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Chessed 3 page





Agliè musterte uns mit amüsiertem Misstrauen.»Sie glauben wohl, ich sei – wie Hermes mit den Waren – zu flink im Umverteilen der Götter. Sehen Sie dieses Büchlein hier, ich habe es heute Morgen in einem Buchladen im Pelourinho gekauft. Magien und Mysterien des heiligen Cyprianus, Rezepte für Liebeszauber oder um den Feind sterben zu lassen, Anrufungen der Engel und der Jungfrau. Volkstümliche Literatur für diese schwarzhäutigen Mystiker hier. Aber es handelt sich um den heiligen Cyprianus von Antiochia, über den es eine immense Literatur im Silbernen Zeitalter gibt. Seine Eltern wollten, dass er alles lerne und wisse, was in der Erde, in der Luft und im Wasser der Meere ist, und so schickten sie ihn in die fernsten Länder, damit er alle Mysterien erfahre, die Erzeugung und die Vergiftung der Kräuter kennenlerne und die Heilkräfte der Pflanzen und der Tiere, nicht die der Naturgeschichte, sondern die der verborgenen Wissenschaft tief im Innern der fernen und archaischen Traditionen. Und Cyprianus weiht sich in Delphi dem Gott Apoll und der Dramaturgie der Schlange, er wohnt den Mysterien des Mithra bei, als Fünfzehnjähriger auf dem Olymp, von fünfzehn Hierophanten geführt, erlebt er die Riten zur Beschwörung des Fürsten dieser Welt, um dessen Machenschaften zu bannen, in Argos wird er in die Mysterien der Hera eingeweiht, in Phrygien erlernt er die Kunst der Leberschau, und bald gibt es nichts mehr auf der Erde, im Wasser und in der Luft, was ihm unbekannt wäre, ob Hirngespinst oder Gegenstand der Weisheit oder Kunstgriff irgendwelcher Art, nicht einmal die Kunst, durch Zauber die Schrift zu verändern. In den unterirdischen Tempeln von Memphis lernt er, wie die Dämonen mit den irdischen Dingen kommunizieren, welche Orte sie verabscheuen, welche Dinge sie lieben und wie sie die Finsternisse bewohnen, welche Widerstände sie in gewissen Domänen leisten, wie sie sich der Seelen und der Körper bemächtigen können und welche Wirkungen sie dann erzielen, welche Formen von höherer Erkenntnis, Gedächtnis, Schrecken, Illusion, und die Kunst, Erdbeben hervorzurufen und die Ströme des Erdinnern zu beeinflussen... Dann, leider, bekehrt er sich, aber etwas von seinem Wissen bleibt erhalten, vererbt sich, und nun finden wir es hier wieder, hier in den Mündern und Geistern dieser zerlumpten Schwarzen, die ihr Götzenanbeter nennt. Ja, meine Freundin, noch vor Kurzem haben Sie mich angesehen, als wäre ich ein ci‑devant. Wer lebt in der Vergangenheit? Sie, die Sie diesem Lande die Gräuel des Jahrhunderts der Industrie und der Arbeitermassen schenken wollen, oder ich, der sich wünschte, unser armes Europa fände zurück zur Natürlichkeit und zum Glauben dieser Sklavenabkömmlinge?«

»Cristo!«, schnaubte Amparo böse.»Sie wissen doch selber, das ist nur eine Art, sie ruhig zu halten!«

»Nicht ruhig. Fähig, sich noch in der Erwartung zu üben. Ohne die Fähigkeit zur Erwartung gibt es auch kein Paradies, habt ihr Europäer das nicht gelehrt?«

»Seit wann bin ich eine Europäerin?«

»Es kommt nicht auf die Hautfarbe an, entscheidend ist der Glaube an die Tradition. Um einem vom Wohlstand paralysierten Abendländer die Fähigkeit zur Erwartung wiederzugeben, müssen diese hier zahlen, vielleicht auch leiden, aber sie kennen noch die Sprache der Naturgeister, der Lüfte, der Wasser, der Winde...«

»Ihr beutet uns ein weiteres Mal aus.«

»Ein weiteres Mal?«

»Ja, das müssten Sie doch 1789 gelernt haben, Herr Graf. Wenn wir es satthaben – zack!«Und lächelnd wie ein Engel fuhr sie sich mit der Kante ihrer gestreckten, wunderschönen Hand quer über die Kehle. Von Amparo begehrte ich sogar die Zähne.

