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Die erste Schau 7 page





Ich ließ das leichte Staunen der Fürstin und Lipotins nicht erst zu Worte kommen und fuhr rasch fort:

 

"Sie beide kennen übrigens meine Braut schon: es ist Frau Doktor Fromm, die Dame, die..."

"Ah, Ihre Hausdame!?" rief Lipotin, aufrichtig verwundert.

"Ja, meine Haushälterin, wenn Sie so wollen", bekräftigte ich mit einer gewissen Erleichterung. Heimlich beobachtete ich dabei die Fürstin. Assja Chotokalungin reichte mir die Hand, rasch und leise auflachend, wie einem alten Kameraden und sagte mit einem Anflug von Spott:

"Wie mich das freut, wertester Freund! – Also doch nur ein Komma?! Und beileibe nicht so was wie ein Schlußpunkt!"

Ich verstand nicht sogleich den Sinn dieser sonderbaren Bemerkung; ich vermutete einen Scherz und antwortete mit einem Lachen. Sogleich empfand ich dieses Lachen als falsch und wie einen feigen Verrat an Jane, aber wieder ging das rasche Rad der Worte und Entschlüsse über mich hinweg, und schnell fuhr die Fürstin fort:

"Nichts schöner, als das Glück der Glücklichen auf einige Stunden teilen zu dürfen! Ich danke Ihnen, mein Freund, für diesen Vorschlag. Wir werden einen entzückenden Nachmittag haben."

Mit fast unbegreiflicher Schnelligkeit rollte sich die nächste Stunde ab. – Wir bestiegen den schon vor der Gartentür leise surrenden Wagen.

Ein elektrischer Schlag durchfuhr mich beim Einsteigen: der Chauffeur vorn am Steuer war... John Roger. – Natürlich nicht John Roger. Unsinn! Ich meine: derselbe Diener der Fürstin, der mir wegen seiner Größe und seines westeuropäischen Typus unter der asiatischen Kanaille so ganz besonders aufgefallen war. selbstverständlich, daß sich die Fürstin keinen Kalmücken als Chauffeur wählte!

 

Im Nu hielten wir vor meiner Haustür. Jane schien mich erwartet zu haben. Zu meiner heimlichen Überraschung zeigte sie gar keine Veränderung oder Bedenken, als ich sie von der Absicht der unten wartenden Gäste verständigte, uns gemeinsam an die entfernten Ufer des Stromes hinauszufahren. Sie war sogar sehr angeregt von dem Vorschlag und erstaunlich rasch angezogen und bereit.

Sodann begann jene denkwürdige Fahrt nach Elsbethstein.

 

Schon die Begegnung der beiden Frauen drunten auf der Straße, als Jane das Automobil bestieg, war anders, als ich irgend hätte erwarten können. Die Fürstin lebhaft, liebenswürdig, mit einem leisen Unterton von Spott in der Stimme wie immer; aber Jane durchaus nicht, wie ich vielleicht ein wenig befürchtet hatte, befangen, oder der sonderbar plötzlichen Situation irgendwie nicht ganz gewachsen... im Gegenteil. Sie begrüßte die Fürstin mit gemessener und recht wortkarger Höflichkeit, wobei ihre Augen merkwürdig froh leuchteten. Ihr Dank an die Herrin des Wagens klang fast wie die gelassene Annahme einer Herausforderung.

 

Das erste, was mir auffiel, als wir uns in dem breiten und bequemen Luxusauto zurechtrückten, war ein gewisser nervöser Klang in dem Lachen der Fürstin, den ich bisher noch nicht bei ihr vernommen hatte. Wie sie so ihren Schal um die Schultern zog, sah es fast aus, als fröstelte sie leicht.

