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Tifereth 11 page





Die neuesten Arbeiten des Spartacus [Weishaupt] und Philo [Frhr. v. Knigge] in dem Illuminaten‑Orden, Frankfurt/M. 1794, p. 165

 

Gerade in jenen Tagen hatten wir beim Lesen einiger Seiten unserer Diaboliker entdeckt, daß der Graf von Saint‑Germain bei seinen vielen Verwandlungen auch den Namen Rackoczi geführt hatte, so jedenfalls berichtete es der preußische Gesandte am sächsischen Hof zu Dresden. Und der Landgraf von Hessen, an dessen Hof Saint‑Germain angeblich gestorben war, hatte gesagt, er sei transsylvanischer Herkunft gewesen und habe sich Ragozki genannt. Hinzu kam, daß Comenius seine Pansophia (ein zweifellos rosen‑kreuzerisch angehauchtes Werk) einem Landgrafen (wie viele Landgrafen gab es in dieser Geschichte?) namens Ragovsky gewidmet hatte. Und schließlich, letztes Steinchen im Mosaik, war mir beim Kramen an einem Bouquinistenstand auf der Piazza Castello ein deutsches Buch über die Freimaurer in die Hände gefallen, ein anonymes Werk, aber mit einer handschriftlichen Eintragung auf dem Vorsatzblatt, derzufolge es von einem gewissen Karl Aug. Ragotgky stammte. Bedachten wir, daß Rakosky der Name des mysteriösen Fremden gewesen war, der vielleicht den Oberst Ardenti umgebracht hatte, ergab sich nun eine Möglichkeit, unseren Grafen von Saint‑Germain in die Mäander des Großen Plans einzufügen.

»Geben wir diesem Abenteurer damit nicht zu viel Macht?«fragte Diotallevi besorgt.

»Nein, nein«, beruhigte ihn Belbo,»der muß mit rein, der gehört genauso dazu wie die Sojasoße zum chinesischen Essen. Sonst ist es nicht chinesisch. Schau dir Agliè an, der versteht was davon: hat er sich als Modell etwa Cagliostro oder Willermoz genommen? Nein, Saint‑Germain ist die Quintessenz des Homo Hermeticus.«

Pjotr Iwanowitsch Ratschkowski. Jovial, glatt, katzenhaft schmeichlerisch, intelligent und schlau, genialer Fälscher. Erst kleiner Beamter, dann in Kontakt mit revolutionären Gruppen, wird er 1879 von der Geheimpolizei verhaftet und beschuldigt, terroristischen Freunden nach einem Attentat auf General Drentel Unterschlupf gewährt zu haben. Läuft über zur Seite der Polizei und geht – schau, schau! – zu den Schwarzen Hundertschaften. 1890 entlarvt er eine Organisation in Paris, die Bomben für Attentate in Russland bastelt, und lässt zu Hause dreiundsechzig Terroristen verhaften. Zehn Jahre später stellt sich heraus, daß die Bomben von seinen eigenen Leuten gebaut worden waren.

1887 verbreitet er den Brief eines reuigen Ex‑Revolutionärs namens Iwanow, der beteuert, daß die Mehrheit der Terroristen Juden seien; 1890 dito eine»Confession par un vieillard ancien révolutionnaire«, worin die im Londoner Exil lebenden Revolutionäre beschuldigt werden, britische Agenten zu sein; 1892 dann einen falschen Text von Plechanow, in dem behauptet wird, die Führung der anarcho‑populistischen Partei Narodnaja Wolja hätte jene Konfession publizieren lassen.

1902 versucht er eine französisch‑russische antisemitische Liga zu konstituieren. Dazu benutzt er eine Technik ähnlich jener der ersten Rosenkreuzer: Er behauptet, daß die Liga bereits existiere, damit sie dann jemand gründet. Aber er benutzt auch noch eine andere Technik: die raffinierte Vermengung des Falschen mit Wahrem, wobei ihm das Wahre so abträglich ist, daß niemand am Falschen zweifelt. So lässt er in Paris einen mysteriösen Appell an die Franzosen zirkulieren, der zur Unterstützung einer Russischen Patriotischen Liga mit Sitz in Charkow aufruft. Darin attackiert er sich selber als denjenigen, der die Liga zu Fall bringen wolle, und wünscht sich, daß er, Ratschkowski, seine Haltung ändere. Er beschuldigt sich selbst, sich so zwielichtiger Figuren wie Nilus zu bedienen, was zutrifft.