»Wie dramatisch«, sagte Agliè, während er seine Tabatiere aus der Tasche zog und sie liebevoll zwischen den Händen drehte.»So haben Sie mich also erkannt? Aber 1789 waren es nicht die Sklaven, die Köpfe rollen ließen, sondern die braven Bürger, die Sie doch verabscheuen müssten. Und außerdem, Köpfe hat der Graf von Saint‑Germain in all den Jahrhunderten viele rollen sehen und viele auch wieder auf den Hals zurückkehren... Aber schauen Sie, da kommt die Mãe‑de‑santo, die Ialorixá.«

Die Äbtissin des Terreiro begrüßte uns ruhig, herzlich, einfach und kultiviert. Sie war eine große Negerin mit strahlendem Lächeln. Auf den ersten Blick hätte man sie für eine Hausfrau gehalten, aber als wir miteinander zu sprechen begannen, verstand ich, warum Frauen dieser Art das kulturelle Leben von Salvador dominieren konnten.

»Diese Orixás, sind das eigentlich Personen oder Kräfte?«, fragte ich sie. Die Mãe‑de‑santo antwortete, es seien Kräfte, gewiss, Naturkräfte, Wasser, Wind, Laub, Regenbogen. Doch wie solle man die einfachen Leute daran hindern, sie als Krieger, Frauen, Heilige der katholischen Kirche zu sehen? Verehrt nicht auch ihr Europäer, sagte sie, eine kosmische Kraft unter der Form so mancher Jungfrau? Wichtig sei nur, die Kraft zu verehren, das Äußere müsse sich den Verständnismöglichkeiten eines jeden anpassen.

Sie lud uns ein, in den hinteren Garten hinauszutreten, um die Kapellen zu besichtigen, ehe der Ritus begann. Die Kapellen waren die Häuser der Orixás. Ein Schwarm junger Mädchen, Schwarze in bahrainischer Tracht, traf fröhlich lachend die letzten Vorbereitungen.

Die Häuser der Orixás verteilten sich im Garten wie bei uns die Kapellen auf einem Sacro Monte, und sie trugen außen das Bildnis des jeweils mit ihrem Bewohner gleichgesetzten Heiligen. Innen prangten die leuchtenden Farben der Blumen, der Statuetten und der frisch zubereiteten Speisen, die den Göttern dargebracht wurden. Weiß für Oxalá, blau und rosa für Yemanjá, rot und weiß für Xangõ, goldgelb für Ogun... Die Initiierten knieten nieder, küssten die Schwelle und fassten sich mit der Hand an die Stirn und hinter das rechte Ohr.

»Aber wie ist das nun zu verstehen«, fragte ich,»diese Yemanjá, ist sie nun oder ist sie nicht Nossa Senhora da Conceição, Unsere Liebe Frau von der Empfängnis? Und Xangõ, ist er nun Sankt Hieronymus oder nicht?«

»Stellen Sie nicht so peinliche Fragen«, riet mir Agliè.»Im Umbanda ist es noch komplizierter. Zur Linie von Oxalá, der hier mit Jesus Christus gleichgesetzt wird, besonders mit Nosso Senhor de Bomfim, gehören Sankt Antonius und die Heiligen Kosmas und Damian. Zur Linie von Yemanjá gehören Sirenen, Undinen, Caboclas des Meeres und der Flüsse, Seefahrer und Leitsterne. Zur Linie des Orients gehören Hindus, Ärzte, Physiker, Araber und Marokkaner, Japaner, Chinesen, Mongolen, Ägypter, Azteken, Inkas, Kariben und Römer. Zur Linie von Oxossi gehören die Sonne, der Mond, der Caboclo der Wasserfälle und der Caboclo der Schwarzen. Zur Linie von Ogun gehören Ogun Beira‑Mar, Rompe‑Mato, Iara, Megé, Narueé... Also kurz: je nachdem.«

»Cristo!«, schnaubte Amparo erneut.