Gleich darauf lenkte sich meine Aufmerksamkeit auf den Chauffeur und das Tempo, das er sofort anschlug, kaum daß wir die belebteren Vorstadtstraßen hinter uns hatten. Es schien bald kein Fahren mehr zu sein, sondern eine Art von Gleitflug, sanft, geräuschlos und so gut wie völlig frei von Achsenstößen über die auffallend holprige Landstraße hin. Ein Blick auf den immer weiterstrebenden Geschwindigkeitsmesser ergab hundertvierzig Kilometer. Die Fürstin schien das nicht zu bemerken; jedenfalls traf sie keine Anstalten, den wie leblos am Steuer sitzenden Chauffeur zu mahnen. Ich sah auf Jane; sie schaute kühlen Blickes ins Land hinaus. Ihre Hand lag unbewegt und lässig in der meinen; auch sie wunderte sich offenbar nicht im geringsten über die wahnsinnige Geschwindigkeit der Fahrt.

 

 

Bald stieg der Zeiger auf hundertfünfzig und schwankte zum nächsten Zählstrich hinüber. Dann überkam auch mich eine tiefe Gleichgültigkeit gegen die äußerlichen Sinneseindrücke dieser Fahrt: das messerklingenscharfe Vorüberpfeifen der Alleebäume, der schwindelerregende Vorbeitanz vereinzelter Fußgänger, Fuhrwerke und mit fliehenden Hupenschrei überholter Kraftwagen.

 

 

Allmählich versank ich schweigsam in die Rückerinnerung der Erlebnisse der verflossenen Stunden. Ich sah die hochmütig mit ihren Blicken der rasenden Fahrt vorausschauende Fürstin an. Sie saß wie ein bronzefarbenes Götterbild; ihr Gesicht hatte den Ausdruck einer Pantherkatze, die geduldig über ihrer heranspielenden Beute hängt. Geschmeidig, mit glattem Fell... nackt. – Ich mußte die Augen zudrücken; mußte Schleier um Schleier mir vom Gesicht wischen: vergebens; immer wieder sah ich die nackte Predigerin des wollüstigen Geheimkults der Isaïspriester vor mir, die Verkünderin des Liebesgenusses, den der unergründliche, der weißglühende Haß gewährt... Wieder verspürte ich das Verlangen, mit meinen Händen den Hals dieser dämonischen Halbkatze zu umkrallen und Orgien von Haß, Haß, Haß und Wut in den mordenden Muskeln meiner Fäuste zu genießen; wieder glomm und kroch die Angst durch meine Adern, und ich sandte Stoßgebet um Stoßgebet zu... zu Jane hinüber, als säße sie nicht Hand in Hand mit mir, dicht neben mir in einem sausenden Wagen, sondern hoch und fern entrückt wie eine Göttin über den Sternen, – wie eine Mutter im unerreichbaren Himmel.

 

 

In diesem Augenblick ein elementarer, das ganze Körpergewicht im Flug ergreifender Schreckensruck: Langholzfuhrwerk vor uns! Zwei Automobile vor ins! In entgegengesetzter Fahrt sich begegnend und wir mit hundertsechzig Kilometern Geschwindigkeit auf sie zu sausend! Kein Bremsen mehr möglich: viel zu schmal die Straße!! Daneben, am Wegesrand, rechts und links Abgrunde!

Unbeweglich sitzt der Chauffeur am Rad. Ist er wahnsinnig geworden? Er steigert die Geschwindigkeit auf hundertachtzig Kilometer. Links überholen? Unmöglich: der Knäuel der drei Wagen besetzt die ganze Straße. Da biegt der Chauffeur in leiser Kurve nach – rechts. "Er fährt in den Abgrund, er ist irrsinnig geworden", sage ich mir. Noch eine Sekunde, dann sind wir gepfählt von dem Baumholz des Fuhrwerks: lieber im Abgrund zerschellen! Da!: die rechte Hälfte unseres Autos schwebt frei über der gähnenden Tiefe, in der schäumend der Strom rauscht zwischen Felsen dahin. Kaum einen Meter breit das Wegstück neben dem Holzfuhrwerk, an dem wir vorüberhuschen auf den beiden linken Rädern nur: die furchtbare Geschwindigkeit hält das Auto aufrecht und bewahrt es vor dem Sturz.