Wieso lassen sich nun aber diesem Ratschkowski die Protokolle zuschreiben?

Ratschkowskis Beschützer war der Minister Sergej Witte, ein Progressiver, der Russland zu einem modernen Land machen wollte. Wieso sich ein Progressiver des Reaktionärs Ratschkowski bediente, weiß Gott allein, aber wir waren inzwischen auf alles gefasst. Witte hatte einen politischen Gegner, einen gewissen Elie de Cyon, der ihn bereits öffentlich mit polemischen Spitzen attackiert hatte, die an gewisse Stellen der Protokolle erinnern. Aber in den Schriften von Cyon finden sich keine Ausfälle gegen die Juden, da er selbst indischer Abstammung war. 1897 lässt nun Ratschkowski auf Anordnung Wittes die Villa von Cyon in Territet bei Montreux durchsuchen und findet ein Pamphlet von Cyon, das nach dem Muster der Satire von Joly (oder des Romans von Sue) verfasst worden ist und in dem die Ideen von Jolys Machiavelli‑Napoleon III. nun Witte unterschoben werden. Ratschkowski mit seiner genialen Fälschergabe nimmt den Text, ersetzt Witte durch die Juden und bringt das Produkt in Umlauf. Der Name Cyon scheint wie geschaffen, um an Zion zu erinnern, und endlich lässt sich beweisen, daß ein angesehener jüdischer Exponent eine jüdische Weltverschwörung anprangert. So sind die Protokolle entstanden. Der Text fallt auch in die Hände von Juliane oder Justine Glinka, die in Paris das Milieu der Madame Blavatsky frequentiert und in ihren Mußestunden die im Exil lebenden russischen Revolutionäre ausspioniert. Die Glinka ist zweifellos eine Agentin der Paulizianer, die mit den Großgrundbesitzern liiert sind und daher dem Zaren einreden wollen, daß Wittes Programme dieselben seien wie die der jüdischen Weltverschwörung. Die Glinka schickt das Dokument an General Orgejewski, und dieser lässt es durch den Kommandanten der kaiserlichen Garde dem Zaren vorlegen. Witte bekommt Schwierigkeiten.

So hat Ratschkowski, mitgerissen von seinem antisemitischen Eifer, zum Unglück seines Beschützers beigetragen. Und vermutlich auch zu seinem eigenen. Denn von diesem Moment an verloren wir seine Spur. Vielleicht hatte sich Saint‑Germain bereits zu anderen Verkleidungen und neuen Inkarnationen aufgemacht. Aber unsere Geschichte hatte jetzt ein plausibles, rationales und klares Profil gewonnen, wurde sie doch nun durch eine Reihe von Tatsachen gestützt, deren Wahrheit so unbestreitbar war – sagte Belbo – wie die Wahrheit Gottes.

All das rief mir wieder in Erinnerung, was mir De Angelis über die Synarchie erzählt hatte. Das Schöne an der ganzen Geschichte – sicher an unserer, aber vielleicht auch an der Großen Weltgeschichte, wie Belbo mit fiebrigem Blick bemerkte, während er mir seine Notizen reichte –, das Schöne daran sei, daß Gruppen, die in tödlichem Kampf miteinander lagen, sich gegenseitig erledigten, indem sie jede die Waffen der anderen benutzten.»Die erste Pflicht eines Infiltrierten ist«, kommentierte ich,»diejenigen als Infiltrierte anzuklagen, bei denen er sich infiltriert hat«

