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Ïîëåçíîå:

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Dreizehn bei Tisch





Agatha Christie

 

 

1

Das Gedächtnis des Publikums ist kurz. Schon fielen das Interesse und die Aufregung, die die Ermordung von George Alfred Vincent Marsh, des vierten Lords Edgware, entfachte, der Vergessenheit anheim. Und trotzdem hat kein anderes Ereignis je so viel Staub aufgewirbelt.

Mein Freund Hercule Poirot wurde öffentlich nie in Verbindung mit diesem Fall genannt, was ‑ ich muß dies hinzufügen ‑ seinen eigenen Wünschen entsprach. Ihm paßte es nicht, in Erscheinung zu treten. Die Ehre des Erfolges heimste daher ein anderer ein, und das war Poirots Absicht. Überdies betrachtete er von seinem ganz privaten Standpunkt aus den Fall als eine seiner Nieten. Er schwört auch heute noch, daß ihn lediglich die zufällige Bemerkung eines gänzlich fremden Passanten auf die richtige Fährte gebracht habe.

Vielleicht trifft dies zu; aber nichtsdestoweniger war es sein Genie, das die Wahrheit entdeckte. Und ich bin fest überzeugt, daß ohne Hercule Poirot der Täter straflos ausgegangen sein würde.

Deshalb dünkt es mich an der Zeit, alles, was mir über dieses Verbrechen bekannt ist, schwarz auf weiß niederzulegen. Ich kenne den Fall in‑ und auswendig und möchte nicht unerwähnt lassen, daß ich, indem ich ihn zu Papier bringe, im Sinne einer ungemein fesselnden, bezaubernden Frau handle.

Wie oft habe ich mich schon jenes Tages in Poirots nettem, behaglichem Wohnzimmer erinnert, als mein kleiner Freund, auf einem schmalen Streifen des Teppichs auf und ab wandernd, uns seine meisterhafte und erstaunliche Zusammenstellung des Falles vortrug! Ich werde meine Erzählung beginnen, wie auch er damals begann: mit einem Londoner Theater im Juni des vergangenen Jahres.

Zu jenem Zeitpunkt war Carlotta Adams vielleicht die Künstlerin, für die die Londoner sich am meisten begeisterten. Ein Jahr zuvor hatte sie etliche Matineen veranstaltet und mit ihnen einen ungeheuren Erfolg zu verzeichnen gehabt. Dies Jahr gab sie ein dreiwöchiges Gastspiel, das nun zu Ende ging.

Carlotta Adams, eine junge Amerikanerin, verfügte über das fabelhafteste Talent für Sketches, die keiner großartigen Aufmachung oder Szenerie bedurften. Jede Sprache schien sie mit gleicher Geläufigkeit zu sprechen. Ihr Sketch, der einen Abend in einem internationalen Hotel darstellte, war wirklich einzigartig. Der Reihe nach flitzten amerikanische Touristen, deutsche Vergnügungsreisende, kleinbürgerliche Familien, fragwürdige Dämchen, verarmte russische Aristokraten und gelangweilte Kellner über die Bühne.

Diese Sketches wechselten vom Schmerz zur Freude und wieder zurück. Bei ihrer in einem Spital sterbenden slowakischen Bäuerin stieg einem ein dicker Klumpen unterdrückter Tränen in die Kehle. Eine Minute später krümmte man sich vor Lachen, wenn ein Zahnarzt seine Praxis ausübte und dabei liebenswürdig mit seinen Opfern schwatzte.

Carlotta Adams' Programm schloß mit einer Nummer, die sie»einige Imitationen«betitelte.

Auch hierbei war sie wieder unglaublich geschickt. Ohne sonderliche Hilfsmittel schienen ihre Züge sich plötzlich aufzulösen und sich von neuem in jene eines berühmten Politikers oder einer gefeierten Schauspielerin oder einer stadtbekannten Modedame zu verwandeln. Jeden Charakter vervollständigte sie durch einen kurzen Kommentar. Übrigens zeichneten sich diese Anmerkungen durch bedeutenden Witz und Scharfsinn aus, sie schienen jedwede Schwäche der jeweilig auserwählten Persönlichkeit zu erraten und zu treffen.

Zuletzt verkörperte sie Jane Wilkinson, eine in London wohlbekannte junge Schauspielerin von ebenfalls amerikanischer Herkunft.

Und hierbei übertraf sie alles bisher Gebotene. Leere Redensarten plapperte ihre Zunge mit einem solchen an Herz und Gemüt rührenden Ton, daß man unwillkürlich, wider besseres Wissen, der Vorstellung erlag, jedem der geäußerten Worte käme eine gewaltige, grundlegende Bedeutung zu. Ihre Stimme, vorzüglich abgetönt, mit einem tiefen, heiseren Beben, war berauschend. Die verhaltenen Bewegungen ‑ eine jegliche merkwürdig bezeichnend ‑, der gewandte, schmiegsame Körper, selbst der Ausdruck von starker physischer Schönheit ‑ wie sie das wiederzugeben verstand, ist mir ein Rätsel!

Ich war immer ein Bewunderer der schönen Jane Wilkinson gewesen. Sie packte mich in ihren gemütvollen Rollen, und ich hatte sie stets gegen jene verteidigt, die wohl ihre Schönheit zugaben, aber andererseits erklärten, sie sei keine wahre Künstlerin, sondern verfüge nur über beträchtliche schauspielerische Fähigkeiten. Beinahe war es ein wenig unheimlich, jetzt diese vertraute, leicht belegte Stimme aus einem fremden Mund zu hören, diese schmerzvollen Gesten der sich zusammenballenden und wieder öffnenden Hand zu beobachten, oder das jähe Zurückwerfen des Haares aus der Stirn, mit dem sie eine dramatische Szene abzuschließen pflegte.

Jane Wilkinson gehörte zu jenen Schauspielerinnen, die bei ihrer Vermählung die Bühne nur verlassen, um sie nach wenigen Jahren von neuem zu betreten. Vor drei Jahren hatte sie den reichen, aber etwas überspannten Lord Edgware geheiratet und, wie das Gerücht ging, kurz hinterher verlassen. Jedenfalls ließ sich die Tatsache nicht leugnen, daß sie achtzehn Monate nach der Hochzeit in Amerika filmte und in dieser Theatersaison in einem erfolgreichen Stück in London spielte.

Während ich Carlotta Adams' geschickte und auch ein wenig boshafte Nachahmung verfolgte, überlegte ich, mit welchen Augen wohl die betreffenden Opfer dieses Schauspiel betrachten würden. Schmeichelte es ihnen, daß man sie der Nachahmung für wert erachtete? Oder verstimmte sie das, was letzten Endes einer überlegten Preisgabe ihrer beruflichen Tricks gleichkam? Spielte Carlotta Adams nicht gewissermaßen die Rolle des nebenbuhlerischen Taschenspielers, der da sagte:»Oh, das ist ein ganz alter Trick! Höchst einfach. Ich will euch zeigen, wie man's macht!«

Wenn ich, Hauptmann Hastings, zu den fraglichen Opfern gehörte, würde ich mich sicher ärgern, wenngleich ich mich natürlich hüten würde, es meinen Mitmenschen zu verraten. Nein, es bedurfte von Seiten der Betroffenen wirklich einer bedeutenden Großzügigkeit und eines ausgesprochenen Sinns für Humor, um solch schonungslose Entlarvung würdigen zu können.

Zu dieser Schlußfolgerung war ich gerade gekommen, als das köstliche Lachen auf der Bühne hinter mir sein Echo fand. Blitzschnell wandte ich den Kopf. Die Dame auf dem Sitz hinter mir, die sich mit leicht geöffneten Lippen vornüberneigte, war niemand anders als Lady Edgware, besser bekannt als Jane Wilkinson. Und sofort vergegenwärtigte ich mir, daß meine Schlußfolgerung falsch gewesen sei. Im Gegenteil beugte sich das augenblickliche Opfer Carlotta Adams' mit unverkennbarem Vergnügen, mit freudiger Erregung nach vorn.

Als der Vorhang zusammenrauschte, klatschte sie laut Beifall, lachte und rief ihrem Begleiter, einem sehr gut aussehenden Mann, schön wie ein griechischer Gott, ein Scherzwort zu. Es war Martin Bryan, der angebetete Filmliebling. Verschiedentlich hatten die Kinobesucher ihn und Jane Wilkinson zusammen auf der Leinwand bewundern können.

»Nicht wahr, sie ist wunderbar?«sagte Lady Edgware jetzt.

»Mein Gott, Jane, Sie sind vor Begeisterung ja ganz aus dem Häuschen!«neckte er.

»Nun ja, sie ist auch unbeschreiblich gut. Tausendmal besser, als ich je gedacht hatte.«

Martin Bryans Erwiderung entging mir, da Carlotta Adams bereits mit einer neuen Persönlichkeit aufwartete ‑ einer Zugabe als Dank für den nicht endenwollenden Beifall.