Ein schneller Blick nach rückwärts: der Wagenknäuel weit, weit hinter uns, fast nicht mehr sichtbar, in dichten weißen Staub gehüllt. Regungslos sitzt "John Roger" am Rad, als sei alles ein Kinderspiel gewesen. "So kann nur der Teufel fahren", sage ich mir, "oder ein lebendiger Leichnam." Und wieder surren wir an sichelnden meterdicken Ahornbäumen vorbei. – – –

 

 

Lipotin lacht:

"Tüchtige Fahrt, was? Wenn die brave Zentrifugalkraft nicht wieder mal geschlafen hätte, dann..."

Langsam, mit tausend Nadelstichen, kehrt das Blut in meine schreckensgelähmten Glieder zurück. Ich muß wohl mit ein wenig verzerrtem Gesicht geantwortet haben:

"Fast ein bißchen süchtig tüchtig für gewöhnliches Knochenmaterial wie das meinige."

Ein fatales Mißtrauen gegen meine Fahrgenossen bohrt wieder hartnäckig in mir trotz dem deutlichen Augenschein, daß diese Fahrt durch eine mir wohlvertraute Gegend nur allzu wirklich ist. Das Mißtrauen macht, so sehr ichs mir ausrede, selbst vor Jane nicht halt: sind das wirklich Lebende, neben denen ich sitze? Sind es nicht vielleicht Tote? Schemen aus einer Welt, die längst nicht mehr gegenwärtig ist? – –

 

 

Das Gesicht der Fürstin ist spöttisch verzogen:

"Fürchten Sie sich?"

Ich suche nach Worten. Es ist mir nicht entgangen, daß Assja Chotokalungin seit Beginn der Fahrt mehrmals mit einem Ausdruck von sonderbarer Besorgnis, ja, fast von Angst um die ihr zur Seite sitzende Jane beobachtet hat. Dieser Zug an ihr ist mir neu. Es reizt mich, in der Richtung zu tasten, und ich antworte darum, gleichfalls lächelnd:

 

 

"Nicht, daß ich eigentlich wüßte! Es müßte denn ein solches Gefühl unter Freunden ansteckend sein. Soviel ich sehen kann, geben Sie sich selbst ein wenig Mühe, ein Unbehagen zu verbergen."

 

 

Die Fürstin zuckt merklich zusammen. Vorbeidonnernder Lärm einer Unterführung enthebt sie einer Antwort. Statt ihrer ruft Lipotin gegen den Wind:

"Hättte nicht gedacht, daß die Herrschaften sich um den Vorrang in der Todesfurcht streiten würden, anstatt sich im Flug dieser Minuten gesund zu baden! – Übrigens: keine Besorgnis, wo ich mitfahre! In meiner Familie ist das undramatische Verschwinden und Erscheinen auf der Lebensbühne erblich!"

 

 

Nach einer Weile sagt Jane ganz still:

"Wer seinem Weg gehorcht, wie kann der erschrecken? Angst fühlen kann doch nur einer, der sich seinem Schicksal entgegenstemmt."

Die Fürstin schweigt. Über ihr lächelndes Gesicht laufen blitzschnelle Schatten, nur mir erkennbar als der Widerschein inneren Gewitters. Dann tippt sie leicht den Chauffeur auf die Schulter.

 

"Warum fahren Sie so träge, Roger?"

Es gibt mir einen Stich: Roger heißt der Chauffeur!? Welch ein unheimlicher Zufall!

Der Mann vorm Rad nickt. Ein singender Ton dringt aus der Maschine. Der Geschwindigkeitszeiger springt wieder auf hundertachtzig, schlägt ein paarmal wild hin und her, bis er irgendwo festklebt. – Ich blicke Jane an und wünsche in ihrem Arm zu sterben.

 

Wie wir nach Ablauf weniger Minuten dennoch heil den steilen, über alle Begriffe holprigen Steig hinaufgekommen sind zur Ruine Elsbethstein, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Es gibt kaum eine andere Erklärung als: wir sind hinauf geflogen. Der ungeheure Schwung und die über jede Vorstellung gediegene Konstruktion des Wagens machte das Wunder möglich. – Da droben hat jedenfalls vor uns noch nie ein Automobil gestanden.