»Dazu fällt mir eine Geschichte aus *** ein«, sagte Belbo.»Bei Sonnenuntergang begegnete ich auf der Hauptstraße immer einem Typ namens Remo oder so ähnlich, der in einem schwarzen Fiat Balilla saß. Schwarzer Schnurrbart, schwarzes Kraushaar, schwarzes Hemd und schwarze Zähne, grässlich kariös. Und er küsste ein Mädchen. Und mich ekelten diese schwarzen Zähne, die dieses schöne blonde Ding küssten, ich weiß nicht einmal mehr, wie sie aussah, aber für mich war sie Jungfrau und Prostituierte, sie war das Ewig‑Weibliche. Und ich zitterte sehr davor.«Er hatte instinktiv einen feierlichen Ton angenommen, um seine ironische Absicht auszudrücken, wissend, daß er sich von den unschuldigen Sehnsüchten der Erinnerung hatte forttragen lassen.»Ich fragte mich und hatte die anderen gefragt, warum dieser Remo, der zu den Schwarzen Brigaden gehörte, sich so unverhüllt zeigen konnte, auch in den Monaten, in welchen *** nicht von den Faschisten besetzt war. Und man hatte mir gesagt, es werde gemunkelt, er habe sich bei den Partisanen infiltriert. Ob das nun stimmte oder nicht, eines Abends sehe ich ihn wieder in demselben schwarzen Fiat, mit denselben schwarzen Zähnen, wie er dasselbe blonde Mädchen küsst, aber jetzt mit einem roten Tuch um den Hals und in einem Khakihemd. Er war zu den kommunistischen Partisanen übergewechselt. Alle feierten ihn, und er hatte sich auch einen Nom de guerre zugelegt: X9, wie der Held in den Comics von Alex Raymond, die er im Avventuroso gelesen hatte. Bravo, X9, sagten alle zu ihm... Und ich hasste ihn noch mehr, weil er jetzt das Mädchen mit Zustimmung des Volkes besaß. Aber einige munkelten, er wäre ein unter die Partisanen infiltrierter Faschist, und ich glaube, das waren die, die das Mädchen begehrten, aber so war's, X9 wurde verdächtigt...«

»Und dann?«

»Hören Sie, Casaubon, warum interessieren Sie sich so für meine Angelegenheiten?«

»Weil Sie erzählen, und Erzählungen sind Fakten des kollektiven Imaginären.«

»Good point. Also, eines Morgens begab sich X9 aufs flache Land hinaus, vielleicht hatte er sich mit dem Mädchen in den Feldern verabredet, um über jenes kümmerliche Petting hinauszugelangen und ihr zu zeigen, daß seine Rute weniger kariös war als seine Zähne – entschuldigt, ich kann ihn noch immer nicht leiden –, na jedenfalls, da locken ihn die Faschisten in eine Falle, bringen ihn in die Stadt, und früh um fünf am nächsten Morgen wird er erschossen.«

Pause. Belbo sah auf seine Hände, die er flach zusammengelegt hielt wie im Gebet. Dann nahm er sie plötzlich auseinander und sagte:»Es war der Beweis, daß er kein Infiltrierter war.«

»Moral der Geschichte?«

»Wer sagt denn, daß jede Geschichte eine Moral haben muß? Aber wenn ich's recht bedenke, vielleicht will sie sagen, daß man, um etwas zu beweisen, manchmal sterben muß.«

 

97

 

 

Ich bin, der ich bin.

Exodus 3,14

 

Ich bin, der ich bin. Ein Axiom der hermetischen Philosophie.

Madame Blavatsky, Isis Unveiled, p. l

 

– Wer bist du? fragten gleichzeitig dreihundert Stimmen, während zwanzig Degen in den Händen der nächsten Phantome aufblitzten. – Ich bin, der ich bin, sagte er.