»Man sagt Oxalá«, murmelte ich ihr ins Ohr.»Bleib ruhig, No pasarán. «

Die Ialorixá zeigte uns eine Anzahl Masken, die einige Mädchen in den Tempel trugen. Es waren große Kapuzenkostüme aus Stroh, mit denen die Tanzenden sich verhüllen sollten, wenn sie, von der Gottheit besucht, in Trance fielen. Das sei eine Form der Scham, erklärte uns die Ialorixá, in manchen Terreiro tanzten die Auserwählten mit unverhülltem Gesicht, um den Anwesenden ihre Passion vorzuführen. Doch der Initiierte müsse geschützt, respektiert, bewahrt werden vor der Neugier des Profanen oder jedenfalls dessen, der seinen inneren Jubel und seine Anmut nicht verstehen könne. So sei es Brauch in diesem Terreiro, sagte sie, und deshalb sehe man hier nicht gern Fremde beim Ritus. Aber wer weiß, vielleicht eines Tages, fügte sie hinzu. Unsere Verabschiedung war nur ein auf Wiedersehen.

Aber sie wollte uns nicht gehen lassen, ohne uns etwas angeboten zu haben, nicht aus den Körben, die bis zum Ende des Rituals unversehrt bleiben mussten, aber aus ihrer Küche, einige Kostproben der comidas de santo. Sie führte uns in den hinteren Teil des Terreiro, und es war ein farbenprächtiges Festmahl aus Mandioca, Pimenta, Coco, Amendoim, Gemgibre, Moqueca de siri mole, Vatapá, Efó, Caruru, Fejoada mit Farofa, weich duftend nach afrikanischen Spezereien, scharf nach schwer‑süßen tropischen Aromen, wovon mit Andacht kosteten, wissend, dass wir am Mahle der alten sudanesischen Götter teilhatten. Zu Recht, wie uns die Ialorixá belehrte, denn jeder von uns habe, ohne es zu wissen, einen Orixá zum Vater, und oft könne man auch sagen, welchen. Ich fragte keck, wessen Sohn ich sei. Die Ialorixá wich zuerst aus und sagte, das könne man nicht mit Sicherheit feststellen, willigte dann aber ein, meine Handfläche zu betrachten, fuhr mit den Fingern darüber, sah mir in die Augen und sagte:»Du bist ein Sohn von Oxalá.«

Ich war stolz darauf. Amparo, nun wieder entspannt und cool wie gewöhnlich, schlug vor zu erkunden, wessen Sohn Agliè sei, aber er wollte es lieber nicht wissen.

Zu Hause fragte sie mich:»Hast du seine Hand gesehen? Anstatt einer Lebenslinie hat er lauter zerstückelte Linien. So ein Zickzack wie bei einem Bergbach, der auf einen Stein trifft, ins Stocken gerät und einen Meter daneben weiterfließt. Die Linie von einem, der schon oft gestorben sein müsste.«

»Der Weltmeister in Langstreckenseelenwanderung.«

»No pasarán«, lachte Amparo.

 

29

 

 

Car en ce qu’ils changent & transposent leurs noms, en ce qu’ils desguisent leurs années, en ce que, par leur confession mesme, ils viennent sans se faire cognoistre, il n’y a Logicien qui puisse nyer que necessairement il faut qu’ils soient en nature.

(Denn dass sie ihre Namen wechseln und verbergen, dass sie ihr Alter verschleiern, dass sie nach eignem Bekenntnis daherkommen, ohne sich kenntlich zu machen, das erlaubt keinem Logiker zu verneinen, dass es notwendig sein muss, dass sie in natura existieren.)

 

Heinrich Neuhaus, Pia et ultimissima admonestatio de Fratribus Roseae‑Crucis, nimirum: an sint? quales sint? unde nomen illud sibi ascriverint, Danzig 1618, franz. Ausg. 1623, p. 5

 

Chessed, sprach Diotallevi, ist die Sefirah der Gnade und der Liebe, weißes Feuer, Südwind. Vorgestern Abend im Periskop dachte ich, dass die letzten Tage, die ich mit Amparo in Bahia verbrachte, unter diesem Zeichen standen.