 

Arbeiter staunten uns an wie ein Wunder, die triefend von der Nässe der aus dem Boden quellenden heißen Wasserdämpfe und umwallt vom weißen Dunst, Wesen der Unterwelt gleich, auf Spaten und Kreuzhauen gestützt, umherstanden vor einem zitternden Hintergrund himmelhoch aufsprudelnder Geysirs. Wir wanderten stumm durch die schön umlaubten Gemäuer der Burg, und es fiel mir auf, wieviel Plan und fast gärtnerisch gedachte Verteilung in dem Wuchs der Gebüsche war, zwischen denen immer neue Ausblicke in die Taltiefe sich mit bezaubernder Grazie öffnete. Ein seltsamer, fast romantischer Kontrast: diese überallhin verstreuten halb verwilderten Blumenbeete mitten unter zerfallenem ragendem Gemäuer! Man glaubte durch einen verzauberten Park zu irren, in dem Steinstatuen ohne Kopf oder Arme, moosbewachsen, plötzlich vor einem auftauchten, als hätte eine Fee sie unversehens, um zu erschrecken oder zu necken, hingestellt. Dann wieder ein Spalt wie ein Riß durchs Gestein, und von tief unten herauf glitzerte der silbergleißende schäumende Strom.

Irgend jemand von uns fragte:

"Wer hat wohl all diese sinnverwirrend schöne Unordnung so instand hält?"

Niemand wußte Antwort.

 

"Haben Sie nicht von einer Sage erzählt, Lipotin, die auf Burg Elsbethstein Bezug hat? Von einer Burgherrin mit Namen Elsbeth, die hier das Lebenswasser trank, oder so?"

"Irgendwer hat mir einmal etwas Verworrenes davon erzählt, ja", sagte Lipotin wegwerfend; "ich könnte das nicht mehr zusammenhängend wiedergeben. Heute nachmittag kam es mir eben nur spaßhaft auf die Zunge."

 

"Man kann ja einen der Arbeiter im Burghof fragen!" meinte die Fürstin lässig.

"Ein Gedanke!"

So kamen wir langsam in den Schloßhof zurück.

 

Lipotin zog seine elfenbeinerne Zigarettendose hervor und reichte sie geöffnet einem der Erdarbeiter hin.

"Wem gehört die Ruine eigentlich?"

"Niemand."

"Aber irgendwem muß sie doch gehören!"

 

"Niemand. Fragen S' halt den alten Gärtner drin!" brummte einer aus der Schar und putzte mit einer Holzspachtel seine Schaufel so sorgfältig, als sei sie ein chirurgisches Experiment. Die anderen lachte und warfen sich bedeutsame Blicke zu.

Ein junger Bursche spähte begierig auf die Zigarettendose, und als sie Lipotin ihm bereitwillig hinhielt, entschloß er sich zu einer Auskunft:

"Er ist nicht recht im Kopf, der Alte. Er spielt den Kastellan hier heroben, aber niemand zahlt ihn dafür. Er ist halt net recht im Kopf. Ich glaub, er is ein Gärtner, oder so. Immerfort grabt er im Boden. Ein Fremder ist er oder so. Hundert Jahr vielleicht is er. Uralt. Schon mein Großvater hat ihn kennt. Niemand weiß, wo er her ist. Fragen S' ihn halt selber." – Der Redefluß des Arbeiters versiegte jäh; die Kreuzpickel sausten wieder hernieder; Schaufeln warfen die Erdschollen aus den Wasserlaufgräben. Kein Wort mehr war aus den Leuten herauszubringen.

 

 

Wir schritten dem Bergfried zu; Lipotin machte den Führer. Eine halb vermorschte, mit rostigen alten schmiedeeisernen Bändern versehene Tür wies auf den Eingang hin. Sie schrie kreischend auf, als wir sie öffneten, wie ein aus tiefem Schlaf aufgeschrecktes Tier. Eine verfallene modrige, einst anscheinend mit reichen Schnitzereien verziert gewesene Eichentreppe führte empor in Dunkelheit, die durch schräg hereinfallendes Licht streifenweise durchbrochen wurde.