Was sich später ereignete, war, so denke ich auch heute noch, ein sehr merkwürdiges zufälliges Zusammentreffen.

Nach dem Theater gingen Poirot und ich zum Supper ins Savoy‑Hotel. Und wer saß am Nachbartisch? Lady Edgware, Martin Bryan und zwei Personen, die ich nicht kannte. Während ich Poirot auf die Gesellschaft aufmerksam machte, betrat ein anderes Paar den Saal und nahm an dem übernächsten Tisch Platz. Das Gesicht der Frau kam mir vertraut vor, und dennoch wußte ich es im ersten Moment nicht unterzubringen.

Dann wurde ich mir plötzlich bewußt, daß es Carlotta Adams war. Der elegante Mann ‑ ein Fremder für mich ‑ hatte ein fröhliches, doch ziemlich nichtssagendes Gesicht: ein Menschentyp, den ich nicht mag.

Carlotta Adams trug ein schwarzes, sehr unauffälliges Kleid. Auch ihren Zügen schenkte man nicht sofort Beachtung. Ihr bewegliches, empfindsames Antlitz, das sich so hervorragend für die Kunst der Mimik eignete, konnte leicht irgendeinen beliebigen fremden Charakter annehmen, doch fehlte ihm ein sofort erkennbarer eigener Zug.

Ich teilte meine Überlegungen Poirot mit, der, den eiförmigen Kopf leicht zur Seite geneigt, mir aufmerksam lauschte und dabei die beiden Tische mit einem scharfen Blick überflog.

»So, das ist Lady Edgware? Ja, ich entsinne mich ‑ habe sie einmal auf der Bühne gesehen. Sie ist une belle femme.«

»Und obendrein eine tüchtige Schauspielerin.«

»Möglich.«

»Das klingt, als seien Sie nicht davon überzeugt, Poirot.«

»Es hängt meines Erachtens von der Anordnung ab, mein Freund. Wenn sie der Mittelpunkt des Stückes ist, wenn sich alles um sie dreht ‑ ja, dann kann sie ihre Rolle spielen. Ich bezweifle jedoch, ob sie einer kleineren Rolle im gleichen Maße gerecht wird oder ob sie überhaupt das spielen kann, was man eine Charakterrolle nennt. Das Stück muß um sie und für sie geschrieben sein. Ich halte sie für den Frauentyp, der nur Interesse für sich selbst aufbringt.«Er schaltete eine Pause ein, um ganz unerwartet hinzuzufügen:»Derartige Menschen laufen im Leben große Gefahr.«

»Gefahr?«wiederholte ich erstaunt.

»Ich habe ein Wort gebraucht, das Sie überrascht, mon ami. Gefahr, ja. Weil eine solche Frau nur eins sieht ‑ sich selbst. Nichts sieht sie von den Gefahren und Zufällen, von denen sie umgeben ist ‑ die Million widerstreitender Interessen und Beziehungen des Daseins. Und deshalb früher oder später, Unheil.«

Das Ungewöhnliche dieses Gedankengangs fesselte mich um so mehr, als mir selbst ein solcher Einfall nie gekommen wäre.

»Und die andere?«begehrte ich zu wissen.

»Miss Adams?«Wieder streifte Poirots Blick den Tisch der jungen Amerikanerin.»Nun, was wünschen Sie über sie zu hören?«lächelte er dann.

»Nur, welchen Eindruck sie auf Sie macht.«

»Mon cher, bin ich heute abend vielleicht ein Wahrsager, der in der Handfläche liest und den Charakter deutet?«

»Wer verstände das wohl besser als Sie!«

»Nett, daß Sie mir so viel zutrauen, Hastings. Es rührt mich tief. Wissen Sie nicht, mein Freund, daß jeder einzelne von uns ein dunkles Geheimnis ist? Ein Sammelsurium von sich widersprechenden Leidenschaften und Begierden und Nei‑gungen? Mais oui, c'est vrai. Da fällt man so ein kleines Urteil, aber neunmal von zehn trifft man daneben.«

»Nicht, wenn man Hercule Poirot heißt.«

»Ja, sogar Hercule Poirot! Oh, Sie meinen immer, ich sei eitel und eingebildet. Falsch, Hastings. Ich versichere Ihnen, daß ich in Wahrheit ein sehr bescheidener Mensch bin.«

»Sie ‑ bescheiden!«lachte ich.

»Aber wirklich. Ausgenommen natürlich, daß ich ‑ wozu es leugnen? ‑ ein wenig stolz auf meinen Schnurrbart bin. Nirgendwo in London habe ich einen Bart gesehen, der sich mit meinem messen kann.«

»Das glaube ich gern«, sagte ich trocken.»Aber wollen wir nicht lieber von Carlotta Adams sprechen? Ihr Urteil über sie, Poirot.«

»Sie ist Künstlerin durch und durch«, erklärte er schlicht.»Deckt das nicht alles?«

»Mithin geht sie gefahrlos durchs Leben, wie?«

»So einfach liegen die Dinge nicht«, verwies mich Poirot ernst.»Auf uns alle kann unversehens Unglück herabstürzen. Aber was Ihre Frage betrifft, so glaube ich, daß Miss Adams Erfolg beschieden sein wird. Sie ist schlau und noch etwas mehr. Zweifellos haben Sie bemerkt, daß sie Jüdin ist?«

Bisher hatte ich es zwar nicht bemerkt, aber nun, da mein Freund es erwähnte, sah ich auch die schwachen Spuren semitischer Vorfahren.

»Und da wir von Gefahren sprechen, so könnte für sie die Liebe zum Geld gefährlich werden. Liebe zum Geld lenkt solch einen Menschen oft von dem klugen und vorsichtigen Pfad ab.«

»Geld lenkt uns alle leicht ab.«

»Richtig, Hastings. Sie jedoch oder ich würden die Gefahr sehen; wir könnten das Für und Wider abwägen. Wenn Sie sich aber zuviel aus dem Geld machen, so sehen Sie nur das Geld ‑alles übrige bleibt in Schatten gehüllt.«

Sein tiefer Ernst reizte mich zum Lachen.

»Esmeralda, die Zigeunerkönigin, ist heute in guter Form«, hänselte ich.

»Psychologie ist ein ungemein fesselndes Gebiet«, gab Poirot unbewegt zur Antwort.»Man kann sich nicht mit Verbrechen befassen, ohne sich auch gleichzeitig mit Psychologie zu beschäftigen. Nicht um die eigentliche Mordtat, sondern um das, was hinter ihr liegt, geht es dem Sachverständigen. Verstehen Sie mich, Hastings?«

Ich versicherte ihm, daß ich ihn voll und ganz verstünde.

»Sooft wir nämlich einen Fall zusammen bearbeiten, habe ich stets die Wahrnehmung gemacht, daß Sie mich zu physischer Tätigkeit anstacheln. Ich soll Fußspuren messen, ich soll Zigarettenasche analysieren, ja, mich sogar auf den Bauch legen, um irgendeine Einzelheit zu prüfen. Sie vermögen sich einfach nicht vorzustellen, Hastings, daß man der Lösung eines Rätsels näherkommen kann, wenn man sich mit geschlossenen Augen in einen Lehnsessel zurücklehnt. Dann sieht man mit den Augen des Geistes.«

»Ich nicht, Poirot. Wenn ich mich mit geschlossenen Augen in einen Sessel zurücklege, passiert mir unweigerlich nur eins!«

»Das habe ich bemerkt, mon cher. Seltsam! In solchen Momenten müßte Ihr Hirn doch fieberhaft arbeiten und nicht in faulenzerhafte Ruhe versinken. Wie anregend ist diese Gehirntätigkeit! Das Benutzen der kleinen grauen Zellen ist geistiger Genuß. Ihnen und ihnen allein darf man sich anvertrauen, wenn man durch dichten Nebel zur Wahrheit gelangen will...«

Ich fürchte, daß ich die Gewohnheit angenommen habe, meine Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu richten, sobald Poirot seiner kleinen grauen Zellen Erwähnung tut. Ist das verwunderlich, da ich das alles schon so häufig habe hören müssen.?

Diesmal flüchtete sich meine Aufmerksamkeit zu den vier Personen, die am Nachbartisch saßen. Und als Hercule Poirots Selbstgespräch endlich zu einem Ende gelangte, warf ich schmunzelnd hin:

»Sie haben eine Eroberung gemacht. Die blonde Lady Edgware läßt Sie kaum aus den Augen.«

»Fraglos hat man sie darüber aufgeklärt, wer ich bin«, sagte mein Freund, mit dem Versuch, sich ein bescheidenes Aussehen zu geben, was ihm gründlich mißlang.