Alexandre Dumas, Joseph Balsamo, II

 

Am nächsten Morgen kamen wir wieder zusammen.»Gestern haben wir ein schönes Stück Trivialliteratur geschrieben«, sagte ich zu Belbo.»Aber wenn wir einen glaubwürdigen Plan machen wollen, sollten wir uns vielleicht ein bisschen mehr an die Realität halten.«

»An welche Realität?«fragte er mich.»Vielleicht gibt uns nur die sogenannte Trivialliteratur den wahren Maßstab der Realität. Man hat uns genarrt.«

»Wer?«

»Man hat uns eingeredet, auf der einen Seite wäre die Große Kunst, die Hochliteratur, die typische Personen in typischen Umständen darstellt, und auf der anderen die Trivialliteratur, die atypische Personen in atypischen Umständen darstellt. Ich glaubte, ein wahrer Dandy würde sich nie mit Scarlett O'Hara einlassen, nicht mal mit Constance Bonacieux oder gar mit Angélique. Ich spielte mit dem Trivialroman, um mich ein bisschen außerhalb des Lebens zu ergehen. Er beruhigte mich, weil er mir das Unerreichbare vorsetzte. Aber es ist nicht so.«

»Nein?«

»Nein. Proust hatte recht, das Leben wird sehr viel besser durch schlechte Musik als durch eine Missa Solemnis dargestellt. Die Kunst gaukelt uns etwas vor und beruhigt uns, denn sie lässt uns die Welt so sehen, wie die Künstler sie gerne hätten. Der Schauerroman tut so, als ob er bloß scherzte, aber dann zeigt er uns die Welt so, wie sie ist, oder zumindest so, wie sie sein wird. Die Frauen sind Mylady ähnlicher als Anna Karenina, Fu Man‑Chu ist wahrer als Nathan der Weise, und die Realgeschichte gleicht mehr der von Eugene Sue erzählten als der von Hegel entworfenen. Shakespeare, Melville, Balzac und Dostojewski haben Schauergeschichten geschrieben. Das, was wirklich geschehen ist, ist das, was die Trivialliteratur im voraus erzählt hat«

»Ja, weil die Trivialliteratur leichter zu imitieren ist als die Kunst. Um wie Mona Lisa zu werden, muß man hart an sich arbeiten, um wie Mylady zu werden, braucht man sich bloß dem natürlichen Hang zur Bequemlichkeit zu überlassen.«

Diotallevi, der bisher geschwiegen hatte, warf ein:»Wie unser Agliè. Er imitiert lieber Saint‑Germain als Voltaire.«

»Ja«, sagte Belbo,»und die Frauen finden Saint‑Germain ja auch interessanter als Voltaire.«

Später fand ich unter seinen files einen Text, in dem er unsere Ergebnisse in Schauerroman‑Archetypen resümiert hatte. Ich sage in Schauerroman‑Archetypen, weil er sich offensichtlich damit amüsiert hatte, das Ganze durch zusammenmontierte Klischees zu erzählen, ohne an Eigenem mehr als ein paar verbindende Sätze hinzuzufügen. Ich kann beileibe nicht alle Zitate, Plagiate, Entlehnungen und Paraphrasen identifizieren, aber ich habe viele Stellen dieser wilden Collage wiedererkannt. Ein weiteres Mal hatte sich Belbo, um dem Leiden an der Historie zu entfliehen, dem Leben schreibend durch eingeblendete Schreibe anderer genähert.

Filename: Die Rückkehr des Grafen von Saint‑Germain

 

Seit nunmehr fünf Jahrhunderten treibt mich die rächende Hand des Allmächtigen, aus den Tiefen Asiens bis in dieses Land. Ich bringe Schrecken, Verzweiflung und Tod. Doch wohlan, ich bin der Notar des Großen Planes, auch wenn es die andern nicht wissen, ich habe Schlimmeres gesehen, und das Anzetteln der Bartholomäusnacht hat mich mehr Mühsal gekostet, als ich jetzt aufzubringen gedenke. Oh, warum kräuseln sich meine Lippen zu diesem satanischen Lächeln? Ich bin, der ich bin – hätte sich der verruchte Cagliostro nicht auch noch dieses mein letztes Recht angemaßt.

Doch der Triumph ist nahe. Soapes, als ich Kelley war, hat mich alles gelehrt, im Tower von London. Das Geheimnis ist, ein anderer zu werden.

Mit schlauen Intrigen habe ich Giuseppe Balsamo in der Festung San Leo einkerkern lassen und mich seiner Geheimnisse bemächtigt. Als Saint‑Germain bin ich verschwunden, alle halten mich jetzt für Cagliostro.