Ich erinnerte mich – an was man sich so alles erinnert, wenn man Stunden um Stunden im Dunkel wartet! – an einen der letzten Abende in Salvador. Unsere Füße schmerzten vom vielen Laufen kreuz und quer durch die Stadt, und so waren wir früh zu Bett gegangen, aber ohne schon schlafen zu wollen. Amparo lag auf der Seite, zusammengekauert wie ein Embryo, und tat, als lese sie durch ihre leicht gespreizten Knie in einem meiner Handbücher über den Umbanda. Ab und zu wälzte sie sich auf den Rücken, die Beine geöffnet, das Buch auf dem Bauch, und hörte mir zu, wenn ich sie für die Entdeckungen zu erwärmen suchte, die ich in dem Buch über die Rosenkreuzer machte. Es war ein schöner Abend, aber, wie Belbo bekifft von Literatur in seinen files geschrieben hätte, kein Lufthauch regte sich, über allen Gipfeln war Ruh. Wir hatten uns ein gutes Hotel geleistet, aus dem Fenster sah man das Meer, und aus der noch erleuchteten Küchenecke lockte ein Korb mit tropischen Früchten, die wir am Morgen auf dem Markt gekauft hatten.

»Hör mal, was hier steht: 1614 erschien in Deutschland eine anonyme Schrift mit dem Titel Allgemeine und General Reformation der gantzen weiten Welt. Nebst der Fama Fraternitatis deß Löblichen Ordens des Rosencreutzes, an alle Gelehrten und Häupter Europae geschrieben. Auch nebst einer kurtzen Responsion, von dem Herrn Haselmeyer gestellet, welcher deßwegen von den Jesuittern ist gefänglich eingezogen und auf eine Galleeren geschmiedet worden: Jtzo öffentlich in Druck verfertigt und allen trewen Hertzen communiciret. Herausgegeben zu Kassel von Wilhelm Wessel. «

»Ist das nicht ein bisschen lang?«

»Scheint, dass im siebzehnten Jahrhundert alle Titel so waren. Alle wie von Lina Wertmüller geschrieben.

Es handelt sich um ein satirisches Werk, eine Fabel über eine allgemeine Reformation der ganzen Menschheit, zum Teil abgeschrieben von den Ragguagli di Parnaso des Traiano Boccalini. Aber darin eingebettet ist ein kleineres Werk, ein knappes Manifest von kaum zwölf Seiten, die Fama Fraternitatis, die ein Jahr später gesondert veröffentlicht wird, gleichzeitig mit einem anderen Manifest, diesmal auf Lateinisch, betitelt Confessio fraternitatis Roseae Crucis, ad eruditos Europae. In beiden stellt sich die Bruderschaft der Rosenkreuzer vor und spricht von ihrem Gründer, einem geheimnisvollen C.R. Erst später und aus anderen Quellen geht hervor, dass es sich um einen gewissen Christian Rosencreutz handelt.«

»Warum wird der volle Name verschwiegen?«

»Ach, das wimmelt hier nur so von Initialen, keiner wird hier mit vollem Namen genannt, sie heißen alle G.V., I.A., I.O. oder so, und wer wirklich einen netten kleinen Spitznamen hat, nennt sich P.D. Erst werden die Bildungsjahre von C.R. erzählt, der zunächst das Heilige Grab besucht, dann nach Damaskus geht, dann nach Ägypten und von da nach Fez, was damals ein Zentrum der muselmanischen Weisheit gewesen sein muss. Dort lernt unser Christian, der bereits Griechisch und Latein konnte, die orientalischen Sprachen, die Physik, die Mathematik, die Naturwissenschaften, er akkumuliert die ganze tausendjährige Weisheit der Araber und der Afrikaner, bis hin zur Kabbala und zur Magie, er übersetzt sogar ein mysteriöses Liber M ins Lateinische, und schließlich kennt er alle Geheimnisse des Makro‑ und Mikrokosmos. Schon seit zwei Jahrhunderten war damals alles Orientalische groß in Mode, besonders wenn man nicht kapierte, was es bedeutete.«

»So machen sie's immer: Was? Ihr seid verhungert, frustriert, ausgebeutet? Verlangt nach dem Kelch des Geheimnisses! Hier, nimm...«Sie rollte mir einen Joint.»Das ist einer von den Guten.«

»Siehst du, auch du willst bloß vergessen.«

»Aber ich weiß, dass es bloß Chemie ist, sonst nichts. Da ist kein Geheimnis dabei, das macht dich auch high, wenn du kein Hebräisch kannst. Komm her.«