»Ich meine, es gilt Ihrem berühmten Schnurrbart. Seine Schönheit hat sie berauscht.«

»Spötter!«Er streichelte ihn verstohlen.»Oh, diese Zahnbürste, die Sie tragen, Hastings, ist abscheulich ‑ ist eine Grausamkeit, ein willkürliches Verkümmern der Gaben der Natur. Bekehren Sie sich zu einer besseren Einsicht ‑ ich flehe Sie an.«

»Weiß Gott, Lady Edgware ist aufgestanden und will anscheinend mit uns sprechen«, sagte ich, ohne auf Poirots Beschwörung zu achten.»Martin Bryan macht offenbar den Versuch, sie zurückzuhalten, aber sie hört nicht auf ihn.«

Tatsächlich kam Jane Wilkinson jetzt mit raschem Schritt zu uns herüber. Poirot hatte sich erhoben, verbeugte sich, und ich tat dasselbe.

»Monsieur Hercule Poirot, nicht wahr?«sagte die weiche, heisere Stimme.

»Zu Ihren Diensten.«

»Monsieur Poirot, ich muß mit Ihnen sprechen.«

»Bitte, Madame, wollen Sie nicht Platz nehmen?«

»Nein, nein, nicht hier. Privat muß ich Sie sprechen. Wir wollen hinauf in mein Appartement gehen.«

Inzwischen war auch Martin Bryan ihr gefolgt, der nun mit mißbilligendem Lachen das Wort ergriff.

»Sie müssen sich ein wenig gedulden, Jane. Wir sowohl als auch Mr. Poirot haben gerade angefangen zu essen.«

Aber eine Jane Wilkinson ließ sich nicht so leicht von etwas abbringen.

»Was schadet das, Bryan? Man wird uns eben oben weiterservieren. Veranlassen Sie das Nötige, ja? Und, Bryan...«

Sie ging dem Schauspieler, der sich schon umgedreht hatte, nach und schien ihn zu irgend etwas überreden zu wollen, das ihm widerstrebte. Wenigstens runzelte er die Stirn, bis er sich schließlich mit einem Achselzucken fügte.

Ein‑ oder zweimal hatte er während ihres Drängens nach dem Tisch hinübergeschaut, an dem Carlotta Adams saß, und ich überlegte im stillen, ob vielleicht die junge Amerikanerin der Gegenstand von Janes Überredungskunst sei.

Nach gewonnener Schlacht kehrte Jane Wilkinson strahlend zu uns zurück.»Jetzt werden wir sofort nach oben gehen«, ordnete sie an und widmete mir ein betörendes Lächeln.

Ob uns ihr Plan genehm war oder nicht, darüber dachte sie gar nicht nach, sondern schleppte uns ohne den leisesten Anflug einer Entschuldigung einfach von dannen.

»Ich muß es als die größte Glücksfügung bezeichnen, daß ich Sie just heute abend hier sah, M. Poirot«, warf sie hin, während sie uns zum Lift führte.»Herrlich, wie sich für mich alles zum besten kehrt.! Gerade als ich grübelte und sann, was ich tun sollte, blickte ich auf. Und wen entdeckte ich am Nachbartisch? Monsieur Poirot. Ah, M. Poirot wird mir sagen, was ich tun soll! war mein nächster Gedanke.«

Sie unterbrach ihre Rede, um dem Liftjungen ein kurzes»Zweite Etage«zuzuwerfen.

»Wenn ich Ihnen dienlich sein kann...«, begann mein Freund.

»Davon bin ich überzeugt. Ich habe gehört, daß Sie der wunderbarste Mensch sind, der je existierte. Irgend jemand muß mich aus dem Gewirr, in das ich verstrickt bin, befreien, und wer vermöchte das besser als Sie?«

Wir waren in der zweiten Etage angelangt, schritten den Korridor entlang und betraten eines der üppigsten Appartements des Savoy‑Hotels.

Und ihren weißen Hermelinpelz auf einen Sessel und die kleine juwelenbesetzte Tasche auf den Tisch werfend, rief die Künstlerin ohne Umschweife:

»M. Poirot, auf die eine oder andere Weise muß ich meinen Gatten loswerden!«

2

Nach ein paar Sekunden hatte sich Poirot von seiner Überraschung erholt.

»Aber Madame«, sagte er, und seine Augen zwinkerten vergnügt,»die Damen von ihren Gatten zu befreien, gehört nicht zu meinem Fach.«

»Gewiß, das weiß ich.«

»Wahrscheinlich wünschen Sie einen Rechtsanwalt.«

»Da irren Sie gewaltig. Der Anwälte bin ich restlos überdrüssig. Ich bin von Pontius zu Pilatus gelaufen, von einem Advokaten zum anderen, und nicht einer hat mir genützt. Die Anwälte kennen das Gesetz, aber sie besitzen nicht einen Funken von gesundem Menschenverstand.«

»Und Sie meinen, daß ich ihn besäße?«

Sie lachte.

»Man sagt, Sie seien ein unerreichbarer Pfiffikus, Monsieur.«

»Comment? Pfiffikus? Das verstehe ich nicht. Jedenfalls aber liegt Ihre Angelegenheit abseits von meiner Linie, Madame.«

»Nun, das bezweifle ich fast. Es ist ein Problem.«

»Oh! Ein Problem?«.

»Und es ist schwierig«, fuhr Jane Wilkinson fort.»Sie sind doch wahrlich nicht der Mann, der Schwierigkeiten scheut.«

»Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen zu Ihrer Menschenkenntnis gratuliere, Madame. Doch trotzdem gebe ich mich mit Nachforschungen zu Scheidungszwecken nicht ab. Es ist nicht nett ‑ ce metierla.«

»Mein Lieber, ich verlange von Ihnen nicht, daß Sie den Spion spielen. Indessen habe ich mich entschlossen, meinen Mann loszuwerden, und ich bin sicher, daß Sie imstande sind, mir zu sagen, wie ich es anfangen soll.«

Hercule Poirot ließ ein Weilchen verstreichen, ehe er antwortete.»Erzählen Sie mir zuerst einmal, Madame, warum Ihnen so viel daran liegt, Lord Edgware >loszuwerden<«, bat er dann. Und wer ihn kannte, hörte, daß ein neuer Klang in seiner Stimme vibrierte.

Die Erklärung der schönen Frau kam ohne Zaudern.

»Aber gern, Monsieur Poirot. Ich wünsche mich wieder zu verheiraten. Welchen anderen Grund könnte ich wohl sonst haben?«Jane schlug die blauen Augen mit naiver Offenheit zu ihm auf.

»Eine Scheidung wird sich doch wohl ermöglichen lassen!«

»Sie kennen meinen Mann nicht, Monsieur. Er ist... er ist...«Sie schauderte.»Ich weiß nicht, wie ich es in Worte fassen soll Er ist ein absonderlicher Mensch ‑ nicht wie andere Sterbliche.«Ein tiefer Seufzer und eine lange Pause.

»Nie hätte er wieder heiraten dürfen. Ich kann ihn nicht beschreiben, ich kann nur wiederholen: er ist absonderlich. Seine erste Frau lief ihm davon, ließ ein Baby von drei Monaten zurück. Er hat nie in eine Scheidung eingewilligt, und sie ist irgendwo jämmerlich zugrunde gegangen. Hierauf heiratete er mich. Und auch ich konnte es nicht ertragen. Oh, wie ich mich zu Tode geängstigt habe...! Kurz und gut, ich reiste nach drüben. Mir fehlen stichhaltige Gründe für eine Scheidung, und wenn ich ihm die nötigen Gründe lieferte, würde er keine Notiz davon nehmen. Er ist... er ist eine Art von Fanatiker.«

»In gewissen amerikanischen Staaten könnten Sie eine Scheidung erzwingen, Madame.«

»Damit ist mir nicht gedient ‑ nicht, wenn ich nachher in England leben will.«

»Und Sie wollen in England leben?«

»Ja.«

»Wer ist der Mann, mit dem Sie ein neues Ehebündnis einzugehen gedenken?«

»Der Herzog von Merton.«

Unwillkürlich hielt ich den Atem an. Denn der Herzog von Merton war bislang die Verzweiflung aller ehestiftenden Mamas gewesen. Ein junger Herr mit asketischen Neigungen, ein eifernder Katholik, stand er in dem Ruf, sich vollkommen von seiner Mutter lenken zu lassen, der gefürchteten HerzoginWitwe. Er sammelte chinesisches Porzellan, galt als ein weitabgewandter Ästhetiker und als ein Mann, der sich nichts aus Frauen machte.

»Er hat mich ganz verzaubert«, sagte Jane rührselig.»Und Schloß Merton ist unbeschreiblich schön. Überhaupt möchte ich das Ganze die romantischste Angelegenheit nennen, die je auf diesem Erdball sich ereignete. Schade, daß Sie Merton nicht kennen, Monsieur Poirot ‑ er gleicht einem verträumten Mönch.«

Wieder schaltete sie eine Pause ein.

