen Mäntel.

 

Kreuzritter‑Rosen von Provins für den Blumenschmuck:

 

6 Sträuße zu 6 an 6 Orte:

 

jeder zu 20 Denier, macht 120 Denier.

 

Dies ist die Reihenfolge:

 

die ersten zur Burg

 

item die zweiten zu denen an der Porte‑aux‑Pains

 

item zur Kirche des Refugiums

 

item zur Kirche Notre‑Dame jenseits des Flusses

 

item zum alten Haus der Ketzer

 

item zur Straße des Runden Steins

 

Und 3 Sträuße zu 6 vor dem Fest in die Straße der Huren

 

denn auch diese Armen wollten sich zum Fest gern ein schönes Rosenhütchen machen.«

»Mein Gott«, sagte ich,»mir scheint, du hast recht.«

»Klar hab ich recht. Das ist eine Wäscheliste, ich wiederhole es dir.«

»Moment mal. Dies hier mag ja noch eine Wäscheliste sein, aber das oben ist eine chiffrierte Botschaft, die von sechsunddreißig Unsichtbaren spricht.«

»In der Tat. Den französischen Text hatte ich nach einer Stunde raus, aber der andere hat mich zwei ganze Tage gekostet. Ich hab den Trithemius studieren müssen, erst in der Ambrosiana und dann in der Trivulziana, und du weißt ja, wie diese Bibliothekare sind, bevor sie dir ein altes Buch in die Hand geben, sehen sie dich an, als ob du es auffressen wolltest. Aber die Sache ist ganz einfach. Zuerst mal, und darauf hättest du auch selbst kommen können: bist du sicher, dass les 36 inuisibles separez en six bandes dasselbe Französisch ist wie das unseres Händlers? Tatsächlich habt ja auch ihr gemerkt, dass es sich um eine Formel handelt, die in einem Pamphlet aus dem siebzehnten Jahrhundert benutzt wird, als die Rosenkreuzer in Paris aufgetaucht sind. Aber ihr habt wie eure Diaboliker argumentiert: Wenn die Botschaft nach der Methode von Trithemius chiffriert worden ist, muß Trithemius von den Templern abgeschrieben haben, und da die Botschaft einen Satz zitiert, der in den Kreisen der Rosenkreuzer umging, muß der Plan, der bisher den Rosenkreuzern zugeschrieben wurde, in Wahrheit schon der Plan der Templer gewesen sein. Aber versuch mal, die Argumentation umzudrehen, wie es jeder halbwegs vernünftige Mensch tun würde: Da die Botschaft mit der Trithemius‑Methode chiffriert worden ist, muß sie nach Trithemius geschrieben worden sein, und da sie eine Formel zitiert, die im Jahrhundert der Rosenkreuzer aufgekommen ist, muß sie danach geschrieben worden sein. Was ist nun die ökonomischste Hypothese? Ingolf findet die Botschaft von Provins, und da er wie der Oberst ein Hermetic‑Mystery‑Freak ist, braucht er bloß 36 und 120 zu lesen und denkt sofort an die Rosenkreuzer. Und da er auch ein Kryptographie‑Freak ist, vergnügt er sich damit, die Botschaft in Geheimschrift zu resümieren. Er setzt sich hin und chiffriert seine schöne rosenkreuzerische Formel nach einem Chiffriersystem von Trithemius.«

Date: 2015-12-13; view: 407; Нарушение авторских прав; Помощь в написании работы --> СЮДА...



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