»Warte. Danach geht dieser Rosencreutz nach Spanien, und auch da stopft er sich mit okkulten Lehren voll und nähert sich, wie es hier heißt, immer mehr und mehr dem Zentrum allen Wissens. Und im Laufe dieser Reisen, die für einen Intellektuellen damals ein echter Trip in totale Weisheit gewesen sein mussten, kapiert er schließlich, dass in Europa eine Gesellschaft gegründet werden muss, die den Regierenden die Wege der Weisheit und Güte weist«

»Originelle Idee. Hat sich wirklich gelohnt, soviel zu studieren. Ich möchte 'ne frische Mamaya.«

»Sind im Kühlschrank. Sei lieb, hol sie dir selber, ich arbeite.«

»Wenn du arbeitest, bist du die Ameise, und wenn du die Ameise bist, dann sei's auch und sorg für Nahrung.«

»Die Mamaya ist Wollust, also geht die Grille. Oder ich gehe, und du liest.«

»Cristo, nein! Ich hasse die Kultur des weißen Mannes. Ich geh schon.«

Amparo ging in die Küchenecke, und ich genoss es, sie im Gegenlicht zu begehren. Und derweilen kehrte C.R. nach Deutschland zurück, und statt sich der Umwandlung von Metallen zu widmen, was sein immenses Wissen ihm nun gestattet hätte, beschloss er, sich einer spirituellen Reformation zu verschreiben. Er gründete die Confraternitas, indem er eine magische Sprache und Schrift ersann, die als Fundament für die Weisheit der künftigen Brüder dienen sollte.

»Nicht so, du kleckerst das ganze Buch voll, steck sie mir in den Mund, nein – lass doch die Albernheiten – ja, so. Mm, gut, diese Mamaya, rosencreutzlische Mammi‑ja‑ja... Aber hör weiter, hast du das gewusst: Was die ersten Rosenkreuzer in den ersten Jahren geschrieben haben, das hätte die wahrheitsbegierige Welt erleuchten können.«

»Was haben sie denn geschrieben?«

»Tja, da ist der Haken, das Manifest schweigt sich darüber aus. Erst machen sie einem den Mund wässrig, und dann nix. Scheint, die Sache ist furchtbar wichtig, so furchtbar wichtig, dass sie geheim bleiben muss.«

»Blöde Hunde.«

»Nicht doch, aua, lass das! Also jedenfalls diese Rosenkreuzer, wie sie sich vermehren, beschließen sie, sich in alle Himmelsrichtungen zu zerstreuen, mit der Verpflichtung, die Kranken gratis zu pflegen, keine Kleider anzuziehen, die sie kenntlich machen, sich überall den Landesbräuchen anzupassen, sich einmal im Jahr zu treffen und hundert Jahre geheim zu bleiben.«

»Entschuldige, aber was für 'ne Reformation wollten sie denn machen, wo doch gerade erst eine gewesen war? Was war denn Luther für sie, bloß 'n Dreck?«

»Nein, das war doch alles noch vor der protestantischen Reformation. Hier steht in einer Fußnote, bei aufmerksamer Lektüre der Fama und der Confessio ist zu entnehmen...«

»Von wem?«

»Wenn etwas zu entnehmen ist, ist es zu entnehmen. Egal von wem. Von der Vernunft, vom gesunden Menschenverstand... He, was hast du denn? Wir reden von den Rosenkreuzern, das ist 'ne ernsthafte Sache...«

»Ach ja?«

»Also, wie zu entnehmen ist, wird der Rosencreutz 1378 geboren und stirbt 1484 im schönen Alter von hundertsechs Jahren, und so ist es nicht schwer zu erraten, dass die geheime Brüderschaft nicht wenig zu jener Reformation beigetragen hat, die 1615 ihr hundertjähriges Jubiläum beging. Zumal auch Luther in seinem Wappen eine Rose und ein Kreuz hatte.«

»Wie einfallsreich.«

»Was willst du, sollte Luther vielleicht eine brennende Giraffe oder eine zerfließende Uhr in sein Wappen tun? Jeder ist ein Kind seiner Zeit. Ich habe kapiert, wessen Sohn ich bin, also sei still und lass mich weiterlesen. Um 1604 finden die Rosenkreuzer, während sie einen Teil ihres geheimen Palastes oder Schlosses restaurieren, einen Stein mit einem großen Nagel drin. Sie ziehen den Nagel raus, ein Teil der Mauer fällt runter, es erscheint eine Tür, und auf der steht in großen Lettern geschrieben: POST CXX ANNOS PATEBO...«