»Wenn ich heirate, entsage ich der Bühne. Und das Opfer wird mir für ihn nicht einmal schwer.«

»Einstweilen steht Lord Edgware diesen romantischen Träumen im Wege«, meinte Hercule Poirot trocken.

»Ja ‑ und das bringt mich zur Raserei.«Sie lehnte sich nachdenklich zurück.»Wenn wir uns in Chicago befänden, wäre es ein leichtes, ihn niederknallen zu lassen, aber hier hält so was schwer.«

»Hier«, lächelte Poirot,»vertreten wir den Standpunkt, daß jedes menschliche Wesen das Recht zu leben hat.«

»Möglich. Aber ich, der ich Edgware wie kein zweiter kenne, versichere Ihnen, daß sein Tod kein Verlust wäre ‑ eher das Gegenteil.«

Man hörte ein Pochen an der Tür, und gleich darauf trat ein Kellner ein, der den Tisch zu decken begann. Seine Anwesenheit hinderte Jane Wilkinson nicht, ihr Problem weiter zu erörtern.

»Ich wünsche aber keineswegs, daß Sie ihn für mich töten, Monsieur Poirot.«

»Merci, Madame.«

»Sondern daß Sie vielleicht geschickt mit ihm verhandeln und ihm die Einwilligung zur Scheidung abringen. Daß Sie hierzu fähig sind, bezweifle ich keine Minute.«

»Sollten Sie meine überzeugenden Kräfte nicht doch überschätzen, Madame?«

»Nein. Doch vielleicht fällt Ihnen noch eine andere Lösung ein.«Jetzt beugte sie sich vor, und ihre blauen Augen hingen an Poirots Gesicht.»Nicht wahr, Sie möchten mich doch glücklich sehen?«

Wie weich, wie verführerisch diese Stimme ihn umschmeichelte!

»Ich möchte jeden glücklich sehen«, erwiderte vorsichtig mein kleiner Freund.

»Ja, aber ich denke nicht an alle und jeden. Ich denke an mich.«

»Madame, ich wage zu behaupten, daß Sie das immer tun.«

»Ah, Sie halten mich für selbstsüchtig...? Nun, möglicherweise bin ich es. Aber sehen Sie ‑ ich hasse das Unglücklichsein; es beeinträchtigt sogar mein Spiel. Und ich werde so trostlos unglücklich sein, sofern er nicht in die Scheidung willigt ‑ oder stirbt. Wenn man es recht bedenkt«, fuhr sie versonnen fort,»wäre es viel besser, wenn er stürbe. Erst dann würde ich mich endgültig von ihm erlöst fühlen.«

Sie erhob sich, nahm lässig den weißen Pelz auf und blieb dann Mitleid heischend vor Poirot stehen.

»Werden Sie mir helfen, Monsieur Poirot?«Vom Korridor drang Stimmengewirr herein, denn die Tür war nur angelehnt.»Wenn nicht.«

». wenn nicht, Madame?«griff er ihre Worte auf.

»Dann werde ich ein Taxi bestellen, schnurstracks zu ihm fahren und ihn mit eigener Hand ins Jenseits befördern.«

Lachend verschwand sie ins Nebenzimmer, gerade in dem Augenblick, als Martin Bryan mit Carlotta Adams und ihrem Begleiter sowie mit dem Paar, das am selben Tisch wie er und Jane Wilkinson gesessen hatte, vom Korridor hereinkam. Man stellte die beiden als Mr. und Mrs. Widburn vor.

»Hallo! Wo steckt denn Jane?«rief Bryan.»Sie soll doch sehen, daß ich ihren Auftrag ausgeführt habe.«

Jetzt tauchte die Künstlerin auf der Schwelle des Schlafzimmers wieder auf, einen Lippenstift in der Hand.

»Haben Sie sie gebracht, Martin...? Famos! Miss Adams, ich bewundere Ihre Verwandlungskunst so sehr, daß ich Sie kennenlernen mußte. Kommen Sie hier herein und plaudern Sie mit mir, während ich mein Gesicht ein bißchen richte. Es befand sich in einem verheerenden Zustand.«

Carlotta nahm die Einladung an und verließ uns.»Nun, Monsieur Poirot«, meinte Martin Bryan, indem er sich in einen Sessel warf,»hat unsere gute Jane Sie gekapert und überredet, für sie zu streiten? Sträuben Sie sich nicht lange. Heute oder morgen müssen Sie doch nachgeben, denn das Wort nein begreift Jane einfach nicht.«Er lehnte sich weit zurück und paffte faul den Zigarettenrauch zur Decke empor.»Ein ungemein fesselnder Charakter, diese Jane! Tabu gibt es nicht für sie. Moral auch nicht. Das soll nicht heißen, daß sie direkt unmoralisch sei ‑ nein. Amoral. der Ausdruck würde meines Erachtens für sie passen. Sie sieht im Leben nur eins: was Jane wünscht.«Er lachte amüsiert.

»Ich glaube, sie würde munter jemand töten und sich beleidigt fühlen, wenn man sie hinterdrein erwischte und wegen ihrer Tat aufhängen wollte. Und das Schlimmste ist, daß sie unfehlbar erwischt werden würde. Sie hat ja keine Überlegung. Mit einer Droschke vorfahren, unter ihrem richtigen Namen ins Haus spazieren und ihr Opfer über den Haufen schießen ‑ so faßt sie einen Mord auf.«

»Nun möchte ich wirklich gern wissen, weshalb Sie das sagen«, murmelte Poirot, kaum hörbar.»Bitte?«

»Sie kennen sie gut, Monsieur?«

»Das wollte ich meinen!«

Abermals lachte er, doch es klang ungewöhnlich bitter.»Ja, Jane ist eine Egoistin«, pflichtete ihm Mrs. Widburn bei.»Eine Schauspielerin muß es freilich sein, wenn sie ihrer Persönlichkeit Geltung verschaffen will.«

Hercule Poirot äußerte sich hierzu nicht. Seine Augen ruhten auf Martin Bryans Zügen, verweilten dort mit einem merkwürdig forschenden Ausdruck, den ich nicht ganz verstand. Während ich mich noch bemühte, die Erklärung dafür zu finden, rauschte Jane vom Nachbarzimmer herein, dicht auf ihren Fersen Carlotta Adams. Ich vermutete, daß Jane Wilkinson nunmehr ihr Gesicht so»gerichtet«hatte, daß es auch sie befriedigte; ich selbst nahm allerdings keine Veränderung wahr und fand es überdies keiner Verbesserung bedürftig.

Das Abendessen, das nun folgte, gestaltete sich ziemlich lustig, und dennoch hatte ich bisweilen das Gefühl von dem Vorhandensein gewisser nicht näher erklärbarer Unterströmungen.

Jane Wilkinson sprach ich von jeder doppelzüngigen Schlauheit frei. Offensichtlich war sie eine junge Frau, die zur Zeit nur von einem einzigen Gedanken beherrscht wurde. Sie hatte eine Unterredung mit Poirot begehrt, sie erhalten und befand sich jetzt in ausgezeichneter Stimmung. Ihr Wunsch, Carlotta Adams in unseren abendlichen Kreis zu ziehen, entsprang ‑ so sagte ich mir ‑ einer flüchtigen Laune; war ein Nachwehen jenes kindlichen Vergnügens, mit dem sie sich an der gelungenen Nachahmung ihrer eigenen Person ergötzt hatte.

Nein, die Unterströmungen, die ich ahnte, hingen nicht mit Jane Wilkinson zusammen. Mit wem aber sonst?

Der Reihe nach begann ich die Gäste zu studieren. Martin Bryan? Er benahm sich bestimmt nicht ganz natürlich. Doch konnte das ganz gut eine charakteristische Eigenschaft eines Filmstars sein, der, zu sehr daran gewöhnt, eine Rolle zu spielen, stets das übersteigerte Selbstbewußtsein des eitlen Mannes zur Schau trägt.

Carlotta Adams gab sich jedenfalls ganz ungezwungen. Sie war ein ausgeglichenes junges Mädchen mit einer angenehm weichen Stimme. Da es das Schicksal fügte, daß ich in ihrer nächsten Nähe saß, betrachtete ich sie voll Aufmerksamkeit. Ein vornehmer Charme umgab sie. Ihr fehlte vollkommen jedwede mißtönende, unangenehme oder kreischende Note. Wie ein menschgewordener weicher, sanfter Gleichklang erschien sie mir mit ihrem dunklen Haar, den ziemlich farblosen blauen Augen, dem blassen Gesicht und dem beweglichen, empfindsamen Mund. Ein Gesicht, das einem gefiel, aber das man schwer wiedererkennen würde, wenn es einem in anderer Umgebung und ‑ sozusagen ‑ in anderen Kleidern begegnete.

Janes Güte und liebenswürdige Komplimente schienen sie zu bestricken. Jedes Mädchen würde davon bezaubert sein, dachte ich... und dann, im nämlichen Augenblick, ereignete sich etwas, das mich mein allzu schnelles Urteil revidieren ließ.