Vor kurzem hat es Mitternacht von allen Uhren der Stadt geschlagen. Welch unnatürliche Stille. Dieses Schweigen verspricht nichts Gutes. Die Nacht ist wunderbar, obschon sehr kalt, der Mond hoch am Himmel taucht die undurchdringlichen Gassen des alten Paris in ein frostiges Licht. Es könnte zehn Uhr abends sein: Der Turm von Black Friars Abbey hat soeben feierlich acht Uhr geschlagen. Der Wind schüttelt mit düsterem Klirren die Eisenfähnchen auf der trostlosen Weite der Dächer. Dichte Wolken bedecken den Himmel.

Captain, kehren wir um? Nein, im Gegenteil, wir stürmen voran. Verflucht, gleich wird die Patna sinken, spring, Surabaya‑Jim, spring! Gäbe ich nicht, um dieser Angst zu entgehen, einen nussgroßen Diamanten? An Luv den Hauptbaum, den Besan, das Vorbram, was willst du noch mehr, verdammter Hurensohn, there blows!

Ich fletsche grässlich das Gehege der Zähne, indes eine Todesblässe mein wächsernes Antlitz mit grünlichen Flammen entzündet.

Wie bin ich hierhergekommen, ich, der ich als das Inbild der Rache erscheine? Grinsen werden die Geister der Hölle, verächtlich grinsen über die Tränen des Wesens, dessen drohende Stimme sie so oft erzittern ließ im tiefsten Schlund ihres feurigen Abgrunds.

Wohlan, eine Fackel.

Wie viele Stufen bin ich hinabgestiegen in diesen Keller? Sieben? Sechsunddreißig? Da ist kein Stein, den ich berührt, kein Schritt, den ich getan habe, der nicht eine Hieroglyphe verbärge. Wenn ich sie aufgedeckt haben werde, wird meinen Getreuen endlich das Große Geheimnis offenbart. Dann bleibt ihnen nur noch, es zu entziffern, und seine Lösung wird sein der Schlüssel, hinter dem sich die Botschaft verbirgt, die dem Eingeweihten, und nur ihm allein, in klaren Worten sagen wird, welcher Art das Rätsel ist.

Vom Rätsel zur Dechiffrierung ist der Weg kurz, und herauskommen wird in gleitender Pracht das Hierogramm, um das Gebet der Befragung zu läutern. Dann wird keinem mehr unbekannt sein können das Arkanum, der Schleier, der ägyptische Teppich, der das Pentaculum bedeckt. Und von da geht es weiter zum Licht, den Okkulten Sinn des Pentaculums zu erklären, die Kabbalistische Frage, auf die nur wenige antworten werden, um mit Donnerstimme zu sagen, welches das Unergründliche Zeichen sei. Über dieses gebeugt, werden Sechsunddreißig Unsichtbare die Antwort geben müssen, die Aus‑Sage der Großen Rune, deren Sinn sich nur den Kindern des Hermes erschließt, und ihnen allein sei das Höhnische Siegel gegeben, die Maske, hinter der sich das Antlitz abzeichnet, das sie bloßzulegen versuchen, der Mystische Rebus, das Erhabene Anagramm...

– Sator Arepo! rufe ich mit einer Stimme, die ein Gespenst erzittern ließe. Und ablassend von dem Rad, das er hält mit dem schlauen Werk seiner Mörderhände, erscheint Sator Arepo, bereit für meine Befehle. Ich erkenne ihn, ich hatte bereits geargwöhnt, daß er es sei. Es ist Luciano, der kriegsversehrte Packer, den die Unbekannten Oberen zum Exekutor meines infamen und blutigen Auftrags ausersehen haben.

– Sator Arepo, frage ich höhnisch, weißt du, welches die letzte Antwort ist, die sich hinter dem Erhabenen Anagramm verbirgt?

– Nein, Graf, antwortet der Unbesonnene, ich erwarte sie aus deinem Munde.

Ein Höllengelächter steigt von meinen bleichen Lippen empor und bricht sich hallend unter den alten Gewölben.