Obwohl ich die Formel aus dem Brief von Belbo kannte, rief ich unwillkürlich:»Mein Gott!«

»Was ist?«

»Das klingt ja wie ein Dokument der Templer, das ich... Eine Geschichte, die ich dir nie erzählt habe, von einem gewissen Oberst...«

»Na und? Die Templer haben halt von den Rosenkreuzern abgeschrieben.«

»Aber die Templer waren vorher da.«

»Na dann haben halt die Rosenkreuzer von den Templern abgeschrieben.«

»Liebling, ohne dich wäre ich verloren.«

»Liebling, dich hat dieser Agliè ganz verdorben. Du erwartest dir eine Offenbarung.«

»Ich? Ich erwarte mir gar nichts.«

»Na Gott sei Dank, hüte dich vor dem Opium der Völker.«

»El pueblo unido jamás será vencido.«

»Mach du dich nur lustig. Lies weiter, lass mich hören, was diese Kretins gesagt haben.«

»Diese Kretins haben alles in Afrika gelernt, hast du das vergessen?«

»In Afrika waren sie damals schon dabei, uns einzupacken und hierherzuverschicken.«

»Dank dem Himmel dafür. Du hättest in Pretoria zur Welt kommen können.«Ich küsste sie und fuhr fort:»Hinter der Tür entdecken sie eine Grabkammer mit sieben Seiten und sieben Ecken, wunderbarerweise erleuchtet von einer künstlichen Sonne. In der Mitte ein runder Altar, geschmückt mit diversen Figuren und Schriften, vom Typus NEQUAQUAM VACUUM...«

» Ne quà quà? Gezeichnet Donald Duck?«

»Das ist Latein, schon mal davon gehört? Heißt soviel wie: ›Es gibt kein Vakuum.‹«

»Na Gott sei Dank, stell dir vor, wie grässlich sonst.«

»Machst du mir bitte den Ventilator an, animula vagula blandula?«

»Aber es ist doch Winter.«

»Für euch von der falschen Hemisphäre, mein Schatz. Wir haben Juli, also bitte sei so lieb und mach mir den Ventilator an – nicht weil ich der Mann bin, sondern weil er auf deiner Seite ist. Danke... Also, unter dem Altar finden sie den unversehrten Leichnam ihres Gründers. In der Hand hält er ein Liber T, angefüllt mit unendlicher Weisheit, nur leider darf die Welt sie nicht erfahren – sagt das Manifest –, sonst gulp, wow, brr, sguisssh!«

»Au!«

»Sag ich doch. Am Ende verspricht das Manifest einen ungeheuren Schatz, der noch ganz zu entdecken ist, und wunderbare Enthüllungen über das Verhältnis von Makro‑ und Mikrokosmos. Glaubt nicht, wir wären billige Alchimisten und würden euch lehren, wie man Gold macht. Das ist was für kleine Gauner, wir wollen mehr und zielen höher, in jeder Hinsicht. Wir verbreiten diese Fama hier in fünf Sprachen, zu schweigen von der Confessio, demnächst in diesem Theater. Wir warten auf Reaktionen und Urteile von Gelehrten und Ignoranten. Schreibt uns, ruft uns an, sagt uns eure Namen, und wir werden sehen, ob ihr würdig seid, an unseren Geheimnissen teilzuhaben, von denen dies hier nur eine blasse Kostprobe war. Sub umbra alarum tuarum Iehova. «

»Was?«

»Unter dem Schatten deiner Flügel, Jehova. Das ist die Schlussformel. Ende der Durchsage. Kurz und gut, es scheint, als wären de Rosenkreuzer ganz wild darauf, ihr Wissen mitzuteilen, und warteten nur auf den richtigen Gesprächspartner. Aber sie verraten kein Wort von dem, was sie wissen.«

»Wie dieser Typ auf dem Foto neulich, mit diesem Inserat in der Illustrierten, die wir im Flugzeug gesehen haben: Wenn Sie mir zehn Dollar schicken, verrate ich Ihnen, wie man Millionär wird.«