Carlotta Adams umfing die Gastgeberin, die gerade den Kopf abgewandt hatte und Hercule Poirot anredete, mit einem sonderbar prüfenden, untersuchenden Blick; er glich einem bedächtigen Zusammenfassen, und außerdem lag in jenen blaßblauen Augen eine ausgesprochene Feindseligkeit.

Eine Grille vielleicht. Oder auch berufliche Eifersucht. Jane war eine erfolggekrönte Schauspielerin, und Carlotta begann die Leiter des Ruhmes erst zu erklimmen.

Ich nahm die anderen drei Tischgäste unter die Lupe. Mr. und Mrs. Widburn, was war von ihnen zu sagen? Er ein großer, klapperdürrer Mann, sie ein dralles, hübsches, überschwengliches Wesen ‑ ein Ehepaar in gesicherten Verhältnissen, mit einer Leidenschaft für alles, was mit den Brettern zusammenhing, und nicht gesonnen, sich über irgendein anderes Thema zu unterhalten. Infolge meiner kürzlichen Abwesenheit von England fanden sie mich hinsichtlich der Theaterverhältnisse traurig schlecht informiert, und schließlich drehte Mrs. Widburn mir ihre runde Schulter zu und geruhte, mich nicht mehr zu beachten.

Das letzte Mitglied unseres Kreises war der dunkle junge Mann, in dessen Gesellschaft sich Carlotta Adams befunden hatte. Gleich zu Anfang hatte sich meiner der Argwohn bemächtigt, daß er nicht ganz so nüchtern sei, wie man es hätte erwarten können. Und als er noch einige Glas Sekt trank, wurde dies mehr und mehr offenbar. Er schien unter dem Gefühl eines schweren Unrechts zu leiden. Die erste Hälfte des Mahls saß er in verbissenem, düsterem Schweigen auf seinem Platz; während der zweiten Hälfte vertraute er sich anscheinend unter dem Eindruck, daß er einen seiner ältesten Freunde vor sich habe, mir an.

»Was ich sagen will«, begann er,»es ist nicht so. Nein, lieber alter Junge, es ist nicht so.«

»Ich will sagen«, nahm das zusammenhanglose Gerede seinen Fortgang,»daß, wenn du ein Mädel nimmst... gut. Aber sie gehört nicht zu der Sorte. Verstehst du: puritanische Vorfahren ‑die Mayflower ‑ all das. Donnerwetter, das Mädchen ist rechtschaffen.! Ja, was wollte ich doch eigentlich sagen.? Ah, verdammt noch mal, ich mußte mir das Geld von meinem Schneider borgen. Ein sehr gefälliger Bursche, mein Schneider.

Schon jahrelang schulde ich ihm Geld. Das knüpft ein gewisses Band zwischen uns. Nichts als ein Band, mein lieber alter Junge. Du und ich! Du und ich. Wer, zum Teufel, bist du eigentlich?«

»Mein Name ist Hastings.«

»Potztausend! Und ich hätte geschworen, daß du Spencer Jones seist, der liebe alte Spencer Jones. Machte seine Bekanntschaft in Eton und borgte mir eine Fünfpfundnote von ihm. Ich hab's übrigens immer gesagt, daß ein Gesicht dem anderen gleicht. Wenn wir eine Horde Chinesen wären, würden wir uns gegenseitig überhaupt nicht mehr erkennen.«

Wehmütig schüttelte er den Kopf; dann erhellten sich seine Züge, und er goß einen neuen Kelch Champagner hinunter.

»Jedenfalls bin ich kein verflixter Nigger!«sagte er.

Diese Überlegung schien ihm eine solche Gehobenheit zu verleihen, daß er sofort noch etliche Bemerkungen hoffnungsfreudiger Art hinzufügte.

»Guck dir stets die glänzende Seite an, mein Junge«, beschwor er mich.»Merk es dir: immer die glänzende Seite. Einmal kommt der Tag ‑ vielleicht allerdings erst, wenn ich die Fünfundsiebzig erreicht habe ‑, wo ich ein reicher Mann sein werde. Wenn mein Onkel stirbt. Dann kann ich meinen Schneider bezahlen.«

Bei diesem Gedanken lächelte er glückselig, und das lächerlich winzige Schnurrbärtchen, das wie ein Pünktchen wirkte, zog sich ein wenig in die Breite.

Ich fand den jungen Herrn trotz seines Schwipses ungemein sympathisch. Carlotta Adams behielt ihn, das merkte ich wohl, ständig im Auge, und nach einem neuerlichen Blick in seine Richtung erhob sie sich, um aufzubrechen.

»Liebste, es war so herzig von Ihnen, zu mir heraufzukommen«, sagte Jane.»Ich lasse mich so gern von einem plötzlichen Einfall lenken. Sie auch?«»Nein«, erwiderte Miss Adams.»Ich bin im Gegenteil dafür, daß ich jeden Schritt, den ich tue, vorher sorgfältig abwäge. Das erspart einem Sorgen und Unannehmlichkeiten.«

»Nun, jedenfalls rechtfertigen die Erfolge Ihre Methode«, lachte Jane, die abweisende Haltung der anderen nicht beachtend.»Selten hat mir etwas einen solchen Genuß bereitet wie Ihre heutige Vorstellung.«

Über das Gesicht der jungen Amerikanerin glitt ein warmer Schimmer.»Wie wohl mir Ihre Anerkennung tut!«antwortete sie.»Ich brauche Ermutigung ‑ wir alle brauchen sie.«

»Carlotta«, mischte sich der junge Mann mit dem Schnurrbärtchen ein,»machen Sie vor Tante Jane Ihren Knicks, sagen Sie >Danke schön< und kommen Sie.«

Die Art, wie er in schnurgerader Richtung durch die Tür steuerte, mußte man ein Wunder der Konzentration nennen.

»Was fällt ihm ein, mich Tante Jane zu nennen«, entrüstete sich unsere schöne Wirtin.»Und wie kam er überhaupt zu mir hereingeschneit? Ich hatte ihn vorher gar nicht bemerkt.«

»Meine Liebe, Sie haben auch nicht nötig, ihn zu bemerken«, entgegnete Mrs. Widburn.»Ein unbedeutender junger Dachs...! Doch jetzt müssen Charles und ich leider lostraben, denn wir haben noch eine andere Verabredung.«

Das Ehepaar Widburn trabte also los, und Martin Bryan schloß sich ihnen an.

»Nun, Monsieur Poirot?«

»Eh bien, Lady Edgware?«lächelte mein Freund zurück.

»Um Himmels willen, nennen Sie mich nicht so! Lassen Sie es mich vergessen, wenn Sie nicht der hartherzigste Mann von Europa sind!«

»Aber nein, aber nein, Madame, ich bin nicht hartherzig.«

Hercule Poirot, der unerreichte Detektiv, hat heute abend anscheinend auch zuviel getrunken, spöttelte ich im geheimen.

»Dann werden Sie meinen Mann also besuchen? Und ihn meinen Wünschen gefügig machen?«

Und Poirot versprach, jedoch mit kluger Einschränkung:

»Ich werde ihn besuchen.«

»Wenn er Sie dann aber abweist ‑ was wahrscheinlich der Fall sein wird ‑, müssen Sie einen gescheiteren Plan schmieden. Sie werden doch nicht umsonst als der gescheiteste Mann von England gerühmt, M. Poirot.«

»Oh, Madame, wenn Sie mich hartherzig schelten, führen Sie Europa ins Treffen; für die Gescheitheit hingegen sagen Sie nur England!«

»Wenn Sie meine Angelegenheit zu einem glücklichen Ende führen, werde ich sagen: das Universum.«

Der kleine Belgier hob abwehrend die Hand.

»Madame, ich verspreche nichts. Aus psychologischem Interesse jedoch will ich trachten, eine Begegnung mit Ihrem Gatten zuwege zu bringen.«

»Psychoanalysieren Sie ihn, soviel Sie mögen. Möglicherweise bekommt es ihm gut. Aber Sie müssen mir zum Sieg verhelfen, Monsieur Poirot. Ich will meine romantische Idylle nicht nur träumen, sondern erleben.«Und mit einem schwärmerischen Augenaufschlag fügte sie hinzu:»Bedenken Sie doch die Sensation!«

3

Einige Tage später warf mir Poirot quer über den Frühstückstisch einen Brief zu, den er soeben geöffnet hatte.

»Da möchte ich mal Ihre Meinung hören, mon ami«, äußerte er.

Das Schreiben kam von Lord Edgware, der in steifen, förmlichen Worten einen Besuch für den nächsten Tag um elf Uhr anberaumte.

Ich verhehlte meine Überraschung nicht.

Poirots Versprechen hatte ich für eine belanglose, in einem lustigen Augenblick gegebene Zusage gehalten und nicht geahnt, daß er Schritte getan hatte, um sie zu verwirklichen.