 

Durch einen offenen bogenförmigen Einlaß, in dem eine dicke Bohlentüre halb in den Angeln hing, zwängte sich Lipotin voraus in eine Art von Küche. Wir ihm nach.

 

Ich fuhr zurück:

Dort, in einem Gerippe aus Holzteilen, die einst einen Lehnstuhl gebildet haben mochten, wie aus herabhängendenLederfetzen zu schließen war, lag halb, saß halb die Leiche eines weißhaarigen Greises. Auf dem verfallenen Herd daneben stand ein tönerner Scherben, in dem ein Rest von Milch zu schwimmen schien. Eine schimmlige Brotrinde dabei.

Plötzlich schlug der Alte, den ich für tot gehalten, die Augen auf und starrte uns an.

Im ersten Augenblick glaubte ich, es sei eine Sinnestäuschung gewesen, denn der Greis war in Lumpen gehüllt, die, mit Wappenknöpfen versehen, einer Livree oder einer mit Resten von Goldfäden durchzogenen Uniform vergangener Jahrhunderte anzugehören schienen, dazu das mumienhafte gelbe Gesicht: alles hatte in mir den Eindruck erweckt, ein Toter säße hier, seit langer Zeit vergessen und vermodert.

"Ist es erlaubt, Herr Kastellan, auf diesen Turm hinaufzusteigen und die Aussicht von droben ein wenig zu genießen?" fragte Lipotin kaltblütig.

 

Die Antwort, die er endlich auf seine höflich nochmals wiederholte Frage erhielt, war merkwürdig genug:

"Es ist heute nicht mehr nötig. Es ist schon alles besorgt."

Dabei schüttelte der Alte immerzu mit dem Kopf. Man konnte im Zweifel sein, ob aus Schwäche oder um seine Verneinung zu bekräftigen.

"Was ist nicht mehr nötig?" schrie ihm Lipotin ins Ohr.

"Daß Ihr hinauf geht und Ausschau haltet. Sie kommt heute nicht mehr."

Wir verstanden: der Greis erwartete irgend jemand. Er dachte wahrscheinlich im Dämmer seines Begreifens, wir wollten ihm helfen, den Gast zu erspähen, der ihm im Sinn lag. Vermutlich ein Bote, der ihm die kümmerliche Nahrung heraufzutragen pflegte.

 

Die Fürstin zog ihre Börse, reichte hastig Lipotin ein Goldstück hin:

"Geben Sie das einem armen Teufel. Er ist geisteskrank offenbar. Wollen wir doch gehen!"

Auf einmal schaute der Greis uns der Reihe nach mit weit offenen Augen an, aber nicht ins Gesicht, eher über unsere Köpfe hin. –

"Es ist schon recht", murmelte er, "es ist schon recht. Geht nur hinauf. Vielleicht ist die Herrin doch unterwegs."

"Welche Herrin?" – Lipotin reichte dem Alten das Geschenk der Fürstin hin, der aber wies das Geld mit hastiger Bewegung zurück:

"Der Garten ist besorgt; es braucht keinen Lohn. Die Herrin wird zufrieden sein. Wenn sie nur nicht solange ausbliebe! – Wenn der Winter kommt, kann ich die Blumen nicht mehr begießen. Ich warte seit... seit..."

"Nun, wie lange wartet Ihr schon, alter Mann?"

"Alter – Mann? Ich bin doch gar nicht alt! Nein, nein, ich bin gar nicht alt. Das Warten erhält mich jung. Ich bin jung, das seht Ihr doch."

Die Worte hatten fast komisch geklungen, aber sie verschlugen uns das Lachen.

 

"Und wie lang seid Ihr schon hier, guter Mann?" fragte Lipotin unbeirrt fort.

 

"Wie... lang... ich schon hier bin? Wie soll ich das wissen?" – der Greis schüttelte den Kopf.

"Nun, einmal müßt Ihr doch hierherauf gekommen sein! Denkt nach! Oder seid Ihr vielleicht hier oben geboren?"

"Ja, heraufgekommen bin ich. Das ist schon wahr. Heraufgekommen bin ich, Gott sei Dank. Und wann? Man kann doch die Zeit nicht zählen."