– Narr! Nur der wahre Initiierte weiß, daß er die Antwort nicht weiß.

– Jawoll, Chef, antwortet der Packer stumpf, ganz wie Sie wollen. Stehe zu Diensten.

Wir befinden uns in einem finsteren Keller in Clignancourt. Heute Nacht muß ich dich bestrafen, dich vor allem, die du mich eingeweiht hast in die noble Kunst des Verbrechens. Dich, die du vorgibst, mich zu lieben, und schlimmer noch, es sogar glaubst, und die namenlosen Feinde, mit denen du das nächste Weekend verbringen wirst. Luciano, der ungelegene Zeuge meiner Demütigungen, wird mir seinen Arm dazu leihen – den einzigen, den er noch hat – und dann selbst daran sterben.

Der Keller hat eine Luke im Boden, die zu einem Schacht führt, einer Art Brunnenloch oder Verlies, das seit unvordenklichen Zeiten als Versteck für Schmuggelware benutzt wird. Der Schacht ist beunruhigend feucht, da unmittelbar den Pariser Kloaken benachbart, dem Labyrinth des Verbrechens, und das alte Gemäuer schwitzt unsägliche Miasmen aus, so daß es genügt, mit Hilfe Lucianos, des Treuesten im Bösen, ein Loch in die Wand zu schlagen, und das Wasser bricht in Strömen herein, überschwemmt das Kellergeschoss, lässt die brüchigen Mauern zerfallen und den Schacht einswerden mit dem Rest der Kanäle, schon schwimmen da unten verwesende Ratten, die schwärzlich schimmernde Fläche, die man vom Rande des Schachtes aus sieht, ist nurmehr der Vorhof zur nächtlichen Verdammnis – fern, fern die Seine, dann das Meer...

Eine Strickleiter hängt in den Schacht hinab, und auf ihr geht Luciano jetzt unten, dicht über dem Wasserspiegel, in Stellung, bewehrt mit einem Messer: eine Hand um die erste Sprosse geklammert, die andere um den Messergriff, die dritte bereit, das Opfer zu packen. – Jetzt warte, und rühr dich nicht, sage ich zu ihm, du wirst sehen.

Ich habe dich dazu gebracht, alle Männer mit Narben zu eliminieren – komm mit, sei für immer die meine, lass uns diese unerwünschten Präsenzen beseitigen, ich weiß, daß du sie nicht liebst, du hast es mir selber gesagt, so werden nur du und ich übrig bleiben, wir zwei und die unterirdischen Strömungen.

Jetzt bist du eingetreten, hochmütig wie eine Vestalin, heiser und bucklig wie eine Hexe – o Höllenvision, die du meine hundertjährigen Lenden erschütterst und mir die Brust einschnürst vor stechendem Verlangen, o herrliche Mulattin, Werkzeug meiner Verdammnis! Mit Krallenhänden zerreiße ich mir das feine Batisthemd, das meine Brust schmückt, und mit den Nägeln kratze ich blutige Furchen hinein, indes eine grässliche Glut meine Lippen verbrennt, die kalt sind wie die Hände der Schlange. Ein dumpfes Gebrüll steigt aus den schwärzesten Tiefen meiner Seele empor und durchbricht das Gehege meiner gebleckten Zähne – ich Zentaur, erbrochen vom Tartaros –, und fast hört man keinen Salamander mehr fliegen, denn ich halte den Schrei zurück und nähere mich dir mit einem schaurigem Lächeln.

– Meine Liebe, meine Sophia, begrüße ich dich katzenhaft schmeichelnd, wie es nur der geheime Chef der Ochrana vermag. Komm, ich hatte dich schon erwartet, verstecke dich mit mir im Dunkeln und warte – und du lachst heiser und schmierig, in lüsterner Vorfreude auf eine Erbschaft oder Beute, ein Manuskript der Protokolle zum Verkauf an den Zaren... Wie gelingt es dir nur, hinter diesem Engelsgesicht deine Dämonennatur zu verbergen, schamhaft eingehüllt in deine androgynen Jeans, dein fast durchsichtiges T‑Shirt, das gleichwohl die infame Lilie verbirgt, die dir der Henker von Lille in dein weißes Fleisch gebrannt hat!