»Ja, mein Bester, es war nicht nur der Champagner«, neckte mein Freund, der mit der ihm eigenen Hellsichtigkeit meine Gedanken las.»Schweigen Sie«, schnitt er dann alle meine Verteidigungsversuche ab.»Sie haben gedacht: der arme Alte, er befindet sich in gehobener Stimmung, er verspricht Dinge, die er nicht ausführen wird ‑ die er auch gar nicht auszuführen beabsichtigt. Aber, mein Freund, Sie haben vergessen, daß die Versprechen von Hercule Poirot heilig sind!«

Bei den letzten Worten reckte er sich zu der stattlichsten Höhe auf, die ihm sein kleiner Wuchs erlaubte.

»Selbstverständlich, selbstverständlich. Ich weiß das«, beeilte ich mich zu versichern.»Ich habe auch nur gedacht, daß Ihre Urteilskraft leicht... leicht ‑ wie soll ich mich ausdrücken? ‑nun, leicht beeinflußt gewesen sei.«

»So...? Ich habe aber nicht die Gewohnheit, meine Urteilskraft >beeinflussen< zu lassen, Hastings, wie Sie so schön sagen. Der beste und trockenste Champagner, das goldhaarigste und verführerischste Weib ‑ nichts beeinflußt die Urteilskraft von Hercule Poirot. Nein, mon ami, mein Interesse ist geweckt worden ‑ voila!«

»Bezüglich Jane Wilkinsons Liebesaffäre?«

»Janes Liebesaffäre, um bei Ihrem Ausdruck zu bleiben, ist eine sehr landläufige Angelegenheit ‑ eine Stufe in der erfolgreichen Laufbahn einer bildschönen Frau. Wenn der Herzog von Merton ihr weder Titel noch Reichtum zu bieten hätte, würde die romantische Zuneigung dieser Dame zu einem verträumten Mönch schnell erlöschen. Nein, Hastings, was mich kitzelt, ist die Psychologie der Sache. Das Ränkespiel der Charaktere. Ich begrüße den Zufall, der es mir erlaubt, Lord Edgware in einer persönlichen Zwiesprache zu studieren.«

»Sie erwarten doch wohl aber nicht, daß Ihnen Ihr Auftrag glücken wird?«

»Warum nicht? Jeder Mensch hat seine Achillesferse. Bilden Sie sich nicht ein, Hastings, daß ich, weil ich den Fall vom psychologischen Standpunkt aus betrachte, nicht mein Bestes dransetzen werde, die mir gewordene Mission zur Befriedigung der Auftraggeberin durchzuführen. Es bereitet mir immer Vergnügen, meine Fähigkeiten spielen zu lassen.«

Ich hatte schon vor einem Hinweis auf die kleinen grauen Zellen gezittert und atmete dankbar auf, als er mir erspart blieb.

»Dann werden wir also morgen gegen elf nach Regent Gate gehen«, sagte ich.

»Wir?«Spöttisch zog Hercule Poirot seine Augenbrauen zu einem Dreieck empor.

»Mein Lieber, Sie werden meine Begleitung doch nicht zurückweisen!«rief ich.»Ich bin immer mit Ihnen gegangen.«

»Wenn es sich um ein Verbrechen handelte, einen mysteriösen Giftfall, einen gräßlichen Mord ‑ ah, in solchen Dingen schwelgt Ihre Seele. Doch nur eine gesellschaftliche Regelung?«

»Kein Wort mehr!«sagte ich empört.»Ich komme mit.«

Poirot schmunzelte noch vergnügt, als uns, ein Besucher gemeldet wurde, der sich als Martin Bryan entpuppte.

Bei hellem Tageslicht sah der Schauspieler älter aus. Gewiß, er war noch schön, doch wies diese Schönheit bereits Mängel und Zerstörungen auf. Sollte er etwa Rauschgiften huldigen? Es umgab ihn eine gewisse nervöse Spannung, die diese Vermutung rechtfertigte.

»Guten Morgen, Monsieur Poirot«, grüßte er in fröhlicher Leichtigkeit.»Freut mich, zu sehen, daß Sie und Hauptmann Hastings zu einer vernünftigen Stunde frühstücken. Nebenbei ‑sind Sie jetzt sehr beschäftigt?«

»Nein«, versicherte der kleine Belgier liebenswürdig.»Im Augenblick drängt mich kein wichtiges Geschäft.«

»Wer's glaubt!«lachte Bryan.»Wirklich kein Geheimauftrag von Scotland Yard? Keine heiklen Nachforschungen für irgendeine Königliche Hoheit...?«

»Sie verwechseln Dichtung und Wirklichkeit, mein Lieber«, gab Poirot zurück.»Ich kann beschwören, daß ich gegenwärtig vollkommen ohne Beschäftigung bin, obgleich ich keineswegs zum alten Eisen gehöre. Dieu merci!«

»Dann habe ich Glück gehabt, Monsieur Poirot. Darf ich Sie wohl ein wenig anstellen?«

Poirot betrachtete den Frager eingehend, ehe er forschte:

»Ist es ein Problem, das Sie für mich haben?«

»Etwas Ähnliches. Ein Problem ‑ und wiederum auch keins.«

Martin Bryan schlug eine nervöse Lache an, und während Poirot ihn unentwegt betrachtete, bot er ihm mit einer Handbewegung einen Stuhl an.

»Und nun lassen Sie uns hören, um was es sich dreht«, forderte mein Freund den Besucher auf.

Aber Martin Bryan suchte unbeholfen nach Worten.

»Leider. leider vermag ich Ihnen nicht so viel zu erzählen, wie ich möchte.«Er zauderte.»Es ist schwierig. Sehen Sie, die ganze Angelegenheit nahm in Amerika ihren Anfang.«

»In Amerika? Ja?«warf Hercule Poirot ermunternd ein.

»Ein reiner Zufall lenkte zuerst meine Aufmerksamkeit darauf. Ich saß im Eisenbahnzug, als ich einen Burschen gewahrte. Einen häßlichen Bengel, glatt rasiert, mit Brille und einem Goldzahn.«

»Ah, einem Goldzahn!«

»Ja. Und das ist der Kernpunkt der Sache.«

Poirot nickte mehrere Male.

»Ich beginne zu verstehen. Fahren Sie fort.«

»Wie gesagt, fiel mir der Bursche auf. Übrigens befand ich mich damals auf einer Fahrt nach New York. Sechs Monate später weilte ich in Los Angeles. Und wer läuft mir da in die Quere? Der Bursche mit dem Goldzahn. Vielleicht werden Sie sagen, daß dies nichts Außergewöhnliches sei. Aber vier oder fünf Wochen nach dieser zweiten Begegnung hatte ich Veranlassung, nach Seattle zu gehen, und kurz nach meiner Ankunft dort sehe ich abermals meinen Freund; nur trug er diesmal einen Bart.«

»Das ist allerdings merkwürdig.«

»Nicht wahr? Natürlich wähnte ich damals nicht, daß es irgend etwas mit mir zu tun habe. Doch mußte ich nicht stutzen, da der bartlose Mensch aus dem Zug bei dem zweiten Wiedersehen einen Schnurrbart trug und das dritte Mal mit einem Backenbart als Landstreicher in einem Gebirgsdorf umherstreifte?«

»Natürlich.«

»Und schließlich ‑ schnurrig genug, aber es unterlag keinem Zweifel ‑ wurde ich, was Sie in Ihrer Detektivsprache nennen, beschattet. Wo ich auch sein mochte, tauchte irgendwo in möglichster Nähe mein Schatten in wechselnder Verkleidung auf. Glücklicherweise konnte ich ihn dank dem Goldzahn immer über kurz oder lang ausfindig machen.«

»Verzeihung, wenn ich Sie unterbreche, Mr. Bryan ‑ aber haben Sie niemals ein paar Worte mit dem Mann gesprochen? Ihn nie nach dem Grund seines hartnäckigen Verfolgens gefragt?«

»Nein.«Der Schauspieler zögerte.»Zwar habe ich es ein‑ oder zweimal erwogen, indes davon Abstand genommen, weil vermutlich der Bursche nur gewarnt worden wäre. Wahrscheinlich hätten sie sofort einen anderen auf meine Spur gesetzt, irgendwen mit weniger auffallendem Merkmal.«

»En effet ‑ jemand ohne den nutzbringenden Goldzahn.«

»Sehr richtig. Vielleicht war meine Handlungsweise unzweckmäßig, mir jedoch schien sie ratsamer.«

»Sie gestatten eine weitere Frage, Mr. Bryan. Vorhin haben Sie das Mehrzahlwort sie gebraucht. Wen meinen Sie mit sie?«

»Oh, das sagte ich eigentlich aus Bequemlichkeit, obwohl ich damals nebelhafte >sie< im Hintergrund vermutete.«

»Wenn ich Sie recht verstehe, ahnen Sie nicht, wer Sie beobachten ließ und zu welchem Zweck?«

»Nicht im mindesten. Wenigstens...«

»Weiter!«drängte Poirot.