"Könnt Ihr euch nicht erinnern, wo Ihr früher gewesen seid?"

"Früher? Früher war ich doch nirgends."

"Mann! Wo seid Ihr denn geboren, wenn nicht hier oben?"

"Geboren? Ich bin nicht geboren; ich bin ertrunken."

Je zusammenhangsloser die Antworten des irrsinnigen Alten zu werden begannen, desto unheimlicher klangen sie mir, und immer hartnäckiger und quälender empfand ich die Neugier, das vielleicht recht triviale Geheimnis dieses verschollenen Lebens enthüllt zu sehen. – Die Worte des Arbeiters: "Er gräbt immerwährend in der Erde", fielen mir wieder ein. Suchte der Greis vielleicht seit jeher nach einem Schatz in der Ruine und war er darüber möglicherweise wahnsinnig geworden?"

Von ähnlicher Neugier schienen auch Jane und Lipotin ergriffen zu sein. Nur die Fürstin stand beiseite mit einer hochmütigen Ablehnung, die mir neu und fremd an ihr war, und machte mehrere vergebliche Versuche, uns zum Gehen zu bestimmen.

Lipotin, der sich aus der letzten Antwort des Irren offenbar auch keinen Reim machen konnte, zog wichtig die Augenbrauen hoch und schickte sich soeben zu einer neuen, klug vorwärtstastenden Frage an, da fing der Greis von selber an zu reden, hastig, unvermittelt, wie angetrieben und fast automatenhaft; unversehens mußte da ein Erinnerungsrädchen in seinem Hirn berührt worden sein, das jetzt von selbst losschnurrte:

 

"Ja, ja; dann bin ich aus dem grünen Wasser wieder aufgetaucht. Ja, ja; senkrecht aufgetaucht. Ich bin gewandert, gewandert, gewandert, bis ich von der Königin auf dem Elsbethstein gehört hab. Ja, ja; hierher bin ich gekommen, Gott sei Dank. Ich bin doch Gärtner, ja, ja. Da hab ich dann gegraben... bis ich... Gott sei Dank. Und jetzt halt ich den Garten wieder in Ordnung für die Königin, wie's mir gesagt worden ist. Damit sie sich freut, wenn sie kommt, versteht Ihr? Das ist doch leicht zu verstehen, nicht wahr? Da braucht sich doch niemand zu wundern, nicht wahr?"

Ein unerklärlicher Schauder überlief mich bei diesen Worten des Alten. Unwillkürlich ergriff ich Janes Hand, als könnte ihr Gegendruck mich in Abwehr oder Bestätigung unterstützen. Lipotins spöttische Mienen verzerrten sich, so schien es mir wenigstens, zu einem fanatischen Ausdruck von blinder Lust, wie man sie den Tierquälern und Inquisitoren nachsagt. Er drängte:

"Und wollt Ihr uns nicht endlich sagen, wer Eure Herrin ist? Vielleicht könne wir Euch Nachricht von ihr bringen."

Der alte Mann schüttelte heftig den Kopf, doch wackelte der weißbesträhnte Schädel ihm dermaßen haltlos nach allen Seiten, daß man nicht mehr unterscheiden konnte, ob sein heftiges Nicken Verneinung oder eifrige Zustimmung ausdrücken wollte. Sein heiseres Krächzen konnte ebensogut Ablehnung bedeuten, wie der Ausbruch eines wilden Gelächters sein.

"Meine Herrin? Wer kennt meine Herrin?! Ich meine, Ihr, lieber Herr", – er wandte sich zu mir und dann zu Jane –, "Ihr kennt sie, und Ihr, junge Frau, kennt sie gewiß ganz gut, das seh ich Euch an. Ja, das kann ich Euch ansehen. Ihr, junge Frau, Ihr..."

Er verlor sich in ein unverständliches Gebrummel, indessen sein Blick sich mit dem Ausdruck eines Menschen, der krampfhaft bemüht ist, eine Erinnerung wachzurufen, mit ganz eigentümlicher Schärfe in Janes Augen einzubohren versuchte.