Der erste Ahnungslose ist eingetroffen, von mir in die Falle gelockt. Ich erkenne nur schwer seine Züge unter der Kapuze, doch er zeigt mir das Zeichen der Templer von Provins. Es ist Soapes, der Abgesandte der portugiesischen Gruppe. – Graf, sagt er, der Moment ist gekommen. Zu viele Jahre sind wir verstreut durch die Welt geirrt. Ihr habt das Schlussstück der Botschaft, ich das, mit welchem das Große Spiel einst begann, aber das ist eine andere Geschichte. Tun wir unsere Kräfte zusammen, und die andern...

Ich vollende seinen Satz: – Die andern, zur Hölle mit ihnen! Geh, Bruder, dort in der Mitte des Raumes findest du einen Schrein, und in dem Schrein befindet sich, was du seit Jahrhunderten suchst. Fürchte dich nicht vor der Dunkelheit, sie bedroht uns nicht, sie schützt uns.

Der Ahnungslose bewegt sich langsam, fast tastend voran. Ein dumpfer Fall. Er ist in den Schacht gestürzt, unten packt ihn Luciano und schwingt seine Klinge, ein rascher Schnitt durch die Kehle, und das Sprudeln des Blutes vermischt sich mit dem Blubbern der chthonischen Flüssigkeit.

Jemand klopft an die Tür. – Bist du's, Disraeli?

– Yes, antwortet der Unbekannte, in dem meine Leser sogleich den Großmeister der englischen Gruppe erkannt haben werden, der den Gipfel der Macht erreicht hat, aber noch immer nicht zufrieden ist. Er spricht: – My lord, it is useless to deny, because it is impossible to conceal, that a great part of Europe is covered with a network of these secret societies, just as the superficies of the earth is now being covered with railroads...

– Das hast du bereits im Unterhaus gesagt am 14. Juli 1856, mir entgeht nichts. Komm zur Sache!

Der baconische Jude flucht leise zwischen den Zähnen. Dann fährt er fort: – Es sind zu viele. Die sechsunddreißig Unsichtbaren sind nun dreihundertsechzig. Multipliziert mit zwei, macht siebenhundertzwanzig. Ziehe die hundertzwanzig Jahre ab, nach denen die Tone sich öffnen werden, und du hast sechshundert, wie beim Angriff der Leichten Brigade auf der Ebene von Balaklawa.

Teufel von einem Menschen, die Geheimwissenschaft der Zahlen hat keine Geheimnisse für ihn.

– Und weiter?

– Wir haben das Gold, du hast die Karte. Tun wir uns zusammen, und wir sind unschlagbar.

Mit feierlicher Gebärde deute ich auf den phantasmatischen Schrein, den er, geblendet von seiner Gier, im Dunkeln zu erspähen meint. Er setzt sich in Bewegung, fällt.

Ich höre das düstere Aufblitzen von Lucianos Klinge, ich sehe trotz der Finsternis das Röcheln, das in den brechenden Augen des Engländers schimmert. Gerechtigkeit ist getan.

Ich erwarte den dritten, den Mann der französischen Rosenkreuzer, Montfaucon de Villars – bereit, schon weiß ich's, die Geheimnisse seiner Sekte zu verraten.

– Gestatten, Graf Gabalis, stellt er sich vor, verlogen und eitel.

Ich brauche nur wenige Worte zu raunen, und schon geht er seinem Schicksal entgegen. Er fällt, und blutgierig verrichtet Luciano sein Henkerswerk.

Du lächelst mir zu aus dem Dunkel und sagst du seiest mein und dein werde mein Geheimnis sein. Du irrst dich, du irrst dich, sinistre Karikatur der Schechinah. Jawohl, ich bin dein Simon, doch warte, noch weißt du das Beste nicht. Und wenn du's erfahren hast, wirst du aufgehört haben, zu wissen.

Was weiter? Nacheinander kommen die anderen.