»Ich habe eine Idee«, sagte Martin Bryan gedehnt.»Freilich eine reine Mutmaßung, bedenken Sie das wohl.«

»Eine Mutmaßung kann sich bisweilen als sehr erfolgbringend erweisen, Monsieur.«

»Sie hängt mit einem Vorfall, der sich vor zwei Jahren in London ereignete, zusammen. Ein unerklärlicher und unvergeßlicher Vorfall. Ich habe viel über ihn nachgegrübelt. Und gerade weil ich ihn nicht erklären konnte, neige ich dazu, ihn mit diesem Spionieren in Verbindung zu bringen. Aber das Weshalb oder Wie vermag ich nicht zu sehen.«

»Vielleicht vermag ich es.«

»Ja, doch...«Martin Bryans anfängliche Verwirrung kehrte zurück.»Verstehen Sie: ich kann Ihnen darüber nicht reinen Wein einschenken ‑ nicht jetzt. Möglicherweise bin ich in ein oder zwei Tagen dazu imstande.«

Und unter der Macht von Poirots aufschlußheischendem Blick stieß er verzweifelt hervor:»Ein Mädchen ist darin verwickelt.«

»Ah, parfaitement! Ein englisches Mädchen?«

»Ja. Oder vielmehr ‑ warum?«

»Höchst einfach. Sie hoffen, mir die jetzt nicht mögliche Erklärung in zwei Tagen geben zu können. Mit anderen Worten: Sie möchten die Einwilligung der jungen Dame erlangen, die sich daher in England befindet. Ferner muß sie während der Zeit, als man hinter Ihnen herspionierte, in England gewesen sein, denn hätte sie sich in Amerika aufgehalten, würden Sie sie damals und dort aufgesucht haben. Mithin lebte sie die letzten achtzehn Monate in England, woraus sich die Wahrscheinlichkeit, wenn auch nicht die Gewißheit, ergibt, daß sie Engländerin ist. Gut gefolgert?«

»Ziemlich. Wenn ich nun ihre Erlaubnis bekomme, Monsieur Poirot, wollen Sie sich dann meiner Sache annehmen?«

Es entstand eine längere Pause. Poirot schien im Geist das Gehörte noch einmal durchzugehen. Aber endlich sagte er:

»Warum sind Sie zu mir gekommen, bevor Sie sich mit ihr in Verbindung setzten?«

»Ich... ich...«, klang es stotternd.»Meine Absicht war, sie zu überreden, die Dinge durch Sie klären zu lassen. Denn wenn Sie die Nachforschungen anstellen, braucht nichts davon in die Öffentlichkeit zu dringen, nicht wahr?«

»Das hängt von den Umständen ab«, gab Poirot zur Antwort.

»Wie soll ich das auffassen?«

»Wenn ein Verbrechen hineinspielt.«»Nichts von Verbrechen!«

»Vielleicht ohne daß Sie es wissen. Welches Alter hatte übrigens der fragliche Bursche?«

»Ich schätze, ungefähr dreißig.«

»Ah! Das ist von Wichtigkeit. Ja, das gibt der ganzen Sache bedeutend mehr Reiz.«

Betroffen starrte ich meinen kleinen Freund an, und Martin Bryan tat das gleiche. Dann befragte er mich durch ein leichtes Heben seiner Augenbrauen, worauf ich völlig ratlos den Kopf schüttelte.»Ja«, murmelte der kleine Belgier derweilen.»Das macht die Geschichte erst interessant.«

»Er kann auch älter gewesen sein«, bemerkte Bryan, von Zweifeln ergriffen.

»Nein, nein. Fraglos hat Ihre Beobachtung das Richtige getroffen. Sehr interessant, äußerst interessant!«

Diese rätselhaften Ausrufe waren nicht geeignet, Martin Bryans Verwirrung zu beheben. Ich bemerkte, wie er unbehaglich auf seinem Sessel hin und her rutschte, und schließlich leitete er eine oberflächliche Unterhaltung ein.

»Ein ergötzlicher Abend gestern, nicht wahr.? Man kann kaum eine anmaßendere Frau finden als Jane Wilkinson.«

»Sie ist von Einzelvisionen besessen«, lächelte Poirot.»Immer nur eine einzige Sache zur Zeit.«

»Und ist davon nicht abzubringen«, ergänzte Martin Bryan.»Wie die Leute das ertragen, verstehe ich nicht.«

»Man erträgt viel von einer schönen Frau, mein Freund.«Lustig blinzelten Poirots kluge Augen.»Wenn sie eine Mopsnase hätte, einen fahlen Teint und fettiges Haar ‑ ah, dann änderte sich das Bild.«

»Auch so bringt sie mich bisweilen in Wut. Und nichtsdestoweniger bin ich Jane zugetan, obgleich ich sie in mancher Hinsicht für nicht ganz zurechnungsfähig halte.«

»Oh, oh! Ich hielt sie im Gegenteil für einen klaren Kopf«, wagte ich zu äußern.

»Vielleicht ist mein Ausdruck nicht gut gewählt, Hauptmann Hastings. Sie versteht ihre Interessen vortrefflich wahrzunehmen; sie besitzt sogar eine reichliche Dosis geschäftlicher Gerissenheit. Aber Recht und Unrecht ‑ diese Begriffe sind ihr fremd.«

»Etwas Ähnliches sagten Sie auch gestern abend schon, wie ich mich erinnere.«

»Meine Herren, wir sprachen eben von Verbrechen. Sehen Sie, es würde mich nicht wundernehmen, wenn Jane ein Verbrechen beginge.«

»Hm...«, brummte Hercule Poirot gedankenvoll.»Sie haben in so viel Filmen mit ihr zusammengespielt, daß Sie ihr eigentliches Wesen erfaßt haben müßten, Mr. Bryan.«

»Ich glaube sie durch und durch zu kennen«, beteuerte dieser,»und vermag mir darum sehr gut vorzustellen, daß Jane ohne viel Federlesens jemand töten würde.«

»Mithin hat sie ein hitziges Temperament?«

»Fehlgeschossen, Monsieur Poirot! Kalt wie ein Eiszapfen ist sie. Was ich meine, läuft darauf hinaus, daß sie, falls irgendwer ihr im Wege stände, ihn kurzerhand beiseite schaffen würde. Und man könnte sie nicht einmal regelrecht verdammen, denn sie ist in dem Wahn befangen, daß jeder, der mit Jane Wilkinson in Konflikt gerät, zu verschwinden hat.«

Jetzt lag eine anklagende Bitterkeit in seinen Worten, die ihnen bisher gefehlt hatte. Welche Erinnerung mochte sie hervorrufen?

»Sie glauben wirklich, sie würde vor einem Mord nicht zurückschrecken?«fragte Poirot, wobei seine forschenden Augen dem anderen bis auf den Grund der Seele zu dringen schienen.

Bryan atmete hörbar.

»Mein Ehrenwort, ich glaube es. Vielleicht werden Sie sich eines Tages meiner Worte entsinnen... Ich kenne Jane. Mit derselben Leichtigkeit, mit der sie ihren Morgentee trinkt, würde sie auch töten. Ich scherze nicht, Monsieur Poirot.«

Bei dem letzten Satz war er aufgestanden.

»Ja«, erwiderte mein Freund gemessen,»ich sehe, wie bitter ernst es Ihnen ist.«

Und noch einmal versicherte Martin Bryan:»Ich kenne sie durch und durch.«Mit gerunzelter Stirn starrte er auf die Spitzen seiner eleganten Schuhe.»Und was die andere Sache betrifft, die mich zu Ihnen führte, so sollen Sie darüber in wenigen Tagen von mir hören.«Jetzt blickte er auf.»Nicht wahr, Sie werden sich mit ihr befassen?«Poirot trat ans Fenster und schaute ein Weilchen hinaus.

»Ja«, entschied er endlich.»Ich werde mich mit ihr befassen, weil ich sie interessant finde.«Ich begleitete Bryan die Treppe hinab.

»Was, zum Henker, meinte er mit dem Alter jenes goldzahnigen Burschen?«stieß er hervor, während seine Hand schon auf der Haustürklinke lag.»Ob er dreißig oder vierzig ist ‑ was tut das zur Sache? Vielleicht hat mich Ihr Freund nur foppen wollen.«

»Nimmermehr!«erklärte ich aus ehrlichster Überzeugung.»Das ist nicht Poirots Art. Verlassen Sie sich darauf, daß ihm dieser Punkt bedeutungsvoll erscheint.«

»Na, ich freue mich, daß Sie nicht schlauer sind als ich, Hauptmann Hastings. Ich hasse es, wie ein blöder Tölpel dazustehen.«Dann drückte er mir die Hand und ging davon.