Sie trat unwillkürlich rasch einen Schritt auf den irrsinnigen alten Gärtner zu, oder was er sonst sein mochte, und sofort haschte dieser mit unsicherer Hand nach ihrem Kleid, bekam aber nur den lose umgehängten Mantel zu fassen. Er hielt ihn mit Inbrunst fest, und es schien einen Augenblick, als wolle Klarheit in sein Inneres dringen, derart hellten sich seine Mienen auf. Doch sofort erlosch der lichte Moment, und der Ausdruck unbeschreiblicher Leere breitete sich wieder über sein Gesicht.

 

Ich sah Jane an, daß sie mich innerlich mit aller Macht anstrengte, irgendeine Erinnerung, die in ihr schlafen mochte, zu erwecken, aber anscheinend gelang es auch ihr nicht. Ich glaube, sie fragte nur aus Verlegenheit, denn ihre Stimme klang unsicher:

"Wen meinen Sie mit Ihrer Herrin, lieber Freund? Sie irren, wenn Sie glauben, ich kenne sie. Auch Sie habe ich heute bestimmt das erstemal gesehen."

 

Der Greis stammelte unter beständigem Kopfschütteln vor sich hin:

"Nein, nein, nein, das wäre! Ich irre mich nicht. Nein, nein, ich weiß es besser, Ihr wißt doch, junge Frau..." – seine Stimme wurde rasch und geheimnisvoll eindringlich, und sein Blick schaute in die leere Luft, als sähe er dort und nicht vor sich das Gesicht Janes –, "Ihr wißt doch: Königin Elsbeth ist auf Brautschau geritten, als sie alle glaubten, sie sei gestorben. Königin Elsbeth hat doch hier vom Brunnen des Lebens getrunken! Ich warte hier auf sie, wie... man mir gesagt hat, seit... Ich habe sie fortreiten sehen von Westen, wo das Wasser grün ist, um den Bräutigam einzuholen. Eines Tages wird sie aus der Erde auftauchen, wenn die Wasser rauschen. Aus dem grünen Wasser wird sie auftauchen, wie ich, wie Ihr, junge Frau, wie... ja, ja, wie wir alle – –. Ihr wißt so gut wie ich: es ist doch die Feindin der Herrin da! Ja, ja, das ist mir wohl zu Ohren gekommen! Wir Gärtner finden so manches, hi, hi, wenn wir graben. Ja, ja, ich weiß, die Feindin will der Königin Elisabeth die Hochzeit verstellen. Und davon kommt es auch, daß ich solange warten muß, bis ich den Brautkranz flechten darf. Aber das macht nichts: ich kann warten; ich bin doch noch jung. Ihr seid auch noch jung, Frau, und Ihr kennt unsere Feindin; Ihr ja! Oder ich müßt mich sehr täuschen. Nein, nein, ich... ich täusch mich nicht. Ich nicht, junge Frau!"

Das traurige Abenteuer mit dem irrsinnigen greisen Gärtner auf Ruine Elsbethstein fing an, unbehaglich zu werden. Wohl klang aus dem verworrenen Unsinn des Alten, wenigstens für meine unbefangenen Ohren, ein zerbrochener Sinn hervor, den ich in dieser phantastischen Situation geneigt war, auf meine eigenen Erlebnisse und Geheimnisse zu beziehen; aber was sieht man nicht alles, was hört man nicht alles da und dort wie geraunte Enthüllung der sprachbegabten und schaffenskundigen Natur, wenn das Herz voll ist und begierig lauscht! – Was lag näher, als daß der arme Irre Erlebnisse, die er gehabt haben mochte und die vielleicht einst sein Hirn verbrannt hatten, mit den Sagen, die Elsbethstein umgaben im Volksmund, verflocht zu wirrem, halb totem, halb lebendigem Gestrüpp.