Die deutschen Illuminaten werde, hatte mir Pater Bresciani gesagt, die schöne Babette von Interlaken vertreten, die Urenkelin von Weishaupt, die hehre Jungfrau des helvetischen Kommunismus, aufgewachsen unter Säufern, Räubern und Mördern, Expertin im Durchdringen undurchdringlicher Geheimnisse, im Öffnen versiegelter Briefe, ohne das Siegel zu öffnen, im Verabreichen giftiger Tränke, wie's ihre Sekte befahl.

Eintritt nun also die junge Göttin des Bösen, der Agathodaimon des Verbrechens, in einen makellos weißen Eisbärenpelz gehüllt, das lange Blondhaar wallend unter dem kecken Kalpak, hochmütigen Blickes und mit sarkastischer Miene. Und mit der üblichen List schicke ich sie in ihr Verderben.

Ah, Ironie der Sprache – dieser Gabe, die uns die Natur gegeben hat, um uns zu erlauben, über die Geheimnisse unserer Seele zu schweigen: Die Erleuchtete fällt dem Dunkel zum Opfer. Ich höre sie grässliche Flüche ausstoßen, die Reulose, während ihr Luciano das Messer ins Herz stößt und es dreimal darin umdreht. Déjà vu, déjà lu...

Der nächste ist Nilus, der für einen Moment geglaubt hatte, sowohl die Zarin als auch die Karte zu haben. Schmieriger Lustmönch, du wolltest den Antichrist? Wohlan, da vorne im Dunkeln findest du ihn, doch weißt du's noch nicht... Und blind schicke ich ihn, unter tausend mystischen Schmeicheleien, in den infamen Hinterhalt, der ihn erwartet. Luciano zerfetzt ihm die Brust mit zwei Schnitten in Kreuzesform, und der Elende sinkt in den ewigen Schlaf.

Ich muß das uralte Misstrauen des letzten überwinden, des Weisen von Zion, der sich für Ahasver hält, für den Ewigen Juden, unsterblich wie ich. Er traut mir nicht, während er salbungsvoll lächelt, der Bart noch feucht vom Blute der zarten Christenkinder, die er auf dem Prager Friedhof zu zerfleischen pflegt. Er kennt mich als Ratschkowski, ich muß ihn an Gerissenheit übertrumpfen. So gebe ich ihm zu verstehen, daß der Schrein nicht nur die Karte enthalte, sondern auch rohe, noch ungeschliffene Diamanten. Ich weiß, welche Faszination Rohdiamanten auf diese gottesmörderische Sippe ausüben. Er geht seinem Schicksal entgegen, verlockt und getrieben von seiner Begehrlichkeit, und es ist sein Gott, sein grausamer und rachgieriger Gott, den er sterbend verflucht, erdolcht wie Hiram, so schwer ihm das Fluchen auch fallen mag, da er seines Gottes Namen nicht über die Lippen bringt.

Träumer, der ich schon glaubte, das Große Werk beendet zu haben!

Wie von einem Wirbelwind gepackt, springt die Tür erneut auf, und es erscheint eine Gestalt mit bleichem Gesicht, die Hände fromm vor der Brust gefaltet, den Blick bescheiden zu Boden gesenkt. Seine Natur jedoch kann mir dieser Neuankömmling nicht verbergen, denn er trägt das schwarze Kleid seines schwarzen Ordens. Ein Sohn Loyolas, ein Jesuit!

– Crétineau! rufe ich, irregeführt.

Er hebt die Hand zu einer heuchlerischen Segensgebärde.

– Ich bin nicht, der ich bin, sagt er mit einem Lächeln, das nichts Menschliches mehr an sich hat.

Dies war in der Tat seit jeher ihre Technik: mal verleugnen sie ihre Existenz sogar vor sich selbst, mal proklamieren sie die Macht ihres Ordens, um die Trägen im Geiste einzuschüchtern.

– Wir sind immer anders als ihr denkt, ihr Kinder Belials (sagt nun dieser Verführer gekrönter Häupter). Aber du, o Saint‑Germain...

Date: 2015-12-13; view: 496; Нарушение авторских прав; Помощь в написании работы --> СЮДА...



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