»Poirot«, sagte ich, als ich wieder oben bei meinem kleinen Freund angelangt war,»warum messen Sie dem Alter jenes Schnüfflers so viel Wichtigkeit bei?«»Was? Da muß ich Sie erst mit der Nase drauf stoßen? Armer Hastings!«Er lächelte mitleidig und schüttelte den Kopf.»Was halten Sie überhaupt von unserer Unterredung?«

»Vorläufig dürfte es schwer sein, ein Urteil zu fällen. Wenn wir mehr wissen...«

»Auch wenn wir nicht mehr wissen, müssen sich Ihnen doch gewisse Eindrücke aufdrängen, mon ami!«

Das Telefon, das in dieser Sekunde schrill zu lärmen begann, bewahrte mich vor der schmachvollen Beichte, daß sich mir gar nichts aufdrängte, und eilig griff ich zum Hörer.

Eine weibliche Stimme sprach, eine scharfe, sachliche Stimme.»Hier ist Lord Edgwares Sekretärin. Lord Edgware bedauert, infolge einer unvermuteten Reise nach Paris die Verabredung mit Monsieur Poirot nicht einhalten zu können. Jedoch würde er, falls es Monsieur Poirot paßt, heute vormittag gegen ein Viertel nach zwölf einige Minuten für ihn erübrigen.«

Ich gab die Botschaft an meinen Freund weiter.

»Selbstverständlich werden wir heute hingehen, Hastings«, erklärte Poirot ohne Besinnen, worauf ich diesen Bescheid in gebührender Veränderung der Telefonmuschel anvertraute.

»Sehr wohl«, erwiderte die scharfe Stimme.»Heute vormittag gegen ein Viertel nach zwölf.«

4

In einem Zustand angenehm prickelnder Erwartung erreichte ich mit Poirot das Haus Lord Edgwares in Regent Gate, ein imposantes Gebäude, in edlen, strengen Linien gehalten, ohne überflüssige Verschnörkelungen und Zierat. Obwohl ich der Psychologie weniger verfallen war als mein kleiner berühmter Freund, hatten die Worte, mit denen Lady Edgware ihres Gatten Erwähnung tat, meine Neugier geweckt, und voll Spannung wartete ich nun darauf, welches mein eigenes Urteil sein würde. Auf unser Klingeln öffnete nicht etwa ein würdiger, weißhaariger Butler, wie es sich für dies Haus geziemt hätte, sondern der schönste junge Mann, den man sich vorstellen konnte. Groß, blond, war er wie geschaffen, um einem Bildhauer für Hermes oder Apollo Modell zu stehen. Trotz seines guten Aussehens aber mißfiel er mir, stieß mich ab durch die Weichheit seiner Stimme und eine vage weibische Art, die ihm anhaftete. Und irgendwie erinnerte er mich an jemanden, dem ich erst kürzlich begegnet sein mußte und der mir dennoch nicht einfiel.

»Bitte mir zu folgen«, flötete er, als wir nach Lord Edgware fragten.

Er führte uns an der Treppe vorüber zu einer Tür ganz im Hintergrund der Halle und meldete unsere Ankunft mit derselben zarten, weichlichen Stimme, der ich instinktiv mißtraute.

Der Raum, den wir betraten, war die Bibliothek. Rings um die Wände liefen Bücherregale; die dunklen, schweren, aber geschmackvollen Möbel wirkten sehr feierlich, entbehrten jedoch der Behaglichkeit.

Lord Edgware, ein stattlicher Fünfziger mit braunem, weißgesprenkeltem Haar, schmalem Gesicht und verkniffenem Mund, erhob sich bei unserem Eintritt. Verbittert und reizbar sah er aus. Seine Augen hatten einen wunderlich verschlossenen Blick. Auffallend wunderliche Augen! stellte ich noch einmal fest.

»Monsieur Hercule Poirot? Hauptmann Hastings?«begrüßte er uns mit frostiger Zurückhaltung.»Nehmen Sie bitte Platz.«

Wir folgten der Aufforderung. Durch das einzige Fenster drang verhältnismäßig wenig Licht in das Gemach, und dieses Halbdunkel trug zu der kalten, ungastlichen Atmosphäre noch bei.

Lord Edgwares lange weiße Finger nahmen einen Briefbogen auf, dessen Schrift ich unschwer als jene meines kleinen Freundes erkannte.

»Ihr Name ist mir natürlich wohlbekannt, Monsieur Poirot. Wem ist er das nicht?«Hercule Poirot quittierte dies Kompliment mit einer Verbeugung.»Allerdings begreife ich nicht, inwiefern Sie diese Sache angeht. Sie haben mir hier geschrieben, daß Sie mich wegen... meiner Frau zu sprechen wünschten«, schloß er, und die Erwähnung von Jane Wilkinson schien ihn Überwindung gekostet zu haben.

»Jawohl«, sagte mein Freund.

»Sie befassen sich doch, wenn ich recht unterrichtet bin, mit der Untersuchung von Verbrechen, Monsieur Poirot.«

»Von Problemen, Lord Edgware. Gewiß, es gibt Probleme krimineller Art. Es gibt indes auch andere.«

»So...?«schnarrte der höhnisch verkniffene Mund. Aber Poirot beachtete den unverkennbaren Hohn nicht.

»Ich nahm mir die Freiheit, mich mit Ihnen um Lady Edgwares willen in Verbindung zu setzen«, sagte er mit beflissener Liebenswürdigkeit.»Lady Edgware wünscht die Scheidung.«

»Das ist mir nichts Neues.«

»Lady Edgwares Vorschlag ging dahin, daß Sie und ich die Angelegenheit erörtern.«

»Es gibt nichts zu erörtern.«

»Sie weigern sich also?«

»Weigern? Aber ganz und gar nicht!«

Was immer Poirot auch erwartet haben mochte ‑ dies ganz bestimmt nicht. Selten oder nie habe ich meinen Freund so fassungslos gesehen wie bei dieser Gelegenheit, und ich betrachtete ihn mit diebischem Vergnügen. Sein Unterkiefer fiel herab, seine Hände spreizten sich, seine Brauen schnellten in die Höhe: Er sah aus wie eine drollige Karikatur in einem Witzblatt.

»Comment?«schrie er.»Sie weigern sich nicht?«

»Ihr Erstaunen ist mir rätselhaft, Monsieur Poirot.«

»Ecoutez, Sie sind willens, sich von Ihrer Frau Gemahlin scheiden zu lassen?«

»Gewiß. Und sie weiß das sehr gut. Ich habe es ihr brieflich mitgeteilt.«

»Brieflich?«

»Ja. Vor sechs Monaten.«

»Aber das verstehe ich nicht! Das verstehe ich wirklich nicht!«

Lord Edgware schwieg.

»Ich kam hierher in dem Glauben, daß Sie ein grundsätzlicher Gegner von Ehescheidungen seien.«

»Um meine Grundsätze haben Sie sich nicht zu kümmern, Monsieur Poirot. Es ist wahr, daß ich meiner ersten Frau die Scheidung abschlug, weil ich sie vor meinem Gewissen nicht verantworten konnte. Meine zweite Heirat war ‑ das gestehe ich ganz offen ein Fehler. Als meine Frau auf Scheidung drängte, weigerte ich mich anfänglich ebenfalls hartnäckig. Vor sechs Monaten drängte sie von neuem ‑ ich glaube wohl, weil sie irgendeinen Schauspieler oder dergleichen heiraten wollte. Und da meine Ansichten inzwischen eine Mäßigung erfahren hatten, schrieb ich ihr in diesem Sinne nach Hollywood. Aus welchem Grunde sie sich bei dieser Sachlage noch Ihrer als Unterhändler bedient, ist mir unerfindlich. Vermutlich wegen der geldlichen Seite!«lachte er spöttisch.

»Höchst merkwürdig«, murmelte Poirot ganz benommen.

»In finanzieller Hinsicht aber bin ich zu keinerlei Zugeständnissen bereit«, fuhr Lord Edgware fort.»Meine Frau verließ mich aus eigenem Antrieb. Wenn sie sich mit einem anderen Mann verheiraten will, bin ich erbötig, ihr die Freiheit zu geben, aber es liegt keine Veranlassung vor, daß ich sie mit einem Penny unterstütze.«

»Man verlangt von Ihnen nichts Derartiges.«

»Nein?«murmelte der Zyniker.»Dann muß der Mann, den Jane zu heiraten beabsichtigt, sehr reich sein.«

Das Gesicht meines Freundes hatte sich durch die Anstrengung des Grübelns in Runzeln und Falten verzerrt.

»Da ist etwas, was ich nicht verstehe«, beharrte er.»Ist Lady Edgware denn nicht verschiedentlich durch Anwälte bei Ihnen vorstellig geworden?«

»Freilich. Englische Anwälte, amerikanische, Anwälte aller Art bis hinab zum

Date: 2015-12-13; view: 403; Íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ; Ïîìîùü â íàïèñàíèè ðàáîòû --> ÑÞÄÀ...



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