»Aber der lügt nicht. Der hat das Geheimnis entdeckt. Wie ich.«

»Hör mal, lies lieber weiter. Scheint ja, als hättest du mich noch nie gesehen.«

»Es ist immer, als wär's das erste Mal.«

»Um so schlimmer. Ich lass' mich nicht mit dem Erstbesten ein. Aber sag mal, ist es möglich, dass gerade du immer alle findest? Erst die Templer, dann die Rosenkreuzer? Hast du nie, was weiß ich, Plechanow gelesen?«

»Nein, ich warte noch, bis sie sein Grab finden, vielleicht in hundertzwanzig Jahren. Wenn Stalin ihn nicht mit dem Bulldozer begraben hat.«

»Blödmann! Ich geh ins Bad.«

 

30

 

 

Daß auch die gantze Christenheit mit solchen Köpffen hin und wider uberhäufft, gibt uberflissig die genandte Fraternitas Rosae Crucis zu erkennen. Dann als solches Phantasma kaum außgeschlossen, ungeachtet auch deren Fama und Confessio... klärlich bezeuget, das dies allein ein lusus ingenii nimium lascivientis: Weil jedoch darin eine Hoffnung solcher General Reformation gemacht und von vielen seltsamen Künsten, von theils lächerlich, theils unglaublichen Sachen anregung gethan worden, haben sich in allen Landen auch sehr gelehrte und fromme Leut damit so äffen lassen, das sie ihre Dienst und gute Willen, etwan mit Benennung ihrer Namen, angebotten: Etwan solchen verschwigen und beständig dafür gehalten, es werden diese Fratres... den Namen und Ort solcher gutwilligen Clienten in dem Speculo Salomonis oder durch andere Mittel unschwer errahten können.

Christoph von Besold (?), Anhang zu Tommaso Campanella, Von der Spanischen Monarchia, Frankfurt 1623, p. 48

 

Danach kam das Beste, und bei Amparos Rückkehr war ich schon imstande, ihr wunderbare Dinge zu vermelden.»Das ist eine unglaubliche Geschichte. Die Manifeste erscheinen in einer Zeit, in der es von Texten dieser Art nur so wimmelt, alle suchen nach einer Erneuerung, einem Goldenen Zeitalter, einem Schlaraffenland des Geistes. Die einen schmökern in magischen Texten, die anderen schmelzen Metalle, die dritten befragen die Sterne, die vierten entwickeln Geheimschriften und Universalsprachen. In Prag verwandelt Kaiser Rudolf II. den ganzen Hof in ein Alchimistenlabor, lädt Comenius ein und John Dee, den Astrologen des englischen Hofes, der alle Geheimnisse des Kosmos auf den wenigen Seiten einer Monas Ieroglyphica enthüllt hat. Rudolfs Leibarzt Michael Maier schreibt ein Buch über visuelle und musikalische Embleme, betitelt Atalanta Fugiens, ein Fest von Drachen, die sich in den Schwanz beißen, Eiern der Weisen und Sphingen, nichts ist lichtvoller als die geheime Zahl, alles ist Hieroglyphe für irgendwas anderes. Stell dir vor, Galileo wirft Steinchen vom Schiefen Turm zu Pisa, Richelieu spielt Monopoly mit halb Europa, und dort laufen sie alle mit aufgerissenen Augen umher, um die Signaturen der Welt zu entziffern: Erzählt mir doch, was ihr wollt, von wegen Schwerkraftgesetze, hier drunter (oder eher: hier drüber) steckt was ganz anderes. Nämlich? Abrakadabra... Torricelli konstruierte das Barometer, und diese Leute veranstalteten Ballette, Wasserspiele und Feuerwerke im Hortus Palatinus zu Heidelberg. Und derweil stand der Dreißigjährige Krieg kurz vor dem Ausbruch.«