 

Plötzlich griff der alte Mann aus irgendeinem der dunkeln Winkel seines Herdes einen im letzten Licht der Sonne feurig auffunkelnden Gegenstand und hielt ihn Jane hin. – Lipotins Kopf fuhr vor wie der eines Geiers. Auch mich durchzuckte es heiß:

In seinen krallenartigen Fingern hielt der Alte einen Dolch mit langem Heft; eine überaus edel gearbeitete Waffe mit kurzer und breiter, offenbar gefährlich scharfer Klinge, die, seltsam bläulichweiß – ein mir unbekanntes Metall –, die ungefähre Form einer Speerspitze hatte. Der Griff schien mit persischen Kalaiten besetzt zu sein, doch konnte ich es nicht genau unterscheiden, denn der alte fuchtelte unruhig mit dem Dolch in der Luft herum, und das Tageslicht in der Turmküche war schon halb in Dämmerung übergegangen.

In diesem Augenblick – sie konnte die Waffe noch gar nicht gesehen haben – drehte sich die Fürstin, wie von Instinkt erfaßt, jäh um und wandte sich uns zu. Sie hatte bis dahin halb abseits gestanden und gelangweilt und nervös mit der Spitze ihres Schirmes Runen in den mulmigen Backsteinestrich gegraben. Fast rücksichtslos durchbrach sie unsern Kreis und griff mit rasch zufahrender Hand nach der Waffe. Ihre Sammelgier schreckte in diesem Moment selbst vor Taktlosigkeit nicht zurück.

 

Blitzschnell jedoch zog der Wahnsinnige seinen Arm an sich.

Aus dem Munde der Fürstin kam ein sonderbarer Laut. Wenn ich Ähnliches überhaupt je gehört habe, oder mit Gehörtem vergleichen soll, so kann ich es nur mit dem Fauchen einer Katze bezeichnen, die sich zum Kampfe stellt. Alles ging so schnell vor sich, daß es wie Unwirklichkeit an mir vorüberhuschte. Dann hörte ich den Alten meckern:

"Nein, nein; nicht für Euch, alte... alte Frau! – Da, nehmt Ihr, junge Frau! Für Euch ist der Dolch. Hab ihn lang genug aufgehoben für Euch. Hab doch gewußt, daß Ihr kommen werdet!"

Die Fürstin überhörte offenbar die Beleidigung, die für sie in dem Wort "alte" Frau liegen mußte, zumal sie kaum älter sein konnte als Jane. Vielleicht überhörte sie das Wort absichtlich; jedenfalls streckte sie abermals die Hand aus und bot zugleich in rascher, rücksichtslos sich steigernder Art Summe um Summe für die Waffe, so daß mich diese blinde Erwerbswut und Besessenheit von Sammlergier geradezu amüsierte. Ich zweifelte keine Sekunde, daß der alte Armenhäusler, trotzdem er nicht bei Sinnen war, sofort auf den Handel eingehen würde, zumal eine derartige Menge Geld für ihn einen geradezu märchenhaften Reichtum bedeuten mußte. – Aber das Unerwartete geschah. Was es auch sein mochte, das hier zutage trat, ich kann es nicht enträtseln! War es ein anderer fremder unheimlicher Geist, der die Herrschaft über eine durch Verwirrung des Verstandes getrübte Seele an sich riß, oder wußte der alte Irrsinnige überhaupt nicht mehr, was Reichtum bedeutet, jedenfalls: er hob auf einmal seinen Blick zu der Fürstin auf, und ein grauenhafter Ausdruck wahnwitzigen Hasses überflackerte seine Züge. Dann schrie er sie mit gebrochener schriller Stimme an:

 

"Euch nicht, alte... Frau! Euch nicht, um keinen Katzendreck! Um keinen Katzendreck der Welt. Da, nehmt, junge Frau! Rasch! Die alte Feindin ist da! Seht wie sie faucht, wie sie miaut, wie sie gähnt. Rasch zugreifen!... Da... da... da... nehmt den Dolch. Verwahrt ihn gut. Wenn ihn die Feindin kriegt, ists aus mit der Herrin, ists aus mit der Hochzeit, ists aus mit mir armem weltverbanntem Gärtner. Ich hab ihn verwahrt bis heut. Ich hab die Herrin nie verraten. Hab nie gesagt, wo ich ihn her hab. – Geht jetzt, ihr Leut, geht jetzt!"

Date: 2015-09-05; view: 255; Нарушение авторских прав; Помощь в написании работы --> СЮДА...



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