»Wer weiß, wie froh Mutter Courage darüber war.«

»Aber auch ihnen ging's nicht immer gut. Der pfälzische Kurfürst nimmt 1619 die Krone von Böhmen an, wahrscheinlich weil er vor Sehnsucht verging, in Prag, der magischen Stadt, zu regieren, doch ein Jahr später schlagen ihn die Habsburger am Weißen Berg, in Prag werden die Protestanten massakriert, dem Comenius wird das Haus angezündet, die Bibliothek verbrannt, die Frau und der Sohn erschlagen, und er flieht von Hof zu Hof, um überall zu wiederholen, wie groß und hoffnungsvoll die Idee der Rosenkreuzer war.«

»Der Ärmste, sollte er sich mit dem Barometer trösten? Aber entschuldige einen Moment, du weißt ja, wir Frauen sind nicht so schnell von Kapee wie ihr: Wer hat denn die Manifeste geschrieben?«

»Tja, das ist das Schöne, man weiß es nicht. Lass mal sehen, kratz mir mal das Rosenkreuz... nein, zwischen den Schulterblättern, nein, höher, nein, weiter links, ja, da. Also, in diesem deutschen Milieu sind unglaubliche Typen. Zum Beispiel ein gewisser Simon Studion, der eine Naometria schreibt, ein okkultes Traktat über die Maße des Salomonischen Tempels, oder Heinrich Khunrath, der ein Amphitheatrum sapentiae aeternae verfasst, voller Allegorien mit hebräischen Alphabeten und kabbalistischen Höhlen, die wohl die Autoren der Fama inspiriert haben müssen. Diese sind vermutlich Angehörige eines der zahllosen Konventikel von Utopisten der christlichen Wiedergeburt. Gerüchten zufolge ist der Autor ein gewisser Johann Valentin Andreae, ein schwäbischer Pfarrer aus dem Tübinger Stift, der dann ein Jahr später die Chymische Hochzeit des Christian Rosencreutz veröffentlicht, aber die hatte er schon als junger Mann geschrieben, also war ihm die Idee mit den Rosenkreuzern schon lange im Kopf herumgegangen. In seinem Umkreis gibt es aber noch andere Schwärmer, die von einer Republik von Christianopel träumen, vielleicht haben sie sich alle zusammengetan. Scheint allerdings, das sie sich nur einen Jux machen wollten, sie dachten gar nicht daran, die große Konfusion anzurichten, die sie angerichtet haben. Andreae verbringt sein ganzes weiteres Leben damit, zu schwören, dass er die Manifeste nicht verfasst hätte, dass sie in jedem Fall nur ein lusus, ein ludibrium, eine Art Studentenulk gewesen wären, er bringt seine akademische Reputation ins Spiel, erbost sich und sagt, das die Rosenkreuzer, auch wenn es sie gebe, allesamt Hochstapler seien. Vergeblich. Kaum sind die Manifeste erschienen, scheint es, als hätten die Leute auf nichts anderes gewartet. Die Gelehrten aus ganz Europa schreiben tatsächlich an die Rosenkreuzer, und da man nicht weiß, wo sie zu finden sind, schreiben sie offene Briefe, Broschüren, Bücher. Michael Maier veröffentlicht noch im selben Jahr ein Opus namens Arcana arcanissima, in dem er zwar die Rosenkreuzer nicht nennt, aber alle sind überzeugt, das er von ihnen spricht und viel mehr weiß, als er sagen will. Einige prahlen und behaupten, sie hätten die Fama im Manuskript gelesen. Ich glaube nicht, das es damals besonders leicht war, ein Buch herzustellen, noch dazu eins mit Illustrationen, aber Robert Fludd publiziert bereits 1616 (und er schreibt in England und lässt in Leiden drucken, rechne nur mal die Zeit zum Hin‑ und Herreisen für die Fahnenkorrekturen), eine Apologia compendiaria Fraternitatem de Rosea Cruce suspicionis et infamiis maculis aspersam, veritatem quasi Fluctibus abluens et abstergens, zur Verteidigung der Rosenkreuzer, um sie reinzuwaschen von den Verdächtigungen und ›Schandflecken‹, die man ihnen angehängt habe – und das kann nur heißen, das bereits eine heftige Debatte entbrannt sein musste, hin und her zwischen Böhmen, Deutschland, England und Holland, alles mit reitenden Boten und umherziehenden Gelehrten.«

Date: 2015-12-13; view: 341; Íàðóøåíèå àâòîðñêèõ ïðàâ; Ïîìîùü â íàïèñàíèè ðàáîòû --> ÑÞÄÀ...



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